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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Zum 70. Geburtstag von Kurt Dockhorn
(Download als pdf hier)


Schule und Kirche auf dem Lande am Ende des Herzogtums Braunschweig

von Dietrich Kuessner

Die umfassende Arbeit von Friedrich Koldewey über das Schulwesen im Herzogtum Braunschweig ist 1891 erschienen. Die Arbeit über das Verhältnis von Schule und Kirche in Niedersachsen in der Weimarer Zeit von Gerd Eberhard Tilly aus dem Jahre 1987 beginnt mit dem Jahre 1918. Von Birgit Pollmann ist in der Heintzefestschrift „Gib ewigliche Freiheit“ ein Beitrag „Kirche und Schule im Herzogtum Braunschweig 1870-1918“ erschienen. Mit dieser Skizze soll das Verhältnis von Kirche und Schule auf dem Lande am Ende des Herzogtums Braunschweig aus der Sicht der Landeskirche beschrieben werden.
Vorab ein kleiner Rückblick auf das Verhältnis Schule und Kirche auf dem Lande bis 1890.
Schulordnungen gab es viele. Sie formulierten pädagogische Schulziele. Mit der Schulwirklichkeit hatten sie nichts zu tun.
Schon Herzog Julius (1568-1589), dem die Landeskirche die Einfuhr einer von oben verordneten Reformation verdankt, hat in seiner Kirchenordnung von 1569 in allen Dörfern und „Flecken“ des Herzogtums, wo eine Küsterei bestand, die Einrichtung einer „deutschen Schule“ angeregt. Der Küster sollte die Dorfkinder in Lesen, Schreiben, Singen unterrichten und dazu den Katechismus benutzen. Es wurden auch Schulzeit, Schulgeld. Schuleinkünfte, Schulzucht u.a.m. behandelt, aber die Eltern schickten ihre Kinder nicht in die Schule. Es bestand keine Schulpflicht. Die Kinder gehörten für sie auf den Acker.
Herzog August d. Jüngere (1634-1666) resümierte in seiner Schulordnung von 1651 über den Lehrer, dass dieser „bei seiner schweren Mühe und Arbeit ein gestrenges Leben in Hunger, Durst, Blöße und Mangel aller Notdurft führen und nebst dem von jedermann verachtet und unter die Füße getreten sein müsse.“ August führte die Schulpflicht ein und vermerkte in seiner Schulordnung, dass die Lehrer – also in damaliger Sprache die Küster und Opferleute - keine Handwerker sein sollten und „auch nicht solche genommen werden sollen, welche nicht im Leben und Schreiben.. geübet“ wären. So eine Instruktion war offenbar nötig. Es kam vor, dass Analphabeten Lehrer gewesen waren. Wieder wurden Schulzeit, Schulgeld, Lernziele formuliert, der Ortspfarrer zur Schulaufsicht ernannt, aber es war auf Weg und Felsen gesät. Die Kinder gehörten auf den Acker, meinten die Eltern und auch die Patrone.

Anton Ulrich wiederholt in seiner Kirchenordnung von 1709 als Lernziele Beten, Lesen, Schreiben und auch Rechnen und ordnete an, dass die Kinder wenigstens zwei Stunden am Tag zur Schule sollten, es half keine Ordnung, die Schule blieb „im Abgang geraten“, nämlich die Kinderzucht auf dem Lande, wie Anton Ulrich eingangs seiner Kirchenordnung geklagt hatte.

Als Karl I (1735-1780) und Abt Jerusalem jahrzehntelang auch die Richtlinien der Schulpolitik bestimmten – es ist die Zeit des aufgeklärten Alten Fritz, der in Salzdahlum geheiratet hatte – entstand wieder eine ausführliche Schulordnung, nun im Jahre1753. Die Ortspfarrer sollten die ev.luth. Dorfschule einmal in der Woche visitieren, die Superintendenten alle Vierteljahr. Es waren Berichte zu schreiben (die womöglich noch ausgewertet werden müssten, wenn sie noch vorhanden sind). Familiärer und schulischer Bereich gingen in der Dorfschulwohnung in der Regel ineinander über. Das sollte nun ein Ende haben. Karl richtete, das war als Fortschritt geplant, zwei Lehrerseminare ein, eins in Braunschweig (1751), eins in Wolfenbüttel (1753). Aufnahmebedingung für den künftigen Seminaristen war das Alter von 17 Jahren, ein gutes Führungszeugnis, lesen, schreiben, etwas rechnen und ein wenig Klasvier spielen. Die vorgesehenen sechs Seminarstellen blieben leer, denn Lehrerstellen waren miserabel bezahlt. Aus dem Jahre 1788 stammt ein Schreiben von Lehrer Jürgens, einem Vorfahren der Braunschweiger Pröpste Otto und Klaus Jürgens, der Lehrer in Bevern war und sich über seine Schulsituation beschwerte. Er beschrieb das Schulhaus als „äußerst elend“, unten Kammer, Küche, Schulstube, oben vier Kammern. Kein Schornstein in der Küche, kein Keller, es regnet durch das Dach. „Man ist seines Lebens nicht sicher! Denn das alte Gebäude hängt sehr nach der einen Seite, sodaß ein Windstoß den alten morschen Klumpen leicht ganz niederwerfen könnte.“ Die Schulstube „ein einziges, niedriges, dunkles Loch, in der man von Dunst schwindlig und ohnmächtig wird, 20 Fuß lang und 14 Fuß breit“, aber für die 120 bis 130 Kinder blieb wegen Tisch, Ofen und Tür nur wenig Platz. Wenn im Winter wegen der Kälte nicht gelüftet werden konnte, „ists auch fast unerträglich, und nicht selten, dass einige der Kinder ohnmächtig werden und nach Hause geschleppt werden müssen.“ Im Frühjahr war Lehrer Jürgens regelmäßig 4-6 Wochen krank.
1786 wurden in der Wesergegend einige Landschulen visitiert. Den Visitationsbögen sind die Nebenbeschäftigungen der Dorflehrer zu entnehmen: „copirt, gärtnert, webt, schneidert, copirt, schneidert“. In vier Orten ist keine Schulstube vorhanden, der Schulunterricht fand also im Wohnzimmer des Lehrers statt. Von neun Orten waren in vieren die Schulstuben „groß und lüftig genug“, in fünfen „ zu klein und dämpfig“, „für die vielen Kinder zu klein und dünstig“ (Harderode), „für die vielen Kinder bei weitem nicht groß und lüftig genug, sondern dunstig und ungesund“ (Bisperode).
Das evangelisch-lutherische Schulwesen auf dem Lande war zum großen Teil verwahrlost.
In einem anderen Schreiben aus dem Jahre 1787 an das Schuldirektorium heißt es: die Landlehrer drängten wegen der miserablen Verhältnisse rasch in die Stadt zurück. Ein ruhiger Unterricht von kleinen und größeren Kindern sei wegen des Getöses der kleineren Kinder verdrießlich. Die Schulstuben zu klein und zu niedrig, „da denn sich die Kinder aneinander pressen müssen und kaum mit ihrem Lehrer Athem schöpfen können“. „Viele Kinder kommen ganz unordentlich und zum Teil nicht eher in die Schule bis sie 10 und mehrere Jahre erreicht haben. Dis macht auch den ‚Unterricht fast vergeblich.“ Schließlich ist das Verhältnis zum Ortspfarrer zerstört. „Sie sehen sich an als den Schäfer so wohl als bey der großen als kleinen Herde und den Schulmann als ihren Hund. Da nun dieses Verhältnis eben so unnatürlich als grausam ist, auch dis nun immer mehr eingesehen wird, und die Schulhalter nun selbst kleinen Hirten werden sollen, so ist der Teufel in der Gestalt eines Hohenpriesters mit seinen Anhängern los. Denn wenn der Schäfer einen guten Hund hält, so kann er sich ruhig in den Graben legen.“ Ein Reform an Haupt und Gliedern war überfällig.

