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[Kirche von unten]

Ottmar Palmer 1873 - 1964

Versuch einer Annäherung und Deutung

18. Kapitel


Der Anschluß an den Lutherrat und die Einbindung des Pfarrernotbundes in das Konzept Johnsens von der kirchlichen Mitte 1936/37


Die Arbeit des Bruderrates ging auch im Jahr 1936 unvermindert intensiv weiter. Palmer notierte sich Sitzungen am 6. Januar, 5. Februar in Vienenburg und 24. Februar, 25. Mai, 22. Juni, 8. Juli, 3. August in Goslar, 21.September, 11. und 30. November. Notbundversammlungen schlossen sich am 6. Januar mit einem Vortrag des Halberstädter Dompredigers, am 24. Februar mit einem Referat von Georg Merz, am 25. Mai, 8. Juli, 21. September und 30. November an.


Wie die Lutheraner die Bekennende Kirche spalten
Die Spaltung der Bekennenden Kirche in einen lutherischen rechten Flügel und einen linken Preußenflügel und die Unsicherheit, welche Gesamtleitung in der Deutschen Ev. Kirche nach dem Rücktritt der 1. VKL zustande kommen werde und ob die vom Reichsbruderrat gebildete 2. VKL die nötige Anerkennung durch den lutherischen Westen erhalten werde, um für die ganze Kirche sprechen zu können, machte sich auch lähmend im Braunschweiger Pfarrernotbund breit. „Ist das große Schweigen, das z. Zt über dem Braunschweiger Pfarrernotbund liegt, symptomatisch oder symbolisch? Mich bedrückt die furchtbare Angst, daß alles bestenfalls in der „alten“ Kirche endet, wenn nicht in etwas viel Schlimmeres. Aber auch die preußischen Versuche der „jungen“ Kirche sind mir nicht überzeugend. War nicht Oeynhausen trotz des gemeinsamen Wortes in Wirklichkeit ein Auseinandergehen?“ schrieb Karl Adolf v. Schwartz am 8.März 1936 an Lachmund. (PNB 4/51)

Die wichtigste Entscheidung des Bruderrates war sein Antrag im Mai 1936 auf Aufnahme in den Rat der Lutherischen Kirche Deutschlands. Dieser Schritt bedeutete eine erhebliche Lockerung seines Verhältnisses zu dem „linken Flügel“ der Bekennenden Kirche in Dahlem und sein Anschluß an den lutherischen rechten Flügel. Auch wenn die Kennzeichnung „links“ und „rechts“ problematisch erscheint, dient sie doch der Klarheit und markiert wesentliche Unterschiede, die OKR Breit bereits während der Information am 13.9.1935 mit dem musikalischen Beispiel der Hörner in einem Orchester hervorgehoben hatte.


Gründung eines norddeutschen lutherischen Konventes
Der langsame Abmarsch der Mehrheit des Braunschweiger Pfarrernotbundes auf den rechten Flügel unter der Führung von Heinrich Lachmund hatte sich lange vorher angedeutet. Der Pfarrernotbund geriet ins Fahrwasser der Hannoverschen Bekenntnisgemeinschaft, unter deren Leitung seit Sommer 1934 die verdeckte Ablösung von den Beschlüssen der Barmer Synode erfolgte.
Bereits einen Monat nach der Barmer Bekenntnissynode betrieb Pfr. Duensing als stellv. Vorsitzender der Hannoverschen Bekenntnisgemeinschaft eine Sammlung der norddeutschen Lutheraner und lud zu einem Treffen am 25. Juni 1934 nach Lüneburg ein. Es habe unter den Teilnehmern ein „starkes Ressentiment gegen Barmen bestanden und sowohl Schöffel als auch Herntrich haben vom Barmer Unionismus gesprochen“, schrieb Pfr. Klopppenburg in einem Brief an Georg Merz. (Brief vom 28.6.1934 in Niem 762) Formal wurde dieses Treffen und das folgende am 17. Juli in Hamburg als norddeutsche Ausgestaltung des in Barmen gebildeten lutherischen Konventes dargestellt. Das wäre indes die Sache von Bischof Meiser gewesen, der Vorsitzender des lutherischen Konventes gewesen war. Der Braunschweiger Pfarrernotbund hatte vom Lüneburger Treffen erfahren und bat um Einladung, nahm aber am Hamburger Treffen noch nicht teil. In einem im forschen Ton verfaßten Brief an den Präses der Bekenntnissynode Koch in Oeynhausen versuchte Duensing den Eindruck zu erwecken, als ob es bereits einen vollständigen, arbeitsfähigen, norddeutschen Konvent gäbe. „Wir bitten in Zukunft, daß schwierige Fragen mit der Leitung des niedersächsischen Konventes besprochen werden und daß Eingriffe in dessen Arbeit ohne vorherige Verständigung unterbleiben.“ Das detaillierte Antwortschreiben von Präses Koch witterte zu Recht die Spaltungsabsichten von Duensing, und erwiderte, man werde „alles tun, was die Aufspaltung der Bekenntnisgemeinschaft durch einen Konvent verhindern könnte.“ Koch beließ es beim Briefentwurf und schickte ihn nicht ab. (Briefentwurf 20. Juli 1934 Koch an Duensing in: Niem. 762).


