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Das Wort

Das kurze Leben auf der Wohlstandsinsel

Predigt über Genesis 2,15 am 15. März 2009 in Broitzem

Gen. 2,15: "Und Gott der HERR nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte."

 

1.

1955 wurde die schwedische Schlagersängerin Bibi Johns mit einem Hit in Deutschland bekannt, der wie kein anderer das Lebensgefühl der 50er Jahre ausdrückte:

Nach uns die Sintflut, nach uns die Sintflut
was hinterher kommt, ist uns egal!
Wir leben heute, wir leben heute
und schließlich leben wir nur einmal!

Damals empfanden die Menschen solche Worte als Befreiung. Zu dunkel waren die Zeiten, die sie hinter sich gelassen hatten, und zu übermächtig der Wunsch, alles einfach zu vergessen.

2.

Heute ist es eher umgekehrt. Wer nachdenklich ist, den wird bei solchen Liedzeilen das blanke Entsetzen befallen. Denn in einer Zeit, die deutlicher als je zuvor die drohende "Sintflut" spürt, erscheinen die Parolen dieses Schlagers geradezu überlebensgefährlich. Und das sind sie auch, wenn es nur selten ausgesprochen wird. Wir glauben zwar immer noch, dass es mit der Wirtschaft und dem Wohlstand weiter bergauf geht ad infinitum wie bisher. Was wir zur Zeit erleben, ist ja nur ein Zwischentief...

Offenbar ist der Fortschrittsglaube aus den 60er Jahren bis heute ungebrochen, trotz aller Unkenrufe. Selbst wenn ich mit sachkundigen Leuten spreche, höre ich immer wieder: das ist ja noch ein paar Jahre hin, und bis dahin wird man schon einen Weg gefunden haben! Oder wie der britische Ölkonzern BP im Hinblick auf seine These, "Öl geht niemals aus", heute schreibt: "Der Erfindergeist des Menschen darf nicht unterschätzt werden." Da fragt man sich, wo ist z.B. der Erfindergeist, der die Probleme der Finanzkrise löst?

Offenbar kann das ins Auge gehen, auf den menschlichen Erfindergeist zu bauen nach dem Motto, kommt Zeit kommt Rat, denn der menschliche Erfindergeist ist eben nicht verfügbar auf Bestellung. Moderne Beispiele, wie stark die Verdrängung der drohenden Katastrophe inzwischen fortgeschritten ist.

Es stimmt leider immer noch: Im Kern wir leben auch heute noch nach der Devise "Nach uns die Sintflut, was hinterher kommt, ist uns egal!" Wie anders kann man es verstehen, dass aus dem heute bekannten Wissen um unsere dunkle Zukunft heraus keine wirklich wirksamen politischen Rettungspakete geschnürt werden?

3.

Dafür werden "Rettungspakete" für die "notleidenden Banken" geschnürt mit schier unglaublichen Summen. – Aber waren es nicht die Banken, die diese Krise verursachten? Ich frage mich: Wo bitte bleibt das Rettungspaket für die Zukunft der Menschheit?

Wir ahnen, nein wir wissen heute, dass wir nur auf einer sehr kleinen Wohlstandsinsel in der Menschheitsgeschichte leben. In 30.000 Jahren Kulturgeschichte der Menschheit ist es uns noch nie so gut gegangen wie in den letzten Jahrzehnten. Wenn ich nächstes Jahr 50 Jahre alt werde, lebe ich damit länger als über 90% der gesamten Menschheit je gelebt haben oder leben. Das verdanken wir vor allem dem Erdöl.

Erdöl ist unser Lebenselixier. Erdöl ist unser Hauptenergieträger. Seriöse Schätzungen der Erdölreserven rechnen damit, dass in ca. 50 bis 60 Jahren die Ölvorräte ausgehen. Das heißt, es wird unwirtschaftlich, sie weiter auszubeuten. Die Kernenergie wird lt. Greenpeace noch etwa 65 Jahre reichen, die Energieunternehmen selbst rechnen noch mit 160 Jahren Kernenergie. Wie der bei der Kernenergie anfallende Atommüll sicher verwahrt werden kann, ist bis heute nicht beantwortet.

