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Schule und Kirche auf dem Lande am Ende des Herzogtums Braunschweigvon Dietrich Kuessner
Die umfassende Arbeit von Friedrich Koldewey über das Schulwesen im Herzogtum Braunschweig ist 1891 erschienen. Die Arbeit über das Verhältnis von Schule und Kirche in Niedersachsen in der Weimarer Zeit von Gerd Eberhard Tilly aus dem Jahre 1987 beginnt mit dem Jahre 1918. Von Birgit Pollmann ist in der Heintzefestschrift „Gib ewigliche Freiheit“ ein Beitrag „Kirche und Schule im Herzogtum Braunschweig 1870-1918“ erschienen. Mit dieser Skizze soll das Verhältnis von Kirche und Schule auf dem Lande am Ende des Herzogtums Braunschweig aus der Sicht der Landeskirche beschrieben werden.
Dazu schrieb das Konsistorium 1888:, die übergroße Zahl von Schulkindern machte es selbst dem eifrigsten Lehrer unmöglich, in ausreichender Weise für Unterricht und Erziehung zu sorgen. Es müßte beizeiten darauf Bedacht genommen werden, solchen Übelständen Abhilfe zu verschaffen. Im Bericht 1892 beklagte das Konsistorium, daß in einzelnen Landgemeinden die von einem Lehrer zu unterrichtende Zahl so groß sei, daß für Unterricht und Erziehung nicht in ausreichendem Maße gesorgt werden könnte. Nur durch angemessene Beschränkung der Schülerzahl könnten unterrichtliche Erfolge erzielt werden. Im Bericht 1896 wiederholte das Konsistorium die Klage der zu großen Klassenstärke. In den Stadtschulen (nicht nur in Braunschweig) unterrichteten 617 Lehrer, in den Landschulen die erheblich größere Anzahl von Schülern nur 574. Lehrer, was noch einmal die unhaltbare Schulsituation auf dem Lande unterstreicht. Seit her wurde über die Schulsituation im Lagebericht nichts mehr berichtet. Man kann aber nicht sagen, daß das Konsistorium nicht immer wieder auf die unhaltbaren Zustände hingewiesen hätte. Eine böse Folge dieser Situation war ein drastischer Lehrermangel. 1902 sprach der angesehene Pädagoge und Mitglied der Kirchen- und Schulkommission der Landesversammlung Schaarschmidt im Landtag von dem „verderblichen Verschicken von jungen Seminaristen“ auf die vakanten Lehrerstellen und vom „Lehrermangel, „ an dem wir nun schon über zehn und noch längere Jahre schwer leiden“. Er forderte eine Erhöhung der Seminaristenstellen in der Lehrerausbildungsanstalt im Wolfenbüttel. Die Ablösung der niederen Kirchendienste Es fällt mir auf, daß in der Lehrerliteratur um die Jahrhundertwende die Klassensituation kaum behandelt wurde. Dafür beherrschte ein anderes Thema mehr als zehn Jahre die Diskussionslage innerhalb der Lehrerschaft, die ihr Verhältnis zur Landeskirche massiv betraf, nämlich die die Ablösung der sog. „niederen Küsterdienste“, die in den Lehrervereinen des Herzogtums 1889/90 vom Schulamt diskutiert wurde. Zu den niederen Küsterdiensten zählte: „Anschlagen der Betglocke, Läuten bei Sterbefällen, Beerdigungen, Taufen und Trauungen, Sturmläuten, Warten der Kirchenuhr, Beschaffung warmen Wassers für die Taufe, Aufstellen und Fortschaffen der Kniebank oder des Kniekissens, Begleitung des Geistlichen zu Haustrauungen und bei Begräbnissen, Öffnen, Schließen und Lüften der Kirche Ausschmücken der Kirche bei festlichen Gelegenheiten, Abholen der Gesangbuchnummern und Anschreiben oder Anstecken derselben, Anzünden und Auslöschen der Kirchenbeleuchtung, Aufstellen und Fortschaffen der Opferstöcke sowie der Sammelteller bei Kollekten, Reinigen der Kirchengeräte, an Filialorten die Bestellung des Fuhrmanns zum Abholen des Geistlichen.“ Auf dem 8. Deutschen Lehrertag in Berlin 1890 wurde eine Resolution angenommen, wonach die sog. niederen Küsterdienste in keinem Zusammenhang mit dem Lehrerstande stünden, sie wären „entwürdigend für seine Stellung“. Die niederen Küsterdienste sollten einem Lehrer nicht mehr übertragen werden. 