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Hat es Judas je gegeben?

Ein Verwirrspiel um den Verräter Petrus

Eckhard Etzold

Es fing alles in meiner Tübinger Studienzeit an, als ich auf diese merkwürdige Geschichte stieß, diese Sache mit Judas und Petrus, die alles auf den Kopf stellte, was ich bis dahin über diese beiden Jünger wußte: Judas, der letzte der zwölf Jünger, mit dem Teufel im Bunde, beging das hinterhältigste Verbrechen aller Zeiten: er verriet Jesus, den einzigen Menschen, der sich nichts zu Schulden kommen ließ, an seine Feinde, und sackte dafür ein Kopfgeld von 30 Silberlingen ein.

Judas, Sohn der Hölle, eine Ausgeburt des Bösen, wird des Gottesmordes für schuldig befunden. Dafür ist er in alle Ewigkeit verdammt. So lautet das vorherrschende Urteil über Judas in der traditionellen Theologie - und nicht nur dort. Eine alte Legende,die von Walter Jens aufgegriffen wurde, erzählt:

Der große Leonardo da Vinci suchte monatelang auf den Straßen der Stadt Mailand nach einem Verbrecher, dessen Gesichtszüge gemein genug waren, um als Vorbild für den Verräter Judas zu dienen. Doch er fand keinen.

Und Judas gegenüber stand Petrus, der erste der zwölf Jünger, der Jesus die Treue hielt. Petrus war sozusagen der Goldjunge unter den Jüngern. Ursprünglich hieß er Simon, war Fischer von Beruf, und er machte steile Karriere. Er war der erste, den Jesus in die Nachfolge rief, er hatte als erster Jesus, den Auferstandenen gesehen, er hatte die zwölf Jünger angeführt, als Jesus nicht mehr unter ihnen lebte, und die Kirche mit gegründet. Und nicht nur das, Petrus war noch mehr: Petrus an der Himmelspforte, mit den Schlüsseln des Himmelreiches in der Hand. Er entschied darüber, wer in den Himmel kam und wer draußen bleiben mußte. So hatte es Jesus selbst gewollt: "Ich will dir die Schlüssel zum Himmelreich übergeben: Was du auf Erden binden wirst, das gelte auch im Himmel als gebunden; und was du auf Erden lösen wirst, das gelte auch im Himmel als gelöst."

Petrus an der Himmelspforte und Judas, der Verräter, mit dem Satan im Bunde. Sie stehen sich gegenüber wie Licht und Finsternis. Ist der Unterschied zwischen ihnen wirklich so groß?

Schon der Verrat des Judas steckte voller Rätsel. Jesus war ein stadtbekannter Mann, den jeder kannte. Trotzdem mußte Judas die Soldaten zu ihm führen, gerade so als würde Jesus sich bei Tageslicht nie blicken lassen. Warum diese Heimlichtuerei, nachts im Garten Getsemanae, so umständlich und dann noch mit einem Kuß als Erkennungszeichen? Es ginge auch einfacher: "Seht, der da in der Mitte ist es, den nehmt fest." Petrus soll bei der Verhaftung mit dem Schwert noch dreingeschlagen haben, um Jesus zu befreien. Er traf den Knecht des Hohenpriesters und schlug ihm ein Ohr ab. Dafür konnte er mit dem Tode bestraft werden. Trotzdem wurde Petrus nicht verhaftet.

Das paßte einfach nicht zusammen. Hier war etwas faul, und ich schöpfte das erste Mal Verdacht. Man müßte die Evangelien neu lesen, dachte ich, mit den Augen eines Kriminalinspektors. Ohne Vorbehalte und ohne falsche Ehrfurcht, unabhängig davon, was die Kirchen lehrten. Nur die Fakten sollten zählen, wie sie in der Bibel standen: Zwölf Jünger und ihr Meister, so steht es geschrieben in den vier Evangelien und beim Apostel Paulus.