Gründung des Lutherischen Rates
Nun lud Marahrens zu einem Treffen am 24./25. August 1934 nach Hannover ein, auf dem der Lutherische Rat gegründet wurde. An der Tagung nahmen nach einem Bericht von Kloppenburg teil: Marahrens, v. Bodelschwingh, Wurm, Zänker, Althaus, Schreiner, Laible, Ulmer, Zoellner, Fleisch, Mahrenholz, Stallmann, Niemann, Bosse, Duensing und Kloppenburg, am Sonnabend noch Meiser und Schöffel. Es wurde eine Kundgebung aus der „Verantwortung für die deutsche lutherische Kirche“ verfaßt, die als lutherische Antwort auf die Nationalsynode vom 9. August verstanden werden sollte. Es wurde gegen die Umbildung der Nationalsynode und den dort beschlossenen Wortlaut einer Eidesformel protestiert. Die Erklärung war unterzeichnet von Althaus, Fleisch, Kloppenburg, Laible, Marahrens, Meiser, Schreiner, Ulmer, Wurm, Zänker, Zoellner. Um den Wortlaut der Stellungnahme zum Eid gab es eine Auseinandersetzung. Meiser hatte beantragt, den Satz: daher könne man den Pfarrern die Ablegung des Eides nicht empfehlen, in die Kundgebung mit aufzunehmen. Aber sein Antrag erhielt keine Mehrheit. (Bericht über die Tagung von Klopppenburg undatiert in Niem. 762) Diese Stellungnahme war im Grunde überflüssig, denn die Vorsitzenden sämtlicher Landesbruderräte hatten in Berlin die deutliche Empfehlung an die Pfarrer ausgesprochen, den Eid in der empfohlenen Form nicht abzulegen, da sein Wortlaut zugleich an die unrechtmäßige Reichskirchenregierung bände. Der Wortlaut von Hannover ließ es indes gerade an dieser Klarheit fehlen.

In konfessionellen Kreisen wurde die Gründung des Lutherischen Rates mit Begeisterung aufgenommen. „Man hat in den Lutherischen Kirchen innerhalb und außerhalb Deutschlands geradezu in zitternder Ungeduld darauf gewartet, daß das Luthertum in Deutschland endlich seiner bewußt geworden handle.“ (in: Luthertum 1934 S. 187) Ganz anders sah die Reaktion in Oeynhausen aus. Präses Koch schrieb an die Bischöfe Meiser, Wurm und Marahrens, sie möchten klarstellen, „daß es sich nach Ihrer Auffassung bei den Vorgängen in Hannover nicht um die Bildung einer „dritten Font“ handelt, die in deutlicher Absetzung von der durch Barmen und den Reichsbruderrat dargestellten Front zu marschieren gedenkt.“ Ohne Abgrenzung zum bestehenden Konvent wäre die Neubildung geeignet, „unter den Pfarrern Verwirrung zu stiften, vor allem deshalb, weil an dieser Neugründung Theologen beteiligt sind, welche Barmen aus verschiedenen Gründen energisch ablehnen.“ (Schreiben vom 29.8. in Niem 762) Dem Lutherischen Rat sollten angehören: Meiser, Wurm, Marahrens, Zänker, Althaus, Schreiber, Brunstädt, Stange, Gogarten, Sommerlath, Schniewind, Sasse. Meinzolt, Niemann, Alhorn, Schoeffel, Zoellner, Merz, Fleisch, Künneth, Gloege, Wolters, Stoll, Kloppenburg, Pflug, Herntrich, Hopf.

