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Das Wort

Lust und Leben

Predigt über Prediger 9 am 23. August 2003 beim Siedlerfest in der Kälberwiese

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.

Der Predigttext steht geschrieben im Buch des Prediger Salomo, im 9. Kapitel:

"Iß dein Brot und trink deinen Wein und sei fröhlich dabei! So hat es Gott für die Menschen vorgesehen, und so gefällt es ihm. Nimm das Leben als ein Fest: Trag immer frisch gewaschene Kleider und sprenge duftendes Öl auf dein Haar! Genieße jeden Tag mit der Frau, die du liebst, solange dieses flüchtige Leben dauert, das Gott dir geschenkt hat. Denn das ist der Lohn für die Mühsal dieses Lebens... Das Licht der Sonne sehen zu können, bedeutet Glück und Freude. Genieße froh jeden Tag, der dir gegeben ist! Freu dich, junger Mensch! Sei glücklich, solange du noch jung bist! Tu, was dir Spaß macht, wozu deine Augen dich locken! Aber vergiß nicht, daß Gott von dir Rechenschaft fordern wird... Genieße dein Leben, bevor es zu Ende geht, wie eine silberne Schnur zerreißt oder eine goldene Schale zerbricht, wie ein Krug an der Quelle in Scherben geht oder das Schöpfrad zerbrochen in den Brunnen stürzt. Dann kehrt der Leib zur Erde zurück, aus der er entstanden ist, und der Lebensgeist geht zu Gott, der ihn gegeben hat."

Liebe Gemeinde!

Was ich Ihnen eben vorgelesen habe, sind Worte der Bibel. Gewiß ungewohnte Worte, aber doch passend zu diesem Rahmen hier im Siedlerheim, Worte, die zu Leichtsinn und Frohsinn aufrufen, in geradezu unverblümter Weise. Don't worry, be happy: Sorge dich nicht, sei glücklich! So war es vor wenigen Jahren im Radio zu hören, und viele Intellektuelle störten sich an dieser, alles Unangenehme beiseitedrängenden Formel, die den Leuten ein leichtes, unerreichbares Leben vorgaukelt.

Und nun scheint die Bibel in dasselbe Horn zu blasen: Freude an der Jugend, am Wein und an der Liebe, das kommt auch in der Bibel vor. Ja nicht nur das, der Prediger Salomo fordert uns geradezu dazu auf, den frohen Seiten des Lebens nachzugehen, wie wir es sonst nur aus den Liedern der Volksmusik und der Gesangvereine kennen.

Freude am Leben, darf man sie überhaupt empfinden? Passt zu einem rechten Christen nicht viel eher Ernst und Nachdenklichkeit als Sinnenlust und Zeitvertreib, vornehme Zurückhaltung als Witz und Draufgängertum? So wurde es ja vielen vergangenen Generationen gepredigt.

Der italienische Schriftsteller Umberto Eco hatte vor gut 20 Jahren aus diesem Thema einen spannenden Roman gestaltet, der unter dem Titel "Der Name der Rose" weltberühmt wurde. Im gleichnamigen Spielfilm spielt Sean Connery, der gerade 70 Jahre geworden ist, die Hauptrolle als Sir William, der sich eines jungen Novizen, Adson von Melk, annimmt.

Seltsame Dinge geschehen im Kloster: Der Mönch Jorge von Burgos, ein blinder Greis, der den Antichrist erwartet und das Lachen verdammt, ermordetet mehrere Mönche, um das einzige Exemplar der Aristotelespoetik 'Über das Komische' zu verbergen. Er glaubte, das Christus in seinem Leben niemals gelacht habe, und daher dürfe ein rechter Christ nur ernst einherschreiten. Das Lachen sei vom Teufel. Und daher muss um Gottes Willen dieses verloren gegangene Buch der Komik vernichtet werden, bevor es einem Kopisten in die Hände fällt. Jorge hatte befürchtet, dass die Welt zu Grunde ginge, dass jeder seinen Glauben an Gott verlieren würde, wenn das Buch an die Öffentlichkeit gelangen würde und die Christen zum Frohsinn verführe. Deshalb hatte er die Seiten vergiftet, so dass jeder, der das Buch liest, stirbt. Um es weiterhin der Außenwelt vorzuenthalten, begann Jorge schließlich, das Buch aufzuessen. Bei Williams und Adsons Versuch, es noch zu retten, geriet die Bibliothek in Brand. (Betrachten wir uns jedoch die Textstellen aus dem Prediger Salomo, so hätte Jorge die Bibel ebenfalls verspeisen müssen, denn was in ihr an Freude und Frohsinn gefordert wird, könnte einen Christen vom Schlage Jorges ebenfalls vom Glauben abbringen.)

