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[Kirche von unten]

Berlin - Bush - Bonhoeffer

von Dietrich Kuessner

Am Ende seiner Rede vor dem deutschen Bundestag am 23. Mai erklärte Bush unter dem Applaus des Hauses: "Einer der größten Deutschen des 20. Jahrhunderts war Pfarrer Dietrich Bonhoeffer (Applaus), der die Sicherheit Amerikas hinter sich ließ, um sich gegen das Naziregime zu stellen. In einer dunklen Stunde wurde er Zeuge der großen Wahrheit des Lebens und zahlte den Preis für seine Überzeugung, als er ermordet wurde, nur wenige Tage, bevor sein Lager befreit wurde. "Ich glaube", sagte Bonhoeffer, "dass Gott aus allem Gutes schaffen kann und will, sogar aus dem Bösen." Dieser Glaube ist seit jenem Tag in der Geschichte Europas bewiesen worden - in der Versöhnung und Erneuerung, die diesen Kontinent geformt haben. In Amerika haben wir vor sehr kurzer Zeit ebenfalls den Schrecken des Bösen und die Macht des Guten gesehen. In all den Prüfungen unserer Zeit bekräftigen wir unsere höchsten Werte und engsten Freundschaften. In diesem Saal, in dieser Stadt, in diesem Land und Kontinent findet Amerika hochgeschätzte Freunde (Applaus). Und gemeinsam mit unseren Freunden bauen wir das Haus der Freiheit - heute und für alle Zeit. Möge Gott uns segnen. (Applaus)"
(WELT 24.5. S. 3)

Bonhoeffer im Mundes Bushs? Das erinnert daran, dass Bonhoeffers Gestalt und Theologie bei den jungen Theologen in England und Amerika ungewöhnlich populär war. Bonhoeffer hatte bereits mit 24 Jahren in New York studiert und war mit 27 Jahren Auslandspfarrer in London gewesen. Er kannte den englischsprachigen Raum aus eigener Anschauung. Schließlich galt er als christlicher Märtyrer. Was wunder, dass die dortigen Theologen für ihn ein faible entwickelten. Aber in Deutschland? In unserer Kirche ist heute die Kenntnis von Biographie und Theologie Bonhoeffers kaum vorauszusetzen.

Für unsere Braunschweiger Landeskirche ist das besonders bedauerlich, weil ein Schüler Bonhoeffers, Richard Grunow, zeitweise die Evangelische Zeitung leitete, ein Bonhoeffer-Brevier herausgebracht und in dem Buch "Tendenzen der Theologie des 20. Jahrhunderts" den Beitrag über Bonhoeffer geschrieben hat.

G.W. Bush hebt die Bedeutung Bonhoeffers weit über die Kirche hinaus für Deutschland hervor: "einer der größten Deutschen". Ich wüsste nicht, wann ein deutscher Politiker derlei in den letzten Jahrzehnten in einem so prominenten Rahmen behauptet hätte. Nun klatschen sie. Das kann uns Kirchenleute nur freuen und ermuntern, uns erneut mit Bonhoeffer zu beschäftigen.

Bonhoeffers Eltern waren ja von Anfang an gegenüber Hitler äusserst reserviert und der 27jährige Sohn Dietrich Bonhoeffer sprach schon am 1. Februar 1933 in einer Rundfunkansprache von der Gefahr eines Führers, zum Verführer zu werden, und hellsichtig: "Führer und Amt, die sich selbst vergotten, spotten Gottes" (GS II, 37).

Die Position Bonhoeffers war aber nicht nur für die Nazis auf die Dauer unerträglich, sodass sie ihn mit Redeverbot, Berufsverbot belegten und schliesslich inhaftierten, sondern auch für die ev. Kirche.

1935 erklärte Bonhoeffer zum Entsetzen der Lutheraner: "Wer sich von der Bekennenden Kirche trennt, trennt sich vom Heil". Bonhoeffer war konsequenter Anhänger der Beschlüsse der 1. und 2. Bekenntnissynoden von Barmen im Mai 1934 und Dahlem im Oktober 1934. Er machte ernst mit dem Satz "Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen. Wir verwerfen die falsche Lehre, als gebe es Bereiche unseres Lebens, in denen wir nicht Jesus Christus, sondern anderen Herren zu eigen wären."

