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fachbeitrag: Im Schock der Trauer blühte die Vision

Wie der Osterglaube entstanden sein könnte

eckhard etzold

  1. Die Fragestellung (1)
  2. Die hermeneutische Methode
  3. Die psychische Verfassung der Jünger
  4. Trauerphasen
  5. Auferstehungserscheinungen: Produkt eines einmaligen Trauerprozesses?
  6. Einwände
  7. Verschiedene Erklärungsmodelle
  8. Fazit

"Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: ihr werdet heulen und schreien, aber die Welt wird sich freuen. Ihr werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit soll in Freude verkehrt werden."

Johannes 16,20

  1. Die Fragestellung

    Jesus hat gelebt, durch sein Auftreten die Menschen beeindruckt, und er wurde gekreuzigt. Daran zu glauben, fällt einem nicht schwer. Doch wie verhält es sich mit seiner Auferstehung? An sie zu glauben fällt sogar den Christen schwer, und das hat seine Gründe. Sie paßt nicht in unser Weltbild. Was war die Auferstehung Jesu: Ein Wunder? Eine Scharlatanerie? Oder nur fromme Legende? - Diese Unsicherheit befällt auch viele Gläubige, die zwar glauben möchten, was geschrieben steht, sich aber zugleich auch etwas Begreifbares unter dem vorstellen möchten, was sie glauben sollen.

    Einer, der sich besonders daran stört, was dem aufgeklärten Menschen des 20. Jahrhunderts die christliche Theologie immer noch zumutet, ist der Fernsehmoderator und Schriftsteller Franz Alt. Er schreibt in seinem Jesus-Buch: "Eine bis heute wundergläubige Theologie und Verkündigung erklärt Jesus am Kreuz für tot; verwandelt seine Leiche anschließend in ein Gespenst, das sich je nach Bedarf sichtbar oder unsichtbar machen und schließlich in die Wolken aufschweben kann. Eine Zumutung für jeden denkenden Menschen. Welch primitives Jesus- und welch primitives Gottesbild."(2) Und damit kann sich Franz Alt nicht zufrieden geben. Er will einen Jesus, der ihm nahesteht, als Vorbild und als Mensch, und der deshalb in allen seinen Lebensvollzügen verstehbar sein soll. Wenn da nicht die Auferstehung wäre: Jesus als geisterhaftes Schattenwesen, das wie ein Kinderschreck die Jünger erst einmal das Gruseln lehrt, das paßt doch nicht zu dem sonst so erwachsenen und vernünftigen Jesus, der seiner und unserer Zeit so weit voraus sein soll. Das muß erst noch zurechtgerückt werden.

    Und so erklärt Franz Alt dem fragenden Leser: "Also: Er wurde nicht getötet. Er erlitt nicht die Verwesung, heißt: nicht den endgültigen Tod. Er war bewußtlos. - Einflußreiche Juden um den Jesus-Freund Joseph von Arimathia versorgen den verwundeten und ohnmächtigen Jesus, der dann nach zwei Tagen wieder aufwacht. Nachdem er körperlich wiederhergestellt war, ging Jesus nach Galiläa, wo er seine Leute wiedertraf und mit ihnen aß."(3) Das kommt unserem modernen Bedürfnis nach Erklärungen scheinbar sehr entgegen, und doch kann ich mich damit nicht begnügen. Das ist es ja gerade nicht, was ich als aufgeklärter Christ erwarte: daß die Auferstehung verstehbar wird um den Preis, daß man sie einfach wegerklärt. Ich möchte die Auferstehung verstehen können, damit ich auch weiß, woran ich glaube.(4) Und ich möchte zugleich das Geheimnis wahren, von dem die Menschen berührt wurden, als sie dem Auferstandenen begegneten. Wie ist das möglich?

  2. Die hermeneutische Methode

    Wenn man den Vorgang der Auferstehung verstehen will, hat es keinen Sinn, danach zu fragen, was mit Jesus nach seinem Tode passiert ist und in welcher Daseinsform der Auferstandene existiert.(5) Die Auferweckung Jesu wird im Neuen Testament als eine Tat Gottes aufgefaßt: "Dieses Handeln ist menschlichen Möglichkeiten und damit auch der Historie der Historiker radikal entzogen; es kommt ausschließlich Gott zu"(6), und ist damit kein Ereignis in der Geschichte, das als Faktum der historischen Forschung zugänglich wäre.(7) Auf keinen Fall kann man sich die Auferstehung Jesu in Analogie zur Reanimation eines klinisch Toten vorstellen. Im 1. Kor. 15 heißt es bei Paulus ausdrücklich: "Es wird gesät verweslich und wird auferstehen unverweslich.... Es wird gesät ein natürlicher Leib und wird auferstehen ein geistlicher Leib... auch wird das Verwesliche nicht erben die Unverweslichkeit..." Paulus wehrt sich gegen ein Auferstehungsverständnis, das die neue Verlebendigung eines Leichnams aussagen will.(8) Trotzdem muß dieses Ereignis ja vermittelt worden sein in historische Bezüge. Sonst wüßten wir ja heute nichts darüber.

    Wenn wir also bei Jesus selbst und seiner Seinsform nach dem Tode ansetzen wollen, befinden wir uns auf dem falschen Weg. Vielversprechender ist es da schon, zu fragen, was die Jünger, also die ersten Christen, erlebt und empfunden haben, als sie zu der Gewißheit kamen, Jesus sei von den Toten auferstanden. Doch darüber schweigen die Texte. Was zwischen Karfreitag und Ostern geschah, wird nicht erzählt. Philologisch kommen wir nicht weiter. Da ist eine Grenze, die in der Vergangenheit immer wieder markiert worden ist.

    Jesus ist als der Auferstandene wahrgenommen worden. Dies ist sicher. Doch wie sollen wir uns diese Wahrnehmung vorstellen? Irgendwie müssen die Jünger ja für die neue, andere Gegenwart Jesu nach seinem Tode aufgeschlossen gewesen sein. Das sind sozusagen die psychologischen Grundvoraussetzungen, deren Klärung uns die Ostererlebnisse verständlicher machen soll. Beginnen wir mit dem Naheliegensten: In welcher Verfassung befanden sich die Jünger nach dem Tode Jesu?

