"Démariage"

Kritische Gedanken zum neuen Abstammungsrecht (1994) 1)

Hans Erich Troje

- Durchgesehene und korrigierte Fassung, Mai 2001 -

Mit dem Begriff "Démariage" beziehe ich mich zunächst auf eine im April 1993 von der französischen Rechtssoziologin Irene Théry vorgelegte Studie über die in Frankreich durchgeführten und noch anstehenden Reformen des Ehe- und Kindschaftsrechts2). "Démariage" - man kann es eigentlich nicht übersetzen - bedeutet "Entheiratung", "Entehelichung", "Entehung". Démariage bezeichnet wohl auch den Zerfall der einzelnen konkret gelebten Ehe, vor allem aber den Prozeß der Erosion der Institution selbst, von der Theodor Adorno 1951 schrieb, daß nur noch "ihre schmähliche Parodie fortlebt in einer Zeit, die dem Menschenrecht der Ehe den Boden entzogen hat"3). In der Tat, 1927 konnte Karen Horney in ihrer Studie "Die monogame Forderung"4) die Ehe noch als eine der am besten etablierten Institutionen überhaupt begreifen. Demgegenüber scheint doch heute ein Prozeß des fortschreitenden Zerfalls hinter und wohl auch noch vor uns zu liegen, ein Erosionsprozeß, dessen bisweilen paradoxe Dynamik sich an allen Ecken und Enden, aber eben auch im Zentrum selbst - und zwar als Banalisierung, Trivialisierung, Vulgarisierung - allenthalben zeigt5).

Als Banalisierung und Trivialisierung der Ehe erlebe ich beispielsweise, daß inzwischen mehr und mehr gleichgeschlechtliche Paare ihre gemeinsame Lebensweise als Ehe anerkannt haben möchten und nach Meinung vieler Politiker und Publizisten auch anerkannt haben sollten. In einem nächsten Schritt geht es bereits darum, ob das gleichgeschlechtliche Paar auch gemeinsame Kinder haben und aufbringen kann, ob es auch Elternpaar sein kann, ein ebenso gutes oder vielleicht sogar besseres wie das zweigeschlechtliche. Bestrebungen, die auf Anerkennung der Lebensgemeinschaft männlicher und weiblicher Gleichgeschlechtlicher als "Ehe" zielen, gibt es auch bereits in der Jurisprudenz6). Die freilich alsbald aufgehobene Entscheidung einer Frankfurter Richterin, die den Standesbeamten anwies, dem von einem homosexuellen Paar gestellten Antrag auf Bestellung des Aufgebots stattzugeben, blieb wohl vorerst vereinzelt. Ein Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom Herbst 19937) hat einstweilen die historisch doch immer an die Gegebenheiten der Zweigeschlechtlichkeit geknüpfte Ehe noch vor dem Klamauk einer Gleichstellung mit ihrer populären Ersatzform gerettet. Aber wie lange wird der Damm noch halten? Werden Heterosexuelle der alten Art falls es sie geben wird, dann überhaupt noch heiraten wollen? Die Zweigeschlechtlichkeit zur Disposition stellen, zur Option machen, heißt das nicht, die Ehe von ihrer erhabensten Aufgabe abkoppeln? Wird ihr nicht mit der Zweigeschlechtlichkeit - als ihrer eigentlichen Schwierigkeit - auch ihre Tragik und damit ihre Würde genommen?

Damit ist in das Problem eingeführt. Nun will ich unter dem leitenden Gesichtspunkt "Démariage" an 3 Beispielen auf einige problematische Punkte in der Entwicklung des Ehe-, Familien- und Kindschaftsrechts in diesem Lande aufmerksam machen, in denen sich - und zwar ohne angemessene öffentliche Anteilnahme - solche Erosionsprozesse der Ehe derzeit ereignen. Als Beispiele wähle ich erstens die Entwicklung der Rechtsprechung zu § 1611 BGB, einer Vorschrift aus dem Bereich des Verwandtenunterhalts (Stichwort "Unterhaltsverwirkung wegen Kontaktverweigerung"), zweitens die Diskussion der bevorstehenden Reform des Rechts der elterlichen Sorge für Kinder geschiedener und für Kinder unverheirateter Eltern (Stichwort "joint custody" und "Antragsprinzip") und drittens - und am schwerwiegendsten - die Diskussion der anstehenden Reformen im Kindschaftsrecht; im Recht der Abstammung, insbesondere der Vaterschaft, deren Vermutung, Feststellung und Anfechtung8).

Im ersten Beispiel, der neuesten Rechtsprechung zu § 1611 BGB, geht es darum: Ein junger, nach im übrigen gegebenen Voraussetzungen noch unterhaltsberechtigter Erwachsener nimmt einen Elternteil - meist den Vater - auf Unterhalt in Anspruch, will aber sonst nichts mehr mit ihm zu tun haben. Ist die anhaltende Verweigerung jeglichen Kontaktes, auf den der Vater seinerseits glaubt Anspruch zu haben, eine "schwere Verfehlung" und damit ein Verwirkungsgrund im Sinne des § 1611 BGB9)? Bisher wurde freilich nur vereinzelt und auch nicht unwidersprochen die Meinung vertreten, Kontaktverweigerung sei Verwirkungsgrund. Dabei geht es nicht etwa bloß darum, vom jungen Erwachsenen zu erwarten, daß er/sie auch mitten im Autonomiekonflikt und Ablösungsprozeß die Form wahrt, ihr äußerlich genügt, sich einigermaßen anständig benimmt, dann und wann in korrektem, nicht provozierendem Aufzug bei den Eltern Anstandsbesuche macht. Vielmehr wird erwartet oder gar verlangt, daß er/sie einem viel weitergehenden väterlichen oder mütterlichen Liebesbedürfnis nachkommt. Dagegen erheben sich sowohl aus familiendynamischer wie aus rechtstheoretischer Sicht gleichermaßen starke Bedenken. Recht kann ja nur äußeres Verhalten erzwingen. "Liebe" kann sich im emotionalen Bereich, wenn überhaupt, eben nur spontan ereignen. Wer sie zu erzwingen sucht, findet sie nicht. Er unterliegt notwendig dem Gesetz der "paradoxen Handlungsaufforderung", des "Sei-spontan"-Befehls, der bekanntlich nur befolgt werden kann, indem er nicht befolgt wird. Doch das ist nur eines der zahlreichen Bedenken gegen diese Entwicklung, deren Ausgang derzeit noch offen ist10).

