Anmerkungen

1. Der Streit um das rechte Verständnis der Auferstehung Jesu führte in unserer Landeskirche schon wiederholt zu recht kräftigen öffentlichen Kontroversen. An dieser Stelle sei verwiesen auf Dietrich Kuessner, Zurück ins Fragen, in: "Gib ewigliche Freiheit". Eine Festschrift zum 75. Geburtstag von Landesbischof i.R. Dr. Gerhard Heintze, hrsgg. im Auftrag des Freundeskreises der Braunschweiger Kirchen- und Sozialgeschichte von Dietrich Kuessner, Blomberg 1987, S. 485-508, S. 492ff.. Eine Kurzfassung der hier diskutierten Beobachtungen wurde bereits am 19. April 1992 in der Reihe Glaubenssachen des NDR unter dem Titel "Im Schock der Trauer blühte die Vision. Wie der Osterglaube entstand", ausgestrahlt. Weiterführende Überlegungen erschienen 1995 in Wege zum Menschen. Monatsschrift für Seelsorge und Beratung, heilendes und soziales Handeln, 47. Jahrgang, Heft 7, Oktober 1995 unter dem Titel "In der Psychose liegt das Heil", S. 424-426 und 1998 in der Pastoraltheologie, Monatsschrift für Wissenschaft und Praxis in Kirche und Gesellschaft, 87. Jahrgang, Heft 2, S. 68-72 unter dem Titel "Ist der Osterglaube ein Produkt der Verkündigung Jesu? Zur Frage nach dem Charakter der Auferstehungsvisionen".

2. Zur Methode historischer Forschung: "Die historische Arbeit führt nicht zur vergangenen Wirklichkeit selbst, sondern zu einer Konstruktion jener Wirklichkeit, einer Konstruktion, die nach eindeutigen Kriterien vorgenommen wird. Ein wichtiges Kriterium ist (...) die Korrelation, die Voraussetzung, daß die Geschichte ein lückenloser Zusammenhang von weltlichen und natürlichen Faktoren und Wirkungen ist. Übernatürliche Faktoren sind durch dieses Kriterium ganz einfach ausgeschlossen. Das Kriterium der Korrelation verbietet zum Beispiel, daß Tote auferstehen oder daß Gräber leer werden können." Hans Weder, Das weltliche Rätsel und das göttliche Geheimnis der Auferweckung Jesu, in: Pastoraltheologie, Monatsschrift für Wissenschaft und Praxis in Kirche und Gesellschaft, 87. Jahrgang, Heft 2, S.73-85, S. 74.

3. Klaus Wengst, Ostern - Ein wirkliches Gleichnis, eine wahre Geschichte. Zum neutestamentlichen Zeugnis von der Auferweckung Jesu. München 1991, S. 40.

4. Ingo Broer, "Der Herr ist wahrhaftig auferstanden" (Lk 24,34). Auferstehung Jesu und historisch-kritische Methode. Erwägungen zur Entstehung des Osterglaubens, in: Lorenz Oberlinner (Hrsg.), Auferstehung Jesu - Auferstehung der Christen. Deutungen des Osterglaubens, Freiburg/Br., Basel, Wien 1986, S. 39-62, S. 54, A 28.

5. Wenn der Verfasser hier von den Jüngern spricht, dann sind darunter nicht nur die Zwölf aus 1. Kor. 15,5 gemeint, sondern die Gesamtheit aller Frauen und Männer, denen eine Ostervision zuteil wurde.

6. Wir können uns quasi die Entstehung des Osterglaubens wie einen Meteoriteneinschlag vorstellen: Der Meteorit ist bei dem Aufprall auf die Erde verdampft. Aber was wir haben, ist der Einschlagtrichter. Aus seiner Beschaffenheit können wir nun Rückschlüsse ziehen auf Gewicht des Meteoriten, seine Geschwindigkeit und seinen Einschlagwinkel. Ähnlich können wir aus der Veränderung, die sich an den Jüngern in den Tagen nach dem Kreuzestod Jesu vollzog, Rückschlüsse ziehen auf den Gegenstand, der in ihnen diese Veränderungen bewirkte.

7. Yorick Spiegel, Der Prozeß des Trauerns. Analyse und Beratung. München 1986, 6. Aufl., Bd. 1, S. 318.

8. Werner Kühnholz, Das Neue Testament - Dokument eines Trauerprozesses?, in: WZM 27, 1975, S. 385-404, S. 385.

9. Spiegel, a. a. O., S. 175.

10. Ebd., S. 171.

11. Ebd., S. 177.

12. Ebd., S. 176.

13. Ebd., S. 174.

14. Kühnholz, a. a. O., S. 388. Als Erscheinung des Auferstandenen im Traum wertet W. Winterbauer den Seewandel Jesu: "Ist Jesus auf dem See gewandelt? Überlegungen zu Mt. 14,23-33 aus tiefenpsychologischer Sicht", in Schöneberger Hefte 3/85, S. 2-8.