  3. Die psychische Verfassung der Jünger

    Die Jünger standen unter Schock. Der Tod Jesu hatte Entsetzen, Trauer und Furcht in ihnen ausgelöst. Ängstlich hielten sie sich vor den Augen der Öffentlichkeit versteckt.(9) Ein direkter Hinweis auf eine Depression unter den Jüngern ist jedoch nicht überliefert, weil man am psychischen Zustand der Jünger kein Interesse hatte.(10) Doch Rückschlüsse auf den Zustand der Jünger lassen sich trotzdem ziehen. Das meint der Prager Neutestamentler Petr Pokorny und vermutet: "Das Schweigen über den Zustand der Jünger zwischen Karfreitag und den Erscheinungen Jesu ist bezeichnend. Die Auslieferung Jesu an die Römer und der schmähliche Tod am Kreuz haben ihre Krise offensichtlich nur vertieft."(11) Doch schon wenige Tage nach dem Tode Jesu verkündete Petrus, der Anführer der Jünger, der totgeglaubte Jesus sei ihm als Lebendiger erschienen.(12) Und die Jünger erlebten einen fast unglaublichen Stimmungswandel von tiefer Enttäuschung zu überschäumender Freude, so daß der Eindruck entstand, hier war etwas völlig Neuartiges passiert, was mit dem Vorherigen in keiner Verbindung mehr stand: "Für die Anfänge der Kirche war eine ekstatische Stimmung bezeichnend, die mit der vorherigen Depression kontrastiert."(13) In der Theologie ist dieser Stimmungsumschwung schon häufig unter dem Stichwort des "Ostergrabens" diskutiert worden, der das Problem umreißt, wie aus dem irdischen Jesus der verkündigte Christus geworden ist. Wie konnte das geschehen? Kam die Auferstehung Jesu für Petrus und die übrigen Jünger wirklich wie ein Blitz aus heiterem Himmel, oder gibt es vielleicht einen geheimen Zusammenhang zwischen den Gefühlen der Trauer(14), die der Tod Jesu in ihnen ausgelöst hatte, und den Auferstehungserscheinungen, von denen sie später zu berichten wußten?

  4. Trauerphasen

    Bis in unser Jahrhundert hinein wußte man relativ wenig über die psychische Verfassung trauernder Menschen. Und das, obwohl fast jeder Mensch in seinem Leben irgendwann um einen anderen trauert - um den Verlust der Eltern, um den verlorenen Lebensgefährten, um den Weggang eines Freundes. Das Wissen um die Trauer veränderte sich jedoch, seitdem man in den sechziger Jahren begonnen hatte, ihrer Erforschung besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Heute weiß man, daß sich der Trauerprozeß in verschiedenen Phasen vollzieht.

    Der Frankfurter Professor Yorick Spiegel unterscheidet vier Phasen des Trauerprozesses, die mehr oder weniger fließend aufeinanderfolgen und in unterschiedlichen Ausprägungen bei vielen Trauernden zu finden sind: Zunächst ist da der Schock, verbunden mit Tränenausbrüchen oder innerer Erstarrung. Nach wenigen Stunden in der Regel ist dieses Stadium durchschritten und es folgt die "kontrollierte Phase". Mag der Name dieser Phase vielleicht suggerieren, der Trauernde habe sich wieder in der Gewalt - das Gegenteil ist der Fall. Die Welt erscheint ihm unwirklich und fremd. Das verunsichert sein Wirklichkeitsempfinden, und er versucht sich zusammenzureißen, um jeden Eindruck des Kontrollverlustes zu vermeiden. Diese kontrollierte Phase wird abgelöst durch die "regressive Phase", in der für den Trauernden die Welt vollends zusammenbricht. Er träumt von dem Verstorbenen, er hofft in kindlicher Weise auf ein Wunder: auf die Wiederkehr des Toten. Und er sieht ihn zum Beispiel plötzlich zur Tür hereinkommen. Nur unter großen Mühen kann der Trauernde nach außen hin den Schein von Normalität wahren. Allmählich vollzieht sich der Übergang zur "adaptiven Phase", in der sich der Trauernde wieder neu der Welt zuwendet.

    Besonders kritisch sieht es in der zweiten und der dritten Phase aus, wo der Trauernde Erfahrungen macht, die ihn irritieren können. Nach dem Tod seiner Frau erzählt ein Geschäftsmann von einem Erlebnis, das ihn innerlich sehr aufwühlte:

    "Ich konnte nicht einschlafen, nachdem meine Frau gestorben war. Ich war oben im Haus (...) und hatte das Fernsehen zum ersten Mal an, nachdem sie gestorben war; und plötzlich sah ich meine Frau, als sei nichts geschehen, in einem dieser Sessel sitzen. Ich floh die Treppe herunter und bin nie mehr in dies Zimmer gegangen. Es war sehr erschreckend."(15)

    Dieses Erlebnis ist gar nicht so ungewöhnlich für Trauernde. In einer Untersuchung über den Trauerprozeß bei verwitweten Frauen wußte fast die Hälfte von ihnen davon zu berichten, wie sie plötzlich dem Verstorbenen wieder begegneten oder wie sie in Personen auf der Straße ihren verstorbenen Gatten wiedererkannt hatten. Tagträume, Halluzinationen und Verwechslungen sind hier nur schwer auseinanderzuhalten. Man meint, die Schritte des Verstorbenen auf der Treppe zu hören und glaubt, die Tür gehe auf:

    "Ich sah Kay, wie er innerhalb der Haustür stand. Er sah aus, wie er immer aussah, wenn er von der Arbeit zurückkam. Er lächelte und ich rannte in seine ausgestreckten Arme, wie ich es sonst immer tat, und lehnte mich gegen seine Brust. Ich öffnete die Augen, und das Bild war verschwunden."(16)

    Yorick Spiegel erklärt dazu: "Visionen dieser Art sind nicht ungewöhnlich für Hinterbliebene, die im übrigen ihre Trauer auf eine `normale' Weise bewältigen. Aber es ist eine Erfahrung, über die Trauernde nur dann sprechen, wenn sie danach gefragt werden."(17)

    Noch häufiger als die Visionen von Verstorbenen sind die Begegnungen mit Verstorbenen in Träumen. Es können dabei Erinnerungen aus dem Leben wieder lebendig werden. Ein 72jähriger Fliesenleger erzählt: "Ich träume auch über sie, sie kommt oft zu mir, wissen Sie, wir lachen miteinander und so; wir sind ständig zusammen und arbeiten zusammen in meinen Träumen. Weil wir manchmal zusammen draußen auf dem Feld vor vielen Jahren arbeiteten, und gewöhnlich hatten wir viel Spaß und machten Albereien draußen in den Feldern; und ich sehe sie in diesem Feld, Sie verstehen, und die Spielereien, die wir gewöhnlich machten."(18) Dem Trauernden geben solche Träume Trost. Sie ermöglichen es ihm, sich mit dem geliebten Menschen wieder zu vereinigen. Sie helfen ihm, sich schrittweise von dem Verstorbenen zu lösen, um ihn dann auf neue Weise wieder für sich zu gewinnen. Dabei können zwei Gruppen von Träumen unterschieden werden: "In der einen ist die tote Person von neuem lebendig und gesund, und die vergangenen glücklichen Erfahrungen können wiederholt werden. In der anderen Gruppe erscheint der Tote als verletzt und verletzend, verfolgt und verfolgend, er trägt das Leichenkleid und hat die Zeichen seiner Krankheit oder seiner Verletzung an sich."(19) Die Begegnungen mit Verstorbenen in Träumen und Visionen gehören zum natürlichen Trauerprozeß, und es spricht nichts dagegen, diese Vorgänge als normale menschliche Reaktionen auf den Verlust eines geliebten Menschen zu werten. In ihnen kommt symbolhaft zum Ausdruck, daß der Verstorbene nicht einfach fort ist, sondern in der Welt des Trauernden neu aufersteht und in veränderter Form weiterexistiert. Das kann den Trauernden Trost und neuen Mut geben, sich dem Leben wieder zuzuwenden. Nicht ungewöhnlich ist auch das Gespräch mit dem Verstorbenen am Grabe oder abends vor dem Einschlafen, in dem der Trauernde Rat und Hilfe für seine Lebensbewältigung finden kann. Mögen diese Symptome auch Skepsis auslösen, man wird dem Erleben des Trauernden nicht gerecht, wenn man diesen Erfahrungen grundsätzlich die Realität abspricht und sie pauschal als Sinnestäuschungen oder pathologische Erlebnisweisen abtut, die möglichst schnell überwunden werden müssen.