Der zweite Punkt ("joint custody") gilt der gemeinsamen elterlichen Sorge. Unter diesem Etikett laufen derzeit zwei ganz unterschiedliche Reformforderungen. Die eine betrifft das Problem nichtverheirateter Elternpaare, für die das geltende Recht keine Möglichkeit gemeinsamer Sorgerechtsausübung in Vorrat hat, nach neuerer, endlich zum Durchbruch gelangter Ansicht des Bundesverfassungsgerichts aber künftig in Vorrat halten muß. Damit ist nur endlich dem entsprochen, was wir seit Jahren immer wieder gefordert haben. Natürlich ist es zugleich ein Stück "Démariage": Das bisher von den Konservativen entschlossen verteidigte Monopol der Eheleute, für ihre Kinder gemeinsam sorgeberechtigt zu sein, während den Unverheirateten nur nichtfunktionierende, inadäquate oder gar bewußt schikanöse Regelungen offenstehen, ist mit der angestrebten Neuregelung gebrochen. Tant mieux!

Das Problem liegt nicht hier, sondern bei der schon seit zwei Jahrzehnten.propagierten, aber von Anfang an umstrittenen joint custody getrenntlebender und geschiedener Eltern. Derzeit geht es vor allem um die Frage, ob im Scheidungsfalle über die Verteilung der elterlichen Sorge auf einen Elternteil oder auf beide von Amts wegen oder nur auf Antrag entschieden werden muß. Bisher haben wir das Amtsprinzip. Wenn minderjährige Kinder da sind, muß von Amts wegen entschieden werden , und die Übertragung der elterlichen Sorge auf einen Elternteil ist die Regel. Nur wenn die vom Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung von 198211) aufgestellten Voraussetzungen für gemeinsame elterliche Sorge nach Scheidung vorliegen, kann das Gericht sie ausnahmsweise beiden Eltern übertragen. Nach den auch insoweit bereits vom 59. Deutschen Juristentag Hannover 1992 abgesegneten Reformvorschlägen soll das Amtsprinzip durch das Antragsprinzip ersetzt und dabei die bisherige Ausnahme zur Regel gemacht werden12). Nur wenn es von einem oder beiden beantragt wird, entscheidet der Richter, andernfalls bleibt es nach der Scheidung wie es vorher war: Beide Eltern sind, und zwar gemeinsam, als Paar, sorgeberechtigt. Sie sollen nach diesem Modell nicht bloß als Gegner und Feinde sich wechselseitig an irgendwelchen dem anderen unerwünschten Alleingängen hindern können, sondern sie sollen einverständlich13) und harmonisch als immer noch gemeinsam handlungsfähiges Elternpaar zusammenwirken, als Mann und Frau, die insoweit noch Paar geblieben sind. Damit wird offenbar die Realität der Scheidung verleugnet, die Scheidung verharmlost und banalisiert - und mit ihr natürlich auch die Ehe selbst. Im französischen Diskurs spricht man von "nostalgie de 1'indissolubilité", das heißt, es wird erkannt, daß in der "autorité parentale conjointe" das Modell der unauflöslichen Ehe und Familie beschworen wird und seinen Gestaltungsanspruch insoweit zurückerhält14).

Noch fragwürdiger ist drittens die bevorstehende Reform des Abstammungsrechts. In groben Zügen geht es dabei um folgendes: Mit der überfälligen Schaffung der Möglichkeit gemeinsamer elterlicher Sorge nichtverheirateter Paare soll das Abstammungsrecht grundlegend verändert werden, soll gewissermaßen das vom Bundesverfassungsgericht eilig und ohne jede Grundsatzdiskussion propagierte "Recht auf Kenntnis der genetischen Abstammung" im Abstammungsrecht etabliert werden. Die ehrwürdige Ehelichkeitsvermutung des geltenden Rechts soll abgeschafft und durch eine durch die Ehe begründete Abstammungsvermutung ersetzt werden. Ferner sollen die derzeit strikt begrenzten Möglichkeiten der Anfechtung der durch Vermutung begründeten, anerkannten oder gerichtlich festgestellten Vaterschaft erheblich ausgeweitet werden. Das sind Eingriffe in die Grundstruktur von Ehe. Die Ehe ist nach "abendländischem Verständnis" seit Jahrhunderten und Jahrtausenden die Veranstaltung eines Paares, in welcher (erstens) neben der Frau auch der Mann Verantwortung für die Kinder übernimmt (und zwar prinzipiell für alle von dieser Frau in der Ehe geborenen Kinder, egal, wie sie entstanden sind) und in welcher (zweitens) dem Manne diese Übernahme von Verantwortung damit gratifiziert wird, daß ihm diese Kinder, deren gesetzlicher Vater er ist, gegen seinen Willen niemand nehmen kann15). Dazu muß freilich die Möglichkeit doppelter Vaterschaft, gesetzlicher und genetischer, in Kauf genommen werden. Ferner muß dem Kind der Weg zur Erforschung seiner genetischen Abstammung und zur eventuellen Anfechtung der Vaterschaft des Ehemannes in der Tat so lange versperrt werden, wie die Ehe besteht und der Vater die Verantwortung für die in der Ehe geborenen Kinder auch tatsächlich trägt. Das ist der Preis dafür, daß das Kind ein Nest, ein Zuhause hat, einen Ort, an dem es aufgehoben ist. Ein weiterer Preis dafür ist, daß abstammungsrechtlich zwischen ehelichen und nichtehelichen Kindern unterschieden werden muß16). Dieses Konzept wird, wenn die geplante Reform durchkommt, nach über zweitausend Jahren abendländischer Geschichte sang- und klanglos und ohne Grundsatzdiskussion und mit sehr zweifelhaften Argumenten gekippt. Dabei sind im Reformvorschlag mehrere Dinge so miteinander verknüpft, daß das nach meiner Meinung Fragwürdige und Unerwünschte auf dem fraglos Erwünschten gewissermaßen Huckepack reiten soll. Fraglos erwünscht ist der Abbau der entgegen allen Verfassungsforderungen immer noch bestehenden erbrechtlichen Benachteiligung der nichtehelich Geborenen. Die diskriminierenden Vorschriften §§ 1934a ff. BGB, die dem nichtehelichen Kind gegen seinen Vater neben der Witwe und neben ehelichen Kindern kein Erbrecht, sondern nur einen "Erbersatzanspruch" geben17), müssen entfallen. Das Privatrecht der früheren DDR kam auch gut ohne sie aus, zeigt aber auch, daß man Rechtsgleichheit für Nichteheliche ohne die umstrittene Totalreform des herkömmlichen Abstammungsrechts erreichen kann. Soviel vorweg in groben Zügen.

