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Eckhard Etzold

Kann Wasser bergauf fließen?

Unglaubliche Behauptungen und die Schwierigkeit, diese zu widerlegen

Sind die Naturgesetze an allen Orten und zu jeder Zeit gültig, oder gilt auch hier, im Bereich des exakten Messens und Prüfens, der Grundsatz, nach dem bekanntlich Ausnahmen die Regel bestätigen? Ein Stein fällt zu Boden. Wasser fließt bergab. Das kann gar nicht anders sein, denn die Schwerkraft, die Gravitation, ist überall auf der Erde vorhanden, und sie übt auf alles eine Anziehungskraft aus, was Masse hat. Das haben schon Galilei, Newton und Kepler erkannt und formuliert. Ohne Schwerkraft würde unsere Welt nicht existieren, sie würde sich in alle ihre Bestandteile auflösen. Als vierte der uns in der Natur bekannten Grundkräfte ist sie die schwächste und zugleich die mächtigste, die am weitesten in den Raum hineinreicht. Sie ist auch die beständigste aller Grundkräfte. Sie kann nicht durch andere Kräfte beeinflußt oder aufgehoben werden. Und sie ist zugleich die rätselhafteste aller Naturkräfte. Sie ist da, sie ist spürbar. Doch bis heute steht eine physikalische Theorie aus, die sie erklären, die sie eingliedern kann in das mathematische Zusammenspiel aller Naturkräfte.

Sollte es Ausnahmen geben in diesem fundamentalen Bereich, wo alles, was Masse ist, zu Boden gezogen wird? Was wäre, wenn das Wasser plötzlich bergauf fließen würde statt wie sonst allein bergab? Sollte es nur eine Ausnahme geben, hier im elementarsten Bereich der Kräfte, durch die die Welt im Innersten zusammengehalten wird, so würden die Grundfesten des Universums ins Wanken geraten.

Zumindest die religiöse Überlieferung kennt solche Ausnahmen. Jesus soll bekanntlich der Schwerkraft getrotzt haben und zu Fuß über das Wasser gelaufen sein: "Jesus bedrängte die Jünger, in das Schiff zu steigen und das jenseitige Ufer zu erreichen, bis er das Volk gehen ließ. Und als er das Volk gehen gelassen hatte, stieg er allein einen Berg hinauf, um zu beten. Als es Abend geworden war, war er allein dort. Das Schiff aber war schon viele Stadien vom Land entfernt, und es wurde bedrängt von den Wellen, denn der Wind war entgegengesetzt. Aber zur vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen, indem er auf dem Meer umherging. Als die Jünger ihn sahen, wie er auf dem Meer umherging, gerieten sie in Schrecken, und sie sagten, daß es ein Gespenst ist, und sie schrien vor Furcht. Doch sogleich redete Jesus zu ihnen und sprach: Habt guten Mut, ich bin es, fürchtet euch nicht!" (Mt. 14,22-27)

Einmal der Erdenschwere entrinnen, leicht wie eine Feder alles abschütteln, was einen zu Boden zieht, das ist schon häufig Wunschbild religiöser Phantasie gewesen:

Von Joseph von Copertino, einem italienischen Mönch des 1 7. Jahrhunderts, wurde erzählt, er habe sich - ähnlich wie Philippus in der Apostelgeschichte des Lukas - nach Belieben in die Luft erheben können, und nicht nur das, er habe dabei auch Gepäck und Passagiere befördern können. Einmal erhob sich der Mönch sogar vor dem Herzog Friedrich von Braunschweig-Lüneburg in die Luft, und der mißtrauische Lutheraner wurde gezwungen, das Wunder anzuerkennen. Aber nicht nur Personen entziehen sich der Schwerkraft, will man den Legenden Glauben schenken, sondern - es wird noch kurioser - auch Gegenstände scheinen sich dem Drang zu widersetzen, der Erdenschwere gehorsam zu sein. Im 1 7. Jahrhundert besuchte der französische Arzt Jacques Poncet das Kloster Bizan in Äthiopien und gab hinterher eine erstaunliche Beobachtung zu Protokoll: "Ganz dicht neben der Epistelseite des Altars schwebte in der Höhe eines erwachsenen Mannes ein vier Fuß langer, runder und ziemlich dicker Stab. Da ich argwöhnte, es könnte irgendein unsichtbarer Trick im Spiele sein, erbat und erhielt ich vom Abt die Erlaubnis, mich ganz nach meinem Belieben von der Wahrheit des Unglaublichen zu überzeugen. Ich führte mit der Hand einen anderen Stock oberhalb und unterhalb und nach allen Seiten um den Wunderstab herum und stellte fest: Es gab nicht den geringsten Zweifel, daß der Stab wirklich frei in der Luft schwebte. Da ich keine natürliche Ursache für eine so wundersame Erscheinung zu entdecken vermochte, konnte ich mich von meinem Erstaunen kaum erholen."