1891 schickte der Vorstand des Braunschweiger Lehrervereins eine weitgehendere Eingabe an das Herzogliche Konsistorium, nämlich alle kirchlichen Dienstleistungen mit Ausnahme des Organisten-, Kantoren- und Lektorenamtes dem Lehrer abzunehmen. Es kam zu Verhandlungen zwischen dem Lehrervereinsvorstand und dem Konsistorium. Sogar die Lutheraner behandelten die Sache in ihrem Vereinsblatt und empfahlen, auf die Trennung des niederen Küsterdienstes vom Lehreramt „als eine mit der socialen Stellung des Lehrers nicht verträgliche empfundene Bürde“ wohlwollend einzugehen. Pastor Schumann, Lesse brachte das Thema am 16.12. 1892 vor die Landessynode „Hochwürdige Landessynode wolle an die Hohe Kirchenregierung das Ersuchen richten, Hohe Kirchenregierung wolle der Landessynode einen Gesetzentwurf betreffend die Befreiung der Opferleute von den sog. niederen Küsterdiensten vorlegen.“ Inzwischen hatte am 1. März 1893 das Staatsministerium dem Konsistorium die Denkschrift des Lehrervereins zur Begutachtung zugesandt und umgehend hatte das Konsistorium sich dazu geäußert, man könne sich gegenüber dem Begehren der Lehrer „nicht schlechthin ablehnend verhalten.“ Das klang nicht sehr ermutigend, und so war es wichtig, daß der Antrag Schumanns am 14. April 1893 behandelt und auch angenommen wurde. Auch das liberale Gemeindeblatt begrüßte diese Initiative, weil damit „eine Quelle ewiger und nutzloser Reibereien zwischen Pastor und Opfermann verstopft“ würde. Weil mit der Vorlage auch Finanzfragen verbunden waren, wurde das Gesetz vor die Landesversammlung gebracht und fiel dort mit knapper Mehrheit am 24. März 1896 durch. Das Schulblatt faßte die Begründung folgendermaßen zusammen, „es schiene (den Abgeordneten), als ob sich die Lehrer in Überhebung jener Dienste schämten und – gerne länger schlafen wollten.“ Das Konsistorium legte in der nächsten Landessynode 1896/97 einen Gesetzesentwurf vor mit der Begründung, daß den Lehrerstand zu halten und zu heben um so mehr geboten wäre, „je mehr seitens der umstürzlerischen Elemente in den unteren Volksschichten fortwährend auch an dem Ansehen der Schule und der einzelnen Lehrer gerüttelt“ werde. Die Vorlage des Konsistoriums hatte also eingestandenermaßen ein antisozialistisches Motiv. In der Aussprache am 4. Mai 1897 beantragte Pfarrer Sorge im Sinne der Eingabe des Lehrervereins,, nicht nur die niederen Küsterdienste dem neu geschaffenen Amt eines Küsters zu übertragen. „Der Kirchendienste des Lehrers sollte sich auf den Organistendienst und die Beaufsichtigung der Kinder beschränken.“ Der Antrag fiel durch aber zeigte, daß es durchaus auch noch weitergehende Vorstellungen in der Landessynode gab. Die Gesetzesvorlage hatte als häßlichen Geburtsfehler, daß den entlasteten Lehrern im Kirchendienst in Zukunft bis zu 25 %, aber nicht mehr als 50 Mark monatlich vom Lohn abgezogen werden sollte. Dieser Betrag floß in die Kirchenkasse und diente als Entlohnung des Küsters. Bezeichnenderweise gestattete die Vorlage nur als Ausnahme, daß in Zukunft die Schüler diesen niederen Küsterdienst tun sollten. Denn die Aufsicht über die Erledigung der niederen Küsterdienste sollte der Lehrer weiterhin behalten. Am 5. Mai 1897 wurde das Gesetz mit geringen Verschiebungen zuungunsten des Lehrers von der Landessynode beschlossen und passierte die Landesversammlung 1898. Da nach der Verabschiedung durch den Landtag auch die Landessynode noch einmal das Gesetz beschließen mußte, kam die Vorlage erst 1902 noch einmal in die Landessynode, wo sie nach sehr kurzer Debatte