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[Kirche von unten]

Ottmar Palmer 1873 - 1964

Versuch einer Annäherung und Deutung

11. Kapitel


Palmer als Mitbegründer des Braunschweiger Pfarrernotbundes November / Dezember 1933


Die Geburtsstunde des Braunschweiger Pfarrernotbundes am 30. November 1933 erlebten die beurlaubten Pfarrer Kirchenrat a.D. Palmer und Domprediger v. Schwartz nur zur Hälfte mit. Als vom Dienst disziplinierte Pfarrer durften sie an der von Bischof Beye zu diesem Tag einberufenen Pfarrerversammlung in Dannes Hotel nicht teilnehmen. Gleichwohl hatten sie an dessen Entstehung wesentlichen Anteil. (KueÜ S. 53ff)Am Tag zuvor hatte Palmer zwei Stunden mit Lachmund konferiert und war nachmittags mit ihm nach Braunschweig zum Dompropst v. Schwartz gefahren. Die Notiz im Pfarramtskalender Palmers lautet: „Mittwoch 29. November Versch. 10 ½ - 12 ½ bei Lachmund, dort Dr. Mette. 14 ½ mit L(achmund). nach Brschw. Bei Dompropst.“

Eine Pfarrergruppe wollte bei der Pfarrerversammlung einen öffentlichen Protest gegen Bischof Beye zur Diskussion stellen. Als Themen des Protestes, den Lachmund bei der Pfarrerversammlung vortragen sollte, wurden in der Wohnung des Dompropstes v. Schwartz nach der späteren Aufzeichnung Lachmunds Arierparagraph, Konfirmandenbuch, die Suspendierung von Palmer und v. Schwartz „u.a. als Gegenstände des Widerspruchs festgelegt.“ Möglicherweise wurde am Abend vorher dieser Widerspruch schriftlich festgelegt.


Die Vorbereitung des Protestes
Am Vormittag des nächsten Tages, des 30. November, trafen sich weitere Notbundpfarrer in der Wohnung des Dompredigers und sprachen ihr Vorgehen in der Pfarrerversammlung am Nachmittag ab. Palmer notierte im Amtskalender: „Bei v. Schwartz, 11 Versamml(un)g des Notbundes. N(ach)m(ittags) Wolfenb(ü)ttel; während dessen Versam(mlun)g der Pfarrer unter Beye, Exodus von 43. 20 1/4 zurück, Auto. Schnee!“ Rudolf Brinckmeier teilte später Helmut Kahle, von dem eine gründliche Arbeit über die Kirchenwahlen 1933 stammt, die Namen der Vormittagsversammlung mit: Althaus, Seebaß-Marienthal, Karl Adolf v. Schwartz, Karl v. Schwartz, Rohlfs, Helweg, Lachmund, Palmer, Brinckmeier, Seebaß-Börnecke. (Kahle S. 137) In dieser Runde von zehn Pfarrern wurden die Themen des Protestes besprochen und was passieren sollte, wenn der Protest nicht gehört werden sollte.


Auszug aus der Pfarrerversammlung am 30.11.1933
Die Pfarrerversammlung am Nachmittag war mit 200 Amtsbrüdern außerordentlich gut besucht. Sie wurde mit einer Andacht von OKR Schlott und einem Vortrag von Bischof Beye eröffnet. Lachmund meldete sich in der anschließenden Aussprache zu Wort, wurde indes vom Bischof schon zu Anfang seiner Ausführungen unterbrochen, worauf 43 Pfarrer unter Protest den Raum verließen und im Flottenvereinsraum des Börsenhotels einen Braunschweiger Pfarrernotbund gründeten.
Dort wurde nach dem Dahlemer Beispiel ein Bruderrat gebildet. Aus Rücksicht auf die kirchenpolitische Situation wurden nicht die beurlaubten v. Schwartz und Palmer in den Bruderrat gewählt sondern Heinrich Lachmund, Blankenburg; Karl Adolf v. Schwartz, Eilum; Adolf Althaus, Helmstedt, Julius Seebaß, Börnecke und Heimbert Drude, Holzminden

Es existiert noch eine Anwesenheitsliste, in der sich alle Beteiligten mit ihrer Telefonnummer eintrugen. (LKA 128) Die Liste folgte offenbar der Sitzfolge. Die Liste enthält folgende Namen: Lachmund, Blankenburg; Palmer, Blankenburg; Klapproth, Hessen; Oelze, Söllingen; Bosse, Büddenstedt; Dodt, Bettmar; Querfurth, Uehrde; Sander, Riddagshausen; Helweg, Hohe; Kirchner, Braunschweig; Kirchberg, Uthmöden; Länger, Bad Harzburg; Stosch, Wienrode; H. Herbst, Beierstedt; Dosse, Lesse; Goetze, Braunschweig; G. Seebaß, Rautheim; J. Seebaß, Börnecke; Helmer, Braunlage; Th. Lipsius, Rübeland; F. Clemen, Helmstedt; H. Drude, Holzminden; Brinckmeier, Vorwohle; Seebaß, Marienthal; Oelker, Bornum; Althaus, Helmstedt; Wurr, Gittelde; Barg, Volkersheim; lic. v. Hoerschelmann, Sauingen; lic.v. Schwartz, Eilum; Dr. v. Schwartz, Braunschweig; Oehlmann, Parsau; Lehmberg, Vorsfelde; Georg Althaus, Timmerlah; Buttler, Gr. Dahlum; Schubert, Wolsdorf; Kups, Duttenstedt; Cunze, Volkmarsdorf; Martin Bücking, Braunschweig-Stadt; Lagershausen, Braunschweig; Schröder, Saalsdorf; Berndt, Cremlingen; Wicke, Zorge. Es sind 43 Namen.