Die radikale Schulreform von Campe (1786), nämlich Schule und Kirche völlig zu trennen und die Dorfschulen einem fürstlichen Schuldirektorium zu unterstellen, war bereits nach vier Jahren am Widerstand der Landeskirche gescheitert. Ein Trauerspiel, das viel Ärger in der Zukunft erspart hätte. Das Konsistorium erließ wiederum 1802 allerlei Verordnungen, aber weil es an Lehrkräften mit ausreichender Vorbildung und Besoldung fehlte, ging auch dieser gute Wille in die Binsen.
Auch der zweite Versuch, Schule und Kirche zu trennen, und zwar in der sog. Westfälischen Zeit (1808) dauerte nut fünf Jahre.
Resumiert man die Zeit von 1568 bis zum Regierungsantritt von Herzog Wilhelm (1830), dann bleibt nur die nüchterne Feststellung, dass die Reformation für die Gestaltung und Entwicklung einer Dorfschule nichts, aber auch gar nichts gebracht hat und die Rolle der Ortspfarrer als Schulaufseher auch nichts.

In der Landschaftsordnung von 1832, der seinerzeit durchaus modernen ersten Verfassung des Herzogtums, wurde die Erhaltung, Verbesserung und Vervollkommnung der öffentlichen Unterrichtsanstalten ein zu befördernder Gegenstand der Fürsorge der Landesregierung genannt. Die Kirchenbehörde blieb im Auftrag des Staates für die Schule verantwortlich.
Achtzig Jahre (von 1836 bis 1916) blieb die Dienstinstruktion des Konsistoriums für Schullehrer und Opferleute auf dem Lande“ in Kraft (siehe weiter unten). Das Gesetz über die Schulpflicht von 1840 regelte wieder einmal Schulpflicht, Schulzeit, Schulgeld, Lehrfächer u.a.. Von der Schulpflicht wurden ausdrücklich die Kinder von Besitzern oder Pächtern der Landgüter, Domänenpächter, von Pfarrern, Offizieren und Staatsdienern erster Klasse ausgenommen. Sie wurden privat zu Hause unterrichtet. So wurde z.B. mein Vater (Jahrgang 1896) noch von meinen Großeltern (Landpfarrer in Ostpreußen) unterrichtet und zwar bis zur Klasse sieben des Gymnasiums. Die Dorfschule war also von vorneherein eine Klassenschule, vor der die „Besseren des Dorfes“ verschont blieben. Während dort der Unterricht im kleinen Kreis auf dem Sofa am runden Tisch des Amtszimmers erfolgte, empfahl das Gesetz von 1840, dass 60 Kinder von einem Lehrer in einer Klasse unterrichtet werden sollten. Schulen mit höchstens 160 Kindern sollten von einem Lehrer in zwei Klassen unterrichtet werden. Wenn die Zahl von 160 Kindern in einer Schule überschritten würde, würde ein zweiter Lehrer angestellt. Damit war die Klassenzahl von 80 Kindern in einer Klasse gesetzlich festgeschrieben. Das bedeutete die Kasernierung des Unterrichtes, in dem die Einübung in Gehorsam, nötigenfalls mit dem Stock, höchste Priorität hatte. Dazu war es gleichgültig, ob die Klassenstärke pädagogisch sinnvoll war. Wesentliches Lernziel war die Disziplin in der Klasse. Die Disziplin bestand im Stillesitzen während des Unterrichtes, dem später das Stillgestanden auf dem Kasernenhof folgte.
Das Gesetz über die Gemeindeschulen auf dem Lande (1851) nahm die Kommunalgemeinde in die Pflicht, ihre Dorfschule zu unterhalten und dem Dorfschullehrer sein mageres Gehalt auszuzahlen. Jede Dorfschule erhielt einen Schulvorstand, dem der Pfarrer, der Gemeindevorsteher, ein Mitglied des Kirchenvorstandes und des Gemeinderates angehörte und der Lehrer beratendes Mitglied wurde. Das war bereits ein Ergebnis des republikanischen Aufbruches von 1848. Der Ortspfarrer wurde der nächste Vorgesetzte, aber nur auf dem Lande, in der Stadt war es ein Schuldirigent.
Ab 1868 gab es auch Lehrerinnen an den Gemeindeschulen und ein Gesetz von 1873 legte ein gestaffeltes Gehalt je nach der Einwohnerzahl des Dorfes fest, von 250 Talern (ab 400 Einwohnern) bis 500 Talern (ab 700 Dorfbewohnern).
A.Heinemann, Lehrer in Broitzem, dessen Buch „Geschichte des Volksschulwesens im Herzogthum Braunschweig“ 1900 Braunschweig diese Angaben entnommen sind, schloss seine Abhandlung mit folgender Bemerkung: „Seit Jahrhunderten war das Volksschulwesen in einem ‚armselig und meist zusammengeflickten Gewande’ einhergeschritten. Unter Herzog Wilhelms Regierung war es besser geworden, und das ist umso mehr hervorzuheben, als in den meisten deutschen Staaten lange Zeit eine bildungsfeindliche Richtung vorherrschte.“
Die allererste Sorge für eine verbesserte Unterrichtssituation mußte die Raumfrage sein. Aber noch Ende des 19. Jahrhunderts wurde im 1896 erschienenen Minimal- Lehrplanplan eine Klassenstärke von 70 Schülern als tragbar empfohlen. Es hieß: „In der Regel sollen Schulen, für welche ein Lehrer angestellt ist, die Schülerzahl höchstens 120 und bei mehrklassigen Schulen, für welche 2 oder mehrere Lehrer angestellt sind, die Schülerzahl einer Klasse 70 nicht übersteigen.“
Aufschlußreicher über die Raumsituation in den Dorfschulen ist die 1900 erschienene Abhandlung „Statistisches über das Volksschulwesen im Herzogtum Braunschweig, Braunschweig 1900 von A.Heinemann und vom Lehrern G. Vollmer aus Timmerlah.