Asmussen formulierte seine Bedenken in folgende Fragen: „Wird der „luth. Rat“ seinen Anhängern sagen, daß alle Parolen in Zukunft von Oeynhausen ausgehen? Wird der „luth. Rat“ seinen Anhängern sagen, daß diese Erklärung über den Eid nicht eine Gegenerklärung gg. die Berliner Erklärung ist? Wird der „luth. Rat“ öffentlich erklären, daß er nicht daran denkt, eine mittlere Linie zu fahren? Wie ist sonst die Nichteinladung des Reichsbruderrates zu erklären?“ (handschriftliche Anmerkung von Asmussen in: Niem. 762).

Die Konstruktion des Lutherischen Rates wurde gefestigt durch die Bildung eines „Führerrates lutherischer Kirchenwerke“ im Anschluß an die Tagung des Martin Lutherbundes am 19. September 1934 in Eisenach. Auch diese Konstruktion, die später in der praktischen Arbeit kaum Auswirkungen gehabt hatte, hatte jedoch zum Zeitpunkt ihrer Gründung eine eminente kirchenpolitische Bedeutung gehabt. Sie sollte der Zentrale der Bekennenden Kirche in Oeynhausen signalisieren, daß Äußere Mission, Diakonie, Bibelgesellschaft, Paramentik, Presse, Verlags- und Vertriebsarbeit und andere Werke nicht ohne weiteres Bestandteil der Bekennenden, sondern der lutherischen Kirche sein würden. „Das Luthertum hat lange genug seinen Einfluß auf dem Gebiet der kirchenorganisatorischen Arbeit ausgeschaltet und sich dabei beinahe durchgehend unter kirchenfremde ( - im Sinne der Lutherischen Kirche - ) Führung begeben,“ kommentierte Fr. Ulmer in der in Erlangen erscheinenden Zeitschrift „Luthertum“. („Zusammenfassung des Lutherischen Kirchenwerkes“ Heft 13 vom 1.10.1934 S. 229). Es wurden sogleich verschiedene Kammern gebildet, zuständig für Mission, Presse, Diakonie u.a. Ein hektischer Geist der Trennung hatte sich Teilen des Luthertums bemächtigt.