15. In 1. Kor. 15,3-8 werden genannt: Petrus, die Zwölf, Jakobus und alle Apostel. Die genaue Textanalyse ergab, dass Paulus hier sehr altes Überlieferungsmaterial zitiert. In V. 6 wird von fünfhundert Brüdern berichtet, die ihn auf einmal gesehen haben. Dieser Einschub unterscheidet sich jedoch so sehr im sprachlichen Stil von dem klaren Bau dieser alten Glaubensformel, dass er als späterer Einschub gelten kann. Wilckens sieht in ihnen "Anhänger Jesu (...), die sich auf die Erscheinungen vor Petrus und den Zwölf hin zu einer nachösterlichen Jüngergemeinde Jesu neu zusammengefunden haben", Ulrich Wilckens, Auferstehung. Das biblische Auferstehungszeugnis historisch untersucht und erklärt. Gütersloh 1981, 3. Aufl., S. 23. Die Ostererscheinung des Paulus (V. 8) war schon in der frühen Christenheit umstritten. Er hatte Jesus selbst zu seinen Lebzeiten nicht kennen gelernt, und auch die Form seiner Jesusbegegnung (1. Kor. 9,1; Apg. 9,3-6) unterschied sich so sehr von der der anderen Ostervisionen (Paulus sah keine Gestalt, sondern hörte nur eine Stimme und sah ein Licht, dass er allerdings als Christus identifiziert), dass er sich zeitlebens mit dem Misstrauen seiner Glaubensgenossen auseinander setzen musste, kein echter Apostel zu sein, dessen Apostolat durch eine Ostervision begründet ist. Wir haben es bei Paulus also mit einer völlig anderen Genese seiner Ostervision zu tun.

16. Spiegel, a. a. O., S. 176.

17. Hans Weder benennt das Problem, das mit diesem "fröhlichen Wechsel" gegeben ist: "Historisch muß man sich (...) die Frage stellen, was die ersten Zeugen dazu veranlaßt habe, aus den Erscheinungen zu schließen, Jesus sei auferstanden. Auf diese Frage gibt es bis heute keine historisch befriedigende Antwort. Es ist bisher nicht geklärt, warum die Erscheinungen dieses Gekreuzigten verstanden wurden als Hinweis dafür, daß mit ihm schon geschehen ist, was vom Jüngsten Tag erhofft wird." Hans Weder, a. a. O., S. 76.

18. Ein Psychologe unserer Tage könnte angesichts dieses Befundes missglückte Trauer oder eine reaktive, akute Psychose diagnostizieren. Damit würde freilich der Inhalt dessen, was in solchen Zuständen erlebt wird, mit dieser Diagnose entwertet werden. Dahinter steht eine Deutung des Lebens, die dieses nur auf der Höhe der geistig-seelischen Gesundheit gelten lassen will und allen Lebensäußerungen misstraut, die nicht im Vollbesitz der geistig-seelischen Kräfte gewonnen wurden. Die Trauererfahrungen der Jünger stellen dieses Konzept in Frage. Genauso wie sich Gott am denkbar ungeeignetsten Ort, dem Kreuz, offenbart, so wählt auch Gott hier das scheinbar Niedere, das in unserem Sinne Krankhafte, um in diesem Rahmen seine Identität mit dem toten Jesus zu offenbaren. Das ist das Skandalon des Christentums im Lichte der modernen Psychoanalyse. Der Glaube ist ein menschliches Grundvermögen, das nicht an geistig-seelische Gesundheit gebunden ist.

19. Petr Pokorný, Die Entstehung der Christologie. Voraussetzungen einer Theologie des Neuen Testaments. Stuttgart 1985, S. 84.

20. Spiegel, a. a. O., S. 318.

21. Das ist eine Beobachtung, die ständig in den Evangelien wiederkehrt: "Und sie fürchteten sich sehr und sprachen untereinander: Wer ist der? Selbst Wind und Meer sind ihm gehorsam!", Mk. 4,41; "... sie aber verstanden der keines, und die Rede war ihnen verborgen, und wussten nicht, was das Gesagte war...", Lk. 18,34; "... aber ihre Augen wurden gehalten, dass sie ihn nicht erkannten...", Lk. 24,16; "... und an demselben Tage werdet ihr mich nichts fragen...", Joh. 16,23 sowie 16,29ff. "... sieht Jesus stehen und weiß nicht, dass es Jesus ist...", Joh. 20,14. Und als sie ihn dann erkennen, entweicht er wieder in die größtmögliche Entfernung: "Da wurden ihre Augen geöffnet, und sie erkannten ihn. Und er verschwand vor ihnen." Lk. 24,31. Die leibliche Nähe behinderte das Erkennen Jesu und das Verständnis seines Werks, aber erst in der Entfernung war Verstehen und Nähe möglich. Was hier zugespitzt beschrieben wird, kennt auch der Trauernde: erst die Trennung vom Geliebten erlaubt es, zu erkennen, was einem der Geliebte bedeutet hat.