Aber Judas hatte sich angeblich umgebracht, nachdem er seine Tat bereute. Danach müßten es nur elf Jünger gewesen sein, die Jesus gesehen haben, nachdem er auferstanden war. So berichten es die Evangelisten Matthäus und Lukas: "Die elf Jünger aber zogen nach Galiläa zu dem Berge, zu dem Jesus sie befohlen hatte. Und als sie ihn sahen, huldigten sie ihm; einige aber zweifelten."

Es gibt jedoch eine Bibelstelle, die etwas anderes behauptet. Es ist eine Notiz in den Briefen des Paulus, die noch dazu die älteste Erwähnung der Auferstehung Jesu im ganzen neuen Testament enthält. Da heißt es: "Christus ist auferstanden am dritten Tage nach der Schrift und ist gesehen worden von Petrus und danach von den Zwölfen."

Da stand Zwölf, nicht Elf, wie zu erwarten wäre. Ein frommer Mitstudent, den ich darauf ansprach, sagte mir: Klar, wenn Paulus von den Zwölfen spricht. Für Judas wurde ein neuer Jünger nachgewählt, mit Namen Matthias. Da waren es wieder Zwölf, und es geht alles wieder auf. Kein Grund zur Beunruhigung.

War das eine blinde Fährte? Ich ließ nicht locker und fand die Lösung: Das mit dem Matthias stimmte, der wurde anscheinend wirklich nachgewählt. Da hatte der fromme Mitstudent recht. Aber er hatte seine Bibel nicht genau gelesen. Es war ihm etwas anderes entgangen: Diese Nachwahl des Matthias fand lange nach der Auferstehung statt. Also ging auch Lukas davon aus, es mußten elf Jünger gewesen sein.

Wenn Paulus aber mit den Zwölfen recht hat, die den Herrn gesehen haben, bedeutet das: Judas hatte sich nicht umgebracht. Entweder Judas kehrte nach der Kreuzigung zum Jüngerkreis zurück, und er wurde auch ein Zeuge der Auferstehung Jesu, wie die anderen Jünger auch. (Das konnte ich mir nicht vorstellen. Die anderen Jünger hätten ihn nach dem Verrat nicht wieder aufgenommen.) Oder es hat überhaupt keinen Judas gegeben. Vielleicht war er nur die Erfindung eines anderen, der anonym bleiben wollte.

Soweit das Ergebnis der ersten Recherchen. Der zweite Schritt meiner Nachforschungen galt jetzt dem Petrus. War er wirklich der Heilige? Wie stand es um seine Person, wie war sein Verhältnis zu Jesus? Schon beim Lesen der Passionsgeschichte fiel mir auf: Petrus war der einzige Jünger, der sich mit Jesus offen anlegte. Nur ein Beispiel: Jesus sagte es voraus, alle Jünger würden von ihm abfallen. Petrus erwiderte entrüstet: "Und wenn alle von dir abfallen - ich nicht." In derselben Nacht verleugnete Petrus seinen Herrn dreimal, bevor der Hahn zweimal krähte.

Petrus hatte sich nicht in der Gewalt. Er mußte etwas zu verbergen haben. Dieser Eindruck wurde durch mein fortgesetztes Bibelstudium erhärtet. Es gab zwischen Jesus und Petrus eine böse Auseinandersetzung, in der Jesus die Fassung verlor und etwas sagte, was gar nicht zu seiner freundlichen Art paßte: Jesus zog fort mit seinen Jüngern in die Dörfer von Cäsarea Philippi. Unterwegs fragte er seine Jünger: " ... Was sagt ihr, wer ich bin?" Petrus antwortete: "Du bist der Messias!" Da fuhr er sie an, niemand dürfe davon erfahren. Da nahm Petrus ihn beiseite und begann heftig auf ihn einzureden.... Er aber wandte sich um; und den Blick auf seine Jünger gerichtet, herrschte er Petrus an: "Geh mir aus dem Weg, Satan!"

