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Das Wort

Ich bin bei euch alle Tage

Predigt über Mt. 28,20 am 26. November 2006 in Broitzem

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.

Matthäus 28,20: Jesus Christus spricht: “Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.”

Liebe Gemeinde,

was würden Sie von einem Menschen halten, der ihnen auf den Kopf zusagt: ich bin immer bei dir, egal, was geschieht und solange wie die Welt besteht? Offenbar hat dieser Mensch noch nichts verstanden von dem, wie es in der Welt zugeht. Menschen treffen Menschen, und Menschen werden von Menschen getrennt. Das ist die Realität. Keine Rede von immerwährender Gemeinschaft, von Unzertrennlichkeit.

Das Bild unseres Lebens gleicht eher einer Eisenbahnfahrt. Wir steigen in den Zug des Lebens, Menschen steigen zu uns ins Abteil, wir kommen mit ihnen ins Gespräch und lernen sie kennen und womöglich auch lieben, und dann verlassen sie uns wieder bei einer der nächsten Haltestationen. Und irgendwann verlassen auch wir diesen Zug wieder, es ist ein ständiges Kennenlernen und Abschiednehmen. Und je länger die Wegstrecke ist, die wir mit einem Menschen zurücklegen, umso schwerer fällt uns der Abschied.

Wie kann dann jemand von immerwährender Gegenwart reden, von Zusammenbleiben, solange die Welt besteht, wo doch Abschied und Trennung unvermeidlich sind?

Ist das nichts weiter als grandiose Todesverdrängung oder die Flucht in eine Illusion, die einen über die grausame Wirklichkeit des Todes hinweghelfen soll? Oder redet hier jemand von einer Wirklichkeit, die viel umfassender ist als das, was wir so kurzsichtig als unser Leben bezeichnen?

Jesus Christus spricht: “Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.”

Dieses Wort Jesu erscheint bei uns in den gottesdienstlichen Lesungen normalerweise im Zusammenhang mit dem Taufbefehl wenige Sätze vorher, dem “Gehet hin in alle Welt”. Und so sind die Predigten zu diesem Wort Jesu in der Regel dominiert von dem Thema Mission und Taufe. Schade eigentlich, denn gerade dieses Wort Jesu verdient es, einmal ganz für sich allein betrachtet zu werden.

Man muss sich zunächst den Rahmen dieses Wortes vor Augen führen, um zu verstehen, was da eigentlich passiert. Jesus wurde gekreuzigt. Er ist tot, und mit ihm sind alle Erwartungen gestorben, die die Jünger mit ihm verbanden. Doch wie durch ein Wunder begegnet Jesus kurze Zeit später seinen Jüngern in einer neuen, geradezu flüchtigen, aber doch beeindruckenden Gestalt.

Dass Jesus ihnen nicht mehr so begegnete wie die Jünger ihn von früher kannten, erfahren wir drei Verse vorher, wo es heißt: “Und als sie ihn sahen, fielen sie vor ihm nieder; einige aber zweifelten.” Etliche zweifelten offenbar, ob das, was sie sahen und erlebten, eine überzeugende Wirklichkeit ist. Das haben religiöse Erfahrungen so an sich, dass sie erst dann beginnen zu leben, wenn man ihnen Vertrauen entgegen bringt. Und wer ihnen Vertrauen entgegen bringt, für den fangen solche Erfahrungen dann zu sprechen an. Hier hören sie Jesus sprechen: “Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.”

Jesus verspricht ihnen, sie nie wieder zu verlassen, egal was auch passiert.

Wie kann er ihnen das versprechen, nachdem er sie ja gerade eben verlassen hat? Die Jünger wissen ja, dass sie Jesus, so wie sie ihn unter sich hatten, nie wieder bei sich haben werden.

Diese Fragen führen uns unmittelbar in das Geheimnis des Todes und der Trauer hinein.

Offenbar ist ein Mensch nicht einfach weg, wenn er stirbt. Das haben die Jünger Jesu ja erlebt, als Jesus starb, und das erleben Menschen zu allen Zeiten, wenn sie Abschied nehmen müssen. Ich will Ihnen heute ein Beispiel vorstellen, an dem das deutlich wird.