Der Statistik zu Folge gab es vor allem in den kleinen Dörfern noch die beschauliche kleine Dorfschule mit einer Klasse und wenig Schülern, aber auch Dorfschulen mit unsinnig überfüllten Klassenräumen wie ehedem und oben bereits beschrieben.
Zum Verständnis der Zählung: die erste Klasse war die Abgangsklasse also der 13-14 Jährigen, und die jeweils letzte, also in der Regel die zweite oder auch die dritte, die Eingangsklasse, die 6-7 Jährigen.

Der Horror der überfüllten Klassen um 1900
Ein wesentlicher Grund für die Überfüllung der Klassen war die Bevölkerungsexplosion ab 1870 im ganzen deutschen Reich und auch im Herzogtum. Einige Beispiele:mit den Folgen für die Klassenstärke:
Im Stift Königslutter war die Bevölkerungszahl von 997 Personen (1890) auf 1.561 (1900) gestiegen, die Kinderzahl von 400 auf 525 Kinder. Diese wurden von sechs Lehrern in sieben Klassen unterrichtet. In der Eingangsklasse sechs waren die 50 Jungen von 61 Mädchen geteilt. In der Fünften Klasse waren 86, in der vierten 89, in der dritten 87, in der zweiten 76, und in der ersten ,der Abgangsklasse 76 Kinder.

Offleben war ein wachsendes Industriedorf, teils durch die dortigen Zuckerfabriken, teils durch die Braunschweigischen Kohlenbergwerke. Die Bevölkerung war von 553 Bewohnern (1880) auf 1.155 (1890) und 1.484 (1900) gestiegen und entsprechend die Kinderzahl von 180 Kindern (1890) auf 229 (1900). Schon 1890 wurden in zwei Klassen 180 Kinder unterrichtet. Dieser unhaltbare Ausgangszustand änderte sich um 1900 nur geringfügig. Um 1900 unterrichteten zwei Lehrer drei Klassen und zwar die Dritte Klasse, also die Anfänger mit 81 Kindern, die zweite Klasse mit 70 Kindern, die erste Klasse mit 78 Kindern. Tatsächlich hatte sich also die unhaltbare Lage zehn Jahre später kaum verändert.

Ebenso verheerend war die Situation in Delligsen Die Schülerzahl war von 261 (1890) auf 378 (1900).gestiegen. Bereits 1857 wurden in zwei Klassen 180 Kinder unterrichtet, daraufhin wurde 1858 eine dritte Klasse eingerichtet, 1891 eine vierte Klasse bei insgesamt 340 Kindern. 1900 unterrichteten vier Lehrer insgesamt 378 Kinder in fünf Klassen mit folgender Klassenstärke: Klasse fünf (Krabbelgruppe) mit 76 Kindern, die vierte mit 92, die dritte mit 71, die zweite mit 81 und die erste (Abschluß- und Konfirmandenklassse) mit 58 Kindern.

Im Dorf Jerxheim unterrichteten fünf Lehrer in sechs Klassen insgesamt 395 Kinder, die folgendermaßen aufgeteilt waren: fünfte Klasse 99 Kinder, vierte Klasse 81 Kinder, dritte Klasse 73 Kinder, zweite Klasse 64 Kinder und in der ersten Klasse 40 Jungen und 38 Mädchen getrennt unterrichtet.
Die Beispiele mögen genügen zur Feststellung: in einigen Dörfern explodierte die Schulsituation in den ev.-luth. Gemeindeschulen.

Aber auch ohne Bevölkerungswachstum konnte die Lage prekär sein, Beispiel Oelber a.w.W.
Oelber a.w. W. hatte 1890 143 und 1900 154 Kinder in der Schule. Dort unterrichtet ein Lehrer in zwei Klassen, in denen in der zweiten 81 Kinder und in der ersten 73 Kinder saßen. Oelber a.w.W. hatte um 1900 560 Einwohner.

