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In der Psychose liegt das Heil

Eine Aussprache

Von Eckhard Etzold.

Zu: G. Lüdemann, Die Auferstehung Jesu (Besprechung durch A. Lindemann), in: WzM 46 (1994), H. 8, 503ff.

Gerd Lüdemann hat den dritten Anlauf unternommen, seine Osterdeutung unters Volk zu bringen, im Frühjahr erschien im Radius-Verlag sein Taschenbuch "Was mit Jesus wirklich geschah. Die Auferstehung historisch betrachtet." Er will diesmal gezielt "interessierte Laien" erreichen, "Gemeinden und Schulen". Dazu war jedoch eine gründliche Revision fällig. Aber wer jetzt etwas völlig neues erwartete, wurde enttäuscht. Das Buch ist eine "grundlegend überarbeitete und gekürzte Fassung" der "Auferstehung Jesu - Historie, Erfahrung, Theologie". Diese war notwendig geworden, nachdem die beiden vorangegangenen Ausgaben zu viele Fragen offen ließen. Vor allem bei der Zusammenfassung hat ihm sein wissenschaftlicher Mitarbeiter Alf Özen geholfen, der diesmal als Mitautor angegeben ist.

Wo liegen nun die entscheidenden Veränderungen gegenüber den ersten beiden Fassungen? Lüdemann will als Historiker das Geschehen um die Auferstehung Jesu erhellen, ohne theologische oder spekulative Deutungen zu benutzen, die die historische Rückfrage verhindern oder beeinträchtigen können. Stattdessen greift er tiefenpsychologische Deutungen auf und wiederholt u.a., was Werner Kühnholz bereits in WzM 27 (1975), 385-404 unter dem Titel "Das neue Testament - Dokument eines Trauerprozesses?" auch versucht hat: Die Ostervisionen als Produkt der Trauer zu begreifen. Lüdemann ist jetzt entschiedener vorgegangen, er stellt am Ende fest: "Eine konsequente modern-weltanschauliche Sichtweise muß der Auferstehung Jesu als historischem Geschehen den Abschied geben." Seinem Urteil liegt eine Neubewertung der frühesten Ostervisionen zugrunde. Sie lassen sich wissenschaftlich erklären: "Damit muß als Urheber dieser Visionen aber nicht mehr Gott angenommen werden, wie dies inkonsequenterweise auch bei Vertretern der Visionshypothese noch häufig der Fall ist. Es sind vielmehr psychische Vorgänge, die nahezu 'gesetzmäßig' - ganz ohne 'göttliche' Eingriffe - im Menschen selbst ablaufen." (123) Als grundlegender Motor der Ostervisionen werden von Lüdemann immer noch die Schuldgefühle des Petrus und des Paulus benannt. Petrus hat Jesus verleugnet, Paulus hat Jesu Anhänger verfolgt. In den Visionen erfahren beide dann die Sündenvergebung durch Jesus. Der vergebende Jesus zu seinen Lebzeiten wird zum vergebenden Jesus in den Ostervisionen.

Doch das scheint mir immer noch zu kurz gegriffen: Der historische Jesus war nicht nur der vergebende und Vergebung gewährende, sondern auch der jähzornige und verfluchende Jesus gewesen (Mt 11,20-24 u.v.a.). Selbst vor seinem besten Freund machte er nicht halt (Petrus nennt er Satan, Mk. 8,33) Und natürlich waren Schuldgefühle da. Bei Petrus, bei den Jüngern, bei Paulus und auch beim Herrenbruder Jakobus. Bei der Kombination bedrohlicher Jesus / Schuldgefühle bei den Jüngern kommt nach tiefenpsychologischer Logik etwas anderes heraus als das, was Lüdemann beschreibt. Wer Schuld empfindet, hätte bei einer halluzinativen Wiederkehr des Jesus zunächst dessen rachsüchtige Seite in den Visionen erlebt. Doch zweifelsohne haben sie alle die Vergebung ihrer Schuld durch den totgeglaubten Jesus erfahren. Wären aber Schuldgefühle wirklich der alleinige Motor des Ostergeschehens gewesen, dann könnte man sich die visionäre Rückkehr Jesu nur als Alptraum vorstellen. Jesus erwacht wieder zum Leben, steht aus seinem Grab auf und kehrt zurück, um sich an Petrus zu rächen - eine Szene, die vom schauervollen Grauen einer Drakulageschichte geprägt ist. Aber doch nicht von der beglückenden Osterfreude der ersten Jünger. Die aggressive und bedrohliche Seite Jesu fehlt in den Ostervisionen. Der österliche Jesus flucht nicht, sondern segnet. Er verbreitet nicht Angst, sondern verkehrt das Erschrecken in Frohlocken.

Hier wird etwas völlig neues sichtbar, so etwas wie eine neue Schöpfung: In den Ostervisionen begegnet uns ein charakterlich gereinigter, ein verwandelter Jesus, der viel eher einem Wunschbild entspricht als der Realität, wie er in seiner irdischen Existenz wirklich war. Doch gegen die psychoanalytische Unterstellung eines Wunschdenkens, das nur ein verklärtes Bild des Toten zuläßt, spricht wiederum, daß die ersten Jünger gerade auch die abstoßenden, negativen Charakterzüge Jesu in ihrer Erinnerung bewahrt und überliefert haben. Wenn dieses Wunschbild des Petrus eine Berechtigung hätte, dann nur dadurch, daß sich in ihm das von unmittelbarer Gottesgegenwart durchdrungene Leben Jesu widerspiegelte. Diese erlebte Gottesgegenwart im Leben Jesu war es, die nach Karfreitag in der Psyche der Jünger weiterlebte und fortwirkte. Alles andere blieb zunächst nur passiv in der Erinnerung. Insofern wäre der Gott, dessen Nähe Jesus zu seinem Lebzeiten erfuhr, die eigentliche Ursache für diese zuversichtlichen Visionen des Petrus und Paulus, und damit wird auch die Aussage Lüdemanns unglaubwürdig, daß "als Urheber dieser Visionen (...) nicht mehr Gott angenommen werden" muß.

