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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche


Die Kirchenvorstandswahl März 2006
in der Braunschweiger Landeskirche




Schlußbemerkung

1. Die Kirchenvorstandswahl 2006 war ein Erfolg. Die Mobilisierungseffekte in vielen Kirchengemeinden und die phantasievolle Ausgestaltung des Wahltages sind ein herausragendes Ergebnis. Sie sind zustande gekommen durch die hohe Bereitschaft der kirchlichen Mitarbeiterschaft vor Ort zu erheblicher zusätzlicher Arbeit. Es wäre zu wünschen, daß Vorbereitung, Durchführung und Ergebnis der Kirchenvorstandswahl im Unfeld der Einführung der Kirchenvorstände und in den ersten Sitzungen resumiert würden.

2. Das Ergebnis der Kirchenvorstandswahl stellt auch Fragen.

Die Landeskirche ist nach demokratischen Maßstäben nicht legitimierbar und auch mit politischen Wahlen nicht vergleichbar. Eine demokratische Mehrheitslegitimierung der Kirchenvorstände ist nicht erreichbar.
Ein Rückblick macht deutlich, auf welchem Niveau sich die Landeskirche mit einer Wahlbeteiligung von 24,25 % befindet. Die Wahlbeteiligung betrug:


Datum

Beteiligung [%]

Wahl-berechtigte

Wähler

Wahlalter
akt.; pass

Wahlmotto

Quelle

12.3.1972

23,21

432.540

100.407

18; 21

 

Kurier

05.3.1978

27,97

439.660

122.974

18; 21

 

Ev. Zeitung

11.3.1984

27,63

435.780

120.410

18; 18

JA zur Kirche

Kurier Aug.84

13.3.1988

28,00

 

 

16; 18

Zeit für Kirche

 

06.2.1994

26,34

413.795

108.983

16; 18

Leben in der Kirche

IPS

02.4.2000

24,05

378.014

90.921

16; 18

evangelisch aus gutem Grund

IPS

26.3.2006

24,25

354.113

85.861

16; 18

Kirche lebt durch...

Ev. Zeitung



Anmerkung zur Tabelle: es ist schwierig, gesicherte Zahlen über die Kirchenvorstandswahlen zu erhalten. Sie stammen aus verschiedenen Quellen, meist Kirchenzeitungen. Die Angaben differieren auch. Es war seinerzeit nicht üblich, die Anzahl der Wahlberechtigten und Wähler anzugeben. Es wurden meist nur die Prozentzahlen veröffentlicht. Auch hierbei gibt es Differenzen. Die Aufstellung einer genaueren Tabelle steht noch aus.Anmerkung zur Tabelle: es ist schwierig, gesicherte Zahlen über die Kirchenvorstandswahlen zu erhalten. Sie stammen aus verschiedenen Quellen, meist Kirchenzeitungen. Die Angaben differieren auch. Es war seinerzeit nicht üblich, die Anzahl der Wahlberechtigten und Wähler anzugeben. Es wurden meist nur die Prozentzahlen veröffentlicht. Auch hierbei gibt es Differenzen. Die Aufstellung einer genaueren Tabelle steht noch aus.


a) Im historischen Vergleich stabilisiert sich das Ergebnis der Kirchenvorstandswahl bei 24,2 Prozent. Diese Prozentzahl hat bei höherer Zahl der Wahlberechtigten auch eine höhere Bedeutung.
Die 24 Prozent stellen die Frage nach der demokratischen Legitimierung der Kirchenvorstände.
Die Kirchenvorstandswahl ist von drei demokratischen Bewegungen geprägt. 1851 wurde im Gefolge der demokratischen Bewegung, die von der Frankfurter Versammlung ausging, das Wahlgesetz erlassen. Nur heiratsfähige und erwerbstätig auf eigenen Füßen stehende Männer durften wählen. Das waren etwa 10 Prozent. 1918 durften alle Männer und Frauen ab 25 Jahren wählen. Aber wenn nicht mehr Kandidaten aufgestellt wurden, wie gewählt werden sollten, entfiel ein Wahlvorgang. Noch 1966 wurden daher in nur wenigen Kirchengemeinden die Kirchenvorstände gewählt. Sie beriefen sich selber. Im Gefolge der Kirchenreformbewegung wurde durch das Gesetz über die Bildung der Kirchenvorstände vom 2.10.1971 zum ersten Mal am 12.3.1972 die Gelegenheit geschaffen, aus dem mindestens Eineinhalbfachen der zu wählenden Kandidaten eine Wahl zu treffen. Die Durchführung einer Wahl wurde zur Pflicht. Das aktive Wahlalter betrug 18 Jahre, das passive 21 Jahre. 22,9 % gingen zur Wahl. Die höchste Beteiligung von 28 % (1978) und 27 % (1984) sank nach zehn Jahren auf 26 % (1994) und pendelte sich auf 24 % ein. An politischen Maßstäben gemessen fehlt den Kirchenvorständen eine demokratische Legitimierung durch eine Mehrheit. Das gilt nicht für alle Kirchengemeinden. 1984 betrug die durchschnittliche Wahlbeteiligung in der damaligen Propstei Schöppenstedt 45,21 %, und in der Propstei Gandersheim 43,57 %. Es müssen also viele Kirchengemeinden eine über 50 prozentige Wahlbeteiligung aufzuweisen gehabt haben. In diesem Jahr 2006 waren es 82 Kirchengemeinden mit über 50 % Wahlbeteiligung, also mit einer Mehrheitslegitimierung.