angenommen und im Kirchlichen Amtsblatt endlich veröffentlicht wurde. .Die schulstatistische Erhebung von 1905 vermerken, daß noch 224 Lehrerstellen mit den niederen Kirchendiensten verbunden und das Gesetz von 1902 noch nicht zur Anwendung gekommen wäre. Das deutet auf die schwierige finanzielle Situation der Gemeindeschullehrer hin, die auf die 50 Mark, die sie der Kirchenkasse abgeben sollten, dringend angewiesen waren. Die Entlastung war offenkundig auch nicht so erheblich. Alle mit Altar und Kanzel verbundenen Verrichtungen wie Paramente an Altar und Kanzel anbringen, die Taufschale und Abendmahlsgeräte aufstellen reinigen und verschließen, den Altar zu festlichen Zeiten besonders schmücken u.a.m. blieben bestehen. Es war nicht gelungen, Schuldienst und Kirchendienst eindeutig zu trennen, sondern es wurde das oben beschriebene unbefriedigende Verhältnis von Schäfer und Hund um ein weiteres Getier, meinetwegen Dackel ( = Küster) erweitert. Der Stand des Küsters rangierte nunmehr weit unter dem des Lehrers auf der untersten Skala. Das Verständnis von mitverantwortlicher Mitarbeiterschaft war nicht vorhanden. Die geistliche Schulaufsicht Die Lehrerschaft, die diese Regelung als einen kleinen Schritt begrüßte, wandte sich größeren Forderungen zu. Zum 75. Bestehen des Landeslehrervereins 1903 hielt der kirchlich engagierte Kantor und Lehrer Bebenroth aus Warle in Wolfenbüttel einen auf große Begeisterung stoßenden Festvortrag, in dem er folgende zukunftsweisende Thesen aufstellte: die Schule wäre nicht mehr in erster Linie eine kirchliche Bildungsanstalt, die Lehrerschaft hätte sich zu einem Stande entwickelt, die befähigt wäre, ihre pädagogische Aufgabe selbständig zu erledigen .Die Erziehungs- und Bildungslehre habe sich zu einem „Sondergebiet umfassender Kenntnis“ entwickelt. Die Herrschaft der Kirche wäre daraufhin im Bildungswesen immer mehr zurückgegangen. Die geistliche Schulaufsicht wäre daher nicht mehr zeitgemäß und der Bedeutung und den Bedürfnissen des Volksschulwesens nicht mehr angemessen. Deshalb sollten hauptamtliche Bezirksschulinspektoren eingerichtet werden, die geistliche Ortsschulpflicht entfallen und sämtliche vielklassige Schulen einem Hauptlehrer und das gesamte Volksschulwesen einer besonderen Oberbehörde unterstellt werden. In einer Schulsynode sollte die Verbindung zuwischen Schule und Volk gepflegt werden. Das breit angelegte Referat machte Stimmung und Forderung in der Braunschweiger Lehrerschaft deutlich. Die Lehrerschaft wünschte die vollständige Trennung von der Kirche. wie sie in anderen Ländern, z.B.. in der Hansestadt Hamburg und in dem in vieler Hinsicht mit dem Herzogtum Braunschweig vergleichbaren Herzogtum Coburg durchgeführt war. Zehn Jahre lang wurde nun das Thema der geistlichen Schulaufsicht in den kirchlichen Blättern und im Neuen Schulblatt scharf kontrovers behandelt. Weder die herzogliche noch die kirchliche Gewalt waren zu einer Trennung bereit aus Furcht, der Charakter der Gemeindeschulen und die Lerninhalte könnten sich verändern und die Gleichgültigkeit gegenüber der Kirche fördern, wie sie bereits bei den höheren Schulen unübersehbar geworden war, die ausnahmslos nicht kirchlich gebunden waren. Nach zehn Jahren wurde im April 1913 ein neues Gemeindeschulgesetz im Landtag verhandelt. Vor der Schuldebatte sammelten sich 800 Mitglieder des Braunschweiger Lehrervereins in Braunschweig zu einer Kundgebung, um noch einmal ihre Forderungen Nachdruck zu verleihen. Ihr Sprecher Otto Böse forderte, daß der Schulvorstand (in dem ja der Pfarrer Vorsitzender war) kein Recht hätte, dem Unterricht beizuwohnen, Bezirksschulinspektoren sollte aus dem Kreis der