Gründung des Lutherischen Paktes
Die brutale Eingliederungspolitik des Rechtswalters Jäger und des Reichsbischofs, die Besetzung der Landeskirchenämter in München und Stuttgart und die Arrestierung von Meiser und Wurm in ihren Pfarrhäusern einen Monat später ließen indes die Lutheraner wieder näher an den Reichsbruderrat heranrücken, der zur Entlastung die für Ende Oktober vorgesehene zweite Bekenntnissynode vorverlegte und zum 19./20.Oktober 1934 nach Dahlem einberief.
Aber der überraschende Empfang von Marahrens, Meiser und Wurm bei Hitler am 30. Oktober wurde von diesen mit guten Gründen als das staatliche Placet für ihre Position als Landesbischöfe in ihren Landeskirchen interpretiert, ein Placet, das weder die Bekennende Kirche noch die später gebildete 1. Vorläufige Kirchenleitung von der Hitlerregierung erhalten hatte. Derart gestützt setzten die drei Bischöfe in der gemeinsamen Einsicht, daß die Dahlemer Beschlüsse in ihren sog. „intakten“ Landeskirchen nicht zur Ausführung kommen würden und sie selber nicht im Traum daran dachten, sich einer zentralen Leitung der Bekennenden Kirche einzuordnen, ihren schon 1933 begonnenen Sonderweg innerhalb der Bekennenden Kirche fort. Dazu wurde von ihnen am 12. Februar 1935 ein Lutherischer Pakt beschlossen. Er sollte einer engeren Zusammenarbeit und Rechtsangleichung auf dem Gebiet der Gesetzgebung und Verwaltung und in Fragen der Liturgie und des Gottesdienstes dienen. Unumwunden erklärten die Bischöfe in der veröffentlichten Vereinbarung, daß die Kräfte des lutherischen Bekenntnisses maßgebend Form und Inhalt einer erneuerten Deutschen Ev. Kirche bestimmen müßten. Sie knüpften nicht an Barmen und Dahlem an, - die Synoden wurden überhaupt nicht erwähnt – sondern sahen die Gründung des lutherischen Paktes in einem tagespolitischen Zusammenhang, nämlich der Rückkehr der Saar. „Zugleich dienen wir damit dem Gedanken der vom Führer und Kanzler angestrebten und fortschreitend verwirklichten Einheit des Deutschen Volkes, der durch die Rückkehr des Saargebietes zum Reich ein weiterer Baustein eingefügt worden ist.“ (JK 1935 S. 213 ff) . Diese Vereinbarung stieß tief in die Verabredungen der Dahlemer Synode hinein, die sich zu gemeinsamem Handeln in Fragen der Kollektenablieferung, der Ordination und äußeren Organisation einer Bekennenden Kirche entschlossen hatte. Karl v. Schwartz veröffentlichte einen Teil des Wortlautes des Lutherischen Paktes in der Märzausgabe von Ruf und Rüstung (RuR 1936 S. 41f) und signalisierte damit seine Sympathie.


Gründung des Lutherischen Blocks
Auf diesen Lutherischen Pakt folgte die Bildung eines „Lutherischen Blockes“ am 25. Februar 1935 in Hannover. Zu einem Lutherischen Block hatte sich der im Juni gebildete Lüneburger Konvent gemausert. An den Verhandlungen des Lutherischen Blockes nahmen teil: Marahrens und Breit, für Hamburg: Knolle und Reme sen.; Lübeck: Jannasch und Kühl; Schleswig-Holstein: Wester und Herntrich; Oldenburg: Kloppenburg; Mecklenburg: Pflug; Hannover: Duensing, und Bosse; Braunschweig: v. Schwartz. Das von Kloppenburg angefertigte Protokoll vermerkte eine ungeordnete, hin und her wogende Diskussion mit 71 Beiträgen. Es wurden die Fragen der Kirchenleitung durch die Bruderräte, der theologischen Prüfung, der Ordination, der Haltung zum Reichsbruderrat, der Einschätzung der Dahlemer Beschlüsse, der künftigen Organisation einer lutherischen Synode im Sommer angeschnitten. Breit und Duensing äußerten sich äußerst kritisch zum Reichsbruderrat, er wäre „ein für die Leitung der Kirche gänzlich ungeeignetes Organ“, die Bruderräte sollten weniger kirchenleitende als geistliche Funktionen übernehmen. Bosse zweifelte „nachträglich an der Richtigkeit der Beschlüsse“ von Dahlem, Wester hingegen war für Anstöße vom Reichsbruderrat dankbar und Herntrich widersprach einer Veränderung der Funktion der Bruderräte. Die Haltung gegenüber den DC Kirchenführern war verschieden. Wester nannte sein schleswig-holsteinisches Kirchenregiment „ein DC Regiment in Klammern. Diese Verschleierung ist unsre Not.“ Karl Adolf v. Schwartz fragte in die Runde: „Sollen wir mit Johnsen mitmachen? Die Stimmung ist unbedingt für nein.“ Aber Marahrens fragte zurück: „Muß man von Johnsen verlangen, daß er aus den DC austritt? Kämpft man gegen die Leute, indem man sie aushungert, oder sind wir so stark, daß wir Bedingungen stellen können?“ Marahrens wurde von Kühl, Lübeck unterstützt. Es gäbe sicher Landeskirchen, in denen man mit den DC reden müßte, und zwar nicht aus taktischen Gründen sondern aus einer kirchlichen Haltung heraus. v. Schwartz betonte dagegen die absolut unverbindliche Theologie Johnsens. Marahrens hielt dagegen das sachliche Ziel für entscheidender. Das ginge vor allem manchen alten Kämpfern schwer ein. Meinte Marahrens die 61jährigen Palmer und Karl v. Schwartz? Klopppenburg hatte auf die Notwendigkeit tragender Gemeinden hingewiesen. Wo diese fehlten „wie in Braunschweig“, „muß man vielleicht zu Kompromissen geneigt sein.“ Breit plädierte für eine strategische Aufteilung der Kirchengebiete. Oldenburg müßte „Kriegsgebiet“ bleiben, da gäbe es kein Nachgeben. „Dafür könnte man anderswo durch Zusammenschlüsse Frieden erreichen, etwa in Braunschweig oder Sachsen.“ Karl Adolf v. Schwartz verfaßte noch in Hannover einen Bericht (PNB 3/51).und fuhr mit der Einsicht nach Eilum zurück, daß für die vom Bruderrat eingeschlagene scharfe Reaktion gegenüber Johnsen vom Lutherischen Block keine Unterstützung zu erwarten wäre. (alle Zitate aus dem Protokoll von Kloppenburg in: Niem. 762)