    Mit dem Übergang zur vierten Trauerphase, in der sich der Trauernde der neuen Wirklichkeit anpaßt, und der Verstorbene für ihn in veränderter Gestalt, nicht mehr auf körperlich und sinnlich wahrnehmbare, aber doch auf unsichtbare Weise gegenwärtig ist, verblassen auch die Träume und die Halluzinationen von der Wiederkehr des Verstorbenen. Sie werden seltener und undeutlicher.

  5. Auferstehungserscheinungen: Produkt eines einmaligen Trauerprozesses?

    Damit hätten wir in groben Linien den Trauerprozeß beschrieben, soweit er für unsere Überlegungen wichtig ist.(20) Nach dem, was wir über den Trauerprozeß jetzt wissen, können wir davon ausgehen, daß Simon Petrus wie auch die übrigen Jünger nach dem Tode Jesu sich in Trauer befanden. M.E. ist Johannes 16,20-23 ein später Reflex, in dem sich dieses Wissen aufbewahrt hat. Im Zusammenhang mit der Verheißung des Parakleten prophezeiht Jesus seinen Jüngern: "Ihr werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit soll in Freude verkehrt werden."(21) Können wir davon ausgehen, daß es sich bei den Trauerphasen um so allgemeine menschliche Phänomene handelt, daß sie zu allen Zeiten und bei allen Menschen auftreten (was jedoch nicht mit Sicherheit behauptet werden kann, da wir nur wenig über die psychische Verfassung der Jünger wissen), so dürfen wir die Vermutung wagen:

    Wenige Tage nach dem Tode Jesu befanden sich die Jünger in jenen Trauerphasen, in denen die Hinterbliebenen unter anderem die Wiederkehr des Verstorbenen in Tagträumen oder Visionen erleben. Und ausgerechnet in diesen Zeitabschnitten verbreitet sich unter den Anhängern Jesu das Gerücht, einige von ihnen hätten Jesus selbst gesehen und wiedererkannt. Auf unerklärliche Weise erschien er vor ihren Augen, löste Entsetzen und spontane Freude aus, und verschwand wieder.

    Die Vermutung liegt nahe, daß die Auferstehungserscheinungen der Jünger, über deren Zustandekommen bis heute noch gerätselt wird, vielleicht nichts anderes gewesen waren als Visionen von Verstorbenen, wie sie für den natürlichen Trauerprozeß typisch sind, in denen die unverhoffte Wiederkehr des Toten tagtraumartig erlebt wurde.(22) Yorick Spiegel bemerkt ganz allgemein, ohne diese Spur weiter zu verfolgen: "Was die Jünger als die Vorbilder der Glaubenden in Fortgang und Rückkehr Jesu erfahren, steht in enger Verbindung zu dem, was ein Trauernder erfährt."(23) Wir wollen zunächst Argumente sammeln, die für diese Erklärung der Auferstehungserscheinungen als Folge eines Trauerprozesses sprechen:

    1. Die Auferstehung Jesu selbst war kein historisches Ereignis! Folglich gab es keine Zeugen, die bei der Auferstehung zugesehen haben, die also beschreiben könnten, wie sie vor sich gegangen ist. Was uns überliefert ist, sind Visionen, sind Erscheinungen des totgeglaubten Jesus, der den Jüngern plötzlich als Lebender wieder begegnet. Beim Apostel Paulus finden wir die älteste Erwähnung dieser Auferstehungserscheinungen im Neuen Testament. Nach Paulus war der erste Jünger, der eine solche Erscheinung hatte, Simon Petrus. Ihm folgten die zwölf Jünger und weitere Anhänger Jesu. Zuletzt erschien der Auferstandene auch Paulus selbst (1. Kor. 15,1-8).

    2. Man muß sich von dem Gedanken freimachen, daß die Auferstehung von den Jüngern ersehnt oder erhofft wurde. Das Gegenteil ist der Fall: Die visionäre Rückkehr des Verstorbenen heute flößt den Trauernden oft einen großen Schrecken ein. Und auch die Rückkehr Jesu mußte gefürchtet werden, am meisten von demjenigen Jünger, dem die erste Auferstehungserscheinung zuteil wurde: Simon Petrus. Er hatte Jesus noch vor seinem Tod dreimal verleugnet und wurde auch sonst kaum den Ansprüchen gerecht, die Jesus an ihn stellte. Eine Wiederbegegnung mit Jesus mußte gezwungenermaßen in ihm die heftigsten Schuldgefühle wecken, - er konnte sie sich wahrscheinlich nur als bösen Alptraum vorstellen, in dem Jesus ihn - zurecht - anklagen und wegen seiner Verfehlungen zur Rede stellen würde. Aber auch die anderen Jünger, die in der Stunde seiner Verhaftung geflohen waren, standen nicht besser da.(24)

    3. Der Neutestamentler Ulrich Wilckens möchte sogar davon ausgehen, daß dem Simon Petrus als einzigem der Jünger eine Auferstehungserscheinung zuteil wurde, der daraufhin die anderen Jünger um sich sammelte: "Durchweg werden nämlich in jüdischer Überlieferung Visionen von einzelnen erfahren, nicht von Gruppen."(25) Die Zwölf und die 500 Brüder im ferneren Umkreis wären demnach nicht echte Auferstehungszeugen, sondern lediglich die Gruppe, die Petrus aufgrund seiner Vision gegründet hatte, und die die Echtheit seiner Vision legitimierte. Träfe diese Annahme zu, so würde das unser Erklärungsmodell von den Auferstehungserscheinungen als Konsequenz eines Trauerprozesses nur noch erhärten.