Das erinnert an eine Schilderung von der Weltausstellung 1893 in Chicago, auf der der Physiker Nikola Tesla den staunenden Besuchern ein fliegendes Ei vorführte, das über einem Kissen schwebte und sich dabei drehte. Aber das ging nun wahrhaft mit rechten Dingen zu, denn das Ei wurde von den magnetischen Kräften eines elektrischen Drehfeldes in der Luft gehalten.

Schwerkraftumkehr - ja oder nein?

Die Berichte, die hier bisher vorgestellt wurden, haben allesamt den Nachteil, daß sich ihr Wahrheitsgehalt nicht mehr nachprüfen läßt. Joseph von Copertino, der fliegende Mönch, ist tot. Und der fliegende Stab von Bizan ist auf unerklärliche Weise verschwunden, nachdem er über zwei Jahrhunderte staunende Betrachter in Verblüffung versetzt hatte. Doch Berichte über angeblich unerklärbare Schwerkraftphänomene sind deshalb in der Gegenwart noch lange nicht verstummt. Solche Berichte betreffen heute nicht nur einzelne Personen oder Gegenstände, sondern gleich ganze Landschaftsformationen:

In einem neueren Buch des Journalisten und Sachbuchautors Viktor Farkas über unerklärliche Phänomene jenseits des Begreifens wird berichtet: "Schon wenn man sich dem berühmten Oregon Strudel am Strand des Sardine Creek nähert, merkt man deutlich, daß hier nicht alles so ist, wie es sein sollte. Pferde beginnen zu scheuen, Vögel wechseln abrupt die Flugrichtung, und Bäume zeigen einen absonderlichen Neigungswinkel. Der Strudel selbst ist eine annähernd runde Zone mit einem Durchmesser von ca. 55 Metern, die in einem 90-Tage-Intervall leicht schwankt. Im Inneren dieses Zirkels ruht eine alte Holzhütte, die vor hundert Jahren als Münzprüfbüro diente. Der Einfluß des Strudels war jedoch so störend, daß sie 1890 aufgegeben wurde. Damals stand sie noch hügelaufwärts, glitt aber im Lauf der Zeit mit einem Teil des Erdreichs unaufhaltsam in den Sog des Strudels. Dort steht sie heute noch, von seltsamen Kräften verzerrt und verdreht. Betritt man sie, befindet man sich "in einer Welt, wo andere Naturgesetze zu gelten scheinen. Man fühlt sich zur Erde gezogen, als sei die Gravitation plötzlich stärker geworden. Ganz automatisch nimmt man eine schräge Körperhaltung in Richtung des Strudelzentrums ein, um den Schwerkraftsog auszugleichen. Lehnt man sich in die Gegenrichtung, fühlt man, wie das Zerren unsichtbarer Hände noch mehr zunimmt. Zigarettenrauch beginnt sich spiralförmig zu drehen. Runde Gegenstände rollen - je nachdem wo man sie plaziert - aufwärts oder auf einer ebenen Fläche vorwärts, in Richtung auf den Mittelpunkt des Strudels. In die Luft geworfene Papierschnipsel spiralen in der Luft wie der Zigarettenrauch. Es ist extrem unheimlich und daher klarerweise eine Touristenattraktion. Was es sonst ist, weiß niemand."

Das sind die Erfahrungen, die jeder Besucher auch heute noch dort sammeln kann. Gibt es dafür physikalische Erklärungen? Scheinbar nicht. Es gibt keine noch so schwere mineralogische Gesteinsbeschaffenheit, die solch eine Störung des irdischen Gravitationsfeldes hervorrufen könnte. Denkbar wäre die Anwesenheit besonderer Massekonzentrationen, deren Eigenanziehungskraft das Schwerefeld der Erde zu beeinflussen vermag, ähnlich wie das Schwerefeld des Mondes in viel größerem Maßstab verantwortlich ist für das seltsame Phänomen der Gezeiten an den Küsten der Weltmeere. Wären solche Massekonzentrationen nach neuesten physikalischen Theorien über die Entstehung des Universums denkbar, auch wenn es sich dabei um eine unsichtbare Form von superschwerer Materie handeln würde?