Diese Liste wirft verschiedene Fragen auf. In der Überschrift ist das Datum 20.11.33 gesetzt. Die Versammlung fand aber am 30.11. statt. Entweder ist die Eintragung ein Schreibfehler oder es hat noch eine andere Versammlung am 20.11. stattgefunden. Das ist indes sehr unwahrscheinlich, da der Amtskalender Palmers keine entsprechende Eintragung enthält, der Name Palmers aber auf der Liste enthalten ist. Seltsamerweise fehlt aber die Unterschrift vom Vikar E.H. Kammerer, der wegen seines Auszugs sein Amt als senior im Predigerseminar verlor. Möglicherweise hatte Kammerer sich zwar am Auszug aber nicht an der Versammlung beteiligt, oder er hatte zwar teilgenommen, verzichtete aber auf eine förmliche Unterschrift, weil er noch Vikar war.
Weiterhin kursieren zwei verschiedene Zahlen über den Auszug der Protestierenden. Im Bericht Lachmunds (in: Palmer MzGK S. 33ff) sind es 42 Pfarrer. Auf der Liste hingegen sind es 43 Namen. Auch im Amtskalender Palmers vom 30.11. heißt es: „Exodus von 43.“
Es ist weiterhin ungeklärt, wann und wer die schriftliche Erklärung formuliert hat. Gab es eine schriftliche Erklärung, die Lachmund bei der Pfarrerversammlung in Händen hatte, die am Abend vorher, dem Mittwoch, formuliert worden war und im Zehnerkreis am Donnerstag Vormittag besprochen wurde, oder ist die Erklärung erst nach der Versammlung am Freitag Vormittag zu Papier gebracht worden?

War der Inhalt der Protesterklärung, wenn eine schriftliche Form existierte, allen Ausziehenden vorher bekannt oder nur der Vormittagsgruppe bei v. Schwartz? War der Auszug aller 43 spontan, sodaß die zehnköpfige Gruppe, die sich vormittags bei v. Schwartz getroffen hatte, die andern 33 mitzog?
Merkwürdig ist es auch, daß diese Unterschriftenliste später in die Hände von Beye geriet, da sich seine unzutreffende, handschriftliche Bemerkung „Sydower Bruderschaft“ auf ihr befindet.
Es existiert eine zweite Namensliste, maschinengeschrieben, mit derselben Überschrift „Unterschriften zur Erklärung vom 20.11.33“, die offensichtlich eine Abschrift der handschriftlichen Liste ist, da sie dieselbe Reihenfolge und nur kleine Abweichungen enthält. Müller vermerkte handschriftlich: „z.d. A. Notbund 28.8.34 M.“

Ich halte es für am wahrscheinlichsten, daß die Überschrift ein Irrtum ist, es 30.11. statt 20.11. heißen muß und dies die im Flottenraum des Börsenhotels erstellte historische Anwesenheitsliste ist. Es scheint indes nicht die Liste der Gründungsmitglieder des Pfarrernotbundes zu sein. Offenbar waren einige der Ausgezogenen von der weiteren Entwicklung überrascht. Einige schlossen sich jedenfalls nicht dem Pfarrernotbund an: Martin. Bücking von der Katharinengemeinde in Braunschweig, Hans Herbst aus Beierstedt und Werner Kirchberg aus Uthmöden. Möglicherweise hatte aber Lachmund ihnen von einem Beitritt auch abgeraten. Lachmund schrieb in seinem späteren Bericht: „Charakteristisch war, daß auch einige ältere Pfarrer, die der theologischen Linken angehörten, mit dabei waren. Ein Radikal-Liberaler ließ sich von Lachmund bestimmen, daß er der Bewegung fern blieb, aber betonte, er würde immer wieder dabei sein, wenn es sich darum handelte, zu verhindern, daß aus der Kirche eine Kaserne gemacht würde.“ (Palmer MzGK S. 34)

Es bleibt auch offen, in welcher Weise der Beitritt zum Pfarrernotbund erfolgte. Wurde an diesem Spätnachmittag von denen, die noch nicht dem Pfarrernotbund in Dahlem beigetreten waren, eine Verpflichtungserklärung unterzeichnet?