22. Spiegel, a. a. O., S. 319.

23. Zu der Dynamik von Abwesenheit und Anwesenheit sowie der noch größeren Nähe inmitten noch so großer Distanz vgl. Eberhard Jüngel, Gott als Geheimnis der Welt. Zur Begründung der Theologie des Gekreuzigten im Streit zwischen Theismus und Atheismus. Tübingen, 4. durchgesehene Auflage 1982, S. 222, S. 246 u.a..

24. Die spätjüdische Apokalyptik hielt mit ihrer Hoffnung auf die Totenauferstehung eine Deutung bereit, die die Möglichkeit gab, das den Jüngern widerfahrene "Sehen Jesu" auch theologisch zu interpretieren und zu kommunizieren.

25. Das stellte die ersten Christen vor ein neues Problem, denn mit dem Erlöschen der Ostervisionen waren noch nicht ihre Sehnsüchte erloschen, in denen eine völlige Wiedervereinigung mit Jesus angestrebt wurde. Diese mussten nun um so heftiger hervortreten, weil die sinnlich-visionäre Gegenwart Jesu infolge der abnehmenden ekstatischen Begeisterung und der Umstrukturierung des Trauerprozesses nicht mehr erlebt werden konnte, und so verdichteten sie sich zu der Parusie-Erwartung, der Erwartung von der baldigen Wiederkehr Christi noch zu ihren Lebzeiten. Erst in einem längeren Ablösungsprozess, in dem man die Sehnsucht nach der sinnlichen Gegenwart Jesu überwand und sich dem Problem der Parusieverzögerung stellte, gelang es den ersten Christen, diese Verschmelzungssehnsüchte Schritt für Schritt aufzugeben: Die Erwartung der Parusie rückte in ferne Zukunft, und es wuchs die Kirche als die Institution heran, die die Begegnung mit Jesus in der Geschichte wachhalten sollte.

26. Jüngel, a. a. O., S. 400.

27. Dieses Zitat ist einem Vorlesungsmanuskript zum Thema Gleichnisse entnommen, das Eberhard Jüngel dem Autor auf Rückfrage freundlicherweise zur Verfügung stellte.

28. Vgl. dazu u.a. Jüngel, Gott als Geheimnis, S. 225.

29. Broer, a. a. O., S. 61.

30. Das Zitat geht weiter: "Die Unganzheit bedeutet einen Ausstand an Seinkönnen." Martin Heidegger, Sein und Zeit, 15. Aufl., 1979, 2. Druck, Tübingen 1984, S. 236.

31. Henning Luther, Religion und Alltag. Bausteine zu einer Praktischen Theologie des Subjekts, Stuttgart 1992, S. 174. Auf Henning Luther bin ich durch eine Sendung von Klaus Eulenberger in den Glaubenssachen des NDR aufmerksam geworden: Handauflegung statt Tabletten. Kann der Glaube heilen? vom 29.4.2001.

32. Ebd.

33. Vgl. ebd., S. 175.

34. Ebd., S. 168. Unklar bleibt m.E. bei Luther, ob die Fragementarität eine Folge der Sünde ist oder ob die Sünde darin besteht, die Fragmenarität zu ignorieren und etwas Vollendetes zu erreichen (= so sein wollen wie Gott). Luther selbst bejaht letzteres (vgl. S. 172) mit Bezug auf Gen. 4,5. Es wäre aber auch möglich, mit Röm. 6,23 genau anders herum zu argumentieren. Ein Sachverhalt, der zu denken gibt.

35. Ebd., S. 172.

36. Ebd., S. 173.

37. Mit Hegel müssten wir das "Wort vom Kreuz" treffender übersetzen als die Religion vom Galgen. In seinen Vorlesungen über die Philosophie der Religion gibt er dazu eine ausführliche Erläuterung: "In dem natürlichen Tode wird die Endlichkeit als bloß natürlich zugleich verklärt; aber hier wird auch die bürgerliche Entehrung, das Kreuz verklärt, das in der Vorstellung Niedrigste, das, was der Staat zum Entehren hat, - dies verkehrt zum Höchsten. [...] Indem die Entehrung der Existenz zur höchsten Ehre gemacht ist, so sind alle Bande des menschlichen Zusammenlebens in ihrem Grunde angegriffen, erschüttert, aufgelöst. Das Kreuz entspricht unserm Galgen. Wenn dies Symbol der Entehrung zum Panier erhoben, zur Kokarde gemacht ist, und zwar zum Panier, dessen positiver Inhalt zugleich das Reich Gottes ist, so ist das Gegenteil die innere Gesinnung in ihrem tiefsten Grunde dem Staatsleben und bürgerlichen Sein entzogen und die substanzielle Grundlage desselben hinweggenommen, daß das ganze Gebäude keine Wirklichkeit mehr ist, sein Inneres nur noch als ein Äußeres da ist: es ist eine leere Erscheinung, die bald krachend zusammenstürzen muß, und, daß sie nicht mehr an sich ist, auch im Dasein manifestieren muß." G.W.F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion, Zweiter Band, Halbband 2: Die absolute Religion, hrgg. von Georg Lasson, Hamburg 1925, S. 161f..

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Impressum, http://bs.cyty.com/menschen/archiv/papers/, Stand: 3. Dezember 2003, ee