    4. Auch die Geschichte der Emmausjünger (LK. 24,13-35) ließe sich vom Trauerprozeß her erklären. Daß man meint, den Verstorbenen plötzlich auf der Straße zu sehen und im nächsten Augenblick feststellt, man habe sich getäuscht, weil sich die Erscheinung in Luft auflöst, könnte die Ausgangsszene gewesen sein, aus der sich in einem längeren Traditionsprozeß die Emmausgeschichte entwickelt hat, mit dem Wiedererkennen des Fremden durch eine ihm typische Geste, die sich den Trauernden einprägte, und seinem anschließenden Verschwinden.(26)

    5. Diese Erscheinungen des Auferstandenen waren freilich mit dem Zweifel an der Wirklichkeit der Wahrnehmung behaftet wie er allen visionären Erfahrungen zueigen ist. Anfangs war das kein Problem für die ersten Christen. Doch später, als diese Visionen die Zeitgenossen nicht mehr überzeugten, wurden die Auferstehungserzählungen mit Details ausgeschmückt, die die Wirklichkeit der Auferstehung unterstreichen sollten. Nach Markus war das Grab am Ostermorgen leer.(27) Jesus erscheint im Evangelium des Lukas mit den Wundmalen der Kreuzigung und ißt vor den Augen der Jünger ein Stück gebratenen Fisches. Beim noch späteren Johannes bietet Jesus dem ungläubigen Thomas sogar an, seine Hände in die Wundmale legen, um sich von der Wirklichkeit der Auferstehung zu überzeugen (doch Thomas tut es nicht). Diese Ausschmückungen der Auferstehungsberichte werden von den meisten Theologen heute angezweifelt. Die Motive für diese Ausschmückungen liegen in der Bemühung, auch die Gegner des Christentums zu überzeugen und Jesus sozusagen in den Erzählungen vor den Augen der Gemeinde leibhaftig erscheinen zu lassen. Darüberhinaus besitzen sie substanzmetaphysisch keinen eigenen Wirklichkeitsgehalt. Wenn die Jünger Jesu also nach seinem Tod um ihn trauerten, was z.B. Johannes voraussetzt (vgl. Joh. 16,20ff.), können diese Visionen Teil des Trauerprozesses sein, in denen die unverhoffte Wiederkehr des Toten tagtraumartig erlebt wird.(28)

    Exkurs: Die neue Mythosforschung und das leere Grab

    Im Rahmen der neueren Mythosforschung wird dagegen der Glaube an das leere Grab und die leibliche Auferstehung sogar gefordert, so Kurt Hübner im Rahmen seiner Beschäftigung mit der Wahrheit des Mythos: "Wo die physische Auferstehung Christi nicht ohne Wenn und Aber geglaubt wird, wozu gehört, daß sie auch anschaulich muß vorgestellt und bezeugt werden können, da wird erst recht nicht die eigene Auferstehung zum ewigen Leben geglaubt. (...) Wo lebendig geglaubt und nicht nur philosophisch-wissenschaftlich argumentiert wird, da wird auch mythisch erlebt, man drehe und wende es wie man will."(29) Hübners Forderung, an die leibliche Auferstehung zu glauben, leuchtet zwar im Zusammenhang des Mythos von der Erlösung ein, läßt sich aber m.E. gerade nicht mit unserem heutigen Wissen über die Entstehung und Bedeutung der Ostererzählungen in Einklang bringen. Der Theologe hat es mit zwei Wahrheiten zu tun, der historisch-kritischen und der mythologischen. Wie können sie vermittelt werden? Hübner scheint das Problem der Theologen nicht erkannt zu haben, denn er führt die Kritik der Theologen auf weltanschauliche Voreingenommenheit zurück: "Die Meinung, die leibliche Auferstehung sei unannehmbar, ist im übrigen heute unter den Theologen noch weiter verbreitet, als zu Bultmanns Zeiten. Fragt man warum, so bekommt man auch stets die gleiche Antwort, nämlich: Weil dies den Naturgesetzen widerspricht."(30) So einfach geht es nicht. Entsprang die Kritik an der leiblichen Auferstehung nicht der Einsicht in den Charakter der Texte selbst? Wie weltanschaulich voreingenommen ist die Exegese - mit Recht oder zu Unrecht? Welche Hermeneutik ist denn nun den Texten angemessen? - An anderer Stelle beschreibt Hübner genau das Problem, wenn es um die Vermittlung von Denken und Glauben geht: "Wenn sich also auch, wie gesagt, im gegebenen Zusammenhang keine sichere Vorhersage für die Zukunft machen läßt, so darf man doch andererseits vermuten, daß die Epoche einseitiger wissenschaftlich-technischer Prägung ihren Höhepunkt bereits überschritten hat. Aber wenn vorangegangene Erfahrungen nicht gänzlich wieder vergessen werden können, so läßt sich für die Zukunft nur eine Kulturform vorstellen, in der Wissenschaft und Mythos weder einander unterdrücken noch unverbunden nebeneinander bestehen, sondern in eine durch das Leben und das Denken vermittelte Beziehung zueinander treten. Wie das aber möglich sein soll, davon wissen wir heute noch nichts."(31) Muß ich mein historisch-kritisches Wissen ausblenden, wenn ich mythisch leben und erleben will? Ist es mir verwehrt, mythisch zu erleben, wenn ich auf denkerischen Wege hinter den Mythos zurückfrage nach dem, was ihn ins Leben setzte? Es scheint beides zu gehen, allerdings um den Preis der (scheinbaren) Rechtgläubigkeit: Der Mythos wandelt sich und das Denken ebenfalls, und das ist es, was beunruhigt.

    Paulus denkt auch konsequenterweise nicht daran, die Auferstehung Jesu nach Art der Wiederbelebung einer Leiche sich vorzustellen, wie es vor allem Lukas anschaulich beschreibt. Für ihn gibt es zwischen dem irdischen Leben und dem Auferstehungsleben einen Bruch: der irdische Leib verwest, auferstehen wird ein Geistleib (1. Kor. 15,42), und der ist völlig anders beschaffen als der irdische Leib (Wahrscheinlich gibt Paulus hier Schlußfolgerungen wieder, die er aus dem Nachdenken über seine Auferstehungserscheinung bei Damaskus gewonnen hat). Das Insistieren auf dem leeren Ostergrab als Beweis für die Wirklichkeit der Auferstehung würde dagegen eine Kontinuität zwischen der irdischen Leibexistenz und der pneumatologischen Leibexistenz annehmen, die jenen Bruch in der Auferstehungsargumentation überspielen würde, von der das ganze 15. Kapitel des ersten Korintherbriefes lebt. Und auch der Gedanke, daß der Leichnam Jesu im Grabe verwest, während seine Anhänger ihm als Auferstandenen begegnen, würde für die paulinische Rechtfertigungs- und Erlösungslehre keinen Abbruch bedeuten. Freilich stellt sich bei diesem Denkansatz das Problem der Kontinuität zwischen der irdischen Existenz und der Auferstehungsexistenz, das in der Evangelischen Dogmatik (hauptsächlich im Gefolge der dialektischen Theologie) ausgiebig diskutiert wurde.(32)

    Die Evangelisten deuten dagegen die Auferstehung Jesu auf dem Hintergrund von Hes. 37 und müssen sich daher die Auferstehung im physisch-realen Sinne vorstellen, bei der, wenn sie so stattgefunden haben sollte, das Grab leer sein mußte.(33) Dieses Verständnis ist zwar im jüdischen Denkhorizont plausibel und nachvollziehbar, aber die angenommene Substanzkontinuität zwischen irdischer Leiblichkeit und Auferstehungsleiblichkeit verdeckt das völlig Andersartige der Auferstehungsexistenz, von der das Denken des Paulus beherrscht wird. Es ist die Frage, ob die Identifizierung des Auferstandenen mit dem irdischen Jesus sich nicht an anderen Merkmalen festmacht als an der Substanzkontinuität, und ob diese nicht viel mehr Mißverständnisse heraufbeschwört, als der Interpretationsansatz des Paulus, der ohne sie auskommt?