Es gab nur einen Grund, der schwerwiegend genug war, um Jesus so in Wut zu bringen: Weil Petrus verraten hatte, was ein Geheimnis bleiben sollte, daß er der Messias ist. Jetzt wußten es die anderen. Aber es war nur ein Gerücht, ein Gerücht, das Jesus Kopf und Kragen kosten konnte. Wer in dem Ruf stand, der erwartete Messias zu sein, gefährdete die öffentliche Ordnung. Jesus hatte allen verboten, darüber zu sprechen, und trotzdem verbreitete sich das Gerücht wie ein Lauffeuer. Es drang bis an die Ohren der religiösen Führer in Jerusalem vor. Als man Jesus später den Prozeß machte, wurde dieses Gerücht zum Hauptanklagepunkt:

Da sagte der Hohepriester zu ihm: "Ich beschwöre dich bei dem lebendigen Gott - sag uns, ob du der Messias bist ..." Da sagte Jesus: "Du hast es gesagt...." Da zerriß der Hohepriester seine Kleider und sagte: "Das ist Gotteslästerung! Was brauchen wir nun noch Zeugen? Siehe, jetzt eben habt ihr seine Gotteslästerung gehört: Worauf erkennt ihr?" Und sie antworteten: "Er ist des Todes schuldig."

Petrus hatte den Stein ins Rollen gebracht. Weil er nicht schweigen konnte, mußte Jesus sterben. Petrus also, und kein anderer, hatte Jesus an seine Feinde verraten, indem er verriet, was ein Geheimnis bleiben sollte, daß er der Messias ist. Die Evangelisten gaben sich viel Mühe, den Verrat des Petrus zu vertuschen. Vergleichen wir nur Markus mit Johannes: Bei Markus, dem frühesten Evangelium, wird Petrus noch von Jesus "Satan" geschimpft, gleich nachdem er Jesus den Messias nennt. Bei Johannes aber, dem spätesten Evangelium, steht an der entsprechenden Stelle: "Jesus antwortete ihnen: Habe ich nicht Zwölf erwählt? Und einer von euch ist ein Teufel." Und der Evangelist Johannes fügt selbst hinzu: "Er redete aber von Judas, des Simon Iskarioth Sohn." Hier ist es plötzlich Judas, der der Teufel ist und nicht mehr Petrus.

Fassen wir zusammen: Ob es Judas je gegeben hat, das ist höchst zweifelhaft. Zwölf Jünger hatten Jesus gesehen nach der Auferstehung, elf Jünger hätten es sein müssen, wenn es Judas je gegeben hätte. Der ganze Verrat des Judas klingt wie ein schlechtes Alibi, er macht die Verhaftung Jesu nur noch komplizierter. Auf der anderen Seite deutet alles darauf hin, daß Petrus selbst in den Verrat verwickelt war, derselbe Petrus, dem Jesus das Amt der Schlüssel anvertraute. Es gibt versteckte Hinweise, die ihn in einem anderen Licht erscheinen lassen. Da ist zum Beispiel diese dunkle Anspielung Jesu beim letzten Abendmahl. Als Jesus voraussagt, einer von den Jüngern würde ihn verraten, und sie ihn alle fragen "Bin ich es?", da sagt Jesus nur: "Der mit mir in dieselbe Schüssel taucht."

Wer von den Jüngern hatte denn nach alter Sitte das Vorrecht, mit Jesus zusammen aus einer Schüssel zu essen? Judas, so heißt es. Aber eigentlich konnte dieses Privileg nur einer beanspruchen: der erste der Jünger, Simon Petrus. Wieso erscheint dann in der Bibel aber Judas? Auch das mußte einen Grund haben. Die Bibel half mir nicht mehr weiter. Ich mußte jetzt versuchen, aus den Beobachtungen meine eigenen Schlüsse zu ziehen.

Petrus war irgendwie in den Verrat verwickelt, und das blieb den Menschen im Gedächtnis haften. Zugleich wurde ihm das höchste Amt zuteil, das je ein Mensch empfing: An der Himmelspforte Einlaß zu gestatten oder zu verwehren. Ein Amt, das doch nur ein Gott ausüben dürfte!