Nun im einzelnen und noch einmal von vorn. Das bisherige Abstammungsrecht der meisten kontinentaleuropäischen Rechte, die an das patriarchalische Ehe- und Familienmodell der Römer und deren Maxime "pater est quem nuptiae demonstrant" anknüpfen, setzt bekanntlich die Unterscheidung ehelicher und nichtehelicher Geburt voraus und stellt sie immer wieder her. Ferner beruht es auf dem für unsere Kultur und Rechtskultur insoweit grundlegenden Dualismus von Rechtlichem und Faktischem, der hier als doppelte - gesetzliche und genetische - Vaterschaft greifbar wird. Die Möglichkeit, daß der gesetzliche Vater eben nicht der genetische ist und daß in diesem Falle ein Mensch zwei Väter hat, einen gesetzlichen und einen genetischen, wird im herkömmlichen Abstammungsrecht immer vorausgesetzt. Nach seinem Regelmechanismus wird die Möglichkeit doppelter Vaterschaft denn auch immer wieder neu realisiert, also zur Wirklichkeit gemacht.

Die Regelung ehelicher Abstammung im insoweit seit Jahrhundertbeginn unveränderten BGB, §§ 1591 ff., ist klipp und klar: "Ein Kind, das nach der Eheschließung geboren wird, ist ehelich", und wir unterstreichen dabei: Es ist ehelich. Manche juristische Laien meinen, ein Neugeborenes würde erst durch Anerkennung ehelich: Der Ehemann der Mutter sieht das Neugeborene und sagt ja oder nein, vollzieht gewissermaßen ein archaisches Ritual, in welchem der Ehemann über Ehelichkeit und Nichtehelichkeit und damit über Lebenschancen, wenn nicht gar über Leben und Tod des Kindes entscheidet. Das ist aber Vergangenheit, ist - falls überhaupt jemals - schon lange nicht mehr Rechtens. Die Pflicht, geborene Kinder auch aufzubringen, wurde, in entschiedener Abgrenzung von der Aussetzungs- und Kindestötungspraxis der gesamten, insbesondere der hellenistischen Antike, zuerst in jüdischen Gemeinschaften entwickelt. Von ihnen hat das Christentum sie übernommen und später durch Abtreibungsverbote zur Austragungspflicht gesteigert. Damit ist das im römischen Recht den patres familiae zwar formal zugestandene, durch soziale Kontrolle jedoch stark eingeschränkte väterliche Recht über Leben und Tod (ius vitae necisque) von Ehefrau und Kindern abgeschafft. Das Recht, über Leben und Sterben des Neugeborenen zu entscheiden, ist entfallen. Zumindest das in die Ehe geborene Kind hat ein Recht auf Leben. Darüber ist spätestens mit seiner Geburt positiv entschieden. Entsprechendes gilt, und zwar wiederum spätestens seit dem christlichen Mittelalter, für den Status der Ehelichkeit. Darüber ist, wenn das Kind zur Welt kommt, bereits entschieden. Das Kind einer verheirateten Frau - mag die Ehe auch erst während der Schwangerschaft, ja erst während der Entbindung geschlossen sein - ist ehelich, und zwar ohne Anerkennung. Durch nachfolgende Eheschließung der Eltern und durch sogenannte "Legitimation" des Vaters kann es nachträglich ehelich gemacht werden, im ersteren Falle wird es gemeinsames Kind des jetzt verheirateten Elternpaares, im Falle der Legitimation hört es freilich auf, Kind seiner Mutter zu sein.

"Ein Kind, das nach der Eheschließung geboren wird, ist ehelich ..." Natürlich kann ein solcher Satz im Recht nur in Verbindung mit einem Wenn-Satz bestehen. Recht ist ja fast immer als Konditionalprogramm artikuliert. Der hier einschlägige und in diesem Falle nicht voran-, sondern nachgestellte Wenn-Satz heißt: "... ist ehelich, wenn die Frau es vor oder während der Ehe empfangen und der Mann innerhalb der Empfängniszeit der Frau beigewohnt hat"18). Das Entscheidende dabei ist aber, daß das Vorliegen der in dem Wenn-Satz genannten Voraussetzung (eheliche Empfängnis und Beiwohnen) "vermutet" wird. Es wird sozusagen unterstellt, daß die Mutter das Kind erstens vor oder während der Ehe empfangen hat und daß zweitens ihr Mann (und zwar er und niemand anders) ihr innerhalb der Empfängniszeit beigewohnt hat. Es muß nicht im Einzelfall bewiesen werden, sondern wird unterstellt oder - wie es im Gesetz heißt - "vermutet". "Es wird vermutet, daß der Mann innerhalb der Empfängniszeit der Frau beigewohnt hat" (§ 1591 Abs. 2 Satz 1). Das Vermutete muß nicht bewiesen werden, die Vermutung kann aber durch Gegenbeweis entkräftet werden. Die Vermutung begründet eine sogenannte "Beweislastumkehr".