Die Lutheraner dagegen suchten in der theologischen Mitte traditionell ein geregeltes Nebeneinander von Staat und Kirche, zugespitzt: von Luther und Hitler. Schließlich trennte sich die ev. Kirche von Bonhoeffer und verzichtete auf die öffentliche Fürbitte für ihn, ich finde: das Schlimmste, was einem in der Kirche passieren kann. In der ev. Kirche war die Position Bonhoeffers nie mehrheitsfähig. Weder vor 1945 noch nach 1945.

Bonhoeffers zugespitzte staats- und kirchenkritische Position kann Bush wohl nicht gemeint haben, als er von ihm sagte: "Einer der grössten Deutschen des 20. Jahrhunderts war Pfarrer Dietrich Bonhoeffer.." Sie würde heute eher zu einer regierungs- und kirchenkritischen Position herausfordern

Bonhoeffer - für Bush ein großer Deutscher - bedeutungsvoll an das Ende seiner Rede vor dem Bundestag gestellt - was meinte Bush?

Bush wartet mit einem Detail aus der Biographie Bonhoeffers auf und fährt fort - die Abgeordneten hatten das Ende des oben erwähnten Satzes nicht abgewartet: ",...der die Sicherheit Amerikas hinter sich ließ, um sich gegen das Naziregime zu stellen". Bush machte seine Zuhörer im Parlament darauf aufmerksam, dass Bonhoeffer im Sommer 1939 aus den USA nach Deutschland zurückgekehrt war. Das ist das populärste Detail aus der Biografie Bonhoeffers in Amerika. Bonhoeffer war im Mai 1939 über England in die USA gefahren, unter anderem, um sich dem drohenden Musterungsbescheid zu entziehen. Tatsächlich zog das Wehrmeldeamt den Musterungsbefehl zurück und stellte für ein Jahr eine Unbedenklichkeitsbescheinigung für die Auslandsreise aus. Ob Bush dieses Reisemotiv in die USA kannte? Dann wäre Bonhoeffer heute eher ein Zeuge für die Wehrdienstverweigerer z.B. in der israelischen Armee oder früher in Vietnam.

Bonhoeffer hatte sich schon im Sommer 1934 in Fanö als Wehrdienstverweigerer geoutet. "Was würden Sie in einem Kriegsfall tun", hatte ihn ein Schwede gefragt und Bonhoeffer hatte geantwortet: "Ich bitte darum, dass Gott mir dann die Kraft geben wird, nicht zu den Waffen zu greifen." (Bethge, Biografie S. 451).

Schon zwei Jahre vorher hatte Bonhoeffer im April 1932 offen erklärt: "Wir sollen uns auch nicht vor dem Wort Pazifismus scheuen; der nächste Krieg ist zu ächten, nicht aus der schwärmerischen Aufrichtung eines Gebotes...sondern aus dem Gehorsam gegen das uns heute treffende Gebot Gottes, dass Krieg nicht mehr sein soll, weil er den Blick auf die Offenbarung raubt." (Bethge, Biografie S. 255).

In Fanö hatte Bonhoeffer in der Morgenandacht am 28. August 1934 den Gegensatz von Sicherheitstreben und Friedensbemühungen herausgearbeitet: "Wie wird Friede? Durch ein System von politischen Verträgen? Durch Intensivierung internationalen Kapitals in den verschiedenen Ländern? d.h. durch die Großbanken, durch das Geld? Oder gar durch eine allseitige friedliche Aufrüstung zum Zweck der Sicherstellung des Friedens? Nein, durch dieses alles aus dem einen Grunde nicht, weil hier überall Friede mit Sicherheit verwechselt wird. Es gibt keinen Frieden auf dem Weg der Sicherheit" (GS I S. 218).

Bonhoeffers Position ist das präzise Gegenteil von der des amerikanischen Präsidenten. Bush will Friede durch Sicherheit, durch eine aus seiner Sicht "friedliche" Aufrüstung. Der 28 jährige Bonhoeffer weist schon fünf Jahre vor dem deutschen Überfall auf Polen auf die - friedensgefährdende - Unmöglichkeit der deutschen Aufrüstung hin. Wieviel mehr gilt dies für das gegenwärtige, seit Vietnam größte Aufrüstungsprogramm der US Administration, nämlich ca 380 Milliarden $ für den Verteidigungshaushalt im Jahre 2003 ?