Die Protesterklärung
Der Ruf nach Bildung eines Pfarrernotbundes hatte durch die Post von Martin Niemöller Mitte September 1933 auch einige Braunschweiger Pfarrer der Jungreformatorischen Bewegung erreicht. Das Echo auf die Postsendung vom 12. September war in der ganzen evangelischen Kirche enorm. Schon am 21. September waren 1.300 und am 27. September 2.000 Unterschriften unter die Verpflichtungserklärung in Berlin Dahlem eingegangen. Unter diesen Unterzeichnern waren auch Braunschweiger Pfarrer wie Palmer, Lachmund, v. Schwartz, Burmester und andere. Lachmund wurde zur konstituierenden Sitzung des Pfarrernotbundes Mitte Oktober nach Dahlem eingeladen. (PNB 1/9) Den ganzen Oktober und November hindurch gab es jedoch in der Landeskirche keine Initiative zur regionalen Sammlung dieser in Berlin gemeldeten Notbundpfarrer. Das ist eigenartig, denn das Skandalgesetz vom 12.9. mit dem Arierparagraphen und der Möglichkeit, nationalsozialistisch unzuverlässige Pfarrer aus dem Dienst zu entfernen, bot eine besondere Angriffsfläche, sich theologisch und kirchenpolitisch aufzulehnen. Die Beurlaubungen von Palmer und v. Schwartz am 17.Oktober waren ein weiterer Anlaß, sich zu sammeln. Aber es verstrich auch fast der November, bis die einberufene Pfarrerversammlung den Anlaß für den offenkundig geplanten Auszug und die Bildung des Pfarrernotbundes bot.

Die Erklärung für die Bildung des Pfarrernotbundes begann mit der Bitte, die Pfarrerschaft möge sich von der Glaubensbewegung Deutsche Christen trennen, da sie sich nicht als ein Hort, sondern als eine Gefahr für die deutsche Evangelische Kirche erwiesen habe. (PNB 1/24) Die Trennung der Pfarrerschaft von den Deutschen Christen hatte nach ihrer zwei Wochen zurückliegenden Skandalsitzung im Berliner Sportpalast am 13. November 1933 in allen Landeskirchen begonnen. Der Zeitpunkt, auch in der Braunschweiger Landeskirche zum Austritt aus der Glaubensbewegung aufzufordern, war günstig.
Die Erklärung sah das positive Anliegen der Deutschen Christen beim Notbund in besseren Händen. Es „geht uns um eine Volkskirche, die ihren Aufgaben an Volk und Staat wirklich gerecht wird.“ Da alle Gegnerschaft gegen die Deutschen Christen geradezu gebetsmühlenartig, aber deshalb nicht ungefährlich, mit einer Ablehnung des Nationalsozialismus verbunden wurde, fuhr die Erklärung fort: „.....Wir verwahren uns mit allem Ernst dagegen, daß dieses unser pflichtmäßiges Handeln im Dienst an Kirche und Volk als Zeichen reaktionärer Gesinnung oder mangelnder Reichstreue böswillig mißdeutet wird. Mit allen gläubigen evangelischen Christen bekennen wir uns fest und entschlossen zu unsrem Volk und seinem Führer.“

Für den Bereich der Braunschweiger Landeskirche wurden u.a. die Maßnahmen der Kirchenregierung gegen die Pfarrer der Landeskirche beklagt, „die unter dem Druck außerkirchlicher Stellen oder der Glaubensbewegung Deutscher Christen erfolgt sind“. An erster Stelle jedoch wurde Einspruch gegen ein im Oktober 1933 vom Landeskirchenamt herausgegebenes Konfirmandenbuch erhoben, das‚ „in wesentlichen Punkten der Lehre der lutherischen Kirche“ widerspreche. (Palmer MzGK S. 25)


Der Einspruch gegen das Konfirmandenbuch
Der Einspruch gegen das Konfirmandenbuch machte zugleich ein grundsätzliches Dilemma innerhalb des Braunschweiger Pfarrernotbundes deutlich. (PNB 1/22) Das Konfirmandenbuch war im wesentlichen von Pfr. Walter Freise von der Petrigemeinde in Braunschweig erarbeitet worden. Freise gehörte zum liberalen Flügel der Pfarrerschaft und zu den protestierenden 43 Amtsbrüdern. Er lehnte aber eine Verantwortung für die Endfassung des Konfirmandenbuches ab, da im Landeskirchenamt zahlreiche Stellen ohne Absprache verändert worden waren. Durchaus im Sinne liberaler Theologie hieß es vom Abendmahl im Konfirmandenbuch: „Das Abendmahl ist uns das heilige Vermächtnis unseres Herrn. Es bedeutet uns: ein Mahl des Gedächtnisses an seinen Opfertod; ein Mahl dankbarer Liebe zu unserm Herrn; ein Mahl der Versöhnung mit unserem Gott; ein Mahl brüderlicher Gemeinschaft untereinander (Kommunion).(ebd) Das war für die Vermittlung des 5. Hauptstückes an Jugendliche bereits schwere, theologische Kost. Aber es war im Sinne lutherischer Orthodoxie nicht „reine Lehre“, sondern zwinglianisch. „Wo in einer umfassenden Erklärung des hl. Altarsakramentes nicht gesagt wird, daß dieses uns die leiblich-persönliche Gegenwart des auferstandenen Heilandes ist, ist das evangelisch-lutherische Bekenntnis aufgegeben,“ lautete der Protest. Es ging aber in diesem Konfirmandenbuch nicht um eine komplette Definition, sondern um kirchenfremden Jugendlichen das Abendmahl verständlich zu machen. Hier machte sich ein liturgisch-orthodoxer Flügel innerhalb des Pfarrernotbundes bemerkbar, der dann folgerichtig nach 1945 in der Brüdernkirche unter besonderer Förderung durch H.E. Seebaß, einem Gründungsmitglied des Notbundes, heimisch wurde.