Lehrer gewählt werden und nicht etwa aus dem Kreis der Superintendenten, die Aufsicht über den Religionsunterricht sollten die Bezirksschulinspektoren ausüben, und das gesamte Volksschulwesen einer ministeriellen Abteilung wie in Preußen unterstellt werden. Tatsächlich wurde die Aufsicht über die Gemeindeschulen den Superintendenten abgenommen und den Bezirksschulinspektionen übertragen. Aber die Leitung des gesamten Gemeindeschulwesens wurde beim Herzoglichen Konsistorium belassen.. Das Gesetz übertrug den Vorsitz im Schulvorstand in den Landesschulen weiterhin dem Ortspfarrer, obwohl das Gesetz die förmliche geistliche Ortsschulpflicht aufgehoben hatte. In die Schulpflicht wurde sogar weiterhin die kirchliche Kinderlehre einbezogen. Die Volksschulen blieben als „evangelisch-lutherische“ etikettiert und hatten „die Grundlagen christlicher und vaterländischer Bildung und die für das bürgerliche Leben notwendigen allgemeinen Kenntnisse und Fähigkeiten zu verschaffen“. Damit war eine große Chance vertan, das Verhältnis von Kirche und Schule grundlegend zu klären. Hier wurde der Keim gelegt für eine Saat, die dann zwanzig Jahre später auch unter dem Vorzeichen „christlich-vaterländisch, zeitgemäß „christlich – nationalsozialistisch“ gefährlich aufging. Wie nachhaltig der Einfluß der Landeskirche auf die Schulangelegenheiten zurückging, machte die Aussprache in der Landessynode deutlich, der nicht mehr das ganze Gesetzeswerk, sondern nur sieben Paragraphen vorgelegt worden waren. Das Kultusministerium wollte offenkundig alle Fäden in der Hand behalten und ließ der Landessynode nur die Möglichkeit der Zustimmung. Der Synodale Struve beklagte bei seiner Einbringungsrede, daß das Gesetz bereits Gesetzeskraft erlangt hätte. „Wir werden uns im großen und ganzen mit dem von dem Landtage beschlossenen Gesetz einverstanden erklären müssen“, stellte er resigniert fest. und er hätte es begrüßt, wenn „eine reinliche Scheidung zwischen dem, was der Schulgemeinde zukommt und dem, was der Kirche gehört, vollzogen worden wäre.“ Er spielte damit auf das immer noch in zahlreichen Landgemeinden gemeinsame Schul- und Kirchenvermögen an. Diese Unterlassung entwickelte in der Weimarer Zeit eine kirchen- und schulpolitisch verhängnisvolle Kraft, die eine Prozeßflut über die Trennung des Opfereivermögens zur Folge hatte und von OKR Dr. Breust geschickt agitatorisch ausgenutzt wurde. Die Landessynode verzichtete 1913 auf eine allgemeine Aussprache. Nachdem der Landeskirche die Schulaufsicht vor Ort genommen worden war, klammerte sie sich an den Religionsunterricht und dessen Beaufsichtigung. Der Kultusminister Wolff meldete sich in der kurzen Debatte sieben Mal kritisch zu Wort, drang darauf, die Aussprache nicht auszuweiten und bemerkte zum Religionsunterricht, den die Landeskirche als ihr eigenes Revier ansah, schließlich spitz: „In der kirchlichen Presse ist betont, daß der Religionsunterricht ausschließlich Sache der Kirche sei. So liegt die Sache aber nicht. Das Schulwesen ist staatlich, doch hat die Kirche ein lebhaftes Interesse an der Schule und namentlich am Religionsunterricht. Was die innerreligiöse Gestaltung des Unterrichts anlangt, so hat der Staat vor der Kirche zurückzutreten, was aber die pädagogische und schultechnische Seite anlangt, so hat die staatliche Aufsicht einzutreten... Ich möchte übrigens zu der rechtlichen Seite bemerken, daß die Synode zwar Wünsche äußern kann, aber die Wahrung der Rechte ist in diesem Falle lediglich Sache des Konsistoriums.