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Ist der Osterglaube ein Produkt der Verkündigung Jesu?

Zur Frage nach dem Charakter der Auferstehungsvisionen

Eckhard Etzold

Pastoraltheologie

Monatsschrift für Wissenschaft und Praxis in Kirche und Gesellschaft

Seit Mitte der neunziger Jahre wird über die Auferstehung Jesu neu diskutiert.(1) Die Positionen bewegen sich dabei zwischen einem rein psychologisch erklärenden Verständnis der Ostervisionen einerseits und einem phänomenologisch-fundamentalistischen Verständnis der Auferstehung andererseits, das die überlieferten Berichte ernstnehmen will. Beide Ansätze haben ihre Schwächen. Die fundamentalistisch-phänomenologische Vorgehensweise kann sich in metaphysische Spekulationen verirren, die für den Glauben eher hinderlich als förderlich sind, wie es mittlerweile am Beispiel der Frage nach dem leeren Grab hinreichend deutlich geworden ist. Man kann das Phänomen des leeren Grabes nicht umdeuten, ohne die phänomenologische Methode dabei aufzugeben. Hält man am leeren Grab jedoch fest, dann muß man das Fehlen des Leichnahms auf wundersame Weise erklären.(2)

Eine psychologische Vorgehensweise dagegen tendiert dahin, religiöse Erfahrungen als solche nicht ernst zu nehmen, und sie als krankhafte Erscheinungen des Seelenlebens zu verdächtigen. Beide Ansätze sind in die Kritik geraten, und es hat sich gezeigt, daß sie dem Charakter der neutestamentlichen Ostererzählungen nicht gerecht werden können. Daher bleibt weiterhin die Frage nach der Wirklichkeit der Auferstehungsvisionen und ihrer theologischen Bedeutung bestehen, und wir machen uns bei der Beantwortung dieser Frage die hermeneutischen Methode zunutze, die m.E. hier weiterführt als die beiden eben genannten Wege.

Der Osterglaube ist sicher ein einmaliges Phänomen in der Religionsgeschichte. Und der christliche Glaube muß darüber Rechenschaft ablegen können, wenn er gefragt wird: Wie ist es zum Osterglauben gekommen, und was kann er für uns heute bedeuten? Wir gehen die Frage so an, daß wir zunächst nach dem Besonderen fragen: nach dem, was Jesus von den religiösen Lehrern seiner Zeit unterschied, und dann wird geprüft, ob sich aus den Besonderheiten der jesuanischen Verkündigung und seiner Wirkung die Entstehung des Osterglaubens direkt ableiten läßt, ohne daß wir dabei auf metaphysische Eingriffe "von oben" zurückgreifen müssen.(3) Was war das Besondere, das wir bei Jesus finden können, bevor er gekreuzigt wurde?

Bei der Lektüre der neueren Jesusliteratur entdeckt man bald so etwas wie einen roten Faden, der sich durch die gesamte Literatur zieht, ein Punkt, in dem sich viele Autoren über Jesus einig sind: Wunder taten andere auch. Gepredigt haben auch die Propheten des Alten Testaments. Aber es gibt einen Bereich, wo sich etwas unverwechselbar "jesuanisches" zeigt. Das sind die Gleichnisse, die Jesus erzählt hat.

Gleichnisse gab es auch in der rabbinischen Literatur. Doch die Art, wie Jesus sie verwandte, ist vor ihm ohne Beispiel gewesen. Ich schaue mir einmal an, wie Jesus das Thema Gebet angeht. Assoziationen wie: Andacht, Sammlung kommen mir dazu in den Sinn. Vielleicht auch ein Gefühl der Erhebung. Selbstbescheidenheit. Assoziationen, die durchaus allgemeingültig sind. Und nun Jesus:

