Anmerkungen

* Erweiterte Fassung einer Rundfunksendung, die am 26. Dezember 1990 unter dem Titel "Dein Glaube hat dir geholfen... Schafft sich die Religion ihre Wirklichkeit selbst?" in der Reihe "Glaubenssachen" des Norddeutschen Rundfunks ausgestrahlt wurde (Redaktion: Eike Christian Hirsch).

1. P. Y. Cho, Erfolgreiche Hauszellgruppen. Christliche Gemeinde Köln, Siegen 1987, S. 153.

2. P. Watzlawick, Selbsterfüllende Prophezeiungen, S. 92 (in: ders. (Hg.), Die erfundene Wirklichkeit. Wie wissen wir, was wir zu wissen glauben? Beiträge zum Konstruktivismus. München 1985, 5. Aufl.), 91-110.

3. Ebd., 92.

4. Einen guten Überblick über die Thesen des radikalen Konstruktivismus bietet der Anm. 2 genannte Sammelband. Die biologischen Voraussetzungen menschlichen Erkennens und des Hervorbringens einer Welt sind beschrieben in: H. R. Maturana - F. J. Varela, Der Baum der Erkenntnis. Die biologischen Wurzeln des menschlichen Erkennens. Bern/München 1987. Maturana verlor beim Nachdenken über die Rückbezüglichkeit menschlichen Erkennens derart den Boden unter den Füßen, daß er an der Normalität seines Geistes gezweifelt hat, vgl. ebd., 12.

5. P. Watzlawick (Anm. 2), 106.

6. G. Siegmund, Art. Lourdes, in: LTHK 6, 1159.

7. Vgl. B. Möller, Reichsstadt und Reformation. Bearbeitete Neuausgabe. Berlin (DDR) 1987, 22. Entsprechendes gilt auch für die katholische Mariologie, die durch Marienerscheinungen (z.B. in Lourdes, Fatima und Medjugorje) den angeblichen "Beweis" ihrer Wahrhaftigkeit antreten kann. Eigenartigerweise sind bisher noch keine Marienerscheinungen im protestantisch geprägten Kulturkreis aufgetreten.

8. Mk 6,1-6.

9. Vgl. I. Stevenson, Reinkarnation. Der Mensch im Wandel von Tod und Wiedergeburt, Freiburg i. Br. 1986.

10. Ebd., 399, A 8.

11. Im christlichen Kulturkreis hat sich ja weitestgehend eine vermeintlich naturwissenschaftlich-aufklärerische Ganztod-Vorstellung durchgesetzt, nach der der Mensch im Tod die völlige Vernichtung seiner Person erfährt und ein Weiterleben irgendeines unsterblichen Bestandteils ausgeschlossen ist. Der Glaube an die Seelenwanderung ist jedoch ohne die Annahme der Fortexistenz eines unsterblichen Personenkerns nicht möglich. Eine theologische Rezeption dieser Ganztod-Vorstellung findet sich in: E. Jüngel, Tod. Stuttgart 1983, 2. Aufl.

12. Vgl. I. Stevenson (Anm. 9), 284.

13. Beten lassen hilft! Doppelblindstudie. Abgedruckt in: Erneuerung in Kirche und Gesellschaft, H. 30, I. Quartal 1987, 4. Einen guten Überblick über Gebetsheilung in neuerer Zeit bietet L. Christenson (Hg.), Komm Heiliger Geist! Informationen, Leitlinien, Perspektiven zur Geistlichen Gemeinde-Erneuerung, Metzingen/Württ./Neukirchen Vluyn 1989, 257-266.

14. W. Margies, Heilung durch sein Wort. Der Verzicht auf Psychotherapie, Teil 2 (Bibelstudien-Arbeitsheft der Geschäftsleute des vollen Evangeliums Bd. 5.2), Urbach 1978, 2. Aufl., 93.

15. Ebd., 123.

16. Das gilt nicht nur für Glaubensüberzeugungen, sondern sogar für jeden Bereich menschlichen Erkennens: "Indem wir existieren, erzeugen wir kognitive 'blinde Flecken', die nur beseitigt werden können, indem wir neue blinde Flecken in anderen Bereichen erzeugen. Wir sehen nicht, was wir nicht sehen, und was wir nicht sehen, existiert nicht." H. Maturana - F. Varela, (Anm. 4), 260.

17. Im Urchristentum hat gerade diese Erwartungshaltung das Eintreffen von Wundern besonders begünstigt: "Dadurch, daß man die Wunder Jesu immer wieder erzählte und sich an ihnen inspirierte, baute man in einer für uns nicht mehr nachvollziehbaren Weise ein bestimmtes semantisches Universum auf, das einen faktischen Nachvollzug der Machttaten Jesu überhaupt erst möglich machte. Auch aus heutigen charismatischen Kreisen wird berichtet, daß etwa Glaubensheilungen bei Krankheiten ein Reden über Heilung zur Voraussetzung haben; bevor sich Erfolge zeigten, mußte über Heilung gepredigt werden, und das oft monatelang. Gemeinden und Gebetsgruppen mußten eingestimmt werden auf die Möglichkeiten Gottes, und erst dann realisierten sich diese Möglichkeiten." W. Rebell, "Alles ist möglich dem, der glaubt" - Glaubensvollmacht im frühen Christentum; München 1989, 38.