Plötzlich bekam ich eine Idee: Der Gott an der Himmelstür! Bei den Römern nannte man den Schutzgott, der über Ein- und Ausgang wachte, Janus. Daran erinnert noch heute der Monatsname Januar, der Monat, der die Tür zum neuen Jahr ist. Janus hatte einen Januskopf, ein Kopf mit zwei Gesichtern, so zeigten es die alten Abbildungen. Das erinnerte mich an die Geschichte von Dr. Jekyll and Mr. Hide. Da mußte der Schlüssel liegen, das war es: Petrus mit dem Januskopf! Petrus hatte wie der römische Gott Janus ein doppeltes Gesicht: das Gesicht des Heiligen und des Verräters. Petrus hatte auch ein Judasgesicht. Versetzen wir uns einmal in die Lage des Petrus:

Petrus hatte Jesus auf Schritt und Tritt begleitet, er war der engste Vertraute Jesu zu seinen Lebzeiten gewesen. Wer etwas über Jesus wissen wollte, mußte sich an Petrus wenden. Das brachte ihm ein hohes Ansehen bei den ersten Christen ein. Petrus wurde geradezu in den Himmel gehoben. Petrus, und kein anderer, -auch der römische Gott Janus nicht -, sollte das Vorrecht haben, an der Himmelspforte über Ein- und Ausgang zu gebieten.

Bei solch einer Verehrung stieg sein Selbstbewußtsein in die Höhe. Nur ein Gedanke wurde für ihn immer unerträglicher: Jesus mußte sterben, weil er, Petrus, versagt hatte. Was geschehen war, konnte Petrus nicht mehr rückgängig machen. Aber wie konnte er sein eigenes Versagen so abschwächen, daß ihm die Verehrung der Mitchristen erhalten blieb? Von den anderen wurde er ständig gefragt: "Erzähl' doch, wie es gewesen ist! Wer war denn noch dabei, als Jesus gekreuzigt wurde?" Dann erzählte Petrus eines Tages: "Ja, da war noch so ein Judas ..." Judas war zu der Zeit ein Allerweltsname, so wie heute Peter oder Andreas. "Und dieser Judas, das war ein zwielichtiger Bursche ..."

Petrus erfand einen anderen Jünger, dem er all das anhing, womit er selbst nicht in Verbindung gebracht werden wollte. Er erfand Judas Iskarioth, den unbekannten Jünger, dessen Herkunft bis heute im Dunkeln liegt. Judas war der Schatten, den Petrus groß machte, um sein Versagen abzumildern. Und trotzdem gelang es Petrus nicht, die Spuren zu verwischen, die auf ihn hinwiesen.

Damit keiner auf die Idee kam, diesem Judas nachzuspüren, mußte er schnell wieder von der Bildfläche verschwinden. Petrus erfand die Legende vom Ende des Judas. Petrus selbst erzählte, wie in der Apostelgeschichte des Lukas nachzulesen ist: "Von dem Lohn für seinen Frevel hat dieser Unselige sich ein Grundstück erworben; und kopfüber ist er hinabgestürzt und hat sich den Bauch aufgerissen, daß alle Eingeweide herausquollen."

Das ist nicht die einzige Geschichte, die Petrus vermutlich in Umlauf brachte. Denn im glatten Widerspruch dazu heißt es beim Evangelisten Matthäus: Als nun Judas ... erfuhr, daß (Jesus) verurteilt war, erfaßte ihn die Reue, und er brachte die dreißig Silbermünzen den Hohenpriestern und Ältesten zurück und sagte: "Ich habe gesündigt, weil ich unschuldiges Blut verriet." Doch sie entgegneten: "Was geht das uns an? Das mußt du mit dir selber ausmachen!" Da warf er die Silberstücke in den Tempel, lief fort und erhängte sich.