Die Initiative von Hans Eduard Seebaß
Um so interessanter war eine Initiative von Hans Eduard Seebaß unmittelbar nach der Bildung des Lutherischen Blockes. Er hatte mit dem Leiter der Hannoverschen Bekenntnisgemeinschaft Pfarrer Bosse Ende Februar 1935 eine Vereinbarung zur engen Zusammenarbeit zwischen dem Braunschweiger Pfarrernotbund und der Hannoverschen Bekenntnisgemeinschaft „vorbehaltlich der Zustimmung der Bruderräte“ schriftlich aufgesetzt und unterzeichnet. Die Vereinbarung sollte zum 1. März in Kraft treten, aber sie wurde nicht vollzogen. Die Unterschiede zwischen der Hannoverschen Bekenntnisgemeinschaft, die im wesentlichen ein Bündnis zur Unterstützung des Hannoverschen Landesbischof und zur Bekämpfung des Einflusses der Kirchen der Union gewesen war, und dem Braunschweiger Pfarrernotbund, der seine Beziehungen zum linken Flügel der Bekennenden Kirche nicht kappen wollte, waren zu groß. Man hatte kaum gemeinsame Themen und wie wenig hilfreich der Lutherische Rat für die aktuelle unbequeme Lage des Braunschweiger Pfarrernotbundes war, hatte der Tag des Lutherischen Blocks in Hannover erwiesen. Umso illusionärer erschien das Ziel, „auf das wir gemeinsam hinarbeiten wollen: Anschluß der Braunschweiger Landeskirche an Hannover.“ (in PNB 3/51)


Ankündigung einer Lutherischen Reichssynode
Breit schlug schon bei der Gründung des lutherischen Blockes am 25.2. die Abhaltung einer lutherischen Reichssynode im Sommer 1935 vor. Das blieb nicht eine von vielen unerledigten Ideen. In eine geradezu kritische Phase geriet die Bekennende Kirche, als der Arbeitsausschuß des Lutherischen Rates am 6. Mai in Nürnberg die Durchführung einer lutherischen Synode auf den 17.-19. Juni in Hannover festlegte, aber gleichzeitig Landesbischof Meiser dem Termin einer dritten Bekenntnissynode immer neue Hindernisse in den Weg legte. (E I 65) Der Kreis der zu dieser Synode Eingeladenen überging gezielt die Vertreter der Union in der Vorläufigen Leitung und auch in Oeynhausen. Schon am 12. April hatte Asmussen in einem Brief an Kloppenburg vor einer lutherischen Synode dringend gewarnt. „Die Dinge beginnen langsam undurchsichtig zu werden...wird man diejenigen Vertreter der Unionslutheraner, die man für hinlänglich koscher hält, einladen, andere aber nicht, riskiert man eine Gegensynode... Wird man die Zustimmung zu Barmen und Dahlem zur Grundlage einer solchen Synode machen?“ (Niem. 762) Die Junge Kirche vom 18. Mai 1935 veröffentlichte die Notiz „Die Lutherische Synode in Deutschland (Lutherische Reichssynode) findet vom 17.-19. Juni in Hannover statt.“ Mit dem Begriff der Reichssynode erhoben die Lutheraner nun auch öffentlich den Anspruch, den Bekenntnissynoden von Barmen und Dahlem eine eigene reichsweite Synode entgegenzusetzen.