b) Dieses Demokratieverständnis wurde biblisch oder dogmatisch begründe. Man unterlag damit der traditionellen Versuchung, die jeweiligen politischen Systeme, in die die Landeskirche eingebunden waren, theologisch zu begründen. Die Kirche sah im Kaisertum wie im Führerstaat eine Schöpfungsordnung. Die Denkschrift der EKD über die Demokratie aus dem Jahre 1985 sprach der Demokratie eine besondere Nähe zur Gottesordnung zu. Propst Weiß schrieb im Wort zum Sonntag am 25.3.2006 in der BZ „Die demokratische Struktur der Landeskirche liegt in der Natur des Evangeliums“. Das klingt wie gehabt. Darüber müßte einmal gründlich nachgedacht werden, denn von da her ist das Wahlergebnis eine Absage an das Evangelium.

c) In der Kirche widerstrebt bis heute ein extensiv gepflegter Amtsbegriff diesem Demokratieverständnis. Dagegen steht ein die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gleichberechtigt einbeziehender Dienstbegriff. Hier liegen grundlegende Reibepunkte, die neu bedacht werden müßten.

d) Das Leitbild von Kirche als Volkskirche kommt dem System der Kirchenvorstandswahlen nahe. Tatsächlich richten einige Pfarrerinnen und Pfarrer insbesondere auf den Dörfern erfolgreich ihre Arbeit nach diesem Kirchenbild aus. Sie binden die dörfliche Vereinsarbeit in die Kirchengemeindearbeit ein, der Gemeindebrief berichtet nicht nur aus der Kirchengemeinde sondern vom ganzen Dorf. Das ist ein Leitbild, das Früchte trägt. Daneben ist in der EKD im August 1996 das Bild von einer Kirche als „Minderheit mit Zukunft“ beschrieben worden. Neben dem volkskirchlichen Leitbild haben in unserer Landeskirche dogmatisch wie kirchenpolitisch geprägte Richtungsgemeinden diesem Leitbild einer „Minderheit mit Zukunft“ entsprochen. Die Volkskirche hat als wesentliches Ziel die Selbsterhaltung sowie Missionierung und Christianisierung der Gesellschaft. Die Richtungsgemeinden nennen als Zielvorstellung die Erhaltung des Bekenntnisses, den Vorrang des „Lobpreises“, oder der Option für die Armen.

2. Eine Besonderheit dieser Kirchenvorstandswahl war der von den Leitungsgremium hingenommene offene Rechtsbruch zahlreicher Kirchengemeinden, das Kriterium des Eineinhalbfachen ohne Not zu verletzen. Das ist ein weiterer Schritt weg von den Demokratievorstellungen der Kirchenreformbewegung hin zu einem sich vertiefenden autoritären System, das den Wahlcharakter einer Kirchenvorstandswahl nicht für unaufgebbar hält. Es ist abzusehen, daß die Kirchenleitung und Kirchenregierung diesen Rechtsbruch „unter den Teppich kehren will“, weil seine Behandlung das positive Image der Landeskirche beschädigen könnte.

3. Es ist aber auch eine nicht unerhebliche Müdigkeit und Resignation unter den eigentlich höchst Motivierten und Engagierten zu bemerken. Sie haben während der vergangenen Arbeit in den Kirchenvorständen erfahren, wie die erhebliche Kompetenz in den Kirchengemeinden zwar vor der Wahl viel beschworen wird, aber nach der Wahl von der Kirchenbehörde mißachtet worden ist. Wesentliche, die Kirchengemeinde betreffenden Entscheidungen wurden über die Köpfe der Kirchenvorstände getroffen wurden. Ich denke nur an die Zurückstufung der jeweiligen Pfarrstellen oder die Abgabe der geistlichen Entscheidung im Konfliktfall an die Propstebene oder an die Bedrohung mit der Wegnahme der Führung der Kirchenkassen in den Landgemeinden oder an das kleinliche Hineinreden in Bausachen.
Dieser Widerspruch läßt sich auf die Dauer besonders von den engagierten und kompetenten Kirchenvorsteherinnen und Kirchenvorstehern nicht ertragen.


Vielleicht wäre es nach eineinhalb Jahrhundert Demokratieversuchen in der Kirche an der Zeit, über Alternativen nachzudenken.




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