    Die Leiblichkeitsvorstellungen des Paulus und der Evangelisten bei der Auferstehung Jesu stellen zwei verschiedene hermeneutische Zugänge zum Osterereignis dar, von denen der des Paulus der ältere sein dürfte, der zugleich dem neuzeitlichen theologischen Interesse am weitesten entgegenkommt.

    6. Die Erscheinungen ereigneten sich nur während eines kurzen Zeitraums. Nach dem lukanischen Bericht umfaßt dieser Zeitraum 40 Tage, das ist die Zeit zwischen Ostern und Himmelfahrt. Entsprechendes erfahren wir auch über die Visionen bei Trauernden. Mit der Abnahme der Trauer und dem Übergang zur vierten Phase, in der sich der Trauernde der neuen Wirklichkeit anpaßt, werden auch die Visionen und die Tagträume seltener, in denen die Wiederkehr des Verstorbenen erlebt wird. Da ist es nicht verwunderlich, wenn auch die Auferstehungserscheinungen plötzlich ein Ende haben.

    7. Desweiteren kamen Auferstehungserscheinungen nur bei Menschen vor, die schon vorher ein besonders inniges Verhältnis zu Jesus hatten: die Jünger und die Frauen, die Jesus nachfolgten. Jedoch von Menschen, die Jesus feindlich gesonnen waren, wie zum Beispiel Pontius Pilatus, den Hohenpriestern oder den Pharisäern, wurden keine Auferstehungserscheinungen berichtet. Das fiel schon den frühesten Kritikern des Christentums auf: "Als ihm bei seinem leibhaftigen Auftreten nicht geglaubt wurde, verkündete er maßlos allen; als er aber, nachdem er von den Toten auferstanden war, einen starken Glauben hervorgerufen hätte, erschien er nur einem einzigen Weibsbild und seinen Vereinsgenossen heimlich und nebenbei."(34) Ebenso wird heute die Wiederkehr eines Verstorbenen auch nur von jenen Trauernden erlebt, die zum Verstorbenen eine intensive persönliche Beziehung hatten.

  6. Einwände

    Kommen wir jetzt zu den Punkten, die gegen diese Erklärung sprechen, wonach die Auferstehungserscheinungen nur tagtraumähnliche Visionen eines intensiven Trauerprozesses sind:

    1. An die Stelle des geliebten Menschen tritt bei den Visionen während des Trauerprozesses "ein Bild des Geliebten - ein verblaßtes Bild, ein aufgewertetes Bild, zugleich aber auch ein abgewertetes Bild, aber kein wirklich lebendiges mehr"(35). Der Trauernde ist sich dessen bewußt und erkennt oft sehr schnell und schmerzhaft, daß er einer Sinnestäuschung auf den Leim ging. Von den Jüngern wird jedoch übereinstimmend erzählt, ihnen erschien der vorher tote Jesus als Lebender, von einer Lebendigkeit erfüllt, die auf sie alle ansteckend wirkte und sie in Begeisterung versetzte. Dieses Phänomen läßt sich aus unserer Kenntnis des Trauerprozesses allein nicht mehr erklären. Hier wird in den möglichen psychologischen Auswirkungen des Trauerprozesses noch eine andere Kraft wirksam, die im Neuen Testament als Geist Gottes bezeichnet wird, und von der Jesus schon zu seinen Lebzeiten beherrscht wurde. Es ist die Erfahrung unmittelbarer Gottesgegenwart, die auf die Menschen belebend und begeisternd wirkt. Die Geistbegabung, über die Jesus zu seinen irdischen Lebzeiten verfügte, sprang nach seinem Tod auf seine Jünger und Anhänger über, die sich gerade mitten in einem Trauerprozeß befanden. Die psychischen Begleitphänomene des Trauerprozesses wurden durch die Geistmitteilung nicht unterdrückt und aufgelöst, sondern aufgenommen und so umgeformt, daß die raumzeitliche Wirklichkeit durchlässig wurde für die Wahrnehmung der eschatologischen Wirklichkeit, in der Jesus als Auferstandener existiert.

    Jede Vermittlung von eschatologischen Sachverhalten, die sich menschlicher Wahrnehmung entziehen (und die Auferstehung Jesu ist ein solcher Sachverhalt!), in ontisch-raumzeitliche Bezüge geschieht im Neuen Testament durch den Geist Gottes, der durch psychische und pneumatische Wirkungen die menschliche Wahrnehmung für eschatologische Sachverhalte empfänglich macht. Das tut er, wenn wir von heutigen Geisterfahrungen in der charismatischen Bewegung rückschließen können auf urchristliche Verhältnisse, indem er an natürliche Erfahrungen anknüpft, und diese läutert und intensiviert. In unserem Falle würde das heißen: Dieser Gottesgeist hauchte den sonst schemenhaften Visionen erst jenes Leben ein, das in dem Empfänger der Vision zu der Erkenntnis führte, hier tritt etwas Neues von außen an ihn heran, das sich nicht mehr allein als Produkt der seelischen Innenwahrnehmung erklären läßt. Wären die Visionen des natürlichen Trauerprozesses ausgeblieben, so hätte sich der Geist einen anderen Anknüpfungspunkt gesucht, und die Vermittlung der eschatologischen Wirklichkeit von der Auferstehung Jesu hätte im Rahmen einer anderen (psychischen?) Prädisposition stattgefunden (was beim Apostel Paulus der Fall gewesen ist, wie wir noch sehen werden).

    2. Während in "normalen" Trauerprozeß die Trauernden sehr schnell zu der Einsicht kommen, daß es sich bei ihren Visionen nur um Trugbilder, um Halluzinationen handelt, ereignete sich in der Trauer der Jünger das genaue Gegenteil: Sie kamen aufgrund ihrer Visionen zu der Überzeugung, daß der Inhalt ihrer Visionen keine Einbildung, sondern Wahrheit ist: Dieser Jesus, den sie in ihren Visionen wiedererkannten, lebte. Oder etwas ausführlicher gesagt: In den Halluzinationen des "normalen" Trauerprozesses sieht sich der Trauernde mit einer Wirklichkeit des Verstorbenen konfrontiert, die er schnell als Täuschung entlarvt. In den Ostererzählungen der Evangelisten wird jedoch die gegenläufige Tendenz sichtbar, am deutlichsten bei Lk. 24,36-53: Zuerst meinen die Jünger, bei der Erscheinung Jesu handele es sich um ein Trugbild, ein Gespenst, womit zumindest angedeutet ist, daß bei ihnen ein Wissen um die halluzinative Wiederkehr des Verstorbenen in der Trauerzeit vorhanden gewesen sein muß. Wie dem normalen Trauerprozeß angemessen, rationalisieren sie diese Erscheinung, in der Erwartung, daß sie sich anschließend in Luft auflöst. Doch ihre Erwartung wird enttäuscht: Die Erscheinung Jesu löst sich nicht auf, sondern dringt mit einer Wirklichkeit auf sie ein, der sie sich nicht mehr entziehen können.