Der Braunschweiger Bruderrat bei der Tagung in Gohfeld am 22/23 Mai 1935
Je mehr sich die Lutheraner organisierten, um so energischer drängten die Kreise um Niemöller auf eine Einberufung einer dritten Bekenntnissynode, um die gebildete Vorläufige Kirchenleitung durch ein Synodenvotum zu legitimieren, ein deutliches Wort zu den Angriffen der Deutschen Glaubensbewegung zu verabschieden und zur Entlastung der rund 40 inhaftierten Pfarrer. Es gab tatsächlich ein schiefes Bild, daß eine Synode sogar vorgezogen wurde, wenn zwei Bischöfe unter Hausarrest gestellt wurden, und eine Synode verzögert wurde, obwohl 24 Pfarrer im KZ und zahlreiche andere Pfarrer vor allem aus Sachsen und Hessen-Nassau im Gefängnis saßen. Niemöller erhoffte sich dazu die Unterstützung durch die Bruderräte der zerstörten Landeskirchen und lud diese zu einer Tagung am 22./23. Mai 1935 nach Gohfeld in der Nähe von Oeynhausen ein.
Eigentlich war an diesen beiden Tagen die bereits zeitlich dreimal verschobene Bekenntnissynode in Augsburg vorgesehen. Der bayerische Landesbischof Meiser hatte immer neue zum Teil skandalöse Bedingungen an das Zustandekommen der Synode gestellt. Karl Barth sollte auf keinen Fall als Delegierter an der Synode teilnehmen. Hans Asmussen sollte auf keinen Fall das theologische Hauptreferat halten. Auf keinen Fall sollte ein gemeinsames Abendmahl gehalten werden. Der letzte groteske Grund für eine Verschiebung war eine Rede Adolf Hitlers am Vortag der geplanten Synode, der zur Kirchenfrage wichtige Äußerungen machen wollte. Er verlor zur Kirchenfrage kein Sterbenswörtchen. Es war nun unklar, ob überhaupt eine Bekenntnissynode in Augsburg zustande kommen würde. Zwischenzeitlich war sogar an eine Synode in Frankfurt gedacht. Einige Synodale befanden sich bereits auf der Reise nach Augsburg, als der Termin vom 22./23. Mai abgesagt wurde. Es konnte als ein gezielter Nervenkrieg verstanden werden, um die Lust an einer dritten Bekenntnissynode zu nehmen, denn der Termin der Lutherischen Reichssynode war bereits bekanntgegeben. So war der 22./23. Mai auf dem Terminkalender vieler Synodaler frei.