Will man Gott als Ursache der Ostervisionen ausschließen, so geht das nur um den Preis, daß man die Osterzeugen für verrückt erklärt. Folgerichtig begegnen in der Lüdemann'schen Analyse der Ostervisionen auffällig oft Begriffe aus der Psychopathologie: "mißglückte Trauerarbeit", "verfehlte Trauerarbeit", "schwerer Schuldkomplex", Paulus litt unter einem "Christuskomplex", die über 500 Brüder, die im Pfingstereignis mitgerissen wurden, erlebten eine "Massenpsychose". Man kann die Osterphänomene in dieser Begrifflichkeit beschreiben. Dann sollte man aber auch die theologische Konsequenz ziehen und sagen: nicht im Gesunden, sondern im Krankhaften offenbart sich Gott. (Paulus hat das übrigens in 2. Kor 12 schon angedeutet, und Nietzsche hat sich daran gestoßen.) Oder als Formel: In der Psychose liegt das Heil! Man kann das so sagen, wenn man um die theologisch gefüllte Bedeutung dieser Aussage weiß. Doch dieser Satz bleibt mißverständlich: Denn wo der Glaube eine Geisteswirkung wahrnimmt, wird der Unglaube nur Krankheit und Wahn erkennen können. Wirkungen des Geistes müssen für einen 'Ungläubigen', der nicht mit der Nähe Gottes und seinem Eingriff in diese Wirklichkeit rechnet, wie Psychosen aussehen (vgl. 1. Kor 14,23). Aber es gibt doch einen Unterschied zwischen einem Menschen, der in der geistgewirkten Ekstase eine verborgene Wirklichkeit schaut und einem Psychotiker, der umhergetrieben wird von den Phantomgestalten einer entfesselten Phantasie. Mag der eine durch Ekstase und Verzückung zu seiner Bestimmung in dieser Welt finden, so leidet der andere unter den persönlichkeitsdissoziierenden Kräften, die ihn keinen Platz und keinen Ort in dieser Welt zum Leben mehr finden lassen.

Für einen 'Ungläubigen' muß daher jede Form erlebter Religion grundsätzlich mit dem Verdacht einer wahnhaften Weltbewältigung behaftet sein. Im Fall der ersten Christen dürfen wir jedoch die Behauptung wagen, daß sie sich durch 'mißglückte Trauer', 'Hysterie' und 'Psychose' hindurch zu reiferen Persönlichkeiten entwickelt haben. Was wie Psychose aussieht, muß deswegen noch lange nicht psychotisch sein. Wird hier kein Unterschied markiert, dann wird diese psychopathologische Begrifflichkeit zu einer Diffamierung der hier beobachteten Glaubensphänomene mißbraucht. Das kommt dabei heraus, wenn man die Pneumatologie bei der Rekonstruktion historischer Zusammenhänge im christlichen Horizont ausklammert. Yorick Spiegel, auf den sich Lüdemann beruft, hatte bereits schon 1973 davor gewarnt, allein psychologische und naturgesetzliche Erklärungen für das Ostergeschehen zu veranschlagen: "Beides ist zusammenzuhalten: Der Glaubensvollzug kann nicht nur am Trauerprozess geklärt werden, ebensowenig bestimmt der Glaubensvollzug allein, wie ein vom Geist bestimmter Trauerprozess verläuft." (Y. Spiegel, Der Prozeß des Trauerns. Analyse und Beratung. München 1986, 6. Aufl., Bd. 1, 318.)

Ich selbst vertrete die Visionshypothese (mit jenen Implikationen, die ich markiert habe) und meine, daß sie nach heutigem Wissen dem historischen Sachverhalt am nächsten kommt. Aber es bleiben bei allen Erklärungsversuchen immer Reste, wenn ich die Gegenwart Gottes in Gestalt des Geistes im Leben Jesu nicht als eine das Geschehen mitbestimmende Ursache anerkenne. Im Moment ist kein wissenschaftlicher Ansatz in Sicht, der eine allbefriedigende Deutung des Ostergeschehens ermöglicht. Vielleicht könnte eine "Phänomenologie des Geistes" hier weiterhelfen.

Die Alternative ist verhängnisvoll: Versuche ich dem zeitgemäßen wissenschaftlichen Anspruch gerecht zu werden, dann geht das irgendwann auf Kosten der Texte, und dann tue ich dem Glauben Gewalt an. Will ich dem Charakter der Ostertexte gerecht werden, dann gelange ich irgendwann an einem Punkt, an dem ich einen wissenschaftlichen Anspruch im herkömmlichen Sinne nicht mehr aufrecht erhalten kann. Ich kann es drehen und wenden wie ich will, die Lage bleibt defizitär. Doch schlußendlich vor die Wahl gestellt, einem (vermeintlich) wissenschaftlichen Anspruch gerecht zu werden oder dem Charakter der Ostertexte und dem Glauben, den sie wecken möchten, würde ich letzterem den Vorzug geben. Lüdemann hat ersteres gewählt.

Publiziert in: Wege zum Menschen, WzM 47, S. 424-426, ISSN 0043-2040 © Vandenhoeck & Ruprecht 1995

Weiterführende Links: Streit um die Auferstehung Jesu bei theology.de.

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