Es war nicht, wie Bush vermutet "die Sicherheit Amerikas", die Bonhoeffer mit seiner Reise in die USA suchte, sondern die Aussicht auf Vorlesungstätigkeit und auf eine vermittelnde Rolle zwischen den ökumenischen Kirchen. Aber dann überkam Bonhoeffer die große Unruhe nach Deutschland. "Seit gestern abend kommen meine Gedanken von Deutschland nicht los," schreibt er am 15. Juni 1939 in sein Reisetagebuch und einen Tag später: "Heute vor vierzehn Tagen erst aus Berlin und schon wieder so voll Sehnsucht nach der Arbeit." (GS I, S. 298f). Insofern hat Bush mit seiner Bemerkung vom großen Deutschen schon recht, wenn er damit Bonhoeffers große Liebe und Sehnsucht nach Deutschland meinte, aber die Rückkehr nach nur sechs Wochen US-Aufenthalt war keine Reise aus der Sicherheit in die Unsicherheit, sondern zurück in die Arbeit und in die Heimat, zu den gefährdeten Brüdern und zu der gefährdeten Kirche. Insbesondere aber dachte schon damals Bonhoeffer an die Zeit nach dem Kriege und dass er dabei nur glaubwürdig mitwirken könnte, wenn er weiterhin mitten in Deutschland wäre.

Wenn Bonhoeffer am 23. Mai 2002 in Berlin gewesen wäre - ich könnte mir ihn, der fasziniert war von dem gewaltfreien Widerstand Gandhis, gut beim Interreligiösen Gebet vor dem Berliner Dom vorstellen, das ein Teil des Demonstrationsprogrammes war. Aber als Parteigänger vom Präsidenten Bush?

Bush fährt in seiner Rede über Bonhoeffer nun folgendermaßen fort: "In einer dunklen Stunde wurde er Zeuge der großen Wahrheit des Lebens und zahlte den Preis für seine Überzeugung, als er ermordet wurde, nur wenige Tage, bevor sein Lager befreit wurde. "Ich glaube", sagte Bonhoeffer, "dass Gott aus allem Gutes schaffen kann und will, sogar aus dem Bösen." Dieser Glaube ist seit jenem Tag in der Geschichte Europas bewiesen worden - in der Versöhnung und Erneuerung, die diesen Kontinent geformt haben."

Worauf bezieht sich Bush? Bonhoeffer hatte zum Jahreswechsel 1942/43 an einige Freunde und Bekannte eine Aufzeichnung zugeschickt unter der Überschrift "Nach zehn Jahren". Darin sammelte er unter den Überschriften "Ohne Boden unter den Füßen", "Wer hält stand?" "Vom Erfolg", "Optimismus", "Gefährdung und Tod", "Sind wir noch brauchbar?" und anderen einige im Rückblick auf zehn Jahre Nationalsozialismus gewonnene Einsichten. Unter der Überschrift "Einige Glaubenssätze über das Walten Gottes in der Geschichte" nannte er vier persönliche Glaubenseinsichten, deren erste folgendermaßen lautet: "Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen."

Bonhoeffer formulierte die alte biblische Einsicht, dass es kein selbständiges Böses neben Gott gibt, sondern auch die Dämonen Gott untertan bleiben. Auch aus der Hitlerzeit und der in ihr verstrickten Kirche könne Gott Gutes schaffen.

Bush zitiert also den ersten Satz aus den Betrachtungen Bonhoeffers und benennt sogleich das Gute, das aus dem Bösen, dem Nationalsozialismus, seiner Meinung nach entstanden ist. Das Gute, das Gott nach 1945 geschaffen habe, sei die "Versöhnung und Erneuerung, die diesen Kontinent geformt haben". Meinte Bush den schwierigen Weg der Versöhnung mit Frankreich, Polen und der Sowjetunion, also mit den von Deutschland überfallenen Staaten? Das ist ja nur ein Teil der europäischen Nachkriegsgeschichte mit Berlinkrise, der ständiger Bedrohung in einem kalten Krieg, der immer wieder in einen heissen umzukippen drohte, Ungarnaufstand, Einmarsch in Prag und schließlich mit Deutschland als Aufmarschgebiet westlicher und östlicher Raketen.

Bush sieht sich historisch in einer vergleichbaren Situation wie Bonhoeffer und fährt fort: " In Amerika haben wir vor sehr kurzer Zeit ebenfalls den Schrecken des Bösen und die Macht des Guten gesehen. In all den Prüfungen unserer Zeit bekräftigen wir unsere höchsten Werte und engsten Freundschaften." Terrorismus ist also ebenso Böses wie Nationalsozialismus, will Bush sagen. Aber "Gottes Walten in der Geschichte" (Bonhoeffer) schaffe daraus die Bekräftigung der höchsten Werte und engste Freundschaften.