“ Das klang nicht nur wie ein Maulkorb und das erwünschte Ende der Aussprache durch den Minister, sondern legte auch die Grenzen der Wirksamkeit der Landessynode bloß. Zu Recht wehrt sich die Braunschweigische Lehrerschaft gegen den Vorwurf der Kirchenfeindschaft. „Es sei nochmals gesagt: Die Braunschweigische Lehrerschaft hat niemals das bekämpft, was die Kirche auf ihrem ureigensten Gebiet tut, wohl aber hat sie hat gegen das gewandt, was die Kirche auf diesem Gebiet verlangte, das ihr nicht zugehört – nämlich auf dem Gebiet der Schule. Ist das Kirchenfeindschaft?“ Dienstanweisung von 1916 Wie wenig sich die Landeskirche auch nach diesem Gesetz von 1913 von ihren alten schulischen Vorstellungen trennen konnte, verdeutlicht die Dienstanweisung für die Opferleute vom Sommer 1916. Dort war verfügt, der Opfermann habe im dunklen Anzug zum Dienst zu erscheinen, die Paramente an Kanzel und Altar anzubringen, Altarkerzen aufzustellen, anzuzünden und auszulöschen, Abendmahlswein und Oblaten im Filialort zu besorgen, für Ordnung und Reinlichkeit in der Kirche Sorge zu tragen, die Orgel zu warten und zu beaufsichtigen, den Gesang zu leiten und die Orgel zu spielen, die Schulkinder während des Gottesdienstes zu beaufsichtigen und bei Bedarf Lesegottesdienste vom Lesepult aus zu halten. Es war der Ton, der die Mißstimmung hergerufen hatte. Der Lehrer im „gehobenen Küsterdienst“ – im Gegensatz zu den niederen Küsterdiensten – war nicht als gern gesehener Mitarbeiter in der Kirchengemeinde definiert, sondern : „er ist dem Geistlichen unmittelbar unterstellt und ihm Ehrerbietung und in amtlichen Angelegenheiten Gehorsam schuldig.“ (§ 1) Diese Dienstanweisung war vor allem mitten in der völlig verfahrenen Schulsituation während des 1. Weltkrieges eine rohe Gefühllosigkeit. Es waren sehr viele Lehrer als Soldaten eingezogen worden. Die Gedächtnisgottesdienste für die gefallenen Lehrer schreckte die Dorfbevölkerung zusätzlich auf. Allein im Jahre 1915 meldete das Kirchliche Amtsblatt den „Heldentod“ von über 40 Lehrkräften. Da war ein mitfühlendes Wort des Konsistoriums zur Lehrersituation, zu den unerquicklichen Vertretungen, zum pausenlosen Stundenausfall, zur viel beklagten Verwilderung der Jugend fällig, Dafür fehlte es in der Kirchenleitung am schlichten Einfühlungsvermögen. „Wenn je ein Erlass die Lehrerschaft befremdet und empört hat, dann ist es dieser weltfremde „Ukas“ gewesen. Er wurde wegen seines überheblichen Tones und wegen seines kleinlichen Charakters sogar von kirchlicher Seite missbilligt“, resumierte Albert Trapp in der Chronik des Braunschweigischen Landes-Lehrerverein 1931 Diese Dienstanweisung wurde auch zum Gegenstand der im November 1916 abgehaltenen außerordentlichen Landessynode. Der Abgeordnete Struve bezog sich auf die Dienstinstruktion: die Lehrer wollten in keiner Weise mehr der Aufsicht der Geistlichen unterstellt sein. Der Braunschweiger Bürgermeister Retemeyer bestätigte diese Ansicht: die Aufsicht wäre nun einmal „der Grund zum Kampf zwischen Lehrerschaft und Geistlichkeit geworden.“ Superintendent Meyer berichtete, gerade die jungen Lehrer neigten sehr dazu, die Schule ganz von der Kirche zu lösen. Landgerichtsrat Kulemann nahm an, dass wohl auch „gewisse Standesinteressen“ im Spiele wären. So wirkte es weit ab von der Schulwirklichkeit, dass Konsistorialpräsident Sievers begeistert von mehreren unvermuteten Visitationen des Unterrichts durch Konsistorialmitglieder berichtete. Oberamtsrichter Kunze hingegen warnte vor zu viel Aufsicht. „sie ermüdet, macht misstrauisch und lässt vor allem die Schaffensfreudigkeit erlahmen. Man stelle sich doch auch mal vor, wie es wirkt, wenn ein ganz junger Geistlicher einem alten erfahrenen Schulmann hinsichtlich der Erteilung seines Religionsunterrichtes Vorschriften macht; das gibt Mord und Totschlag.