Daneben gab es auch noch idyllische Situationen:
in Wedtlenstedt unterrichtete ein Lehrer in der zweite Klasse 27 und in der ersten Klasse 23 Kinder. Das Dorf hatte 278 Einwohner; in Dibbesdorf bei 230 Einwohnern in der zweiten Klasse 15 und in der ersten 13 Schüler.
In Dörfern zwischen 300 und 400 Einwohnern wie in Köchingen, Linden, Liedingen und Sauingen waren in der zweiten Klasse 27 , 38, 32, 35 Kinder zu unterrichten und in der ersten, der Abschlussklasse, 29, 41, 28, 30, also vergleichsweise überschaubare Verhältnisse.

In der Gegend von Vorsfelde hatten alle Schulen zwei Klassen, die Dörfern mit 200 – 320 Einwohnern in den beiden Klassen 17 bis 31 Schüler (Brackstedt, Brechtorf, Eischott, Hoitlingen, Nordsteimke, Tiddische, Velstove, Warmenau und Wendchott.
Ähnliche erfreuliche Verhältnisse herrschten im Kreis Gandersheim.

Als Normalfall kann eine teils überfüllte und teils herabgesetzte Klassenstärke gelten wie z.B. in Gebhardshagen. .Dort wurde 1883 bei einer Schülerzahl von 260 Kindern (durchschnittlich 86 Kindern) eine vierte Klasse eingerichtet. In Gebhardshagen unterrichteten im Jahr 1900 drei Lehrer. In der viertem Klasse befanden sich 88 Kinder, in der dritten 56, in der zweiten 45 und in der ersten 59 Kinder.

Gelegentlich nützte die Vermehrung von Lehrern und Klassen wenig, weil die Klassenräume fehlten.
In Wendeburg wurden bis 1870 190 Kinder in zwei Klassen unterrichtet. Dann wurde eine dritte bewilligt, 1894 bei 250 Kindern eine vierte Klasse. Um 1900 unterrichteten drei Lehrer in der vierten Klasse 68 Kinder, in der dritten 73., in der zweiten 55 und in der ersten 47 Kinder, also eine spürbare Verbesserung, aber es waren 1900 nur zwei Klassenräume vorhanden. Zwei weitere waren indes im Bau.

Angespannt blieb die Lage dort, wo jeweils ein Dorflehrer unterrichtete:
in Rautheim ein Lehrer zwei Klassen: zweite: 66 und in der ersten 50 Kinder,
in Remlingen ein Lehrer zwei Klassen: zweite 80, erste 64 Kinder,
in Küblingen ein Lehrer zwei Klassen: zweite 61, erste 58 Kinder,
in Esbeck ein Lehrer zwei Klassen: zweite 74, erste 50 Kinder,
in Alversdorf ein Lehrer zwei Klassen: zweite 70, erste 50 Kinder,
in Wolsdorf ein Lehrer zwei Klassen: zweite 67, erste 49 Kinder.

Zusammenfassung:
In den ev.-luth. Gemeindeschulen auf dem Lande unterrichteten im Jahre 1900 in 249 Schulen ein Lehrer meist in zwei Klassen (231). Es gab auch noch 18 einklassige Gemeindeschulen.
Die Schülerzahl bei einem Dorfschullehrer betrug in 60 ev. luth. Landgemeindeschulen über 100, in 24 über 120, in zweien über 150 und in 15 unter 30 Kinder.

In seinen der Landessynode alle vier Jahre erstatteten Lageberichten kam das Konsistorium auch auf die Notwendigkeit des Schulneubaus zu sprechen. Im Lagebericht 1880 hieß es, es herrsche in den Landgemeinden der leidige Grundsatz, daß das Billigste eben gut genug wäre, ein „schädlicher Irrtum“ stellte das Konsistorium fest. Im Bericht 1884 heißt es, der Zustand der Schulhäuser auf dem Lande lasse viel zu wünschen übrig.. Es herrsche der Grundsatz: „Was für die Alten ausgereicht hat, das wird auch wohl für die Jungen reichen“. Das Konsistorium gab auch tabellarische Angaben über die Vermehrung der Schülerzahlen:

Schülerzahlen

Jahr

Stadtschulen

Landschulen

Insgesamt

1880

17.588

38.240

55.828

1881

17.969

39.266

57.235

1882

18.613

40.023

58.636

1883

19.396

40.994

60.390

1884

20.177

42.059

62.236

1885

20.783

42.484

63.267

1886

21.644

42.634

64.278

1887

22.207

42.923

65.130

1892

23.554

42.762

66.316

1893

24.034

44.066

68.100

1894

25.018

44.275

69.293

1895

25.834

45.096

70.930


Dazu schrieb das Konsistorium 1888:, die übergroße Zahl von Schulkindern machte es selbst dem eifrigsten Lehrer unmöglich, in ausreichender Weise für Unterricht und Erziehung zu sorgen. Es müßte beizeiten darauf Bedacht genommen werden, solchen Übelständen Abhilfe zu verschaffen.
Im Bericht 1892 beklagte das Konsistorium, daß in einzelnen Landgemeinden die von einem Lehrer zu unterrichtende Zahl so groß sei, daß für Unterricht und Erziehung nicht in ausreichendem Maße gesorgt werden könnte. Nur durch angemessene Beschränkung der Schülerzahl könnten unterrichtliche Erfolge erzielt werden. Im Bericht 1896 wiederholte das Konsistorium die Klage der zu großen Klassenstärke. In den Stadtschulen (nicht nur in Braunschweig) unterrichteten 617 Lehrer, in den Landschulen die erheblich größere Anzahl von Schülern nur 574. Lehrer, was noch einmal die unhaltbare Schulsituation auf dem Lande unterstreicht. Seit her wurde über die Schulsituation im Lagebericht nichts mehr berichtet. Man kann aber nicht sagen, daß das Konsistorium nicht immer wieder auf die unhaltbaren Zustände hingewiesen hätte.
Eine böse Folge dieser Situation war ein drastischer Lehrermangel. 1902 sprach der angesehene Pädagoge und Mitglied der Kirchen- und Schulkommission der Landesversammlung Schaarschmidt im Landtag von dem „verderblichen Verschicken von jungen Seminaristen“ auf die vakanten Lehrerstellen und vom „Lehrermangel, „ an dem wir nun schon über zehn und noch längere Jahre schwer leiden“. Er forderte eine Erhöhung der Seminaristenstellen in der Lehrerausbildungsanstalt im Wolfenbüttel.