Jetzt war alles beisammen: der unbekannte Jünger mit einem Allerweltsnamen, der schäbige Verrat, das vorgetäuschte Ende des Verräters. Mehr brauchte Petrus nicht, um sich selbst ins rechte Licht zu setzen. Petrus, der erste der Jünger, erzählte also in der Rückschau von sich und von Judas, dem letzten der Zwölf, seiner Schattenseite. Was Petrus nicht erzählte, daß sie in Wahrheit eins waren. Judas und Petrus waren nicht zwei Personen, sie waren in Wahrheit identisch.

Und der Verrat war kein Verrat aus niederen Motiven. Petrus hatte Jesus verraten, gegen seinen eigenen Willen sozusagen, indem er ein Gerücht verbreitete, das Jesus um sein Leben brachte.

Das war die Entdeckung, die alles auf den Kopf stellte, was ich bisher über diese beiden Jünger dachte. Bis dahin war es mir noch möglich, zu unterscheiden: auf der einen Seite die Bösen, zu denen Judas gehörte, und auf der anderen Seite die Guten, zu denen Petrus gehörte. Diese Grenzziehung war mir jetzt nicht mehr möglich.

Meine Beobachtungen waren gar nicht so neu. Andere hatten schon Ähnliches gedacht. Doch ich hatte geglaubt, beweisen zu können, Petrus habe den Judas erfunden, um sich auf Kosten eines anderen zu entlasten. Heute bin ich mir da nicht mehr so sicher. Was ich zusammengetragen hatte, waren nur Indizienbeweise, mehr nicht. Es bleibt immer noch die Frage offen: Hat es Judas je gegeben? Oder ist er nur die Erfindung eines Unbekannten, der, aus welchen Gründen auch immer, zeigen wollte, wozu die engsten Vertrauten Jesu fähig waren? Da sind sich die Theologen bis heute uneinig. Auf evangelischer Seite wird die Existenz des Judas durchaus bestritten. Auf katholischer Seite hingegen wird daran festgehalten: Es gab einen Judas, der Jesus verraten hat, wie es in den Evangelien überliefert ist.

Wenn sich herausstellen sollte: es hat Judas nie gegeben, dann wird der Verräter Petrus zum großen Gegenspieler Jesu, der mit dazu beitrug, daß Jesus getötet wurde. Sollte sich aber herausstellen, daß es Judas, den Verräter, wirklich gab, so bleibt eines immer noch gültig: Judas und Petrus, beide wurden je auf eigene Weise, schuldig an Jesus. Und beiden wird vergeben. Mehr noch: Jesus selbst gab seinen zwölf Jüngern die Zusage: "Amen, ich sage euch: Ihr, die ihr mir nachgefolgt seid, werdet in der Geburtsstunde der neuen Welt, wenn der Menschensohn auf dem Thron seiner Herrlichkeit sitzen wird, ebenfalls auf zwölf Thrönen sitzen und über die zwölf Stämme Israels herrschen."

Ein Thron im Himmel steht bereit für Judas. So will es Jesus selbst. Deshalb hat die Idee für mich heute im übertragenen Sinne ihre volle Gültigkeit: Petrus der Heilige und der Gerechte, Judas der Verräter, der Sünder schlechthin - sie stehen Seite an Seite in einer Linie. Sie machen für mich deutlich: Ich kann Jesus nicht nachfolgen, ohne ihn auch zu verraten. Der Verrat ist von der Nachfolge nicht zu trennen. Was für Judas und Petrus zutrifft, gilt auch für die ganze Kirche: Wo sie sich in die Nachfolge begibt, wird sie Jesus auch verraten. Am ehesten jedoch dort, wo sie diese Möglichkeit weit von sich weisen würde. Beide, Judas und Petrus, wohnen als zwei Möglichkeiten des Menschseins in uns. Man könnte auch sagen: Jeder Verräter ist ein Heiliger - und jeder Heilige ist ein Verräter. Äußerlich sieht man das nicht. Dem Heiligen traut man nichts Schlechtes zu und dem Verräter nichts Gutes mehr. Erst wenn man genauer hinsieht, merkt man, wie nahe sie sich wirklich stehen.