Es trafen sich in Gohfeld 87 Konferenzteilnehmer aus dem preußischen Bruderrat, mehreren Provinzialbruderräten und den Landesbruderräten der zerstörten Kirchen aus Berlin Brandenburg, Danzig, Ostpreußen, Pommern, Rheinland, Kirchenprovinz Sachsen, Schlesien, Pfalz, Westfalen, Bremen, Kurhessen-Waldeck, Hamburg, Lübeck, Mecklenburg, Hessen-Nassau, Oldenburg, lutherisch Sachsen, Thüringen, Baden und Schleswig Holstein. Auch Braunschweig war eingeladen und war durch Karl Bode, Karl v. Schwartz und Lachmund vertreten. (alle Zitate Wilhelm Niemöller „Um den geraden Kurs“ Die Konferenz der zerstörten Kirchen in Bad Oeynhausen Text – Dokumente- Berichte“ hrs. Wilhelm Niemöller Bechauf Verlag 1977). 14 Gäste darunter Eduard Putz aus Bayern, Theodor Dipper aus Württemberg, Otto Riethmüller, Berlin, Albert Hesse, Elberfeld, Richard Karwehl Osnabrück und 22 Kandidaten aus dem Predigerseminar Bielefeld kamen dazu.
Nachdem Niemöller scharf die von Meiser verursachte ständige Aufschiebung der Bekenntnissynode kritisiert hatte, referierte Asmussen über den augenblicklichen Standort der Bekennenden Kirche mit seinen erheblichen theologischen und kirchenpolitischen Differenzen. Dabei nahm er die lutherischen Gruppenbildungen ins Visier, stellte über die Lehrunterschiede das Wollen einer Deutschen evangelischen Kirche heraus, in der z. B. auch Abendmahlsgemeinschaft gehalten werden müßte, was die Lutheraner strikt ablehnten, und bedauerte, „daß die theologische Sache von Barmen in Gefahr ist, innerhalb der Bekennenden Kirche zu einer geduldeten Winkelangelegenheit zu werden.“ Pfarrer Paul Humburg vom Rheinland betonte die große seit Dahlem übernommene Verantwortung. Im Rheinland wären z.B. 182 Kandidaten von den Bruderräten geprüft worden und müßten nun in Kirchengemeinden untergebracht werden und man erwarte von der Synode ein ermutigendes Wort, auch gerade in der politisch gefährlichen Zeit. „Ich habe“, so Humburg, „heute früh vom Bahnhof angerufen, weil wir dachten, daß im Hotel Victoria jemand sitzt, der uns alle gleich einbuchtet. Wir sitzen hier und reden so, als ob gar keine Gefahr vor uns liegt.“
Die Konferenz konnte sich nicht zur Annahme eines von Pfr. Müller, Dahlem vorgelegten Antrages entschließen, in der sich die zerstörten Kirchen von den intakten Kirchen und vom Lutherischen Rat abgrenzend zusammenschlossen. Aber es wurden die praktischen Fragen diskutiert: soll ein Pfarrer nach einem Predigtverbot durch die Gestapo weiter predigen, soll er die Gemeinde nach einem Ausweisungsgebot verlassen, sollen die Kirchengemeinden ohne Pfarrer selbständige Abendmahlsgottesdienste halten?


Die Abendmahlsfrage
Die Abendmahlsfrage beschäftigte die Teilnehmer stark. Pfarrer Paul Humburg: „Ihr dürft nun sagen, was ihr wollt. Ich kann das vielleicht nicht so nachempfinden. Aber wenn 30 unserer Brüder im Gefängnis sitzen und gegen uns alle, was wir nicht beurteilen können, das Los so oder so fällt, wenn dann überhaupt noch überlegt wird, ob wir zusammen das Abendmahl feiern können, dann muß Gott die Schrauben noch anders anziehen, ehe man weiß, was Gemeinde Jesu Christi ist.“ Mehrfach wurde vorgeschlagen, daß nun auch Laien die Möglichkeit haben sollten, einen Abendmahlsgottesdienst zu halten. Als Pfarrer Gabriel einwandte, wenn schon die Abendmahlsfeier in der Hand eines Kirchenältesten liegen sollte, sollte wenigstens ein Pfarrer anwesend sein, erwiderte Niemöller lapidar: „Daß beim Abendmahl ein besonderer Wert auf den Pfarrer gelegt wird, ist unlutherisch.“ (S. 104) Es war der pommersche Synodale v. Thadden, der dafür plädierte, „noch ein Stück weiterzugehen und zu sagen, wenn wir nicht überhaupt dazu kommen, das Verhältnis vom geistlichen Amt und der Verantwortung der Glieder der Gemeinde lebensvoll und mehr im Sinne eines einheitlichen Organismus der Kirche Jesus Christi zu sehen, bleiben diese Dinge alle ohne das Fundament, das wir brauchen.“ (S. 99) Pfr. Schapper aus der Kirchenprovinz Sachsen unterstützte die Ausführungen v. Thaddens. Es müßte möglichst bald ein Buch für die Hand der Kirchenvorsteher hergestellt werden, „was ihnen sagt: was mache ich, wenn unser Pfarrer fort ist, und wenn eine Beerdigung zu halten ist, welche Lieder bereite ich vor und lasse ich singen, welche Bibelstellen lese ich. Das alles muß auf klare Weise unseren Ältesten in die Hand gegeben werden.“ ( S. 100) An diesem zweiten Konferenztag, dem 23.5.1935, der nicht mehr in Gohfeld, sondern in Bergkirchen stattfand, nachdem alle Teilnehmer beim Verlassen am Abend vorher von der Gestapo fotografiert worden waren, wurden vor allem diese praktischen Fragen diskutiert, die die sehr unterschiedliche Situation in den Landeskirchen anschaulich machte.