Die Ablösung der niederen Kirchendienste
Es fällt mir auf, daß in der Lehrerliteratur um die Jahrhundertwende die Klassensituation kaum behandelt wurde. Dafür beherrschte ein anderes Thema mehr als zehn Jahre die Diskussionslage innerhalb der Lehrerschaft, die ihr Verhältnis zur Landeskirche massiv betraf, nämlich die
die Ablösung der sog. „niederen Küsterdienste“, die in den Lehrervereinen des Herzogtums 1889/90 vom Schulamt diskutiert wurde. Zu den niederen Küsterdiensten zählte: „Anschlagen der Betglocke, Läuten bei Sterbefällen, Beerdigungen, Taufen und Trauungen, Sturmläuten, Warten der Kirchenuhr, Beschaffung warmen Wassers für die Taufe, Aufstellen und Fortschaffen der Kniebank oder des Kniekissens, Begleitung des Geistlichen zu Haustrauungen und bei Begräbnissen, Öffnen, Schließen und Lüften der Kirche Ausschmücken der Kirche bei festlichen Gelegenheiten, Abholen der Gesangbuchnummern und Anschreiben oder Anstecken derselben, Anzünden und Auslöschen der Kirchenbeleuchtung, Aufstellen und Fortschaffen der Opferstöcke sowie der Sammelteller bei Kollekten, Reinigen der Kirchengeräte, an Filialorten die Bestellung des Fuhrmanns zum Abholen des Geistlichen.“
Auf dem 8. Deutschen Lehrertag in Berlin 1890 wurde eine Resolution angenommen, wonach die sog. niederen Küsterdienste in keinem Zusammenhang mit dem Lehrerstande stünden, sie wären „entwürdigend für seine Stellung“. Die niederen Küsterdienste sollten einem Lehrer nicht mehr übertragen werden. 1891 schickte der Vorstand des Braunschweiger Lehrervereins eine weitgehendere Eingabe an das Herzogliche Konsistorium, nämlich alle kirchlichen Dienstleistungen mit Ausnahme des Organisten-, Kantoren- und Lektorenamtes dem Lehrer abzunehmen. Es kam zu Verhandlungen zwischen dem Lehrervereinsvorstand und dem Konsistorium.
Sogar die Lutheraner behandelten die Sache in ihrem Vereinsblatt und empfahlen, auf die Trennung des niederen Küsterdienstes vom Lehreramt „als eine mit der socialen Stellung des Lehrers nicht verträgliche empfundene Bürde“ wohlwollend einzugehen. Pastor Schumann, Lesse brachte das Thema am 16.12. 1892 vor die Landessynode „Hochwürdige Landessynode wolle an die Hohe Kirchenregierung das Ersuchen richten, Hohe Kirchenregierung wolle der Landessynode einen Gesetzentwurf betreffend die Befreiung der Opferleute von den sog. niederen Küsterdiensten vorlegen.“ Inzwischen hatte am 1. März 1893 das Staatsministerium dem Konsistorium die Denkschrift des Lehrervereins zur Begutachtung zugesandt und umgehend hatte das Konsistorium sich dazu geäußert, man könne sich gegenüber dem Begehren der Lehrer „nicht schlechthin ablehnend verhalten.“ Das klang nicht sehr ermutigend, und so war es wichtig, daß der Antrag Schumanns am 14. April 1893 behandelt und auch angenommen wurde. Auch das liberale Gemeindeblatt begrüßte diese Initiative, weil damit „eine Quelle ewiger und nutzloser Reibereien zwischen Pastor und Opfermann verstopft“ würde. Weil mit der Vorlage auch Finanzfragen verbunden waren, wurde das Gesetz vor die Landesversammlung gebracht und fiel dort mit knapper Mehrheit am 24. März 1896 durch.
Das Schulblatt faßte die Begründung folgendermaßen zusammen, „es schiene (den Abgeordneten), als ob sich die Lehrer in Überhebung jener Dienste schämten und – gerne länger schlafen wollten.“
Das Konsistorium legte in der nächsten Landessynode 1896/97 einen Gesetzesentwurf vor mit der Begründung, daß den Lehrerstand zu halten und zu heben um so mehr geboten wäre, „je mehr seitens der umstürzlerischen Elemente in den unteren Volksschichten fortwährend auch an dem Ansehen der Schule und der einzelnen Lehrer gerüttelt“ werde. Die Vorlage des Konsistoriums hatte also eingestandenermaßen ein antisozialistisches Motiv. In der Aussprache am 4. Mai 1897 beantragte Pfarrer Sorge im Sinne der Eingabe des Lehrervereins,, nicht nur die niederen Küsterdienste dem neu geschaffenen Amt eines Küsters zu übertragen. „Der Kirchendienste des Lehrers sollte sich auf den Organistendienst und die Beaufsichtigung der Kinder beschränken.“ Der Antrag fiel durch aber zeigte, daß es durchaus auch noch weitergehende Vorstellungen in der Landessynode gab. Die Gesetzesvorlage hatte als häßlichen Geburtsfehler, daß den entlasteten Lehrern im Kirchendienst in Zukunft bis zu 25 %, aber nicht mehr als 50 Mark monatlich vom Lohn abgezogen werden sollte. Dieser Betrag floß in die Kirchenkasse und diente als Entlohnung des Küsters. Bezeichnenderweise gestattete die Vorlage nur als Ausnahme, daß in Zukunft die Schüler diesen niederen Küsterdienst tun sollten. Denn die Aufsicht über die Erledigung der niederen Küsterdienste sollte der Lehrer weiterhin behalten. Am 5. Mai 1897 wurde das Gesetz mit geringen Verschiebungen zuungunsten des Lehrers von der Landessynode beschlossen und passierte die Landesversammlung 1898. Da nach der Verabschiedung durch den Landtag auch die Landessynode noch einmal das Gesetz beschließen mußte, kam die Vorlage erst 1902 noch einmal in die Landessynode, wo sie nach sehr kurzer Debatte angenommen und im Kirchlichen Amtsblatt endlich veröffentlicht wurde. .Die schulstatistische Erhebung von 1905 vermerken, daß noch 224 Lehrerstellen mit den niederen Kirchendiensten verbunden und das Gesetz von 1902 noch nicht zur Anwendung gekommen wäre. Das deutet auf die schwierige finanzielle Situation der Gemeindeschullehrer hin, die auf die 50 Mark, die sie der Kirchenkasse abgeben sollten, dringend angewiesen waren. Die Entlastung war offenkundig auch nicht so erheblich. Alle mit Altar und Kanzel verbundenen Verrichtungen wie Paramente an Altar und Kanzel anbringen, die Taufschale und Abendmahlsgeräte aufstellen reinigen und verschließen, den Altar zu festlichen Zeiten besonders schmücken u.a.m. blieben bestehen.
Es war nicht gelungen, Schuldienst und Kirchendienst eindeutig zu trennen, sondern es wurde das oben beschriebene unbefriedigende Verhältnis von Schäfer und Hund um ein weiteres Getier, meinetwegen Dackel ( = Küster) erweitert. Der Stand des Küsters rangierte nunmehr weit unter dem des Lehrers auf der untersten Skala. Das Verständnis von mitverantwortlicher Mitarbeiterschaft war nicht vorhanden.