Jesus erzählte ihnen ein Gleichnis, um ihnen zu sagen, daß man allezeit beten müsse und nicht nachlassen dürfe: In einer Stadt lebte ein Richter, der kannte weder Gottesfurcht noch Menschenscheu. Nun gab es in jener Stadt eine Witwe, die kam immer wieder zu ihm und sagte: 'Schaffe mir Recht gegen meinen Gegner!' Eine Zeitlang wollte er nicht. Dann aber sagte er bei sich: 'Wenn ich auch Gott nicht fürchte und mich vor keinem Menschen scheue - diese Witwe hier wird mir allmählich so lästig, daß ich ihr Recht schaffen will; sonst kommt sie am Ende noch zu mir und verprügelt mich.' Und (Jesus,) der Herr sagte: "Habt ihr gehört, was der ungerechte Richter da sagt? Sollte dann Gott seinen Auserwählten, die Tag und Nacht zu ihm schreien, etwa nicht Recht schaffen und großmütig sein gegen sie? Ich sage euch: Er wird ihnen Recht schaffen und zwar bald! (Lk. 18,1-8)

Ein verschrobener Richter und eine nervende Witwe, zwei ausgerechnet unsympathische Personen, sollen das inständige Gebet, ein Akt religiöser Erhebung, anschaulich machen? Den religiösen Geschmack vieler seiner Zeitgenossen wird Jesus damit nicht getroffen haben. Wenn es ums Beten geht, dann wäre wohl von einem Rabbi zu reden gewesen, oder von einem Pharisäer, einem Menschen also vom Fach. Wie kann ein korrupter Richter als Beispiel für beständiges Beten dienen, dessen Verhalten in keiner Weise den strengen Forderungen der Tora genügen kann? Und diese nervige Witwe, die sich in geradezu kindlich- aufdringlicher Weise in den Vordergrund spielt, wird auch nicht jene Würde verkörpert haben, die für eine Haltung inständigen Gebetes erwartet wurde. Aber es wird am Ende klar, was Jesus zum Ausdruck bringen will: Ein ernsthaftes Gebet wird gehört, es bleibt nicht folgenlos. Und selbst, wenn die Motive nicht astrein sind, wird das Ergebnis dadurch nicht in Frage gestellt.

Das Gleichnis von der bittenden Witwe ist von Jesus so angelegt worden, daß der Hörer sich der Wirkung nicht entziehen kann. Der Tübinger Theologe Eberhard Jüngel, der sich eingehender mit der sprachlichen Struktur der Gleichnisse Jesu befaßt hatte, schrieb passend dazu: "Im Gleichnis spitzt sich die Sprache so zu, daß das, wovon die Rede ist, in der Sprache selber konkret wird und eben dadurch die Angesprochenen in ihrer eigenen Existenz neu bestimmt. Im Gleichnis ereignet sich etwas, und zwar so, daß sich dann auch durch das Gleichnis etwas ereignet."(4) Ich werde quasi gezwungen, meinen Blickwinkel zu verändern: Der religiöse Akt des Betens gerät fast aus meinen Blick, dafür kommt die übrige Welt, in ihrer moralischen Mangelhaftigkeit ins Blickfeld. Jesus redet von alltäglichen Begebenheiten, - von Menschen, die sich in all ihrer Unvollkommenheit, und doch oft mit einer gehörigen Portion Schalk, durchs Leben schlagen müssen. Jesus lehrt keine tiefschürfenden spirituellen Einsichten, Jesus zeigt die Welt, wie er sie sieht: nicht religiös verklärt oder moralisch geschminkt. Viele Gleichnisse sollen auch keine Anleitung zu einem tugendhaften Lebenswandel geben. Wer sie in diesem Sinne deuten will, verdirbt die Pointe dieser Gleichnisse: die Entschiedenheit, mit der sich hier Menschen über alle Formen des Anstands und der Moral hinwegsetzen, um das Gottesreich zu erlangen.