Als weiterer Kritikpunkt wurde folgerichtig der Satz im Konfirmandenbuch angeführt: „In allen wesentlichen Punkten stimmt die reformierte Kirche mit der lutherischen Kirche überein.“ Wenn schon die Unterscheidung von reformierter und lutherischer Kirche für das Verständnis von Jugendlichen eine heillose Überforderung war - aber das wurde nicht kritisiert -, so war der Hinweis auf die für eine lutherische Kirche „untragbare“ Position der „Union“, nämlich der unierten altpreußischen Kirchen, für die Kirchenkampfsituation gerade untypisch. Schon wenige Monate später würden in der ersten Bekenntnissynode in Barmen die konfessionellen Gegensätze des 16. Jahrhunderts zugunsten gemeinsamer Positionen zurücktreten. Dem lutherisch-orthodoxen Flügel des Braunschweiger Pfarrernotbundes ging es aber um den unveränderten Transport orthodoxer lutherischer Grundsätze selbst gegenüber Jugendlichen.

Schließlich war im Sinne germanischer Verehrung ein Satz eingefügt, in der das Fällen der Donareiche durch Bonifatius kritisiert wurde. Das Heiligtum der Sachsen sei „mit frevelnder Hand“ vernichtet worden. Eine derlei laxe Bemerkung hätte im Unterricht richtiggestellt werden können, es hätte auch im Unterricht darüber debattiert werden können, ob diese Aktion des Bonifatius eine Werbung für das Evangeliums gewesen war. Der Protest des Pfarrernotbundes jedoch sah einen Angriff auf den Monotheismus, der die Einzigkeit der Erlösung durch Christus gefährde.

Dieser Einspruch des Pfarrernotbundes bauschte durchaus berechtigte Kritikpunkte am Konfirmandenbuch auf. Alle Einwände hätten auf Pfarrkonferenzen besprochen und die entsprechenden Passagen kritisch ergänzt werden können. Als tragender Grund gegen die deutsch-christliche Irrlehre reichte dieser Einspruch bei weitem nicht aus, aber der Protest kam in der schweren Rüstung altkirchlicher Terminologie daher: Keiner der Reformatoren habe “gegen schwerere und ernstere Glaubensirrtümer zu sprechen brauchen. Es ist jetzt Gottes Wille daß wir un des klaren Wortes Gottes und um des Bekenntnisses willen, Einspruch erheben.“ Man möge die Bedenken anerkennen oder aus der heiligen Schrift widerlegen. „Glaubensirrtümer zu lehren darf uns nienmand, am wenigsten eine lutherische Kirchenregierung, zwingen wollen.“ (PNB 1/22)


Unterschiedliche Auffassungen zum Arierparagrafen
Am auffälligsten an dieser schriftlichen Form des Einspruches ist jedoch das Fehlen eines Protestes gegen die Einführung des Arierparagraphen in die kirchliche Gesetzgebung. Schon die betonte Voranstellung des Protestes gegen das Konfirmandenbuch legt die Vermutung nahe, daß über diese Frage des Arierparagraphen unterschiedliche Vorstellungen herrschten. Lachmund hatte sich in der Oktobernummer von „Ruf und Rüstung“ sehr dezidiert gegen die Einführung des Arierparagraphen ausgesprochen. „Der Arierparagraph für die Kirche, gegen den sich viele ernste Stimmen, Gutachten von neutestamentlichen Theologen, von der Fakultät Marburg u.a. erhoben haben, soll in Württemberg nur sinngemäß Anwendung ohne rückwirkende Kraft finden. Alle Versuche, die Juden, die aus Überzeugung Christen werden, anders zu behandeln in der Kirche Jesu Christi, haben Schrift und Bekenntnis gegen sich....Ich erinnere nur daran, daß die Mutter Philipp Spittas getaufte Jüdin war. Wir hoffen ernstlich, daß die Kirche hier sich besinnen wird; so geht es nicht.“ (RuR 1933 S. 160, siehe auch Bergkirche Oktober 1933)
Dompropst v. Schwartz und H.E Seebaß hingegen hatten einen Beitritt zur Jungreformatorischen Bewegung wegen ihres Protestes in dieser Frage abgelehnt.