Wenn im Vorfeld von amerikanischer Seite immer wieder von einer historischen Rede gesprochen worden ist, so sind möglicherweise damit diese weit ausholenden, historischen Zusammenhänge gemeint, die Präsident Bush in seiner Ansprache gebildet hat: Nationalsozialismus, Kommunismus und Terrorismus sind für ihn die Urformen des Bösen. Zu Beginn seiner Rede spitzt Bush diese Trias auf Berlin zu. Berlin als das Zentrum des Nationalsozialismus, als Fronstadt der Freiheit gegen den Kommunismus und nun mit einer "neuen und ernsten Bedrohung konfrontiert".

Aber - seine gute Nachricht: aus ihrem Zusammenbruch wäre Gutes entstanden: aus dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus die europäische Einigung, aus dem Zusammenbruch der Sowjetunion die amerikanisch-russische Freundschaft und aus dem Zusammenbruch des internationalen Terrorismus würde der Weltfriede entstehen: große historische Bögen! Die Rolle Amerikas dabei ist deutlich: erst in der Anti-Hitlerkoalition, dann als Führer in der antikommunistischen Front des Westens und nun in der weltweiten Koalition gegen den Terrorismus. Ausgeblendet werden die Opfer von Hiroshima 1945, von Vietnam 1965 und der überaus problematischen Lateinamerikapolitik mit ihren vom CIA und der amerikanischen Wirtschaft unterstützten Militärdiktaturen und im Gefolge davon Millionen von Armen und Vertriebenen und Verschwundenen, die vielen zivilen Opfer in Afghanistan. Dafür sollte die Theologie Bonhoeffers zitabel sein, der sich mit der Arbeiterjungend vom Wedding und der jüdischen Minderheit schon ab 1933 solidarisierte? Das dürfte wohl mehr als problematisch sein.

Ziel dieser Koalition ist für Bush die Rettung der Zivilisation. "Wir verteidigen die Zivilisation selbst" überschreibt die WELT die Dokumentation der Reden. Bush wiederholt die These vom Anschlag des 11. Septembers als Anschlag auf die Zivilisation.

Durch seine Mystifizierung erhält der Anschlag vom 11. September 2001 jene Offenbarungsqualität - nämlich des Bösen - , die zu jener oben zitierten "falschen Lehre" führt, vor der uns Barmen warnte.

Bush gibt nicht den Horizont seines Zivilisationsbegriffes zu erkennen. In dieser scheinbar weltumspannenden Sicht bleiben die islamischen Kulturen, Zivilisationen aus hinduistischer und buddhistischer Tradition, die vielfältigen afrikanischen Kulturen und die Chinas völlig unberücksichtigt.

Diese zivilisatorische Vielfalt und ihr Dialog finden in der UNO statt. Die UNO kommt in der Rede Bushs bezeichnenderweise gar nicht vor

Die ökumenische Weite der Theologie Bonhoeffers steht für die verengte christlich Sicht des amerikanischen Präsidenten von Welt und Kultur nicht zur Verfügung. Zum Verstehen eines Religionen und Kulturen grenzüberschreitenden Zivilisationsbegriffes hätte Bush auf die Lektüre des in die USA 1933 emigrierten protestantischen Theologen, Paul Tillich, zurückgreifen können.

Hingegen erklärte Bush auf der Pressekonferenz vor dem Bundeskanzleramt, er befinde sich von Amts wegen wie in einer Luftblase. Was mag das für die Wahrnehmungsfähigkeit von Terrorismus in der Welt und von Zivilisation bedeuten? Zur Wahrnehmung massiver nationaler und persönlicher wirtschaftlicher Interessen wird ihn die Blase hingegen nicht stören.

Mit dem Appell "Bauen wir das Haus der Freiheit - heute und für alle Zeit. Möge Gott uns segnen" schließt Bush. Die Bausteine zum Haus der Freiheit sind nach Bush u.a. Krieg, Bomben, Minen, Gefangenenfolter, Sicherung von Rohstoffquellen in aller Welt, Schaffung von Reservaten für die Kellerkinder im Haus der Freiheit; Bonhoeffers Stationen zur Freiheit sind nach seinem bekannten Gedicht von 1944 Zucht, Tat, Leiden, Tod.

Zusammenfassend: dass sich Bush am Schluss seiner Rede auf Bonhoeffer beruft, halte ich für einen groben Missgriff und ein deutliches Mißverständnis seiner Theologie, dem widersprochen werden sollte.


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