Die geistliche Schulaufsicht
Die Lehrerschaft, die diese Regelung als einen kleinen Schritt begrüßte, wandte sich größeren Forderungen zu. Zum 75. Bestehen des Landeslehrervereins 1903 hielt der kirchlich engagierte Kantor und Lehrer Bebenroth aus Warle in Wolfenbüttel einen auf große Begeisterung stoßenden Festvortrag, in dem er folgende zukunftsweisende Thesen aufstellte: die Schule wäre nicht mehr in erster Linie eine kirchliche Bildungsanstalt, die Lehrerschaft hätte sich zu einem Stande entwickelt, die befähigt wäre, ihre pädagogische Aufgabe selbständig zu erledigen .Die Erziehungs- und Bildungslehre habe sich zu einem „Sondergebiet umfassender Kenntnis“ entwickelt. Die Herrschaft der Kirche wäre daraufhin im Bildungswesen immer mehr zurückgegangen. Die geistliche Schulaufsicht wäre daher nicht mehr zeitgemäß und der Bedeutung und den Bedürfnissen des Volksschulwesens nicht mehr angemessen. Deshalb sollten hauptamtliche Bezirksschulinspektoren eingerichtet werden, die geistliche Ortsschulpflicht entfallen und sämtliche vielklassige Schulen einem Hauptlehrer und das gesamte Volksschulwesen einer besonderen Oberbehörde unterstellt werden. In einer Schulsynode sollte die Verbindung zuwischen Schule und Volk gepflegt werden. Das breit angelegte Referat machte Stimmung und Forderung in der Braunschweiger Lehrerschaft deutlich. Die Lehrerschaft wünschte die vollständige Trennung von der Kirche. wie sie in anderen Ländern, z.B.. in der Hansestadt Hamburg und in dem in vieler Hinsicht mit dem Herzogtum Braunschweig vergleichbaren Herzogtum Coburg durchgeführt war. Zehn Jahre lang wurde nun das Thema der geistlichen Schulaufsicht in den kirchlichen Blättern und im Neuen Schulblatt scharf kontrovers behandelt. Weder die herzogliche noch die kirchliche Gewalt waren zu einer Trennung bereit aus Furcht, der Charakter der Gemeindeschulen und die Lerninhalte könnten sich verändern und die Gleichgültigkeit gegenüber der Kirche fördern, wie sie bereits bei den höheren Schulen unübersehbar geworden war, die ausnahmslos nicht kirchlich gebunden waren.