Wir haben, so war z.B. in einer Anzeige in der "Financial Times" zu lesen, die erste Hälfte unseres Öls, nämlich 1000 Milliarden Barrel, in 130 Jahren verbraucht, für die zweite Hälfte werden wir nur 30 Jahre brauchen. Und was dann?

Nach der Finanzkrise kommt die Energiekrise. Mit Energiewirten, erneuerbaren alternativen Energiequellen und Pöl wird es vielleicht gelingen, Massenverkehrsmittel weiterhin zu betreiben und Krankenhäuser zu heizen. Aber die wichtigsten Medikamente werden aus Erdöl gemacht. Woher sollen die Medikamente kommen, wenn es kein Erdöl mehr, um eine ganze Weltbevölkerung ausreichend mit Medizin zu versorgen? Von den knapper werden Nahrungsmitteln ganz zu schweigen.

Beheizte Häuser, ein Auto für jede Familie, gesundheitliche Rundumversorgung für alle bei uns - all das wird bereits in wenigen Jahrzehnten zum unerschwinglichen Luxusgut. Den allgemeinen Wohlstand gibt es erst seit wenigen Jahrzehnten, und er wird in einigen Jahrzehnten auch wieder verebben. Vorindustrielle Verhältnisse holen uns wieder ein. Die Wälder bei uns werden wieder abgeholzt zum Heizen, neue Heidelandschaften entstehen.

Schon in 20 oder 30 Jahren ist damit zu rechnen, dass wir uns Alltagsgewohnheiten wie heute gar nicht mehr leisten können, in denen man z.B. mit dem Auto in die Stadt oder zum Einkaufen fährt. Mit dem Fahrrad oder zu Fuß werden Gottesdienstbesucher sich dann auf den Weg machen, und wenn sie Glück haben, wird die Kirche im Winter durchwärmt sein (vorausgesetzt, sie bringen Holz zum Heizen mit).

Strom aus der Steckdose wird es vielleicht nur noch in den Abendstunden geben. Und die dann immer kräftiger einsetzende Klimakatastrophe wird mit Stürmen, Unwetter, Hitze- und Dürreperioden ganze Landstriche unbewohnbar machen. Und auch unter die Erde können wir nicht mehr flüchten, denn da strahlt ja der Atommüll, der ja nun auch irgendwo hin muss, denn Zeit, Geld und Raum, um sich um eine sichere Endlagerung zu bemühen, wird es dann schlichtweg nicht mehr geben.

Welch ein Wahnsinn, wenn wir uns vorstellen, dass wir heute um unseres Komforts und unserer Bequemlichkeit willen die Ressourcen unseres Planeten auf Teufel komm heraus plündern. Dabei war uns doch etwas anderes aufgetragen worden: Im 1. Buch Mose, Kapitel 2, Vers 15 heißt es: "Und Gott der Herr nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte."

Bebauen und bewahren. Der heute so moderne Gedanke der Nachhaltigkeit ist hier schon auf den ersten Seiten der Bibel angelegt. Die Devise des neuzeitlichen Menschen aber heißt: Ausbeuten und Zerstören...

Bedrängende Probleme, sicher: Das Ende einer Wohlstandsinsel, auf der alles verfügbar ist und die Erfahrung von materieller Not die Ausnahme darstellt.

Aber vielleicht könnte das auch eine große Chance werden. Wenn ein Jugendlicher, von dem wir wissen, dass ihm in seiner Kindheit fast jeder Wunsch erfüllt wurde, in Depressionen verfällt und dann wahllos mit dem Gewehr um sich schießt und dabei 15 Menschen und zuletzt sich selbst erschießt, dann gibt uns das auch zu denken. Das ist ja nicht nur ein Hilfeschrei, sondern auch eine Aussage über den inneren Zustand unserer Gesellschaft. Wenn das Leben Erwartungen züchtet, die es selbst nicht einlösen kann, sind Katastrophen vorprogrammiert.

4.