“ Aber auch in der Pfarrerschaft war die Verstimmung sehr groß und die Bereitschaft, die Verbindung zur Schule aufzugeben wäre bei 99 Prozent der Geistlichen vorhanden, wenn es sich um ein Recht der Kirche handelte, das nicht aufgegeben werden dürfte, berichtete ein anderer. Es ging also gar nicht mehr um einen qualifizierten Religionsunterricht, sondern um Rechte der Landeskirche und Positionen des Pfarrers im Dorf. Ein Signal der Landessynode auf ein verträglicheres Verhältnis zur Lehrerschaft blieb aus. Es fehlte auch der Mut, sich der Aufsicht über die Schule ganz zu entziehen. Damit nicht genug. Im Amtsblatt vom 22.3.1917 erschien unter der Nr. 2114 die Anweisung, die kirchliche Beaufsichtigung des Religionsunterrichtes in den evangelisch-lutherischen Gemeindeschulen betreffend. Demnach sollten die Superintendenten die kirchliche Beaufsichtigung des Religionsunterrichtes übernehmen. Damit hatte das Konsistorium die letzte Chance vertan, auf eine Aufsicht durch die Kirche zu verzichten und diese Aufsicht den Bezirksschulinspektoren zu übertragen. Die Anweisung vermied zwar alle Schärfen, aber es mußte aus der Sicht der Lehrer demütigend wirken, wenn der Superintendent „nötigenfalls den Religionsunterricht auch außerhalb der für dieses Unterrichtfach festgesetzten Zeit prüft“. Der Superintendent hätte bei der Aufsicht darauf zu achten, ob die Kinder mit den für das Leben nötigen religiösen Erkenntnissen ausgerüstet würden, persönliches Glaubensleben geweckt, das Gewissen geschärft und der Unterricht bekenntnisgemäß abgehalten würde. Nach der taktlosen Dienstanweisung für die Lehrer im Kirchendienst von 1916 war diese Anweisung ein weiterer Hinweis auf die Unfähigkeit der Kirchenbehörde, angemessen auf die Schulsituation zu reagieren. Im Schulblatt erschien dazu postwendend folgende Kritik: „Der Geistliche gehört in die Kirche und die Gemeinde, dort hat er vollauf zu tun; in der Schule ist er ein Fremdkörper; denn die Schule ist mündig geworden, und man lasse sie ihren Weg allein gehen, allein im Interesse des Friedens zwischen den beiden wichtigen Kulturfaktoren Schule und Kirche.“ Eine diesbezügliche Protesteingabe der außerordentlichen Lehrerversammlung am 16.6.1917 an den Landtag beantwortete dieser überhaupt nicht, sondern revanchierte sich damit, daß er mit verfassungsändernder Zweidrittelmehrheit beschloß, den konfessionellen Charakter der Gemeindeschulen unter den Schutz des § 141 der Neuen Landschaftsordnung zu stellen, und damit den konfessionellen Charakter und die Schulaufsicht durch die Landeskirche festzuschreiben. Im Jahresbericht des Schulblattes hieß es dazu als Antwort: „Die Kirchenschule von ehedem ist aus völkischen, sozialen, wirtschaftlichen und technischen Gründen ein Unmöglichkeit geworden. Sie ist nur noch die Schulform, in der die Geistlichkeit ihr vermeintliches Anrecht auf Schulaufsicht am augenscheinlichsten nachweisen zu können meint.“ Konsistorium, Staatsministerium und Landesversammlung klammerten sich an die zusammenbrechenden Strukturen. Wie leicht eine Trennung der Schule von der Kirche vollzogen werden konnte, machte dann der Staat nur 18 Monate später vor, indem er die gesamte Aufsicht über die Gemeindeschulen der Landeskirche entzog, ohne dass den Schulen dadurch ein Schade entstanden wäre. Es bleibt das für die Landeskirche bittere Resümee, daß die folgenden acht Jahre sozialdemokratischer Schulpolitik im Hinblick auf die Gestaltung der Schule, der Lehrerausbildung und Lehrerbesoldung,, der Lehrmittel und des Fächerkanons sehr viel erfolgreicher wurde als 350 Jahre konsistoriale, landeskirchliche Aufsicht über die Braunschweiger Gemeindeschulen. |