Nach zehn Jahren wurde im April 1913 ein neues Gemeindeschulgesetz im Landtag verhandelt.
Vor der Schuldebatte sammelten sich 800 Mitglieder des Braunschweiger Lehrervereins in Braunschweig zu einer Kundgebung, um noch einmal ihre Forderungen Nachdruck zu verleihen. Ihr Sprecher Otto Böse forderte, daß der Schulvorstand (in dem ja der Pfarrer Vorsitzender war) kein Recht hätte, dem Unterricht beizuwohnen, Bezirksschulinspektoren sollte aus dem Kreis der Lehrer gewählt werden und nicht etwa aus dem Kreis der Superintendenten, die Aufsicht über den Religionsunterricht sollten die Bezirksschulinspektoren ausüben, und das gesamte Volksschulwesen einer ministeriellen Abteilung wie in Preußen unterstellt werden.
Tatsächlich wurde die Aufsicht über die Gemeindeschulen den Superintendenten abgenommen und den Bezirksschulinspektionen übertragen. Aber die Leitung des gesamten Gemeindeschulwesens wurde beim Herzoglichen Konsistorium belassen.. Das Gesetz übertrug den Vorsitz im Schulvorstand in den Landesschulen weiterhin dem Ortspfarrer, obwohl das Gesetz die förmliche geistliche Ortsschulpflicht aufgehoben hatte. In die Schulpflicht wurde sogar weiterhin die kirchliche Kinderlehre einbezogen. Die Volksschulen blieben als „evangelisch-lutherische“ etikettiert und hatten „die Grundlagen christlicher und vaterländischer Bildung und die für das bürgerliche Leben notwendigen allgemeinen Kenntnisse und Fähigkeiten zu verschaffen“. Damit war eine große Chance vertan, das Verhältnis von Kirche und Schule grundlegend zu klären. Hier wurde der Keim gelegt für eine Saat, die dann zwanzig Jahre später auch unter dem Vorzeichen „christlich-vaterländisch, zeitgemäß „christlich – nationalsozialistisch“ gefährlich aufging.
Wie nachhaltig der Einfluß der Landeskirche auf die Schulangelegenheiten zurückging, machte die Aussprache in der Landessynode deutlich, der nicht mehr das ganze Gesetzeswerk, sondern nur sieben Paragraphen vorgelegt worden waren. Das Kultusministerium wollte offenkundig alle Fäden in der Hand behalten und ließ der Landessynode nur die Möglichkeit der Zustimmung. Der Synodale Struve beklagte bei seiner Einbringungsrede, daß das Gesetz bereits Gesetzeskraft erlangt hätte. „Wir werden uns im großen und ganzen mit dem von dem Landtage beschlossenen Gesetz einverstanden erklären müssen“, stellte er resigniert fest. und er hätte es begrüßt, wenn „eine reinliche Scheidung zwischen dem, was der Schulgemeinde zukommt und dem, was der Kirche gehört, vollzogen worden wäre.“ Er spielte damit auf das immer noch in zahlreichen Landgemeinden gemeinsame Schul- und Kirchenvermögen an. Diese Unterlassung entwickelte in der Weimarer Zeit eine kirchen- und schulpolitisch verhängnisvolle Kraft, die eine Prozeßflut über die Trennung des Opfereivermögens zur Folge hatte und von OKR Dr. Breust geschickt agitatorisch ausgenutzt wurde.
Die Landessynode verzichtete 1913 auf eine allgemeine Aussprache. Nachdem der Landeskirche die Schulaufsicht vor Ort genommen worden war, klammerte sie sich an den Religionsunterricht und dessen Beaufsichtigung. Der Kultusminister Wolff meldete sich in der kurzen Debatte sieben Mal kritisch zu Wort, drang darauf, die Aussprache nicht auszuweiten und bemerkte zum Religionsunterricht, den die Landeskirche als ihr eigenes Revier ansah, schließlich spitz: „In der kirchlichen Presse ist betont, daß der Religionsunterricht ausschließlich Sache der Kirche sei. So liegt die Sache aber nicht. Das Schulwesen ist staatlich, doch hat die Kirche ein lebhaftes Interesse an der Schule und namentlich am Religionsunterricht. Was die innerreligiöse Gestaltung des Unterrichts anlangt, so hat der Staat vor der Kirche zurückzutreten, was aber die pädagogische und schultechnische Seite anlangt, so hat die staatliche Aufsicht einzutreten... Ich möchte übrigens zu der rechtlichen Seite bemerken, daß die Synode zwar Wünsche äußern kann, aber die Wahrung der Rechte ist in diesem Falle lediglich Sache des Konsistoriums.“ Das klang nicht nur wie ein Maulkorb und das erwünschte Ende der Aussprache durch den Minister, sondern legte auch die Grenzen der Wirksamkeit der Landessynode bloß.
Zu Recht wehrt sich die Braunschweigische Lehrerschaft gegen den Vorwurf der Kirchenfeindschaft. „Es sei nochmals gesagt: Die Braunschweigische Lehrerschaft hat niemals das bekämpft, was die Kirche auf ihrem ureigensten Gebiet tut, wohl aber hat sie hat gegen das gewandt, was die Kirche auf diesem Gebiet verlangte, das ihr nicht zugehört – nämlich auf dem Gebiet der Schule. Ist das Kirchenfeindschaft?“