Dort jedenfalls, am Oregon-Strudel, wurde nach Ursachen für dieses Schwerephänomen geforscht. Farkas schreibt: "Die Wissenschaft mußte kapitulieren, allerdings nicht kampflos. Man maß, registrierte, spektroskopierte, untersuchte und experimentierte. Ergebnis: null. Elektromagnetische Felder waren irgendwie im Spiel, aber das erklärte nicht den Einfluß auf jede Materie. Welche Kraft dafür '. verantwortlich ist, daß sich Golfschläger, Besen, Stöcke etc. in einem Neigungswinkel von 10 Grad im Gleichgewicht befinden, daß ein 15 Kilo schwerer Stahlball an seiner Kette schräg herunterhing und nur mit Mühe aus der Richtung zum Zentrum des Strudels gezogen werden konnte, entzog sich ebenso jeder Vorstellung wie die Frage, wieso Lichtmesser und Kompasse innerhalb des Strudels verrückt spielen. Es entzieht sich auch heute noch jeder Vorstellung. Sicher ist nur, daß die Naturgesetze an diesem seltsamen Ort ein wenig anders sind. Der Oregon Strudel hat fünfundvierzig Meilen entfernt, in Camp Burch, Colorado, einen kleinen Bruder. Auch dort agieren seltsame Gravitationskräfte, allerdings nicht so ausgeprägt wie in Oregon. Und in New Brunswick, Kanada, kennt man den ,Magnetic Hill', wo Autofahrer im Leerlauf bergauf und mit Gas bergab fahren. Solche Bocksprünge der Natur sind zwar bizarr, gelegentlich auch unheimlich, aber nicht wirklich schreckenerregend."

Das muß einem doch den Boden unter den Füßen wegziehen, wenn das alles wahr sein sollte. Es scheint sie also doch zu geben, die berühmten Ausnahmen von der Regel, unnormale Abweichungen vom Normalen. Doch um es gleich vorwegzunehmen: Es sollte sich am Ende zeigen, daß auch hier alles mit rechten Dingen zuging. Aber bis dahin war es noch ein langer Weg des Recherchierens. Über jene hier nur kurz erwähnte Schwerkraftanomalie des Magnetic Hill in Kanada konnte ich in einem anderen Buch näheres erfahren. Andrew Tomas schreibt dazu: "Eines der spektakulärsten Beispiele ist der Magnetic Hill in der Nähe von Moncton, New Brunswick, Kanada, wo Autos ohne Motorkraft bergauf fahren. Die Schwerkraft kehrt ihr Gesetz am Fuß des Hügels um, und sobald die Fahrer die Zündung ausschalten und den Fuß von der Bremse nehmen, werden ihre Wagen durch eine unsichtbare Kraft bergauf gezogen."

Auch hier versagen, wie berichtet wird, die herkömmlichen Erklärungsmöglichkeiten der Physik: "Im allgemeinen wird angenommen, daß eine Konzentration magnetischen Eisens in großer Tiefe für diese Erscheinung der Schwerkraft verantwortlich ist. Jedoch zieht ein Magnet oder ein stark magnetischer Magnetit angeblich nur Metall an. Aber der Magnet des Magnetic Hill beeinflußt nicht ausschließlich metallische Gegenstände, sondern auch andere - einen Holzstock oder einen Gummiball zum Beispiel. Unter bestimmten Bedingungen kann an manchen Stellen sogar das Wasser bergauf fließen! Diese Kraft wirkt sich auch auf Menschen aus, und es gibt viele Zeugen, die ihren ungewöhnlichen Einfluß bestätigen. ,Dort ist etwas im Boden. Man fühlt es in seinen Knochen. Es überläuft einen ein Frösteln. Man wird dabei fast schwindlig', schreibt ein Tourist." Ein ähnliches Phänomen wie beim Oregon-Strudel, nur nicht räumlich so eng begrenzt wie dort. Eine unbekannte Form von Materie müßte, wenn es eine physikalische Erklärung für diese Phänomene geben soll, dafür verantwortlich sein.

Augenzeugen und Augentäuschung

Gerade als ich in meinen Überlegungen so weit gekommen war, wurde ich auf eine Fernsehsendung aufmerksam gemacht, in der es auch um Gravitationsanomalien gehen sollte: Anfang November 1992 wurde in einer Sendereihe des Privatfernsehens mit Rainer Holbe über Esoterik ein Filmbeitrag aus Italien ausgestrahlt. Ungefähr 30 km südöstlich von Rom auf der Via dei Laghi, in der Nähe des Ortes Rocca di Papa, gibt es einen Straßenabschnitt, wo die Gesetze der Schwerkraft auf dem Kopf stehen. Im Film wurde gezeigt, wie Wasser bergauf fließt, Autos und Fahrräder von selbst bergauf rollen. Eine auf die Straße gelegte Wasserwaage zeigte dort, wo eine Steigung zu erwarten wäre, ein Gefälle an.