Die Erklärung verband reichskirchliche und landeskirchliche Motive zu diesem historischen Protest, der hinsichtlich seiner Folgen jedoch unklar blieb. Die deutsch-christliche Kirchenleitung mit Beye, Schlott und Breust an der Spitze mußte den Protest als persönlichen und kirchenpolitischen Affront betrachten. Denn wenn auch die Rede vom Berliner Gauführer Krause in der deutsch-christlichen Sportpalastversammlung am 13. November zu einer Krise der Deutschen Christen und zur Distanzierung von dieser Art Glaubensbewegung geführt hatte, so blieb die Glaubensbewegung in ihren Wurzeln kräftig und virulent. Beye und Breust hatten sich in ihrem ersten gemeinsamen Aufruf im August 1933 unumwunden zum deutsch-christlichen Umbau der Evangelischen Kirche bekannt und die Erwartung ausgesprochen, „daß das braunschweigische Kirchenvolk ebenso wie die Pfarrer sich restlos für dieses große Ziel einsetzen“. Bedeutete der Auszug, daß sich die 43 Pfarrer der Autorität des künftigen Bischofs noch vor seiner Einführung und der Kirchenregierung entzogen?


Diskussion in der Pfarrerversammlung nach dem Auszug
In der Pfarrerversammlung in Dannes Hotel entstand nach dem Auszug der 43 eine längere Debatte, aber nicht über die Ausführungen des Landesbischofs oder über die begonnene Kritik Lachmunds sondern nur über die Tatsache dieses Auszuges. Es gab ablehnende aber auch verständnisvolle Stimmen. Teilnehmer der Diskussion berichteten später den Ausgezogenen von der Aussprache und es entstand ein mehrseitiges Protokoll, das Lachmund zu seinen Notbundakten nahm. (PNB 1/27) Auf der Pfarrerversammlung hielt der Reichsreferent der DC Wienecke noch ein Referat über „die Sendung des Lutherums im Dritten Reich“, das „mit großem Beifall aufgenommen wurde“ (PNB 1/26) Palmer konnte um 20 1/4, wie er notierte, mit dem Auto die Rückreise antreten. Gewiß nicht mit Kellner, der ja die gleiche Richtung hatte, sich aber in der Versammlung abfällig über die Ausgezogenen geäußert hatte: Luther hätte gesagt, Gottes Dinge geschähen im Sturm, jetzt wäre die große geschichtliche Stunde da. „Nun müssen wir arbeiten und dann gehen die Leute weg.“


Die Nacharbeit bei Palmer
Am folgenden Tag, Freitag dem 1. Dezember, wurde gründlich weiter- und nachgearbeitet. Man traf sich in der geräumigen Wohnung von Palmer. „Seebaß diktiert Bericht u. Beschwerde über Donnerstag an Ludw. Müller, Notbund, Schöffel etc.“, notierte Palmer im Kalender und „ab(en)ds Versamml(un)g bei mir betr. Notbund u. kirchl. Lage. Schnee“ Julius Seebaß, der in den Bruderrat gewählt war, protestierte in Schreiben u.a. an Reichsbischof Müller (PNB 1/28) und das lutherische Mitglied der Reichskirchenregierung, Bischof Schöffel, gegen das Vorgehen Beyes während der Pfarrerversammlung und meldete nach Berlin-Dahlem die Gründung des Braunschweiger Pfarrernotbundes.

„Samstag 2. Dezember. Notbundarbeiten, Schreiben..Sonntag 3. Dezember. Bei L(achmund) in Ki(rche)..abends mit R(enate) bei L(achmund)s, dort beide Brandmeyers.“ Die praktische Weiterarbeit der Notbundgründung lag also in Blankenburg bei Palmer, Seebaß und Lachmund. Brandmeyer konnte die näheren Einzelheiten der Aussprache in der Pfarrerversammlung liefern, nach denen dann ein schriftlicher Bericht abgefaßt werden konnte. „Mittwoch 6. Dezember vorm. Konferenz bei Lachmund, Seebaß.“ Es gab viel zu besprechen: welche Folgen hatte die Gründung des Pfarrernotbundes im Hinblick auf die Anerkennung der Kirchenleitung oder auf die Teilnahme an Amtskonferenzen, die von deutsch-christlichen Kreispfarrern geleitet wurden?

Es war für beide Seiten eine völlig neue, kirchenhistorisch nicht vergleichbare, offene Situation entstanden und es war die Frage, wie die deutsch-christliche Kirchenleitung reagieren würde. Auch diese mußte erst testen, wie ernst der Auszug gemeint war.


Die Reaktion von Beye/Schlott
Bischof Beye und OKR Schlott verschafften sich einen zuverlässigen Überblick über die Anzahl und die Personen, die die Pfarrerversammlung verlassen hatten und Beye zitierte Lachmund zu einem Gespräch am 13. Dezember ins Landeskirchenamt. Es hatte offenbar etwas länger gedauert, bis eine vollständige Liste vorlag, die Lachmund am 13. Dezember dann bei dem Gespräch auf dem Schreibtisch des Bischofs entdeckte. (Palmer MzGK S. 36)
Beye hatte eine sonderbare Neuerung eingeführt. In seinem Amtszimmer postierte er als persönlichen Vertrauten den SA-Mann Engelke, der an allen Gesprächen teilnehmen konnte, wenn er nicht vom Bischof eine andere Weisung erhalten hatte. Das mochte ängstliche Gemüter einschüchtern, weil eine „Abreibung im Nebenzimmer“ bei den bekannt gewordenen SA Methoden nicht mehr ausgeschlossen erschien. Im Bericht Lachmunds über das Gespräch (PNB 1/33) ist von dieser Figur nicht die Rede. Lachmund hob in seinem Bericht vielmehr die verbindliche Form hervor, in der die Unterredung stattgefunden hätte. Beye gerierte sich zur Eröffnung des Gespräches als Gönner. Es wären Beschwerden seitens der politischen Polizei wegen eines Artikels in der „Bergkirche“ vorgebracht worden. Lachmund hatte unter der Überschrift „Die Judenfrage und die hohe Politik“ erklärt, daß „die Judenfrage nicht nur eine Rassenfrage, sondern eine religiöse Angelegenheit ist... Wir wissen von einem Weltplan Gottes, in dem das Volk der Juden, das seit zwei Jahrtausenden unter dem Fluch steht, wieder Gnade finden soll.“