Dienstanweisung von 1916
Wie wenig sich die Landeskirche auch nach diesem Gesetz von 1913 von ihren alten schulischen Vorstellungen trennen konnte, verdeutlicht die Dienstanweisung für die Opferleute vom Sommer 1916. Dort war verfügt, der Opfermann habe im dunklen Anzug zum Dienst zu erscheinen, die Paramente an Kanzel und Altar anzubringen, Altarkerzen aufzustellen, anzuzünden und auszulöschen, Abendmahlswein und Oblaten im Filialort zu besorgen, für Ordnung und Reinlichkeit in der Kirche Sorge zu tragen, die Orgel zu warten und zu beaufsichtigen, den Gesang zu leiten und die Orgel zu spielen, die Schulkinder während des Gottesdienstes zu beaufsichtigen und bei Bedarf Lesegottesdienste vom Lesepult aus zu halten. Es war der Ton, der die Mißstimmung hergerufen hatte. Der Lehrer im „gehobenen Küsterdienst“ – im Gegensatz zu den niederen Küsterdiensten – war nicht als gern gesehener Mitarbeiter in der Kirchengemeinde definiert, sondern : „er ist dem Geistlichen unmittelbar unterstellt und ihm Ehrerbietung und in amtlichen Angelegenheiten Gehorsam schuldig.“ (§ 1) Diese Dienstanweisung war vor allem mitten in der völlig verfahrenen Schulsituation während des 1. Weltkrieges eine rohe Gefühllosigkeit. Es waren sehr viele Lehrer als Soldaten eingezogen worden. Die Gedächtnisgottesdienste für die gefallenen Lehrer schreckte die Dorfbevölkerung zusätzlich auf. Allein im Jahre 1915 meldete das Kirchliche Amtsblatt den „Heldentod“ von über 40 Lehrkräften. Da war ein mitfühlendes Wort des Konsistoriums zur Lehrersituation, zu den unerquicklichen Vertretungen, zum pausenlosen Stundenausfall, zur viel beklagten Verwilderung der Jugend fällig, Dafür fehlte es in der Kirchenleitung am schlichten Einfühlungsvermögen.
„Wenn je ein Erlass die Lehrerschaft befremdet und empört hat, dann ist es dieser weltfremde „Ukas“ gewesen. Er wurde wegen seines überheblichen Tones und wegen seines kleinlichen Charakters sogar von kirchlicher Seite missbilligt“, resumierte Albert Trapp in der Chronik des Braunschweigischen Landes-Lehrerverein 1931
Diese Dienstanweisung wurde auch zum Gegenstand der im November 1916 abgehaltenen außerordentlichen Landessynode. Der Abgeordnete Struve bezog sich auf die Dienstinstruktion: die Lehrer wollten in keiner Weise mehr der Aufsicht der Geistlichen unterstellt sein. Der Braunschweiger Bürgermeister Retemeyer bestätigte diese Ansicht: die Aufsicht wäre nun einmal „der Grund zum Kampf zwischen Lehrerschaft und Geistlichkeit geworden.“ Superintendent Meyer berichtete, gerade die jungen Lehrer neigten sehr dazu, die Schule ganz von der Kirche zu lösen. Landgerichtsrat Kulemann nahm an, dass wohl auch „gewisse Standesinteressen“ im Spiele wären. So wirkte es weit ab von der Schulwirklichkeit, dass Konsistorialpräsident Sievers begeistert von mehreren unvermuteten Visitationen des Unterrichts durch Konsistorialmitglieder berichtete. Oberamtsrichter Kunze hingegen warnte vor zu viel Aufsicht. „sie ermüdet, macht misstrauisch und lässt vor allem die Schaffensfreudigkeit erlahmen. Man stelle sich doch auch mal vor, wie es wirkt, wenn ein ganz junger Geistlicher einem alten erfahrenen Schulmann hinsichtlich der Erteilung seines Religionsunterrichtes Vorschriften macht; das gibt Mord und Totschlag.“ Aber auch in der Pfarrerschaft war die Verstimmung sehr groß und die Bereitschaft, die Verbindung zur Schule aufzugeben wäre bei 99 Prozent der Geistlichen vorhanden, wenn es sich um ein Recht der Kirche handelte, das nicht aufgegeben werden dürfte, berichtete ein anderer. Es ging also gar nicht mehr um einen qualifizierten Religionsunterricht, sondern um Rechte der Landeskirche und Positionen des Pfarrers im Dorf. Ein Signal der Landessynode auf ein verträglicheres Verhältnis zur Lehrerschaft blieb aus. Es fehlte auch der Mut, sich der Aufsicht über die Schule ganz zu entziehen.

Damit nicht genug. Im Amtsblatt vom 22.3.1917 erschien unter der Nr. 2114 die Anweisung, die kirchliche Beaufsichtigung des Religionsunterrichtes in den evangelisch-lutherischen Gemeindeschulen betreffend. Demnach sollten die Superintendenten die kirchliche Beaufsichtigung des Religionsunterrichtes übernehmen. Damit hatte das Konsistorium die letzte Chance vertan, auf eine Aufsicht durch die Kirche zu verzichten und diese Aufsicht den Bezirksschulinspektoren zu übertragen. Die Anweisung vermied zwar alle Schärfen, aber es mußte aus der Sicht der Lehrer demütigend wirken, wenn der Superintendent „nötigenfalls den Religionsunterricht auch außerhalb der für dieses Unterrichtfach festgesetzten Zeit prüft“. Der Superintendent hätte bei der Aufsicht darauf zu achten, ob die Kinder mit den für das Leben nötigen religiösen Erkenntnissen ausgerüstet würden, persönliches Glaubensleben geweckt, das Gewissen geschärft und der Unterricht bekenntnisgemäß abgehalten würde. Nach der taktlosen Dienstanweisung für die Lehrer im Kirchendienst von 1916 war diese Anweisung ein weiterer Hinweis auf die Unfähigkeit der Kirchenbehörde, angemessen auf die Schulsituation zu reagieren. Im Schulblatt erschien dazu postwendend folgende Kritik: „Der Geistliche gehört in die Kirche und die Gemeinde, dort hat er vollauf zu tun; in der Schule ist er ein Fremdkörper; denn die Schule ist mündig geworden, und man lasse sie ihren Weg allein gehen, allein im Interesse des Friedens zwischen den beiden wichtigen Kulturfaktoren Schule und Kirche.“
Eine diesbezügliche Protesteingabe der außerordentlichen Lehrerversammlung am 16.6.1917 an den Landtag beantwortete dieser überhaupt nicht, sondern revanchierte sich damit, daß er mit verfassungsändernder Zweidrittelmehrheit beschloß, den konfessionellen Charakter der Gemeindeschulen unter den Schutz des § 141 der Neuen Landschaftsordnung zu stellen, und damit den konfessionellen Charakter und die Schulaufsicht durch die Landeskirche festzuschreiben. Im Jahresbericht des Schulblattes hieß es dazu als Antwort: „Die Kirchenschule von ehedem ist aus völkischen, sozialen, wirtschaftlichen und technischen Gründen ein Unmöglichkeit geworden. Sie ist nur noch die Schulform, in der die Geistlichkeit ihr vermeintliches Anrecht auf Schulaufsicht am augenscheinlichsten nachweisen zu können meint.“
Konsistorium, Staatsministerium und Landesversammlung klammerten sich an die zusammenbrechenden Strukturen. Wie leicht eine Trennung der Schule von der Kirche vollzogen werden konnte, machte dann der Staat nur 18 Monate später vor, indem er die gesamte Aufsicht über die Gemeindeschulen der Landeskirche entzog, ohne dass den Schulen dadurch ein Schade entstanden wäre.
Es bleibt das für die Landeskirche bittere Resümee, daß die folgenden acht Jahre sozialdemokratischer Schulpolitik im Hinblick auf die Gestaltung der Schule, der Lehrerausbildung und Lehrerbesoldung,, der Lehrmittel und des Fächerkanons sehr viel erfolgreicher wurde als 350 Jahre konsistoriale, landeskirchliche Aufsicht über die Braunschweiger Gemeindeschulen.




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