Natürlich ist der Fall der sogenannten "offenbaren Unmöglichkeit" mitbedacht und geregelt19). Das Entscheidende dieser Regelung ist nun, daß auch im Falle der "offenbaren Unmöglichkeit" die dann offensichtlich gegebene genetische Nichtehelichkeit eines Kindes "nur geltend gemacht werden kann, wenn die Ehelichkeit angefochten und die Nichtehelichkeit rechtskräftig festgestellt ist" (§ 1593 BGB). Dabei - und das ist sogar noch wichtiger - kann während des Fortbestehens der Ehe allein der Ehemann die Vaterschaft anfechten, und dies auch nur zwei Jahre, nachdem er "von den Umständen, die für die Nichtehelichkeit des Kindes sprechen, Kenntnis erlangt hat" (§ 1594). Die Mutter kann die Ehelichkeit ihres Kindes unter gar keinen Umständen, das Kind sie nur unter sehr eingeschränkten Umständen anfechten. Als Regel gilt: Das in der Ehe geborene Kind ist ehelich - das Gesetz formuliert sehr entschieden, "ist ehelich", und - solange jedenfalls die Ehe besteht - kann nur der Vater anfechten, und dies auch nur in begrenzter Zeit. Erst aus den Vorschriften der §§ 1593-1594 enthüllt sich der Kern einer Regelung, die davon ausgeht, daß Rechtliches und Faktisches zweierlei sind und sich widersprechen können und keineswegs immer das Rechtliche dem Faktischen zu entsprechen und zu folgen hat. Auch bei offenbarer Unmöglichkeit ist das genetisch nichteheliche Kind von Rechts wegen ehelich, wenn der Ehemann der Mutter es so will. Es hat dann eben 2 Väter, den gesetzlichen und den genetischen. Der Dualismus gesetzlicher und genetischer Vaterschaft ist vorausgesetzt und wird gegebenenfalls wiederum realisiert. Die doppelte Vaterschaft ist mit allen ihren gewiß nicht zu verkennenden und in der Tat oft sehr gravierenden Folgeproblemen in Kauf genommen.

Die doppelte Vaterschaft ist natürlich eine Notlösung und kann nur als solche verstanden werden, Sie trägt dem Faktum Rechnung, daß mit der Erfindung der Ehe und der Familialisierung des Mannes die mehr oder weniger universale, dem Menschen jedenfalls offenbar weiterhin ins Triebprogramm geschriebene Promiskuität nicht abgeschafft worden ist. Sie ist Notlösung, die viele Folgeprobleme schafft. Dem von doppelter Vaterschaft betroffenen Kind und seinem Umfeld erwachsen auch bei kluger und konsequenter Informationspolitik immer irgendwelche Schwierigkeiten. Letztlich geht es also um die Abwägung, ob die Vermeidung solcher Folgeprobleme es rechtfertigt, das oben formulierte abstammungsrechtliche Grundprinzip der Ehe ("pater est, quem nuptiae demonstrant") und die damit ermöglichten "Nest"-Vorteile aufzugeben. Die Abwägung ist sehr schwierig. Wenn die Bedingungen der Möglichkeit von Ehe als "Nest" für Kinder durch herrschende sozioökonomische und ideologische Kräfte ohnehin eliminiert werden und "Nester" folglich demnächst kaum noch existieren werden, kann nicht mit dem "Nest"-Vorteil zugunsten des alten Abstammungsrechts argumentiert werden. Unter Hinzunahme neuer Erfahrungen und anderer, hier noch nicht berücksichtigter Aspekte mag eine erneute Überprüfung der hier vorgetragenen Gedanken zu einem anderen Ergebnis gelangen20).

Im neuen Recht soll jedenfalls - wohl im Hinblick auf die Folgeprobleme - dieser Dualismus abgeschafft und mit ihm die Möglichkeit doppelter Vaterschaft ausgeschlossen werden: "Vater eines Kindes ist der Mann, von dem es abstammt." Der Begriff der Vaterschaft reduziert sich demnach auf die genetische. Sie ist ganz dem faktischen Bereich von Zeugung und Abstammung vorbehalten. Die geplante Reform impliziert also die Abdankung des Rechts als Ordnungsmacht. Im alten, noch gültigen System ist das Recht zukunftsorientiert. Es ist eine Art Gegengewicht und Gegenmacht zum Wirrwarr aller menschlichen Verhältnisse und Beziehungen, aller zurückliegenden und in ihren Folgen noch andauernden Entgleisungen und Komplikationen. Es kehrt ihnen den Rücken und läßt sie hinter sich. Es knüpft an Vergangenes zwar an, aber nur insoweit, als dieses dem Bereich des Offenkundigen angehört, nämlich an die öffentlich "aufgebotene" und amtlich protokollierte Eheschließung. Durch die daran anknüpfende Zuweisung von Verantwortlichkeiten begründet es eine vom vergangenen und eventuell noch gegenwärtigen Chaos abgehobene Ebene der Ordnung und Sicherheit. Das ist der nach einer langen und komplizierten Entwicklung, nach langen Kämpfen gegen die "klandestine Ehe" seit dem Konzil von Trient und hernach seit Übernahme des kirchlichen Eheschließungsrechts in staatlicher Regie erreichte gegenwärtige Stand21).

Das neue Recht wird in ganz anderer Weise auf Vergangenheit bezogen sein. Indem das Recht die zurückliegenden Verhältnisse abstammungsrechtlich möglichst genau abbilden will, läuft es ihnen ohne Rücksicht auf Verluste in alle Ewigkeit nach. Im neuen System kann Vergangenes, auch soweit es eben nicht offenkundig wurde, sondern verborgen blieb, die Gegenwart und Zukunft auch von Rechts wegen immer noch verunsichern. Das wird nicht nur in Kauf genommen, sondern sogar angestrebt und favorisiert.

