Homepage Eckhard Etzold

Das Wort

Die Ehebrecherin

Predigt über Johannes 8,3 bis 11.

3. Die Schriftgelehrten und die Pharisäer führten eine Frau, die beim Ehebruch ergriffen worden war, <herbei>, und sie stellten sie in die Mitte. 4. Sie sagten zu <Jesus>: Meister, diese Frau wurde auf frischer Tat ertappt, als sie Ehebruch beging; 5. im Gesetz hat Mose uns befohlen, solche zu steinigen. Was sagst du nun dazu? 6. Dieses aber sagten sie, um ihn auf die Probe zu stellen, damit sie etwas hätten, um ihn anzuklagen. Jesus aber bückte sich hinunter und schrieb mit dem Finger auf die Erde. 7. Als sie ihn hartnäckig weiter fragten, richtete er sich auf und sagte zu ihnen: Wer von euch ohne Sünde <ist>, werfe den ersten Stein auf sie. 8. Und er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde. 9. Als sie das aber hörten, gingen sie weg, einer nach dem anderen, angefangen bei den Ältesten, und er blieb allein zurück, und die Frau war in der Mitte. 10. Jesus richtete sich auf und sagte zu ihr: Frau, wo sind sie? Hat dich niemand verurteilt? 11. Sie sagte: Niemand, Herr. Jesus aber sagte: <Dann> verurteile ich dich auch nicht. Geh, und riskiere dein Leben von jetzt an nicht mehr.

Liebe Gemeinde!

I.

Angeklagt. Eine Frau steht in der Mitte. Im Tempel von Jerusalem. Begafft und angestarrt, den zudringlichen Blicken ausliefert, ein Heer von nackten Zeigefingern, alle auf sie gerichtet. Da steht sie - im Mittelpunkt. Abgewichen vom Weg, vom Weg der Gerechten. Ins grelle Scheinwerferlicht geraten, angeklagt. Ihr Verbrechen: Ehebruch. Die Strafe: Der Tod. So verlangt es das Gesetz.

Für uns ist das heute nicht mehr selbstverständlich. Wo eine Ehe heute im Durchschnitt 42 Jahre dauern kann - im Gegensatz zu damals mit sieben bis neun Jahren Ehedauer, bevor einer von beiden starb, - da gehört bei vielen schon der verschwiegene Seitensprung dazu, damit die eigne Ehe halten kann und der Partner nicht mit heillosen Glückserwartungen überfordert werden muss. Das aber nur am Rande.

Früher hatte Ehebruch eine andere Bedeutung: Die Frau gehörte dem Mann, sie schenkte ihm Nachkommen, ohne die Frau war der Mann nichts. Denn ein Leben als Single oder allein stehend, so selbständig wie heute war damals kaum denkbar und möglich gewesen. Die Frau sicherte die Existenz des Mannes. Wurde dem Mann die Frau genommen, oder drang ein Mann in eine fremde Ehe ein, dann zerstörte man damit nicht nur die Existenz des Mannes, sondern sogar der ganzen Familie.

Weil damals die Existenz der ganzen Familie durch den Ehebruch derart gefährdet war, konnte die Strafe nicht hoch genug sein. Die höchste Strafe war die Todesstrafe. Sie musste durchgeführt werden, wenn das Gesetz in Kraft bleiben sollte und das Volk überleben wollte. Das Gesetz war ja zu dem Zweck da, die Ordnung zu gewähren, die für das Leben notwendig ist. So ist das auch noch heute. Wenn ich wirklich die Existenz eines anderen Menschen bedrohe, dann muss ich damit rechnen, bestraft zu werden.

Die Frau bleibt in der Mitte stehen. Es verschlägt ihr die Sprache. Kann sie überhaupt noch an etwas denken? Muss es ihr nicht schwarz werden vor den Augen, müsste nicht der Boden unter ihr wanken, müsste sie nicht umfallen, auf der Stelle tot? - Aber sie bleibt standhaft, sie bewahrt sich ihre letzte Würde.

Die Pharisäer und Schriftgelehrten stehen ihr gegenüber. Sie sind die Richter Israels, studierte Menschen. Sie kennen sich in den Gesetzbüchern aus und haben über Leben und Tod zu entscheiden. Doch hier ist der Fall so klar, auf Ehebruch steht Todesstrafe. Dazu bedarf es keiner Schriftgelehrten, um das festzuschreiben. Aber wozu überhaupt noch römische Gerichtsbarkeit, Verhandlung, Urteilsspruch? Schwitzende Hände greifen nach Steinen, warum nicht an Ort und Stelle den Fall erledigen?

II.