Es hatte Lachmund nichts genützt, daß er vom Fluch über das Volk der Juden und von dem durch sie angerichteten Schaden gesprochen hatte. Einer polizeilichen Dienststelle im Bereich Magdeburg waren diese Sätze aufgefallen und hatte um Maßnahmen gebeten. Beye eröffnete Lachmund diesen Vorgang und er hätte sich stark für ihn eingesetzt. Nun erwartete Beye im Gegenzug ein Entgegenkommen Lachmunds. Dieser forderte jedoch die Beendigung der Disziplinierung von Palmer und v. Schwartz und lehnte auch einen Austritt der 43 Pfarrer aus dem Pfarrernotbund ab. Beye kam Lachmund sogar bei dem Wunsch entgegen, daß im kleinen Kreis die Beschwerden noch einmal besprochen werden sollten. Das Gespräch endete mit einer gewissen Genugtuung für Beye, der von Lachmund gefordert hatte, daß die Pfarrer „volle Nationalsozialisten“ zu sein hätten, „voll“ im Sinne von „überzeugt“. Lachmund erwiderte daraufhin nach seinem eigenen Bericht, „es sei ihm widerlich, immer wieder betonen zu müssen, daß sie treu zum Staate Adolf Hitlers ständen.“ Mit dieser Schlußbemerkung war Beye allerdings auch das Argument entwunden, daß die Notbundpfarrer reaktionäre Gegner des neuen Staates wären, was von der Seite der Deutschen Christen immer wieder vorgebracht wurde.

Das Gespräch, dessen Inhalt Lachmund umgehend den Notbundpfarrern mitteilte, hatte allerdings eine auffällige Konsequenz. In der Dezembernummer von „Ruf und Rüstung“ fiel die beliebte Umschau Lachmunds weg und v. Schwartz und Lachmund legten auch die Herausgeberschaft nieder. „Von der nächsten Nummer an wird der bisherige Mitherausgeber Oberregierungsrat a. D. Dr. Bode der alleinige Herausgeber von „R.u.R.“ sein. Unsere Mitarbeit bleibt, wie wir hoffen, unverändert.“ Lachmund war sich also nicht mehr sicher, welche Konsequenzen sein Aufsatz in der „Bergkirche“ und vor allem die Gründung des Pfarrernotbundes unter seiner Führung haben werde. Das Erscheinen der „Bergkirche“ wurde für zwei Monate verboten.


Die Reaktion des „Dritten Landeskirchentages im Dritten Reich“
Wenn sich bis zu diesem Zeitpunkt der Auszug der 43 Pfarrer aus der Pfarrerversammlung noch nicht herumgesprochen hatte, so wurde er durch die Berichterstattung über den „Dritten Landeskirchentag im Dritten Reich“ publik (Br. Landeszeitung 19.12.1933) , der am 18. Dezember im Braunschweiger Landtagsgebäude tagte. (KueÜ S. 54 ff) Der Abgeordnete Ibbenthal hatte eine Anfrage eingereicht: „Was gedenkt die Kirchenregierung zu tun, um gegen unbotmäßige Pfarrer die Autorität wieder herzustellen?“ Beye wollte offenbar nicht von sich aus auf die Pfarrerversammlung zu sprechen kommen, weil sie als Niederlage und Autoritätsverlust interpretiert werden konnte.
Andrerseits war eine scharfe Verurteilung durchaus erwünscht. Also beantragte der Abgeordnete Oppe aus Wolfenbüttel die Annahme einer Entschließung, wonach der Landeskirchentag mit Bedauern von den Vorkommnissen auf der Pfarrerversammlung Kenntnis genommen habe und diese Handlungsweise „auf das schärfste aus christlich-nationalsozialistischen Gründen“ verurteile, da dadurch die Volksgemeinschaft geschädigt würde. Diese Verurteilung durch den Landeskirchentag sollte ein Abbröckeln der deutsch-christlichen Einheitsfront in der Landeskirche verhindern. In der Januarausgabe von „Ruf und Rüstung“ (1934 S. 6) berichtete Karl Bode von dieser Sitzung und in der Umschau dieser Ausgabe tat Lachmund so, als ob er von dem Auszug der 43 Pfarrer vom Hörensagen erfahren habe. (S. 18) Es spiegelt etwas von dem glatten Eis, auf dem sich die Mitglieder des Pfarrernotbundes zu dieser Zeit bewegten.