Im neuen Recht soll Vaterschaft in dreifacher Weise entstehen, als vermutete, als anerkannte und als gerichtlich festgestellte. Der Formulierungsvorschlag für die durch Vermutung begründete Vaterschaft lautet: "Ist die Mutter eines Kindes verheiratet, so wird vermutet, daß das während der Ehe geborene Kind von ihrem Ehemann abstammt." Insoweit soll also doch eine Anknüpfung an die Ehe stattfinden. Weil die neue Formulierung der alten äußerlich ähnelt, bleibt um so entschiedener zu betonen, daß das noch geltende und das geplante Recht doch durch Welten voneinander getrennt sind. Es ist nicht mehr die Ehelichkeit, die vermutet wird, sondern die Vaterschaft, wobei die gesetzliche mit der genetischen stets identisch sein und die Möglichkeit doppelter Vaterschaft also entfallen soll.

Die Modalitäten der Begründung der beiden anderen Arten der Vaterschaft, der anerkannten und der festgestellten, entsprechen in etwa dem bisherigen Recht. Kann die Vaterschaft eines Mannes nicht vermutet werden, da die Frau keinen Ehemann hat, "so wird die Vaterschaft durch Anerkennung oder gerichtliche Entscheidung für und gegen alle festgestellt"22).

Das Problematische ist nun, daß für alle drei Arten der Vaterschaft, also die vermutete, die anerkannte und die gerichtlich festgestellte, die gleichen, und zwar radikal ausgedehnten Anfechtungsmöglichkeiten gegeben sein sollen. Bei allen drei Arten der Vaterschaft sollen künftig außer dem vermuteten, anerkennenden oder gerichtlich festgestellten Vater auch Mutter und Kind und unter freilich insoweit eingeschränkten Umständen auch der genetische Vater anfechten können.

Damit ist in Sache "Démariage" und Erosion der Ehe der entscheidende Schritt vollzogen. Der Gebrauchswert der doch sonst in vieler Hinsicht außerordentlich lästigen Eheschließung mitsamt ihrer noch lästigeren Folgewirkung, daß die Ehe nur durch gerichtliches Urteil geschieden werden kann, lag doch gerade in der mit ihr angestrebten und in gewissem Umfang auch erreichten Klarheit der Zuordnungen, die freilich durch den doppelten Dualismus, den von ehelicher und nichtehelicher Kindschaft einerseits und den von gesetzlicher und genetischer Vaterschaft andererseits, erkauft war. Der Gebrauchswert der Ehe bestand darin, daß inmitten aller vergangenen, gegenwärtigen und künftigen faktischen Verworrenheiten von Rechts wegen eine Sphäre klarer Zuordnungen geschaffen wurde. Gegen das faktische große Durcheinander, das sich im Recht nicht abbilden kann und auch gar nicht abbilden soll, wurde die Sicherheit definierter Zuordnungen und Verantwortlichkeiten gestellt. Dieser nicht geringe, um nicht zu sagen einzige Gebrauchswert der Ehe ginge mit den angestrebten Reformen verloren. Wozu soll ich, wird man sich künftig fragen, noch heiraten, mich also entschließen, für die von meiner Frau zur Welt gebrachten Kinder jahre- und jahrzehntelang Verantwortung zu übernehmen, wenn jene, meine Frau und meine Kinder, es sich jederzeit anders überlegen können und wenn sogar ein Dritter, nicht genug, daß er überhaupt im Spiele war, jetzt noch Anrechte auf meine eheliche Nachkommenschaft geltend machen kann? Heißt das nicht, die Grundlage der Ehe zu untergraben und mit dem Prozeß des Démariage endlich ans Ziel zu kommen?

Oder sind das unbegründete Befürchtungen? Vielleicht. Auf die Frage, was es eigentlich sei, was die Menschen angesichts des allgemeinen Eheunglücks immer wieder in die Ehe treibt, hat Karen Horney in dem eingangs erwähnten Aufsatz "Die monogame Forderung" sehr schön geantwortet. Es ist der fortlebende Inzestwunsch, der Wunsch, endlich selbst ungestört und mit vollem Recht der Mann einer Frau, die Frau eines Mannes sein zu dürfen und mit ihm/ihr Kinder haben zu können. Die französische Philosophin Marie Odil Métral hat in ihrer wichtigen und viel zu wenig beachteten Studie "Le mariage" von 197723) die ödipale Entwicklung als mimetischen Prozeß beschrieben, hat das in ihr enthaltene mimetische Element noch genauer herausgearbeitet, hat die ödipale Phase als Entwicklung beschrieben, in welcher der Junge sich vornimmt, wenn schon nicht jetzt, so zumindest später zu erlangen, was seiner Vorstellung nach der Vater hat, in welcher das Mädchen sich vornimmt, wenn nicht jetzt, so wenigstens später zu erlangen, was ihrer Vorstellung nach die Mutter hat. Ein Ende dieser Illusion gibt es allenfalls im gleichzeitigen Zerfall jener anderen, über deren Zukunft Sigmund Freud in einer berühmten Studie nachgedacht und geschrieben hat24).

Démariage findet statt, unaufhaltsam, erst kaum wahrnehmbar, dann geht es plötzlich ganz schnell, nach Art der Vermehrung und Ausbreitung der Wasserrose auf dem See. Aber ein Ende jener unentbehrlichen, vom unausweichlichen Inzestwunsch uns Gott sei Dank immer wieder bescherten Illusion ist gleichwohl derzeit wohl nicht zu befürchten. "Ehe" wird immer mehr zur "schmählichen Parodie", immer häufiger zum schlechten Scherz und reinen Klamauk verkommen. Dann mag sie am Ende auch den Gleichgeschlechtlichen offenstehen.