Da steht Jesus ihnen gegenüber. Wie die Schriftgelehrten und die Pharisäer beansprucht auch Jesus, das Gesetz auszulegen. In diesem Punkt unterscheidet er sich nicht von den Schriftgelehrten und Pharisäern. Keiner von beiden will das Gesetz abschaffen, die Frage ist nur, wie wird es richtig ausgelegt? Hier scheiden sich die Geister. Jesus beansprucht, das Gesetz richtig auszulegen: "Ihr habt gehört, dass gesagt ist: 'Du sollst nicht ehebrechen.' Ich aber sage euch: Wer eine Ehefrau ansieht, ihrer zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen." So entschieden haben es vor ihm nur wenige gelehrt.

Den Schriftgelehrten und den Pharisäern geht es darum, sich als die besseren Gesetzesausleger zu erweisen. Und das kann man bekanntlich am besten, wenn man den Gegner in Verlegenheit bringt. Hier sehen sie ihre Chance. Sie fragen den jungen Rabbi aus Nazareth: "Meister, diese Frau wurde auf frischer Tat ertappt, als sie Ehebruch beging; im Gesetz hat Mose uns befohlen, solche zu steinigen. Was sagst du nun dazu?" Wozu überhaupt diese Frage, wenn doch von vorne herein alles klar ist?

Jesus schweigt. Die Lage scheint ausweglos zu sein, er braucht Zeit. Knapp und wohl überlegt muss seine Antwort ausfallen, bevor die ersten Steine fliegen. Jesus kniet nieder und schreibt auf der Erde. Will er Bedenkzeit heraus schinden? Will er sich um eine klare Antwort drücken? Oder ist seine Liebesbotschaft so grenzenlos, dass er jede Strafe ablehnt? - Aber Gesetz ist Gesetz. Wenn hier Ausnahmen gemacht werden, dann hält sich bald keiner mehr an das Gesetz, dann bricht das Chaos herein. Das Gesetz kann doch Jesus nicht übergehen.

Jesus sitzt in der Falle: Ergreift er für die Frau Partei, dann haben sie etwas gegen ihn in der Hand: Er hält sich nicht an das Gesetz, für das er so leidenschaftlich eintritt. Jedes Wort, jede Andeutung, mit der er für die Frau Partei ergreift, würde bedeuten, dass er den Ehebruch rechtfertigt und dass er gegen das Gesetz verstößt. Grund genug, um auch ihn vor Gericht zu stellen.

Würde er für Todesstrafe stimmen, dann würde er der Absicht des Gesetzes nicht gerecht. Das Gesetz soll ja Leben schützen und erhalten. Das Leben der Frau verdient aber genauso wie das des Mannes, geschützt und bewahrt zu werden. Stimmt Jesus für Todesstrafe, wer soll dann noch seine Worte über Nächstenliebe und Vergebung ernst nehmen? Keiner würde ihm mehr Glauben schenken. Und das mit Recht! Dann könnte er einpacken und wieder zurückkehren, nach Galiläa, um dort alt zu werden und sein Rentnerbrot zu essen. Vergessen von der Nachwelt und verachtet von seinesgleichen.

Die Lage ist ausweglos, in beiden Fällen ständen die Schriftgelehrten und die Pharisäer als die vermeintlichen Gewinner da.

In ihrem Gesetzeseifer lassen sie nicht locker, hartnäckig reden sie weiter auf ihn ein, reden und reden und reden, um ihm keine Möglichkeit wohl überlegter Antworten zu geben. Sie wollen von ihm eine Stellungnahme. Nicht Besonnenheit und Nüchternheit sind hier gefragt, sondern Ausflüchte: eine hitzige Reaktion, ein schnelles Wort, achtlos dahin geworfen, das alles verderben kann. So hätten sie es gern. Sie fackeln nicht lange, sie wollen eine Antwort, jetzt sofort. Je länger sie warten müssen desto mehr Zorn staut sich an. Bald fliegen die ersten Steine.

Die Frau steht starr und stumm in der Mitte, Jesus bleibt immer noch ganz ruhig und richtet sich wieder auf. Dann - laut und vernehmlich - ein Satz: "Wer von euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein auf sie."

III.

Sie holen weit aus, einer schreit: 'Aus dem Weg', es fliegen die Steine, ein anderer schreit: 'Macht sie fertig', die Masse gröhlt, die Frau in der Mitte bricht im Steinhagel zusammen, das Urteil ist vollstreckt. - So hätte es weitergehen können. Das wäre die normale Reaktion in dieser angespannten Atmosphäre. Im Ernst: wo gibt es denn die aufgewühlte Menschenmenge, die sich durch ein paar Worte zur Ruhe bringen ließe?