18. Die homiletische Aufgabe, die dem Prediger aufgrund dieser Sachverhalte gestellt ist, könnte etwa folgendermaßen aussehen: Nicht die biblischen Texte, die von Wundern, Machttaten und Heilungen erzählen, in dem Sinne zu aktualisieren, indem man das aus ihnen herausschält, was sich in unsere Wirklichkeitsauffassung einfügt und ihnen dadurch die Spitze zu nehmen, sondern die Texte so zu predigen, daß dem Hörer dadurch eine Wirklichkeitssicht eröffnet wird, die die Grenzen des rational Möglichen überschreitet. Das würde bedeuten, zum Beispiel das Wunder oder die Heilung von Krankheiten (auch von körperlichen Krankheiten) in den Bereich des von Gott her Möglichen anzusiedeln und damit konkret zu rechnen, daß so etwas auch in heutigen Gemeinden geschehen kann. Detaillierte Anregungen dazu sind zu finden bei W.Rebell, (Anm. 17), 146-155.

19. P. Y. Cho, Gebet - Schlüssel zur Erweckung. Wie sie lernen können, vollmächtig zu beten. Hochheim 1988, 2. Aufl., 127.

20. F. Stemme, Den Verstand intelligent ausschalten. Über neue Methoden beim Psychotraining, in: Der Spiegel 36/1987, (174-178) 176.

21. P.Y. Cho, Gebet, 127. Cho sieht im Kontext selbst die Parallele zwischen seiner Gebetsanleitung und der Methode der Visualisation, ohne jedoch die theologische Problematik zu bemerken, die mit dieser Parallelisierung verbunden ist.

22. E. Mühlan, Führung durch den Heiligen Geist. (Schriftenreihe der Geschäftsleute des vollen Evangeliums Bd. 8), Urbach 1980, 47.

23. E. Mühlan, ebd., 85.

24. Als weitergehende Lektüre zur Frage nach der Wirksamkeit von Glaubensüberzeugungen unter besonderer Beachtung des neutestamentlichen Befundes sei verwiesen auf W. Rebell, (Anm. 17).

25. P. Watzlawick, (Anm. 2), 311. Eine ähnliche Schlußfolgerung ziehen auch H. Maturana - F. Varela (Anm. 4): "Wollen wir mit der anderen Person koexistieren, müssen wir sehen, daß ihre Gewißheit - so wenig wünschenswert sie uns auch erscheinen mag - genauso legitim und gültig ist wie unsere." (264).

26. P. Watzlawick, Münchhausens Zopf oder: Psychotherapie und "Wirklichkeit". Bern 1988, 1. Aufl., 143.

27. M. Luther, Großer Katechismus, BSLK, 560, 13-17.

28. Ebd., 654, 22-26.

29. Was Watzlawick für die Konstruktion ideologischer Wirklichkeiten behauptet, trifft somit auch auf religiöse Wirklichkeiten zu: "Um den Nachweis seiner Widerspruchsfreiheit zu erbringen, ist es für das betreffende System unumgänglich, aus seinen eigenen Begriffsrahmen herauszutreten und seine Geschlossenheit und Vollkommenheit von außen her, unter Zuhilfenahme von Erklärungsprinzipien zu beweisen, die es nicht aus sich selbst hervorbringen kann." P. Watzlawick, Bausteine ideologischer 'Wirklichkeiten', in: ders. (Anm. 2), (192-228), 200.

30. Schon aufgrund der biologischen Voraussetzungen des menschlichen Erkennens müssen wir einsehen, "daß unsere Gewißheiten keine Beweise der Wahrheit sind, daß die Welt, die jedermann sieht, nicht die Welt ist, sondern eine Welt, die wir mit anderen hervorbringen." H. Maturana - F. Varela, (Anm. 4), 263f.

31. Vgl. ebd., 28ff.. Der vermeintliche Vorsprung der Naturwissenschaften, im Gegensatz zu den Geisteswissenschaften auf ein objektives Wissen bauen zu können, dürfte sich damit als eine trügerische Illusion erwiesen haben.

32. Ein objektives Wissen kann es in bezug auf die Wirklichkeit genauso wenig geben wie in bezug auf Gott. Das ist die Lehre, die aus den Einsichten des Konstruktivismus gezogen werden kann.

33. Das wäre dann die mystische Erfahrung, in der die Subjekt-Objektspaltung überwunden ist: "Die Berichte von Menschen, die um Haaresbreite dem Tode entgingen, erwähnen immer wieder eine Art von Durchbruchserlebnis in eine Wirklichkeit hinein, die viel wirklicher als alles bisher Erlebte ist, und in der man in einem später nicht mehr nacherlebbaren Sinne 'icher als ich' ist. Wenn einmal alle Konstruktionen zusammenbrechen, alle Brillen abgelegt sind, 'sind wir am Ausgangspunkt zurück und werden diesen Ort zum ersten Mal erfassen'." (P. Watzlawick, [Anm. 2], 312.) Kennzeichen einer religiösen Erfahrung wäre dann das Hereinbrechen des ganz Anderen, das sich nicht mehr aus der Kenntnis natürlicher Gesetzmäßigkeiten extrapolieren ließe und einen Zusammenbruch der vorher tragenden Konstruktionen von Wirklichkeit nach sich zieht. Damit hätten wir aber ein Ereignis beschrieben, für das in der Theologie der Begriff Offenbarung bereitgehalten wird.

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Impressum, http://bs.cyty.com/menschen/archiv/papers/, Stand: 3. Dezember 2003, ee