Noch eine zusätzliche Bemerkung zur Verwendung des Wortes "Démariage". Wahl und Benutzung eines Begriffs aus dem französischen Diskurs proklamieren ein ganzes Programm, einen Anspruch, ein Erfordernis, eine Notwendigkeit. Es scheint mir nämlich notwendig, daß wir neben der nützlichen und förderlichen Rezeption von Fachliteratur aus den USA auch den jeweils einschlägigen französischen Diskurs in unsere Erfahrungs- und Theoriebildung einbeziehen25), und zwar keineswegs aus Gründen der Mode oder der Parität oder des Eurozentrismus. Letztlich geht es um nichts Geringeres als um den Versuch der Wahrung der einem reifen Erwachsenen gemäßen Lebensformen und Einstellungen gegenüber der dem Erwachsenenleben nicht gemäßen radikalen Moral des Kindes. Die amerikanische Fachliteratur bezieht sich stets auf die letztlich doch immer noch im Puritanismus verankerte Ehe- und Scheidungskultur des amerikanischen Mittelstandes26). Die Überschwemmung mit psychoanalytischer und familientherapeutischer USA-Literatur ist (wie diejenige mit entsprechenden Filmen) Teil eines umfassenden Angriffs der "Infantilität" der neuen Welt auf das "reife Erwachsenenleben" der alten Welt, um nicht zu sagen: ein Sieg jener über dieses. Die Begründer der amerikanischen Mittelstandskultur, die puritanischen Pilgrim-Fathers, haben sich ja von dem aus ihrer Sicht verrotteten Europa bewußt abgesetzt. Die Gesamtheit ihrer Vorstellungen über Sexualleben und Ehe verhält sich, vereinfachend ausgedrückt, zu der vor allem in Frankreich zu höchster Blüte und Reife gelangten europäischen Kultur wie die "Moral des Kindes" zum "Leben der Erwachsenen"27). Das Leben der Erwachsenen ist komplexer, komplizierter, gebrochener, als die Moral des Kindes es fassen kann. Das Kind sieht das Erwachsenenleben einfacher, als es in Wirklichkeit ist, beurteilt und verurteilt das komplexe, doppelbödige Erwachsenenleben, soweit es dieses durchschaut, nach seiner infantilen Moral strenger, als die Erwachsenenmoral es gebietet. Aus der Sicht der Kinder müssen Eltern der monogamen Forderung ohne jedes Wenn und Aber entsprechen. Da der Ehemann dann auch immer der Mann ist, von dem das Kind genetisch abstammt, kann es doppelte Vaterschaft gar nicht geben, kann ein Dualismus von genetischer und gesetzlicher Vaterschaft gar nicht entstehen. Das Elternpaar steht voll im Dienste der Kinder, hat insoweit nicht einmal als Paar ein Eigenleben, geschweige denn, daß die beiden Individuen je für sich eines hätten. Auch in sonst gesicherten Verhältnissen bleibt Kindern die Einsicht kaum erspart, daß auch ihre Eltern dieser Forderung nicht immer und nicht uneingeschränkt entsprochen haben. Sollten sie, sollten wir nicht irgendwann begreifen können, daß Affären mehr oder weniger unvermeidlich sind und selbst bei nachfolgender Schwangerschaft und Geburt keineswegs automatisch zu Trennung, Scheidung und neuer Eheschließung führen müssen?

Im Verhältnis der Moral der neuen Welt zum Leben der alten Welt äußert sich letztlich der Vollkommenheitsanspruch des Kindes an seine Eltern und an die durch sie repräsentierte Erwachsenenwelt. Mit der amerikanischen Literatur ist die letztlich infantile Vorstellung, mit einer Affäre sei die bisher geführte Ehe beendet und eine neue habe quasi schon begonnen, nochmals herrschend geblieben. Daran wird auch eine größere Beachtung des französischen Démariage-Diskurses wenig ändern können. Wohin die derzeitigen Trends allerdings letztlich führen werden, kann niemand voraussagen.

Anmerkungen

1) Der folgende Beitrag ist die überarbeitete Fassung eines Vortrages, der im Februar 1994 in Frankfurt am Main bei einem Symposion anläßlich der Verabschiedung des Frankfurter Psychoanalytikers Prof. Dr. Peter Kutter, also vor Nichtjuristen, gehalten wurde. Er wurde im "Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit" 27. Jahrgang (1996) S. 3-14 publiziert. Der Vortragscharakter ist beibehalten. An einigen Stellen wurde spätere Literatur nachgetragen.

2) Irene Théry: Le Démariage. Justice et vie privée, Paris: Editions Odile Jacob 1993.

3) In "Getrennt-Vereint" (Nr. 10) der Minima Moralia von 1951.

4) In: Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse, XIII. Band (1927), S. 397-409.

5) Symptomatisch und sehr ehrlich etwa die Ausführungen von Elisabeth Koch, "Entgeltlichkeit in der Ehe?", in: "Zeitschrift für das gesamte Familienrecht" (FamRZ) 1995, S. 321-327, S. 326: "Im heutigen gesellschaftlichen Verständnis ist die Ehe keine Institution mehr, die irgendwelchen den Beteiligten übergeordneten Zwecken dient ... Es gibt ... keinen Grund, das glücklos gewordene und damit sinnlos empfundene Zusammenleben aufrechtzuerhalten; die Ehe an sich und als solche stellt keinen Wert mehr dar, der der persönlichen Entfaltung übergeordnet wird."

6) Die Literatur zum Thema der gleichgeschlechtlichen "Ehe" nimmt rasch zu. Das Buch von Bea Verschraegen, Gleichgeschlechtliche "Ehen", Wien: Verlag Medien und Recht 1994, bietet (S. 265-276) umfangreiche Bibliographie, ebenso die demnächst erscheinende Frankfurter juristische Dissertation von Roland Schimmel.

7) Bundesverfassungsgericht (BVerfG) l. Senat, abgedruckt in "Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1993, 2585 und FamRZ 1993, 1419.

8) "Démariage" im Sinne von Erosion der Ehe zeigt sich natürlich auch noch an vielen anderen Stellen, beispielsweise in der Möglichkeit, auf einen gemeinsamen Ehenamen zu verzichten. Zum neuen Namensrecht und zur Vorgeschichte, Zielsetzung und Tauglichkeit des am 1.4.1994 in Kraft getretenen Familiennamensrechtsgesetz vgl. die Studie von Michael Coester in "Familie und Recht" (FuR) 1994, S. 1-8.