Ein zu diesem Phänomen befragter Diplom-Geologe, Dr. Johannes Fiebag, erklärte im Film: ,Wenn die Wasserwaage zeigt, daß wir dort hinten eine Steigung statt eines Gefälles haben, dann könnte es sich um eine optische Täuschung handeln. Oder aber wir haben es tatsächlich mit einem unerklärten Gravitationsphänomen zu tun, das natürlich dann auch die Wasserwaage verfälscht. Letztlich ist das im Moment schwer zu entscheiden, und im Moment stehen wir hier vor einem Rätsel."

Der Film wirkte zunächst sehr überzeugend. Doch ein Film im Fernsehen wird nur zweidimensional übertragen, und wo ein dreidimensionales Bild auf zwei Dimensionen in der Abbildung verringert wird, sieht ein Gefälle genauso aus wie eine Steigung. Leben wir tatsächlich in einer Welt, in der Steine nicht nur bergab, sondern auch bergauf rollen können? In der Wasser auf der einen Seite des Berges bergauf fließt, um dann, auf der anderen Seite, bergab zu fließen, oder vielleicht auch bergauf, oder einfach verschwindet - auf was kann man sich in dieser Welt denn noch verlassen, wenn auch sie, die beständigste, die zuverlässigste, die Erdenschwere, nicht mehr zuverlässig ist? Zwei Monate später traf ich auf einer Tagung einen Pfarrer aus einem Bergwerksort am Harz, der auf einer Gemeindefahrt nach Neapel und Florenz im Sommer 1992 an jenem Stück der Via dei Laghi hielt, wo das Wasser bergauf floß: "Der Busfahrer hielt am Fuße des Hügels an und legte den Leerlauf ein. Zuerst langsam, dann allmählich kam der Reisebus ins Rollen und rollte mit über 30 Personen wieder bergauf. Es war ein Polizist und ein Ingenieur dabei, die das bestätigen können. Da war kein Trick dabei." Der erste Augenzeuge, der die Wirklichkeit des Phänomens bezeugen konnte. Nun war mein Interesse nicht mehr zu bremsen. Ich wollte selbst sehen, was ich bis jetzt nur vom Hörensagen kannte. Doch bevor ich mich auf den Weg machen wollte, entschied ich mich, erst alle Fachleute anzuschreiben, die mir Auskunft geben konnten, was für Erklärungsmöglichkeiten hier in Frage kämen. Ich schrieb an zwei geophysikalische Institute in Italien, an zwei Institute an der amerikanischen Westküste und an zwei Institute in Kanada. Ich bekam bisher vier Rückmeldungen. Auf meine Anfrage in Sachen des Magnetic Hill erhielt ich vom »Geological Survey of Canada« in Ottawa folgende Antwort: "Beim Magnetic Hill nahe Moncton handelt es sich um eine sehr wirkungsvolle optische Täuschung, eine große Touristenattraktion. Ich kenne keine ernstzunehmenden Abhandlungen darüber, die etwas anderes behaupten. Ich glaube, es gibt ein ähnliches Phänomen in Ayrshire, Schottland, auch eine optische Täuschung. Ihr ergebener R. A. Gibb, Direktor."