Die 28 deutsch-christlichen Thesen
Der Inhalt der Thesen
Schon 12 Tage nach dem Gespräch zwischen Beye und Lachmund wurde der Pfarrernotbund auf eine erste harte Bewährungsprobe gestellt und Landesbischof Beye drang auf strikten Gehorsam. Jener „Dritte Landeskirchentag im Dritten Reich“ vom 18. Dezember hatte 28 Thesen verabschiedet, die als Grundsätze der Deutschen Christen verstanden werden mußten ( PNB 1/35 und Palmer MzGK S. 36).
Die Thesen gliederten sich in vier Abschnitte: Kirche und Staat (I), Verkündigung der Kirche (II), die Grundlagen der Kirche (III), der Weg der Kirche (IV). Es waren auf den ersten Blick relativ gemäßigte theologische Grundsätze, die auf eine große Mehrheit abzielten und auf extreme deutsch-christliche Positionen verzichteten: „Gott fordert den ganzen Menschen“, „die Grundlagen der Kirche bleiben Bibel und Bekenntnis“, „die entscheidende Offenbarung Gottes ist Jesus Christus“, „Urkunde dieser Offenbarung ist das Neue Testament“. Da hatte man aus deutsch-christlichem Mund schon ganz andere Töne gehört. „Was will man mehr“, hieß es beim Kreiskirchentag iun Wolfenbüttel, es sei „doch alles drin, was man von Seiten der Bekenntnisfreunde hören wollte,“ berichtete der Vikar Kammerer erschüttert (PNB 1/36)

Der ersten Teil über das Verhältnis von Kirche und Staat wurde als Entfaltung des § 24 des NSDAP Parteiprogramms verstanden. Da war zu lesen: „Die Volkskirche bekennt sich zu Blut und Rasse, weil das Volk eine Bluts- und Wesensgemeinschaft ist“. Mitglied der Kirche könne nur der Volksgenosse sein, für die Amtsträger der Kirche gelte der Arierparagraph. Das war bei manchen anderen akzeptablen Passagen für die Notbundbrüder nicht annehmbar. Der Landeskirchentag beschloß, die 28 Thesen am 1. Weihnachtstag zusammen mit einer Botschaft des Landesbischofs von den Kanzeln verlesen zu lassen.


Die Antwort des Pfarrernotbundes
Nach der Eintragung Palmers im Pfarramtskalender trafen sich am 21. Dezember zu einer siebenstündigen Besprechung bei Lachmund die Mitglieder des Bruderrates Seebaß-Börnecke, Althaus-Helmstedt und v. Schwartz, jun. Außerdem nahmen Palmer und Seebaß-Marienthal an den Beratungen teil. Am nächsten Tag verschickte Palmer an 50 Notbundbrüder das Ergebnis der Beratung vom Vortrag. Es ging immerhin um die Frage eines ersten demonstrativen Aktes des Ungehorsams. Es bleibt unklar, ob sich der Bruderrat zu einer einheitlichen Stellungnahme durchgerungen hat. Lachmund versuchte am selben Tag noch, den Bischof telephonisch zu bewegen, die Verlesung wenigstens des Abschnittes I,3 mit dem Arierparagraphen in das Belieben der Pfarrer zu stellen, was Beye indes ablehnte. Lachmund schrieb am 22.12.1933 an die Notbundbrüder, daß er persönlich die Thesen als Verlautbarung des Landeskirchentages verlesen werde, aber hinzufügen würde, daß er einige Punkte als unbiblisch ablehne. (PNB 1/34) Palmer besuchte am 25. Dezember den Gottesdienst von Lachmund und erlebte dort die Verlesung der 28 Thesen mit jenem Zusatz von Lachmund. Am 2. Weihnachtstag hielt Palmer einen Hausgottesdienst, bei dem er sich das Verlesen der Thesen verkneifen konnte.

Am 28. Dezember traf sich nachmittags der Bruderrat erneut, diesmal in Vienenburg. An dieser Sitzung nahmen außer Lachmund, Seebaß-Börnecke, Althaus-Helmstedt und v. Schwartz jun. auch der Domprediger v. Schwartz, Brinckmeier-Vorwohle, Seebaß-Marienthal und Palmer teil. Offenbar wurde auf dieser Sitzung eine ablehnende Stellungnahme abgefaßt. Die Thesen wären als Diskussionsgrundlage ungeeignet, der Arierparagraph widerspräche der neuen Gesetzgebung der Reichskirche, und es wurde das Fehlen der Lehrstücke von der Rechtfertigung, der Sakramente und der Eschatologie bemängelt. In der ersten Januar Nummer von Ruf und Rüstung 1934 behandelte Karl Adolf v. Schwartz diesen Mangel und leitete von der Eschatologie die Vorläufigkeit aller menschlichen und auch staatlichen Ordnungen ab, woraus sich immer wieder Reibungen zwischen Staat und Kirche ergeben würden.