9) Hierzu zuletzt sehr gründlich Stephan Meder, "Die Verweigerung des Kontakts als schwere Verfehlung i.S. des § 1611 Abs. 1 BGB", in: FuR 1995, S. 23-31.

10) Für die Auffassung, Kontaktverweigerung sei Verwirkungsgrund im Sinne des § 1611 Abs. 1 BGB wird jetzt auch der unselige § 1618a BGB ("Eltern und Kinder sind einander Beistand und Rücksicht schuldig") ins Feld geführt. Diese mit Jahresanfang 1980 in Kraft getretene Vorschrift; die auch bei der Proklamation eines angeblichen "Grundrechts auf Kenntnis der genetischen Abstammung" eine Rolle spielt, war als Preis an die Gegner der Reform in letzter Minute in das Gesetz zur Reform des Rechts der elterlichen Sorge von 1979 aufgenommen worden, in ein Reformgesetz also, das das Eltern-Kind-Verhältnis im Geiste moderner Pädagogik neu konzipieren und gestalten sollte. Das aus dem ganzen Vorschriftenpaket jenes Reformgesetzes gerade diese eine solche Karriere machte, ist ein Musterbeispiel für die bei Reformvorhaben oft anzutreffende paradoxe Relation von Absicht und Erfolg. Mit dem neokonservativen Zeitgeist kommen nun auch die Folgen einer zunehmend schlechteren Juristenausbildung ans Licht. Alle Anstrengungen um eine nicht nur technokratische Ausbildungsreform (etwa im Sinne der von mir seinerzeit in "Juristenausbildung heute" entwickelten Vorstellungen) sind auch von denen, die es angeht und die die Folgen zu spüren bekommen werden, allzu wenig beachtet und unterstützt worden. Peter Kutter, zu dessen Ehren dieser Vortrag gehalten wurde, war einer der wenigen, die frühzeitig erkannten, daß Juristenausbildung nicht nur die Juristen angeht und betrifft.

11) BVerfG NJW 1983, 101.

12) Vgl. hierzu die Dokumentation zum 59. Deutschen Juristentag Hannover 1992, außer den Thesen der Gutachter auch das Referat "Kindschaftsrechtsreform aus sozialwissenschaftlicher Sicht" von Gisela Zenz, die mit ihrer Doppelkompetenz als Juristin und Psychoanalytikerin das Antragsprinzip verteidigte. Die entscheidenden Anstöße zur drohenden Kindschaftsrechtsreform kamen auch dort von Ingeborg Schwenzer. Ihre Vorstellungen waren im Mai 1992 vom Deutschen Juristinnenbund (DJB) als "Thesen zur Neuregelung des Kindschaftsrechts" und "Entwurf zur Reform des Kindschaftsrechts" mit (teilweise knapper) Mehrheit beschlossen worden. Zu einem neuen und gründlicheren Durchdenken hat insbesondere Peter Derleder ("Kind, Familie, Ehe - Eine Wertedegression", FuR 1992, S. 273-282) aufgerufen und selbst beigetragen. Ein im Dezember 1992 eingereichter Antrag einer von Margot von Renesse angeführten Abgeordnetengruppe (Bundestags-Drucksache 12/4024 vom 17.12.1992), der dem DJB-Entwurf weitgehend folgte, ist im Bundestag nicht behandelt worden. Derzeit (Juli 1995) wird die Vorlage des Referentenentwurfs erwartet. In einer jüngsten Erklärung der damaligen Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger heißt es: "Deshalb wollen wir in Zukunft, daß es bei Scheidung der Eltern automatisch bei der gemeinsamen elterlichen Sorge der Geschiedenen bleibt, wenn nicht ein Antrag auf Alleinsorge gestellt wird." Die Position der Opposition ist unklar und widersprüchlich. .

13) Das französische Reformgesetz vom 8. Januar 1993 betont, die l'autorité parentale sei grundsätzlich "exercée en commun". Der Artikel 203 des Code civil lautet jetzt "Les époux contractent ensemble, par le seul fait du mariage, l'obligation de nourrir, entretenir et élever leurs enfants." Dementsprechend spricht man allgemein von "autorité parentale conjointe".

14) In dieser Frage, wo es doch offensichtlich um Realitätsverleugnungen geht, hätte auch die Psychoanalyse ein Wort mitzusprechen. Ein prominenter Psychoanalytiker hat mir seinerzeit sehr klar geschrieben: Im Scheidungsfalle sollen die Eltern sich zu einigen versuchen, wer von ihnen künftig für die Kinder sorgt. Können sie es nicht, muß eine unabhängige Autorität die Verantwortung dem einen oder anderen oder einem Dritten übertragen. Die mündliche Stellungnahme eines von mir befragten prominenten Familienrichters ging dahin: ob Amts- oder Antragsprinzip sei aus der Sicht der Praxis ganz egal, es gäbe Formulare für alles, die Anwälte würden sich schnell anpassen, dann müsse eben nur in der Zeile "Antrag auf Sorgerechtsentscheidung wird gestellt" und "ja" angekreuzt werden und alles bliebe beim alten.

15) Im römischen Recht brachte man es auf die berühmte Formel "pater est quem nuptiae demonstrant" im Sinne von "wer Vater ist, ergibt sich aus der Ehe(schließung)".

16) Eine der wichtigsten Funktionen von Ehe war doch gerade, die von Müttern zur Welt gebrachten Kinder vor jeder anderen Unterscheidung als entweder eheliche oder nichteheliche unterscheiden zu können, eheliche die - wer immer ihr genetischer Vater sein mag - im Ehemann der Mutter einen gesetzlichen Vater haben, und nichteheliche, bei denen das nicht der Fall ist.