Die größte Gefahr für unsere moderne Gesellschaft, so der Soziologe Niklas Luhmann, geht von der Unberechenbarkeit der einzelnen Menschen aus, nicht von großen Massenbewegungen. Die Einzelnen halten es nicht gut aus, am Rande zu stehen. Alle wären gern wichtig und stünden gern im Mittelpunkt. Alle wären gern geachtet und geschätzt, erfolgreich in der Schule, bei der Arbeit, in der Liebe. Alle wären gern Deutschlands nächster Superstar, Germany’s next Top Model. Aber nur eine oder einer kann es werden. Welche Dramen spielen sich da immer wieder ab, wenn eine 19jährige nicht in die nächste Runde kommt? Tränen und Heulkrämpfe, denn sie kann ihr Leben nur noch in die Tonne treten.

Unsere Gesellschaft erzeugt zwangsläufig Verlierer. Einer, der sich anscheinend unbedeutend fühlt, sucht mit seiner schrecklichen Tat nach Anerkennung. Wenn schon nicht im Leben, so doch im Tod einmal alle Blicke auf sich ziehen. Sein Selbstmord wird zum Mord an 15 anderen, an 15 Unschuldigen. In was für einer verrückten Welt leben wir?

5.

Eine Welt, in der Komfort nicht immer verrfügbar ist, in der elementare Grundbedürfnisse nach Wärme, Nahrung und Bildung nicht immer und für jedermann verfügbar sind, mag uns nur als Nachtmahr erscheinen. Aber sie böte sicher auch Gelegenheiten, wieder menschlicher miteinander zu werden, an Herausforderungen zu wachsen, miteinander teilen zu lernen und mehr Dankbarkeit für das heute selbstverständlichste zu empfinden. In unserem Land, in dem Jugendliche bereits über mehr Wohlstand verfügen als zwei Drittel der erwachsenen Menschheit, ist doch etwas verkehrt gelaufen.

Das Hauptproblem, mit dem sich unsere Kirche immer wieder befasst, ist der Mitgliederschwund, ihre Struktur und das Geld. Die Kirche dreht sich um sich selbst und um ihr Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit. Damit werden zur Zeit Schlagzeilen gemacht.

Aber warum ist unsere Kirche nicht tonangebend bei diesen uns alle wirklich bedrängenden Problemen? Ist es nicht das, was der Schöpfungsauftrag von uns fordert? Die Erde könnte ein Paradiesgarten sein, wir aber haben aus ihr eine Müllhalde gemacht.

Was tun? Bewusstsein schaffen. Für die Bedrohungen, die auf uns zukommen. Für die Frage, wie unsere Kinder, Enkel und Urenkel später einmal überleben sollen.

Früher wurde einem unheilbar Kranken die Diagnose verschwiegen, damit er sich nicht aufregt. Heute wird sie ihm offen ins Gesicht gesagt. Denn nur dann kann er darauf reagieren, und nur dann hat er eine Chance, vielleicht noch in kleinen Schritten Änderung herbei zu führen.

Wir müssen wissen, dass wir nur auf einer sehr kleinen Wohlstandsinsel in der gesamten Menschheitsgeschichte leben. Wer das erkennt, der wird sich ändern. Er wird bewusster leben. Und damit fängt Umkehr an. Umkehr zum Leben.

© Pfr. Eckhard Etzold


Literatur

-> Wolfgang Gründinger: Die Energiefalle. Ein Rückblick auf das Erdölzeitalter. C.H. Beck, München 2006. ISBN 3-40654-098-8.

-> Richard Heinberg: The Party's Over. Das Ende der Ölvorräte und die Zukunft der industrialisierten Welt. Riemann, München 2004. ISBN 3-57050-059-4.

-> Matthew R. Simmons: Wenn der Wüste das Öl ausgeht. Der kommende Ölschock in Saudi-Arabien. Finanzbuch-Verlag. Dez.2006

-> Andreas Eschbach: Ausgebrannt. 4., Aufl. (20. Februar 2007). ISBN 978-3785722749.

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Impressum, http://bs.cyty.com/menschen/archiv/predigt/, Stand: 28. März 2009, ee