    3. Das besagt für das Realitätsprinzip: Die Realitätsanpassung im normalen Trauerprozeß läuft über die vermeintlich wahrgenommene Wirklichkeit zur Einsicht des halluzinativen Charakters der Wahrnehmung. Doch im Falle Jesu beschreiben die Evangelisten eine Realitätsanpassung, die vom anfänglich scheinbar halluzinativen Charakter der Wahrnehmung (was sich als Irrtum herausstellt) zur Wirklichkeit des Gesehenen verläuft. Ursache und treibende Kraft dieser gegenläufigen Bewegung ist wiederum der Geist (pneuma), der auch die treibende Kraft bei der Auferstehung Jesu gewesen ist (Röm. 8,11) und dieses Ereignis, - wie alle eschatologischen Sachverhalte -, unter den Bedingungen von Raum und Zeit vermittelt (1. Kor. 2,9f).

    4. Ein weiterer Einwand: Nicht alle Auferstehungserscheinungen stehen im Zusammenhang mit einem Trauerprozeß. Völlig aus dem Rahmen fällt der Apostel Paulus, dessen Auferstehungsvision schon in der frühesten Christenheit heftig umstritten war. Er bekennt von sich, Jesus auch als Auferstandenen gesehen zu haben. Doch vieles, was wir über die Trauer der Jünger und ihre Erscheinungen zusammengetragen haben, kann auf Paulus nicht zutreffen. Er hatte Jesus nicht zu seinen Lebzeiten gekannt. Er empfand keine Trauer über seinen Tod. Ja, er gehörte sogar zu den ausgesprochenen Feinden Jesu und verfolgte die Jesusanhänger. Trotzdem wurde ihm im zeitlichen Abstand von höchstens zwei Jahren bei Damaskus eine geistgewirkte Auferstehungsvision zuteil, in der ihm Jesus begegnete. Das machte einige Zeitgenossen mißtrauisch. Der Evangelist Lukas bestritt in seiner Apostelgeschichte schlichtweg, Paulus sei eine Auferstehungserscheinung zuteil geworden. Für Lukas ist mit der Himmelfahrt Jesu die Zeit der Erscheinungen abgeschlossen und entsprechend nimmt Paulus bei Damaskus nur ein helles Licht und eine Stimme wahr(36), kein Gesicht und keine Person. Doch in 1. Kor. 9,1 stellt er die rhetorische Frage: "Habe ich nicht Jesus, unseren Herren, gesehen?", womit wohl ein Sehen Jesu zu dessen irdischen Lebzeiten ausgeschlossen sein dürfte. Zieht man weitere Briefstellen hinzu (1. Kor. 15,8; 2. Kor. 4,6), so kommt man zu dem Ergebnis: "Paulus hat in seiner Christusvision Jesus gesehen, wie Gottes Licht auf ihm lag; er hat ihn im Glanz himmlischer Verherrlichung geschaut."(37) Jesus erschien ihm dabei nicht in irdischer oder stofflicher Leiblichkeit, sondern in einer anderen Gestalt, über deren Erscheinungsweise wir nur mutmaßen können.(38)

    Heute ist die Auferstehungserscheinung des Paulus weitgehend anerkannt, - vielleicht ist er sogar der einzig legitime Osterzeuge, denn er ist der einzige Schriftsteller im Neuen Testament, der nach eigener Aussage den auferstandenen Jesus selbst gesehen hat. Alle anderen Erwähnungen der Auferstehung sind nur Nachrichten aus zweiter oder dritter Hand. Wir müssen sogar noch einen Schritt weitergehen: Die Auferstehungserscheinung des Paulus ist ein besonderer Fall, der sich von den anderen Erscheinungsberichten in seinen Rahmenbedingungen stark abhebt. Gerade weil sie sich nicht aus einem Trauerprozeß oder anderen psychischen Prozessen erklären läßt und rein geistgewirkt zu sein scheint, verdient sie besondere Beachtung.(39)

  7. Verschiedene Erklärungsmodelle

    Halten wir als Ergebnis unserer Überlegungen fest: Es gibt zwei Möglichkeiten, die Auferstehung zu erklären. Die erste besagt:

    1. Die Auferstehung ist ein authentisches Ereignis, in dem die Menschen die Begegnung mit einem realen Wesen erlebten, dem nach dem Tod ein neues Leben zuteil wurde, das nicht mehr durch die Grenzen von Geburt und Tod eingeschränkt ist. Dadurch verliert jedoch das "alte" Leben des historischen Jesus viel von seiner Bedeutung. Denn die Auferstehung wäre dann ein Ereignis, hinter dem das vorherige Leben Jesu geradezu im Auferstehungslicht verblaßt. Dieses Auferstehungsverständnis finden wir bei Paulus: "Ist aber Christus nicht auferstanden", schreibt er, "so ist unsere Predigt vergeblich." (1. Kor. 15,14) Und entsprechend interessiert er sich nicht für das irdische Leben Jesu: "Selbst wenn wir Christus in seinem irdischen Leben gekannt hätten, kennen wir ihn jetzt so nicht mehr" (2.Kor. 5,16). Nur als Gekreuzigten will er den irdischen Jesus gelten lassen. Vielleicht hat Paulus deshalb nie die Mühe unternommen, ein Evangelium zu schreiben, wie es nach ihm die Evangelisten taten. Auch die Trauer um Jesus spielt für sein Denken keine Rolle. Daß das Leben Jesu und seine Botschaft auch noch einen Sinn hätte, wenn er nicht auferstanden wäre, das ist ein Gedanke, der Paulus nie in den Sinn gekommen ist.

    Dieses Auferstehungsverständnis entspricht zwar dem biblischen Zeugnis, aber es wirft nicht unerhebliche Probleme auf hinsichtlich seiner Vermittlung: Wie kann ein Mensch imstande sein, ein "Lebewesen" wahrzunehmen, dessen Daseinsform nicht mehr den Veränderungen des Werden und Vergehens unterworfen ist? Wie macht sich solch ein Lebewesen bemerkbar?