Dasselbe trifft auch für die im Fernsehen gezeigte Gravitationsanomalie bei Rocca di Papa in Italien zu. Das bestätigten mir zwei italienische Geophysiker aus Rom und Mailand. Und die geologische Erkundungsabteilung des amerikanischen Innenministeriums antwortete auf meine Anfrage, ob es natürliche Erklärungen für die beobachteten Phänomene am Oregon-Strudel gibt: "Die meisten angesehenen Wissenschaftler meinen, daß diese Touristenattraktion durch eine überraschende Wahrnehmungstäuschung zustande kommt, durch die Touristen angezogen und fasziniert werden. Wenn die Wände eines Gebäudes nicht vertikal und sein Fußboden nicht gerade sind, obwohl die Besucher glauben, daß das Gebäude korrekt gebaut ist, ist die Öffentlichkeit eher geneigt zu glauben, daß die Schwerkraft an dieser Stelle anomal sei als zu denken, das Gebäude befände sich in einer Schieflage. Es gibt dort keine ungewöhnlichen Schwerkraftanomalien, die durch die Geologie dieser Gegend bedingt wären oder ähnliche Touristenattraktionen, die auf derselben psychologischen Wahrnehmungstäuschung aufbauen. Touristen werden trotzdem durch solche Erfahrungen fasziniert. Der Erdrutsch dort mag teilweise verantwortlich sein für die ungewöhnliche Schieflage des alten Münzprüfbüros und der Bäume an diesem Ort. Vielen Dank für Ihr Interesse an der geophysikalischen Forschung der USA, Ihr ergebener Mark Bonito." Die scheinbaren Gravitationsanomalien hatten psychologische und keine physikalischen Ursachen. Das war des Rätsels Lösung. Die Leute sehen das Wasser bergauf fließen, weil sie glauben, daß es bergauf fließt, obwohl sie auf einem Gefälle stehen. Es ist dieser Glaube, durch landschaftliche und gegenständliche Illusionen genährt, der die Leute in die Irre führt. Hier zeigt sich, was die Wahrnehmungspsychologie schon lange weiß, daß der Mensch viel eher geneigt ist, seinen Augen zu vertrauen als seinem Gleichgewichtssinn. Alle meine Spekulationen verdankten sich derselben Wahrnehmungstäuschung, die dort die Menschen optisch in die Irre führte und mich hier gedanklich in die Irre führte. Die Erdenschwere bestimmte wieder mein Denken, und damit einher ging ein unmerkliches Gefühl der Erleichterung: Die Gravitation, jene schwächste und zugleich beständigste aller Naturkräfte, hat sich immer noch als zuverlässig erwiesen. Die Wirklichkeit selbst führt uns nur an der Nase herum, wenn wir den Grundkräften mißtrauen, auf denen sie beruht.

Wären hier Ausnahmen denkbar, wäre es denkbar, der Schwere nicht mehr gehorsam zu sein, dann wäre es auch denkbar, ihr zu entrinnen, allem zu entfliehen, was niederdrückt und einen herabzieht. Und zwar nicht mehr durch große Mühe und Arbeit und nur für begrenzte Augenblicke, sondern mit Leichtigkeit und ganz nach Belieben für eine ganze Ewigkeit.

Ja, in letzter Konsequenz wäre es denkbar, sie, die Mutter Erde ganz von uns zu stoßen - sie, die uns hervorgebracht hat und bei sich hält, sie, die durch unseren Widerwillen gegen jedes ökologische Sich-Einfügen in das Zusammenspiel des geschöpflichen Lebens uns die Lebensgrundlage zunehmend verweigert - sie von uns zu stoßen und zurückzulassen wie eine ausgepreßte Zitrone.

Die Schwerkraft kettet uns an die Erde, und sie konfrontiert uns mit unserem ökologischen Fehlverhalten: ob FCKW oder Kohlendioxid, saurer Regen oder Ozon an Sonnentagen, was wir von uns geben in die Lüfte, um es loszuwerden, zieht die Schwere wieder in die Tiefe. Die Kraft, die uns Bestand gibt und unserm Leben Bodenständigkeit verleiht, droht uns zu ersticken, wenn wir auf Kosten unserer Umwelt leben. Könnte man die Schwerkraft aufheben, dann bräuchten wir uns nicht zu ändern. Wir könnten den Planeten, den wir ausgebeutet haben, von uns stoßen und uns mit Leichtigkeit im All jene neuen Welten schaffen, die in Science-fiction-Filmen bereits wirklich werden. Doch zum Glück ist das nur Einbildung. Die Erde wird uns auch weiterhin beharrlich festhalten, auch wenn wir nicht mehr an ihr festhalten wollen.

© Eckhard Etzold, 1994


Postscriptum: Anti-Gravitation, die Aufhebung der Schwerkraft, wird inzwischen (1998) scheinbar ernsthaft (?) erforscht. Siehe: BREAKTHROUGH AS SCIENTISTS BEAT GRAVITY und
Photos vom Magnetic Hill und vom Oregon Strudel.


Literatur

Viktor Farkas: Unerklärliche Phänomene jenseits des Begreifens, Frankfurt am Main 1988.

Robert Charroux: Phantastische Vergangenheit. Die unbekannte Geschichte der Menschen seit hunderttausend Jahren, Frankfurt am Main 1970.

Andrew Tomas: Wir sind nichtdie ersten, Bonn 1971.

James Trefil: Fünf Gründe, warum es die Welt nicht geben kann. Die Astrophysik der Dunklen Materie, Reinbek 1990.

Der Text ist auch zugänglich in: "Materialdienst der EZW 11/94, S. 320-325
Evangelische Zentralstelle für Welanschauungsfragen, Auguststraße 80, 10117 Berlin
Internet: http://www.ekd.de/ezw

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