Was geht hier vor? Wieso passiert denn nichts? Es wäre alles anders gekommen, wenn es nicht um das Gesetz ginge. Dafür lebten die Schriftgelehrten und die Pharisäer, dem Gesetz galt ihr ganzer Eifer. Das ist der springende Punkt. Jesus, dieser junge Rabbiner aus Nazareth, hat nichts Anderes getan, als genau dieses Gesetz ins Spiel zu bringen. Statt die Härte des Gesetzes zu mildern, tut Jesus das Gegenteil: Er verschärft das Gesetz, er wendet es nicht nur auf die Ehebrecherin an, sondern auch auf alle anderen. Gemessen am Gesetz gibt es keinen Menschen, der ohne Sünde ist. Das gilt auch für diejenigen, die mit dem Gesetz über Leben und Tod richten. Auch die Richter müssen ihr Leben am Maßstab des Gesetzes messen. Und das bedeutet: Sie sitzen alle auf derselben Anklagebank: Die Ehebrecherin, die Zeugen, die Pharisäer und die Schriftgelehrten, ... - keiner ist ohne Sünde. Wer hier mit Steinen wirft, auf den prasseln sie zurück.

Das haben die Schriftgelehrten und die Pharisäer verstanden. Wie weit ihr Eifer um das Gesetz geht, zeigt sich darin, dass sie innehalten. Sie stehen alle da, gesenkten Hauptes. Jeder von ihnen kennt sich selbst nur zu genau, einer nach dem anderen dreht sich um und geht. Die Ältesten zuerst, die nur zu genau um ihre Schuld wissen, die sich in ihrem langen Leben anhäufte. Keiner wagt es mehr, das Wort zu ergreifen. Wie ehrlich mussten diese Männer sein, dass sie sich auf diese Weise von dem jungen Rabbi aus Nazareth beschämen ließen. Wer Richter ist, muss das Gesetz, mit dem er richtet, auch auf sich selbst anwenden. Das haben sie begriffen, danach haben sie gehandelt.

Hat Jesus gewonnen? Ja, aber nicht nur er. Auch die Schriftgelehrten und die Pharisäer sind als Sieger aus diesem Streit hervorgegangen. Sie haben gesiegt, indem sie an sich selbst denselben Maßstab anlegten wie bei der Ehebrecherin. Das wünsche ich mir für alle anderen Orte, wo Angeklagte vor Gericht stehen: dass jeder Richter den Maßstab des Gesetzes, mit dem er über andere urteilt, auch an sein eigenes Leben legt und, wie die Schriftgelehrten und Pharisäer, seine Konsequenzen zieht.

Nur einer bleibt noch zurück. Der Christus, der das Recht hat, über Leben und Tod zu richten. Jesus richtet sich wieder auf und sagt zu ihr: "Frau, wo sind sie geblieben? Hat dich niemand verurteilt?" Sie findet ihre verlorene Sprache wieder: "Niemand, Herr." Jesus spricht zu ihr: "Dann verurteile ich dich auch nicht." Jetzt kann sie wieder aufatmen. Jesus hat Menschlichkeit vor falsch verstandenes göttliches Recht gestellt.

Es wird nicht erzählt, wie es der Frau im weiteren Leben ergangen ist. Nur so viel: Jesus hat es ihr ermöglicht, wieder neu zu leben. Und damit sie selbst nicht noch einmal so in Todesgefahr gerät aus der sie dann niemand mehr retten kann, befiehlt er ihr, nicht wieder mutwillig ihr Leben zu riskieren.

IV.

Hat Jesus jetzt doch das Gesetz außer Kraft gesetzt, hat er mildernde Umstände geltend gemacht? Nein. Die Entschiedenheit, mit der Jesus das Gesetz erfüllte, ohne dabei jemanden zu Schaden kommen zu lassen, erregte immer größeres Aufsehen und brachte ihn schließlich ans Kreuz. So nahm Jesus den Tod, den die Ehebrecherin nach damaligem Recht verdient hat, selbst auf sich. Darin erwies er sich als der wirkliche Richter über Leben und Tod, darin erwies er sich als Gott selbst, der in ihm menschliche Gestalt annahm. Gott selbst, der Richter über Leben und Tod, starb am Kreuz den Tod, den die Ehebrecherin sterben sollte. So bleibt das Gesetz in Kraft. Sein Tod am Kreuz ist deshalb im tiefsten Sinn ein Tod für andere, für die Ehebrecherin, für die Pharisäer und Schriftgelehrten, - sein Tod ist ein Tod für uns - überall da, wo wir unser eigenes Leben verwirkt haben. Daher haben wir allen Grund, den Gott, der in Jesus Christus Mensch wurde, den Gott der Liebe zu nennen, der uns überall da neues Leben schenken möchte, wo wir nach dem Gesetz den Tod verdient haben.

© Eckhard Etzold

Zur Homepage


[Menschen]
Impressum, http://bs.cyty.com/menschen/archiv/predigt/, Stand: 13. März 2005, ee