17) Mit der Verweigerung eines Erbrechts sollte verhindert werden, daß eheliche Abkömmlinge und die eventuell noch lebende Witwe mit nichtehelichen Abkömmlingen in Erbengemeinschaft geraten.

18) § 1591 Abs. 1 Satz l. Die ganze Vorschrift lautet also "Ein Kind, das nach der Eheschließung geboren wird, ist ehelich, wenn die Frau es vor oder während der Ehe empfangen und der Mann innerhalb der Empfängniszeit der Frau beigewohnt hat".

19) Z. B., die Schwangerschaft begann während einer längeren Abwesenheit des Ehemannes, oder das Kind kann nach Hautfarbe oder Blutgruppe nicht vom Ehemann der Mutter stammen. Hier gilt § 1591 Abs. 1 Satz 2 BGB: "Das Kind ist nicht ehelich, wenn es den Umständen nach offenbar unmöglich ist, daß die Frau das Kind von dem Manne empfangen hat."

20) Auf alle Fälle muß in derart grundlegenden Fragen vor übereilter Reform gewarnt werden. Das Sprichwort sagt, der Spatz in der Hand sei besser als die Taube auf dem Dach. Der bedeutende Biologe/Anthropologe Bernhard Hassenstein kommt in seinem Aufsatz "Der Wert der Kenntnis der eigenen genetischen Abstammung" (FamRZ 1988, S. 120-123) zu der klaren Entscheidung, "der faktischen Familie einen höheren Rang als der bloßen blutmäßigen Beziehung" einzuräumen. Diesem Standpunkt hat sich aus rechtswissenschaftlicher Sicht unter anderen auch Elisabeth Koch ("Der Anspruch der Deszendenten auf Klärung der genetischen Abstammung - ein Paradigmawechsel im Abstammungsrecht", FamRZ 1990, S. 569-574) angeschlossen. Die Forderung, das ganze Reformpaket noch gründlicher zu durchdenken, erhebt sehr mit Recht unter anderen Peter Derleder, "Kind, Familie, Ehe - Eine Wertedegression", FuR 1992, S. 273-282.

21) Zu den Rechts- und Folgeproblemen der klandestinen Ehe vgl. meinen Beitrag "Das matrimonium clandestinum in Humanismus und Reformation" im 4. Bande der Festschrift für Domenico Maffei (Miscellanea Domenico Maffei dicata Vol. IV, Goldbach 1995, S. 389-412). Zur Entwicklung der Lehre vom Ehesakrament und deren Umsetzung in kirchliches Eherecht vgl. außer den klassischen Arbeiten von Jean Gaudemet und Hans Erich Feine auch die jetzt (Milano: Il Mulino 1993) wieder aufgelegte große Studie von Arturo Carlo Jemolo, Il matrimonio nel diritto canonico, Dal Concilio di Trento al Codice del 1917. Zum Diskussionsstand in der mittelalterlichen Theologie und Rechtsbildung vgl. auch die einschlägigen Kapitel in meinen beiden Büchern "Gestohlene Liebe" (1988, Taschenbuch 1992) und "Das Unfaßbare der Frau" (1995).

22) Der Entwurfstext enthält rechtsbegriffliche Unklarheiten, beispielsweise Vermischungen und Vermengungen von Fiktion und Vermutung, die bisher in der Gesetzessprache korrekt auseinandergehalten wurden.

23) Marie-Odile Métral: Le mariage. Les hésitations de l'occident, Paris: Editions Aubier-Montaigne 1977; deutsch: Die Ehe, Analyse einer Institution, Frankfurt: 1981. Der Versuch einer Zusammenfassung der wichtigsten ihrer Gedanken findet sich in meinem Beitrag "Mit dem Gewissen verheiratet - über das Scheitern der Ehe" in der Festschrift für Dieter Stoodt ("Unterwegs für die Volkskirche. Festschrift für Dieter Stoodt zum sechzigsten Geburtstag, Frankfurt 1989, S. 605-625).

24) Sigmund Freud: Die Zukunft einer Illusion, zuerst 1927.

25) In der Rechtswissenschaft ist es nicht anders als in den Sozialwissenschaften einschließlich der Psychoanalyse. Der Import aus den USA funktioniert gut und bringt Gewinn, bringt den Verlegern Geld und den rührigen Agenten des Imports Ehren, Gratifikationen und Gegenleistungen. Beispiele dafür wären etwa die bekannten Arbeiten "Diesseits/Jenseits des Kindeswohls" von Freud, Solnit und Goldstein oder neuerdings "Divided Families" ("Geteilte Familien") von Furstemberg und Cherlin. Demgegenüber kommt vom französischen Diskurs kaum etwas zu uns herüber. Wenn schon einmal ein französisches Buch verdeutscht wird, wie etwa die oben erwähnte Studie "Le mariage" von Marie-Odil Métral, dann sorgt eine mißlungene, unzureichende Übersetzung der zugegeben oft sehr schwierig übersetzbaren Texte für das Ausbleiben einer wirklichen Rezeption. Ohne ausreichende Gegenwehr erleiden fast alle Kultur- und Wirtschaftsbereiche mitsamt der sie begleitenden Wissenschaftsbetriebe eine Art Kolonialisierung. Im Rahmen der GATT-Verhandlungen über Filmwirtschaft hat, von den Deutschen im Stich gelassen, allein die französische Hartnäckigkeit die totale Amerikanisierung (und insofern eben Infantilisierung, wenn nicht Verblödung) des europäischen Kinos einstweilen noch ein wenig aufschieben können.

26) Darin machen die Erfolgsbücher "Sexual personae" (Masken der Sexualität") von Camille Paglia und "The Myth of Male Power" ("Mythos Männermacht") von Warren Farrell keine Ausnahme.

27) "Die Moral des Kindes und das Leben der Eltern" war der Titel eines 1976 erstmals und hernach noch mehrfach ausgestrahlten Hörfunk-Vortrages, in dem einige der hier resümierten Gedanken erstmals entwickelt wurden.


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Impressum Stand: 20. Juni 2006, ee