Wie uneinheitlich indes die Urteilsbildung im Pfarrernotbund war, zeigte die Bemerkung v. Schwartz hinsichtlich des Arierparagraphen. v. Schwartz nannte den Arierparagraphen eine „Lebensnotwendigkeit für unsern Staat“, stellte aber seine Anwendung für die Kirche in Frage. v. Schwartz schrieb: „Eine eigenständige Kirche, die sich in ihrem organisatorischen Aufbau nicht nach dem Arierparagraphen des Staates richtet, weil sie Grund dazu hat, stellte einfach durch diese Tatsache immer wieder die Frage nach dem Recht des staatlichen Arierparagraphen. Sie würde ihn nicht zerstören, würde ihn nicht angreifen, ja sie könnte sogar feststellen, daß er für unsern Staat eine Lebensnotwendigkeit ist – und das ist er -, aber sie würde doch immer wieder zeigen, daß diese Ordnung wie alle Ordnungen durchaus dieser Welt angehört.“ v. Schwartz bot damit ein Beispiel für die weit verbreitete, aber fragwürdige Anwendung von Luthers Zwei Reiche Lehre, die Staat und Kirche strikt trennte, und die Anwendung des Arierparagraphen staatlicherseits dulden und sogar begrüßen, aber kirchlicherseits ablehnen konnte. Das konnte allerdings auch als die häufig zu beobachtende taktische Wendung verstanden werden, sich nicht in einen Gegensatz zum nationalsozialistischen Staat bringen zu lassen. Sprengstoff bot dieser Aufsatz von v. Schwartz in der Landeskirche allemal, denn Bischof Beye hatte unverblümt auf dem Kreiskirchentag am 20. Dezember in Wolfenbüttel erklärt: „Jeder, der etwa die Ariergesetzgebung der Landeskirche nicht anerkennen will, stellt sich damit in einen Gegensatz zu der Grundhaltung des völkischen Staates. Dieses Vertrauensverhältnis lassen wir uns nicht zerschlagen.“


Die Kanzelabkündigung gegen den Maulkorberlaß
Schon 14 Tage später standen die Notbundpfarrer erneut vor der Entscheidung, eine verbotene Kanzelabkündigung abzuhalten oder zu schweigen. Der Reichsbischof hatte den berüchtigten „Maulkorberlaß“ veröffentlicht, wonach Politik auf der Kanzel und Kritik am Reichskirchenregiment verboten sein sollten. Der „Maulkorberlaß“ bestimmte, daß gegen die Pfarrer, die den Gottesdienst zu kirchenpolitischen Auseinandersetzungen benutzten und durch Flugblätter und Rundschreiben das Kirchenregiment angriffen, unverzüglich unter vorläufiger Enthebung vom Amt das förmliche Disziplinarverfahren mit dem Ziel der Entfernung aus dem Amte einzuleiten wäre. In einer in Berlin vom Notbund formulierten längeren Erklärung wurde gegen diesen Erlaß des Reichsbischofs scharf protestiert. Das widerspruchsvolle Verhalten des Reichsbischofs mache es dem Pfarrernotbund unmöglich, ihm das Vertrauen entgegenzubringen, dessen er in seinem Amte bedürfe. Die riskante Abkündigung war für den 7. und 14. Januar 1934 vorgesehen. Hunderte von Notbundpfarrern vor allem in den altpreußischen Kirchen verlasen die Protesterklärung. Lachmund empfahl offenbar ohne Rücksprache mit dem Bruderrat am 13. Januar den Braunschweiger Notbundpfarrern, ebenfalls die Protesterklärung von den Kanzeln zu verlesen. Auch gab die Weisung durch. Vermutlich teilten sich v. Schwartz und Lachmund die Adressaten und v. Schwartz unterrichtete die Notbundpfarrer im Braunschweiger Stadtbereich. Insgesamt verlasen 30 Mitglieder die Protesterklärung. (in: LKA 128 die Mitteilung der Kreispfarrer über die verlesenden Pfarrer)

Es war aber nicht nur der Inhalt der Kanzelerklärung, der die Empörung bei den Kirchenleitenden auslöste, sondern die Tatsache, daß überhaupt das Instrument einer Kanzelerklärung nun von einer Pfarrergruppe in Anspruch genommen wurde. Kanzelerklärungen standen nur einem Bischof oder der Kirchenregierung zu. Mit einer Kanzelerklärung nahmen die Mitglieder des Pfarrernotbundes ein kirchenleitendes Instrument für sich in Anspruch.

Nach der Verlesung durch Lachmund in der Lutherkirche erhob sich die Gemeinde und Dagmar v. Hoerschelmann stimmte als Zustimmung der Gemeinde das Lutherlied an. Auch im Braunschweiger Dom wurde nach der Verlesung das Lutherlied spontan angestimmt. Bischof Beye nahm die Empfehlung zum Anlaß, Lachmund noch am selben Sonntag, dem 14. Januar, telephonisch vom Dienst zu suspendieren und ein Dienstverfahren mit dem Ziel der Entlassung zu eröffnen. Mit der Suspendierung Lachmunds war das erste Mitglied des Bruderrates aus dem aktiven pfarramtlichen Dienst entfernt. (MzA S.150 ff)



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