Auch wenn Ecos Roman erdichtet ist, so gibt er doch die Stimmung wieder, die sich aus dem Mittelalter bis heute in vielen Klischees erhalten hat: Christen sollen nicht fröhlich sein, dürfen sich nicht der Lebenslust hingeben und so fort.

Mir liegt daran, beides zu seinem Recht kommen zu lassen. Ernst und Nachdenklichkeit haben sicher ihren Ort und ihre Zeit. Aber mindestens genauso christlich ist es, sich in Frohsinn und Lebenslust zu stürzen. Es gibt das eine nicht ohne das andere.

Gott hat uns dieses Leben geschenkt, damit wir uns an ihm und an der ganzen Welt erfreuen können. Das hat schon der Prediger Salomo erkannt, als er über das Leben nachdachte. Und dieser Prediger war keineswegs ein leichtfertiger Mensch. Er war ein sehr weiser und doch verzweifelter Mensch, der bald erkannt hatte, daß so vieles gute Streben des Menschen im Grunde sinnlos ist.

Alle unsere Weltverbesserungsversuche seien Haschen nach dem Wind, so sagt er, vielleicht resigniert angesichts der Einsicht, wie wenig wir im Grunde die Welt zu verändern mögen. Der Prediger Salomo, ein Realist, der nur das gelten lässt, was sichtbar ist, und es aufgegeben hatte, nach dem Unerreichbaren zu streben, und sich deshalb auf das konzentrieren konnte, was für uns erreichbar ist.

Was uns bleibt in dieser Welt und was für uns erreichbar ist, das ist die Freude, die Lust und die Liebe, die wir uns gegenseitig schenken: die Freude an Gott, der Welt und an uns selbst und miteinander. Mehr gibt es hier nicht. Trotz seines streckenweisen unerträglichen Pessimismus ist dieses Buch der Bibel ein sehr lebendiges Buch, in dem sich ein Mensch auf die Grunddinge besinnt, die das Leben lebenswert machen.

Doch leider wurde seinen Worten nie die Aufmerksamkeit zuteil, wie den anderen Bibelstellen, die zu Ernst und Nachdenklichkeit auffordern. Ein Fehler, denke ich, der einen unguten Schatten über unsere Religion geworfen hat. Das Judentum, die Religion des alten Testaments, hat sich diese Fröhlichkeit viel besser bewahren können als unser Glaube.

Die Pharisäer, jene oft so gründlich mißverstandene Menschengruppe in der Bibel, hatten ein feines Empfinden für die frohen und hellen Seiten des Lebens. Drei Dinge gibt es, so lehrten sie, die uns einen Vorgeschmack auf das zukünftige Gottesreich geben:

1. Der Feiertag oder der Schabbat, wie bei ihnen der Sonntag genannt wurde,
 
2. das warme und strahlende Licht der Sonne, und
 
an dritter Stelle und genauso wichtig wie die ersten beiden Dinge, ich wage es in einem christlichen Gottesdienst kaum auszusprechen: der Beischlaf.

Und entsprechend froh und ausgelassen konnte es auch in ihren Gottesdiensten zugehn: Es durfte gelacht werden. Es wurden Witze erzählt, es wurde miteinander gefeiert, in einer Ausgelassenheit, die uns im Rückblick nur beneidenswert erscheinen kann.

Wir dürfen es nicht vergessen: Ernst und Frohsinn gehören zusammen, eine prickelnde Unterhaltung bei einem Glas Bier oder eine gemeinsam verbrachte Nacht kann genauso religiös sein wie ein Gebet. Es muß nicht immer über Gott geredet werden. Wichtig ist nur, das er viele Wege hat, durch die er uns entgegenkommt.

Der Frohsinn überwindet die dumpfe Angst und bereitet den Weg zur Erlösung. Sich selbst vergessen können, sich loslassen, frei und unbeschwert für ein paar Stunden, ist es das nicht, wonach wir uns oft sehnen? Gott will uns auch das erleben lassen. Hoffentlich können wir uns auch das Gute gönnen, das er uns zugedacht hat. Amen.

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[Menschen]
Impressum, http://bs.cyty.com/menschen/archiv/predigt/, Stand: 13. März 2005, ee