Literatur

K. Barth: Kirchliche Dogmatik, Bd. II,2, 1942, S. 527.

B. Dieckmann: Judas als Sündenbock. Eine verhängnisvolle Geschichte von Angst und Vergeltung. München 1991.

A. Drews: Die Petruslegende. Ein Beitrag zur Mythologie des Christentums, 1910, S. 29-31: Die Beeinflussung der literarischen Petrusfigur durch die Legende vom römischen Gott Janus.

J. Gnilka: Das Evangelium nach Markus, 2. Teilband Mk. 8,27-16,20, EKK II/2, 1979.

H. Gollwitzer: Krummes Holz - aufrechter Gang. Zur Frage nach dem Sinn des Lebens, 1970, S. 272ff., 283.

M. Hengel: Probleme des Markusevangeliums, in: P. Stuhlmacher (Hrg): Das Evangelium und die Evangelien, 1982, S. 250-260: Das Markusevangelium geht auf die Erinnerungen des Petrus zurück.

W. Jens: Der Fall Judas, Stuttgart 1975, S. 77

ders.: "Ich, ein Jud". Verteidigungsrede des Judas, in: Juden und Christen in Deutschland, Stuttgart 1989, S. 11-25: Judas als Glaubensheld.

E. Jüngel: Die Kirche als Sakrament? in: ZThK 80, 1983, S. 432-457, besonders S. 454f.: Die Kirche realisiert ihre Heiligkeit, indem sie zu ihrem Sündigsein steht.

H.-J. Klauck: Judas - ein Jünger des Herrn, 1987: Katholische Auseinandersetzung mit neueren Judasinterpretationen.

K. Lüthi: Judas Iskarioth in der Geschichte der Auslegung von der Reformation bis zur Gegenwart, 1955, S. 179.

M. Luther: Werke. Kritische Gesamtausgabe, Weimar, 1883ff., TR 4, S. 191, Nr. 4190: Zum Problem Kirche und Sünde.

Der Petrus der Bibel. Eine ökumenische Untersuchung, Hrg: R.E. Brown, J. Reumann, eingel. v. F. Hahn & R. Schnackenburg, 1976, S. 63: Die Veranlassung des Satanswortes an Petrus, weil dieser messianische Erwartungen an ihn richtet.

M. Plath: Warum hat die urchristliche Gemeinde auf die Überlieferung der Judaserzählung Wert gelegt? in: ZNW 1916, S. 179; 183.

Th. Reik: Der eigene und der fremde Gott, 1923, S. 106: Identität von Judas und Jesus (!).

G. Schläger: Die Ungeschichtlichkeit des Verräters Judas, in: ZNW 1914, S. 56.

W. Schmithals: Das Markusevangelium. ÖTK, 1979, S. 599.

A. Schweitzer: Geschichte der Leben-Jesu-Forschung, 1913, 2. Aufl., S. 442.

G. Strecker: Zur Messiasgeheimnistheorie im Markusevangelium, in: R. Pesch (Hrg): Das Markusevangelium, 1979, S. 208, A.10: Strecker nimmt an, daß in Joh. 6,67-71 synoptische Tradition verarbeitet wurde.

W. Teichert: Jeder ist Judas. Der unvermeidliche Verrat. Stuttgart 1990.

W. Vogler: Judas Iskarioth. Untersuchungen zu Tradition und Redaktion von Texten des Neuen Testaments und außerkanonischen Schriften, 1983.

Die biblischen Zitate sind der Übersetzung des Neuen Testaments von Ulrich Wilckens entnommen. Der Text ist identisch mit der gleichnamigen Sendung des NDR in der Reihe Glaubenssachen vom 13. April 1990, der auch schriftlich zugänglich ist in "braunschweiger beiträge", Heft 78, 4/1996, S. 41-45

Amt für Religionspädagogik in der Ev.-luth. Landeskirche Braunschweig, Dietrich-Bonhoeffer-Str. 1, D-38300 Wolfenbüttel

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