    2. Die andere Möglichkeit, die Auferstehung zu erklären, besagt: Es hat nur die Auferstehungserscheinungen gegeben, und bei diesen Auferstehungserscheinungen handelt es sich um Visionen, die die Folge eines intensiven Trauerprozesses sind.(40) Diese Hypothese hätte für sich, daß sie scheinbar ohne die Annahme eines metaphysischen Eingriffes von oben auskäme: In der Trauer um den Verlust Jesu wurde den Jüngern klar, was der Welt verloren ging, als Jesus starb. In tagtraumähnlichen Visionen erlebten die Jünger die Rückkehr des totgeglaubten Jesus. Diese Visionen verselbständigten sich. Die Jünger hielten schließlich das Bild des Verstorbenen für eine lebendige Person, und die Grenze zwischen Einbildung und Wirklichkeit verschwamm.

    Wir hätten es hier also mit einem einzigartigen Trauerprozeß zu tun, in dem sich den Jüngern der Sinn des Lebens Jesu, der ihnen vorher verschlossen war, ganz neu erschloß.(41) Nicht die Auferstehung selbst, sondern das irdische Leben Jesu gerät bei diesem Auferstehungsverständnis in den Mittelpunkt. Den Jüngern wurde in der visionären Wiederbegegnung mit dem totgeglaubten Jesus der die Bedeutung des Lebens und Sterbens Jesu erst wirklich bewußt. Im Rahmen der jüdisch-apokalyptischen Vorstellung von der Totenauferstehung am Ende der Zeiten (Dan. 12,2f.; Hes. 37,1-14) konnten diese Erscheinungen von den Jüngern mythologisch nur als Auferstehung Jesu von den Toten begriffen und interpretiert werden.

    Streng genommen wäre im Rahmen des Trauerprozesses und seiner Realitätsbewältigung die Auferstehung Jesu aber nichts anderes als die Sichtbarwerdung der Gottesgegenwart, von der das ganze irdische Leben Jesu durchdrungen war. In der folgenden Trauerarbeit wurde daher das vergangene Leben Jesu erinnert und unter dem Aspekt der Gottespräsenz neu psychisch und theologisch verarbeitet, was die unbewußte Motivation der Evangelienbildung gewesen sein dürfte.

    Dieses Auferstehungsverständnis wird im Neuen Testament am deutlichsten beim Evangelisten Markus sichtbar. Sein Evangelium stellt das Leben und die Wirkung Jesu in den Mittelpunkt, wobei die besondere Betonung auf den Umständen seines Todes liegt, die im Leser jene Trauer- und Ohnmachtsgefühle hervorrufen, die unter den ersten Christen vorherrschten. Das Markusevangelium endet mit den Frauen am Grab. Auf die Auferstehungserscheinungen geht Markus nicht mehr ein. Das ist schon früh als Mangel empfunden worden, und man hat diesen Mangel auf verschiedene Weise zu erklären versucht. Vielleicht liegt es einfach daran: Die Erscheinungen sind für Markus unwesentlich. Denn mit dem Leben und der Wirkung Jesu auf seine Zeitgenossen ist für ihn bereits alles wesentliche über Person und Bedeutung Jesu gesagt. Alles andere, was noch folgen könnte, würde dem nichts Neues mehr hinzufügen.

    Wir stehen jetzt vor der Alternative: Schlagen wir uns auf die Seite des Paulus mit der unbedingten Wirklichkeit des Auferstandenen, dann wird das irdische Leben und die Wirkung Jesu auf seine Zeitgenossen weitgehend uninteressant. Im Zentrum steht hier nur noch der gekreuzigte und auferstandene Christus und die Bedeutung seiner Auferstehung für die Zukunft der Welt. Oder schlagen wir uns auf die Seite des Markus mit seinem Desinteresse an der Darstellung des Osterereignisses, dann rückt das Leben Jesu und die Trauer der Jünger in den Mittelpunkt des theologischen Interesses. Beide Möglichkeiten stehen uns vom Neuen Testament her offen, wobei die erste Möglichkeit die Frage offenläßt, wie der Auferstandene überhaupt von den ersten Zeugen wahrgenommen werden konnte, und die zweite Möglichkeit die reale Auferstehung Jesu von den Toten unter einen starken Illusionsverdacht stellt.

    Wir kommen dem wahren Sachverhalt vielleicht am nächsten, wenn wir, wie schon angedeutet, beide Deutungen der Auferstehung miteinander verbinden (unter dem Vorbehalt, daß wir zuerst die spezielle Auferstehungserscheinung des Paulus ausklammern, die sich in völlig anderen Zusammenhängen ereignete): In der Trauer um Jesus wurde den Jüngern klar, was der Welt verloren ging, als Jesus starb. In tagtraumähnlichen Visionen erlebten die Jünger die Rückkehr des totgeglaubten Jesus. Diese Visionen waren jedoch nicht schemenhaft und flüchtig, wie es sonst für den Trauerprozeß typisch ist, sondern sie wurden durch eine sie begleitende ekstatische Geisterfahrung mit Leben erfüllt, so daß die Jünger eine reale Begegnung mit einer lebendigen Person erlebten, deren Tod sie vorher betrauerten, und zu dem Glauben kamen, Jesus sei wahrhaftig von den Toten auferstanden. Diese Geisterfahrung der Jünger war die Fortsetzung der Geisterfahrung Jesu, von der das Leben Jesu seit seiner Taufe bestimmt war. Es ist derselbe Geist gewesen, der Jesus die Vollmacht verlieh und ihn in der Gewißheit einzigartiger Gottesnähe leben ließ, der sein Leben über den Tod hinaus verwandelte in eine neue Existenz, und der die "flüchtigen" Trauervisionen mit Leben erfüllte und von diesem Moment an auch das Leben seiner Nachfolger bestimmte. Wenn Jesus auch starb und von dem Moment an in eschatologischer Entzogenheit beim Vater existierte, so setzte sich seine Geisterfahrung in seinen Jüngern fort.

    Zieht man die Erfahrungen des Paulus hinzu, so kann man sogar davon ausgehen, daß Jesus ihnen in einer veränderten Gestalt erschien, nämlich durchdrungen und umgeben vom göttlichen Lichtglanz(42), der zeigte, wie sehr dieser Mensch Jesus durch Gott und von Gott her lebte. Der besondere geistgewirkte Charakter dieser Visionen beseitigte in den Auferstehungszeugen jeden Zweifel an der Wahrheit des Gesehenen, wie er sonst mit Trauerhalluzinationen verbunden ist.

    Das blieb nicht ohne Folgen für die psychische Verfassung der Jünger: Daß ein Mensch nach seinem Tode als lebendiges Gegenüber erfahren werden konnte, mußte die Jünger förmlich außer sich geraten lassen. Sie standen unter Schock und besaßen im ersten Moment nicht die Möglichkeit, mit Worten ihrer Muttersprache das ihnen Widerfahrene angemessen auszudrücken. Da brach sich das Unterbewußte unter dem Druck des Entsetzens und des Erstaunens seine eigene Bahn: Die Sprache explodierte sozusagen. Nur in den unverständlichen Worten und Lauten der Glossolalie konnten die Empfindungen geäußert werden, die die Auferstehung Jesu in ihnen ausgelöst hatte. Nachdem die frühen Christen auf diese irrationale Weise ihren Gefühlen des Erstaunens und der Freude freien Lauf gelassen hatten, wurden sie fähig, das ihnen Widerfahrene auch in verständlichen Worten mitzuteilen.