Die Tochter des großen russischen Dichters Fjodor M. Dostojewski, Ljubov, schildert in ihrer Biografie den Tod ihres Vaters:

Nach zwei Blutstürzen am Ende einer unruhigen Nacht wusste meine Mutter, dass seine Stunden gezählt waren. Auch mein Vater wusste es. Wie immer in ernsten Fällen seines Lebens griff er zum Evangelium ... Er bat meine Mutter, die Bibel aufzuschlagen und uns die Geschichte vom verlorenen Sohn vorzulesen. Er hörte mit geschlossenen Augen nachdenklich zu. Dann sagte er mit schwacher Stimme: "Meine Kinder, vergesst nie, was ihr eben gehört habt! Habt unbedingtes Vertrauen auf Gott und zweifelt niemals an seiner Barmherzigkeit. Ich liebe euch sehr - aber meine Liebe ist nichts gegen die unendliche Liebe Gottes für alle Menschen, die er geschaffen hat. Wenn es euch sogar geschehen sollte, im Laufe eures Lebens ein Verbrechen zu begehen, so verzweifelt doch niemals an Gott. Ihr seid seine Kinder. Darum erfleht seine Verzeihung und er wird sich über eure Reue freuen, wie er sich über die Heimkehr des verlorenen Sohnes gefreut hat." Erst im letzten Augenblick verlor er sein Bewusstsein. Er hat den Tod nahen sehen, ohne ihn zu fürchten.

Bis hierher wäre das eine – vielleicht außergewöhnliche – Sterbeszene, wie sie ähnlich zigfach überliefert wurden in der Literatur. Doch am Ende schreibt die Tochter Dostojewskis dann wohl das schönste Wort, das man von einem Menschen sagen kann, den man sehr geliebt hat und von dem man durch den Tod getrennt ist:

"Er kehrte zurück zu Gott und hat mich doch nicht mehr verlassen. In Augenblicken des Kummers und des Unglücks hält er sich so nahe bei mir, dass ich glaube, ihn mit der Hand berühren zu können. Dank seiner lieben Gegenwart habe ich niemals in meinem Leben Angst gehabt. "

Was die Tochter beschreibt, ist für mich auch ein Gleichnis für die Verwandlung, von der die Jünger Jesu berichten. Jesus war tot, aber er war damit nicht einfach weg. Vielmehr hat sich die Form seiner Anwesenheit verändert. Sie war nicht mehr gebunden an seine leibliche Gegenwart. Die Jünger hörten immer noch seine Stimme, und tief in ihnen lebte sein Bild weiter, ein Bild, das lebendiger war als es Bilder je sein können. Sie wussten in diesem Moment, dass sie Jesus nie wieder verlieren können: Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.

Und bei dieser Erfahrung blieb es nicht. Bis heute machen Menschen die Erfahrung, dass Jesus bei ihnen ist und sie nicht verlässt. Und bis heute machen Menschen die Erfahrung, dass sie mit diesem Jesus reden können, ihm ihre Sorgen und Freuden erzählen können, ihn bitten können in der Not und ihm danken können für erfahrene Rettung.

Möglich geworden ist das durch die göttliche Verwandlung, die Jesus im Tode erfahren hat: in ein Leben, das durch den Tod nicht zerstört werden kann.

Wir selbst können uns davon keine Vorstellung machen. Aber in Gleichnissen können wir davon reden. Und eines der schönsten Gleichnisse für die göttliche Verwandlung im Tode ist uns überliefert als Grabinschrift. Sie hat der Buchdrucker Benjamin Franklin, später Staatsmann und einer der Unterzeichner der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776, anfertigen lassen. Auf seinen ursprünglichen Beruf als Buchdrucker spielt die Inschrift an, die auf dem Grabstein des 1790 gestorbenen Franklin zu finden ist:

“Hier ruht als Speise für die Würmer
der Körper von Benjamin Franklin, Buchdrucker,
gleich dem Deckel eines alten Buches,
aus dem die Blätter herausgerissen sind
und dessen Einband abgebraucht ist.
Aber das Werk wird nicht verloren sein,
denn es wird wieder erscheinen,
in einer neuen Auflage,
durchgesehen und verbessert vom Verfasser.” *

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

© Pfr. Eckhard Etzold


* Das Zitat von Benjamin Frankling fand ich in Klaus Eulenbergers Beitrag in den NDR-Glaubenssachen, "Nach dem Tod erschien er vielen" - Auferstehung oder Reinkarnation? vom Ostersonntag 2004.

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Impressum, http://bs.cyty.com/menschen/archiv/predigt/, Stand: 8. Dezember 2006, ee