Jesus zeigt die Welt mit dem, was in ihr zu finden ist: Mit den Gerechten (die sich mitunter als ganz und gar ungerecht erweisen) und den Ungerechten (die Gott näher stehen können als irgendein Gerechter). Er ist der Meinung, daß wir von allen etwas lernen können. Und wenn es um sein ständiges Thema geht, das Gottesreich, da können wir sogar vom Getreide auf dem Acker lernen: Da hat es sicher Leute gegeben, die haben Jesus gefragt: Wie ist das mit dem Gottesreich? Und so beginnt Jesus zu erzählen. Doch wieder hält er sich in religiöser Hinsicht zurück. Kein Lehrstück in esoterischer Himmelskunde, keine supranaturalistischen Spekulationen, - Jesus erzählt eine Geschichte von dieser Welt:

"Ein Mann geht hinaus und streut Samen aus. Einfach auf die Erde. Er schläft und steht auf, er kümmert sich nicht mehr darum. Denn von selbst bringt die Erde Frucht. Automatisch. Der Mensch weiß nicht, wie es geschieht. Aber dann ist der Tag da, der Tag der Ernte, und die Erde bringt mannigfaltig Frucht." (Mk. 4,26-29)

Ein Acker, ein Mensch, der Samen auf die Erde wirft. Wir können uns vor unserem inneren Auge diese Szene sehr anschaulich vorstellen. Doch was hat sie mit dem Gottesreich zu tun? Es ist doch eine rein weltliche Begebenheit. Für Eberhard Jüngel liegt gerade darin die Pointe: Jesus öffnet uns für die Wirklichkeit der Welt derart die Augen, "daß das, was wir schon hundert- oder tausendmal wahrgenommen haben, in einer neuen, bisher nicht vernommenen Weise zu sprechen beginnt: es wird gleichnisfähig für unser Verhältnis zu Gott und - mehr noch! - für Gottes Verhältnis zu uns."(5) Hier in dieser Welt begegnet uns in den Gleichnissen Jesu das unsichtbare Gottesreich. Wer das einmal erlebt hat, für den wird seine Welt, werden seine eigenen Lebenserfahrungen im Hier und Jetzt gleichnisfähig. Der macht "eine Erfahrung mit der Erfahrung"(6), der macht mit seiner Welt-Erfahrung eine neue Erfahrung, eine Gottes-Erfahrung. Das war es, was die Zuhörer Jesu in den Bann zog. Und als die verunsicherten Jünger Johannes' des Täufers Jesus fragen ließen, ob er der erwartete Retter, der Friedefürst, sei, antwortete er:

Geht hin und sagt Johannes, was ihr g e s e h e n und g e h ö r t habt: "Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein, Taube hören, Tote stehen auf, und Armen wird das Evangelium gepredigt. Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert." (Mt. 11,2-6)

Auch hier dasselbe Phänomen: In Worten und Taten führt Jesus das unsichtbare Gottesreich seinen Jüngern vor Augen. Wer sieht, wie Jesus wirkt, der sieht den, der ihn dazu befähigt hat. Wer Jesus nachfolgte, wer sich von ihm ergreifen ließ, wurde von da an zu einem Menschen mit offenen Augen. Das unterschied sie, die Nachfolger Jesu, von den anderen, von denen es hieß, sie sehen und sehen doch nicht, sie hören und hören doch nicht. (Mt. 13,13)

Und so wie Jesus das unsichtbare Gottesreich in seinen Gleichnissen sicht-bar werden ließ, wurde er selbst zum Gleichnis für jenen Gott, von dem er so weltlich erzählen konnte. Jesus wurde, um im Gleichnis zu bleiben, selbst zum Samenkorn, das in die Erde fiel, als er starb und dann begraben wurde. Und nun, ganz von selbst, reifte die Frucht: Die zurückgebliebenen Jünger erlebten das, was Menschen sonst auch erleben, wenn sie sich in Trauer befanden. Sie standen unter Schock. Doch den Jüngern waren durch Jesus die Augen für das unsichtbare Gottesreich geöffnet worden. Und so blieb es nicht allein bei diesen alltäglichen Erfahrungen von Schmerz und Trauer. Man könnte die Entstehung des Osterglaubens auch als Produkt jener Prägung auffassen, die die Jünger unter dem Einfluß der Gleichnisse Jesu erfahren haben.