    Wir können uns die Entstehung der urchristlichen Glossolalie anhand eines Gleichnisses noch besser vor Augen führen: Wenn im Baum vor dem Fenster mit lautem Knall ein Blitz einschlägt, so wird die erste Reaktion ja nicht darin bestehen, sachlich und mit ruhigem Tonfall den Mitbewohnern im Haus mitzuteilen: "Im Baum da draußen ist ein Blitz eingeschlagen!" Sondern Entsetzen, Schreie und Ratlosigkeit sind die ersten Reaktionen; und das, was verbal geäußert wird, ist aufgrund der Gefühlsaufwallung kaum verständlich. Erst nachdem man sich durch einen Aufschrei und durch aufgeregtes Stammeln seelisch Luft gemacht hat, ist man soweit zur Ruhe gekommen, um sachlich über das Vorgefallene reden zu können. Ähnlich brach am Pfingsttag (wobei heute angenommen werden kann, daß Ostern und Pfingsten nur zwei Seiten ein- und desselben Ereignisses sind, die Lukas aufgrund seiner Geschichtskonzeption auseinandergerissen hat) das Erstaunen und die Osterfreude in den unverständlichen Lauten der Glossolalie hervor (Apg. 2,4), und danach folgte (in der Pfingstpredigt des Petrus) die rational und sachlich angemessene Mitteilung über das Vorgefallene: "Diesen Jesus hat Gott auferweckt; des sind wir alle Zeugen." (Apg. 2,32)

    Das Ostergeschehen war so etwas wie ein religiöser Urknall und entfachte eine enorme Kreativität, die im völligen Widerspruch zu dem stand, was nach dem Tode Jesu und dem Scheitern seiner Lebensaufgabe zu erwarten war. Mit der Freude über die neugewonnene Gegenwart des verstorbenen Jesus wurde der Trauerprozeß jedoch abgebrochen. Und damit erloschen wahrscheinlich auch die Visionen, in denen die Wiederkehr des Verstorbenen erlebt wurde, wie sie für den Trauerprozeß typisch sind. Die Freude über die Rückkehr Jesu von den Toten führte also zum plötzlichen Erlöschen der Auferstehungserscheinungen unter den Jüngern.

    Man könnte auch sagen: Die Auferstehungserscheinungen waren selbst die Ursache ihres späteren Ausbleibens, indem sie in den Trauernden eine Freude auslösten, die dem Trauerprozeß (und den mit ihm verbundenen Erscheinungen) ein plötzliches Ende bereitete. Das stellte die ersten Christen vor ein neues Problem, denn mit dem Erlöschen der Erscheinungen waren noch nicht ihre Verschmelzungssehnsüchte erloschen, in denen eine Wiedervereinigung mit Jesus angestrebt wurde. Diese mußten nun um so heftiger hervortreten, weil die sinnlich-visionäre Gegenwart Jesu infolge der abnehmenden ekstatischen Begeisterung und der Umstrukturierung des Trauerprozesses nicht mehr erlebt werden konnte, und so verdichteten sie sich zu der Parusie-Erwartung, der Erwartung von der baldigen Wiederkehr Christi noch zu ihren Lebzeiten. Erst in einem längeren Ablösungsprozeß, in dem man die Sehnsucht nach der sinnlichen Gegenwart Jesu überwand und sich dem Problem der Parusieverzögerung stellte, gelang es den ersten Christen, diese Verschmelzungssehnsüchte Schritt für Schritt aufzugeben: Die Erwartung der Parusie rückte in ferne Zukunft, und es wuchs die Kirche als die Institution heran, die die Begegnung mit Jesus in der Geschichte wachhalten sollte.

    Wir hätten es hier also mit einem besonderen, pneumatologisch durchdrungenen Trauerprozeß zu tun. Dieser Trauerprozeß hätte seine Ursache in der einzigartigen Faszination, die Jesus auf seine nächsten Mitmenschen ausgeübt hat, und die sie zu der Überzeugung führte: In diesem Menschen ist das erste Mal das gütige und menschenzugewandte Wesen des unsichtbaren Gottes für alle Welt sichtbar geworden. Damit wurde aus Jesus, dem Verkündiger des Reiches Gottes, der verkündigte Christus, der Gottessohn, der ganz von Gott her lebte. Als sich dieser Wechsel vom Verkündiger zum Verkündigten bei seinen Anhängern vollzogen hatte, hatte auch dieser einzigartige Trauerprozeß seine Aufgabe erfüllt und sich damit selbst beendet.

    Jesus ist gestorben. Und trotzdem spüren die Christen bis heute seine Gegenwart und empfangen von ihm Kraft und Beistand. Aus Trauer kann Freude werden, wenn nach dem Abschied und der Trennung die Gegenwart des Verstorbenen auf unvergleichliche Weise wieder neu erlebt werden kann, wie es die Jünger, und nach ihnen viele Christen erfahren haben.(43)

  8. Fazit

    Wir sind am Ende unserer Betrachtungen angelangt. Die Frage nach der Entstehung der Auferstehungserscheinungen hat unser Augenmerk auf die psychische Situation der Jünger in der Zeit zwischen Tod und Auferstehung Jesu gelenkt. Und dabei ist ein innerer Zusammenhang zwischen diesen beiden Ereignissen sichtbar geworden, der beide aufs engste aufeinander bezieht. Aber sind wir damit dem Geheimnis der Auferstehung Jesu näher gekommen? Was die Frage nach der Wirklichkeit der Auferstehung Jesu von den Toten betrifft, so bleibt sie, trotz aller Beobachtungen, die für sie sprechen, immer noch eine Frage des Glaubens und nicht des historischen Wissens. Was wir aber sicherer denn je annehmen können: Jesus war wirklich gestorben, sein Tod war kein Scheintod. Und die Auferstehung Jesu war keine Erfindung der Jünger, mit der sie die Nachwelt in die Irre führen wollten. Den Jüngern ist zu Ostern wirklich etwas widerfahren, das sich auch im Bereich der gedanklichen Möglichkeiten bewegt: Eine visionäre Wiederbegegnung mit dem gekreuzigten Jesus, die in ihnen den Glauben weckte, daß er von den Toten auferstanden ist. Dieser Vorgang ist einzigartig in der gesamten Weltgeschichte. Sprechen zumindest diese Fakten nicht dafür, daß auch mit Jesus nach seinem Tode etwas passiert ist, das die Annahme rechtfertigt, er habe die Grenze des Todes durchbrochen?

© Eckhard Etzold, publiziert in "braunschweiger beiträge", Heft 70, 4/1994, S. 47-58,
mit freundlicher Genehmigung des
Amts für Religionspädagogik in der Ev.-luth. Landeskirche Braunschweig, Dietrich-Bonhoeffer-Str. 1, D-38300 Wolfenbüttel

Weiterführende Links: Streit um die Auferstehung Jesu bei theology.de.

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