Im Schock der Trauer blühte die Vision: So wie viele Angehörige nach der Beisetzung plötzlich den Verstorbenen zur Tür hereinkommen sehen und bald darauf bemerken, daß sie einer Sinnestäuschung zum Opfer fielen, - was also Menschen schon hundert oder tausendmal zuvor in Trauer erlebten, erlebten die Jünger jetzt noch einmal. Sie machten eine Erfahrung mit der Erfahrung, sie machten mit der Trauererfahrung eine neue Erfahrung: Jetzt, als den Jüngern durch die Gleichnisreden Jesu einmal die Augen für das Himmelreich geöffnet worden waren, sahen sie sehenden Auges in die Vision des totgeglaubten Jesus, die für sie jetzt gleichnisfähig geworden war. Und so erfuhren sie Gott inmitten dieser Wirklichkeit der visionären Trauerbilder.

Erst zu Ostern in den visionären Wiederbegegnungen mit dem toten Jesus erkannten die Jünger den wahren Jesus, nach dem sie zu seinen Lebzeiten gefragt hatten. Wo andere nur eine Halluzination erkennen konnten, da erkannten sie, die Jünger, den Gottessohn. Und nun verstanden sie, daß dieser Mensch Jesus Gott war, in Menschengestalt, der Christus. Und nun wußten sie, daß das, was tot ist, lebt; und das, was vergänglich war, der Ewigkeit gehört.

Anmerkungen

1. Z.B. U. Wilkens, Die Auferstehung Jesu. Historisches Zeugnis - Theologie - Glaubenserfahrungen. Eine Auseinandersetzung mit Gerd Lüdemann, in: PTh 85/1996, 102-120.

2. Es sei denn, man macht es wie John Dominic Crossan aus Chicago, der eine geradezu verblüffende Erklärung fand: "... the tomb of Jesus was indeed empty. The reason: his body had already devoured by wild dogs - a fate... typical of crucified Roman criminals." Zit. in: K. L. Woodward, Rethinking The Resurrection. A New Debate About the Risen Christ. In: Newsweek, April 8, 1996, 42.

3. Es war wohl Ernst Fuchs, der einmal sinngemäß die Behauptung aufstellte, mit Ostern sei zu dem, was Jesus gepredigt hatte und seine Person ausmachte, nichts Neues hinzugekommen.

4. E. Jüngel, Gott als Geheimnis der Welt. Zur Begründung der Theologie des Gekreuzigten im Streit zwischen Theismus und Atheismus. Tübingen, 4. durchgesehene Auflage 1982, 400.

5. Dieses Zitat ist einem Vorlesungsmanuskript zum Thema Gleichnisse entnommen, das E. Jüngel dem Autor auf Rückfrage freundlicherweise zur Verfügung stellte.

6. Vgl. dazu u.a. E. Jüngel (Anm. 3), 225.


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Vandenhoeck & Ruprecht
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Stichwort: Pastoraltheologie 3/98

In diesem Heft finden Sie neben dem oben angeführten Artikel auch Beiträge von:
- H. Weder: Das weltliche Rätsel und das göttliche Geheimnis der Auferweckung Jesu
- M. Greschat: Der Beitrag des Protestantismus zur Einigung Europas nach 1945
- H.-M. Gutmann: Aspekte einer praktisch-theologischen Neubesinnung im Gespräch mit den sogenannten Humanwissenschaften.

Weiterführende Links: Streit um die Auferstehung Jesu bei theology.de.

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Impressum, http://bs.cyty.com/menschen/archiv/papers/, Stand: 3. Dezember 2003, ee