Ein Wortbeitrag der drei Braunschweiger Abgeordneten ist im Protokoll nicht vermerkt, aber sie werden im massiven Mißtrauen gegen Bischof Johnsen bestärkt gewesen sein. Die Zwickmühle, in der der Braunschweiger Pfarrernotbund steckte, wurde ihnen wieder bewußt, insbesondere bei der eindrucksvollen Begegnung mit Martin Niemöller, Karl Koch, Hans Asmussen, Friedrich Müller, Kurt Scharf, Rheinhold v. Thadden Trieglaff, Heinz Cloppenburg, Joachim Beckmann und den vielen anderen, die in den preußischen Kirchen tatsächlich im Kirchenkampf standen. Die Konferenz bot viel theologischen Stoff, der in einer Notbundversammlung hätte weiter diskutiert werden können, aber die Situation der Braunschweiger Kirchengemeinden erschien doch unproblematischer und undramatischer. Lachmund berichtete ziemlich lapidar: „In Bad Oeynhausen waren Dr. Bode, Dr. v. Schwartz und ich. Der ganze Ernst der kirchlichen Lage war dort zu spüren.“ (PNB 3/124)


Die 3. Bekenntnissynode in Augsburg 1935
Kurzfristig kam dann doch die 3. Bekenntnissynode am 4.-6. Juni 1935 in Augsburg zustande und wurde wie schon die beiden vorhergehenden von Lachmund und Karl Bode besucht und von Letzterem mitstenographiert. Wer die leidvolle Vorgeschichte des Zustandekommens miterlebt hatte, mußte wohl zusammenzucken, als er Bischof Meiser in seinem Grußwort sagen hörte, daß er auf die Anfrage einer Synode in Augsburg ohne sich zu besinnen ein freudiges Ja gesagt hätte. (Karl Immer „Augsburg“ S. 17) Das war wochenlang nun doch erheblich anders und entsprach dem in der lutherischen Kirche nicht unüblichen Stil frömmelnder Verlogenheit. Die bayerische Landeskirche hatte im Januar 1934 den Gesamtanschluß von 1.200 Pfarrern zum Pfarrernotbund angemeldet, aber den Beitritt nie vollzogen und auch keine Beiträge entrichtet, die dringend zur Unterstützung von suspendierten Pfarrern erforderlich waren. In Augsburg hingegen begrüßte Bischof Meiser die Synodalen „im Namen der Bayerischen Bekenntniskirche als ganzer und im Namen der nun schon mehrere Hunderttausende zählenden Mitglieder unserer Bayerischen Bekenntnisgemeinschaften.“ (Bericht von Augsburg in PNB 3/126) In einem persönlichen Bericht, dessen Verfasser zwar ungenannt aber vermutlich Dr. Bode ist, wurde ehrlich als der kritische Punkt die Haltung der Lutheraner in der Union angesprochen, die von Meiser und Marahrens aus den Kirchen der APU herausgebrochen und in das System einer lutherischen Reichskirche eingegliedert werden sollte. „Die Schwierigkeit liegt bei der Frage der Lutheraner aus der Union.. Diese wollen alles vermeiden, was irgendwie in Richtung einer Zerschlagung der Union geht und meinen, in den jetzigen Kampfzeiten dürfe diese Frage nicht angeschnitten werden, während die Bayern und Hannoveraner gerade jetzt hier weiterkommen möchten. Württemberg steht mehr zu Niemöllers Vorschlägen.“ (PNB 3/126) Diese zutreffende Beobachtung wurde zugunsten von „Brüderlichkeit“ und „Einmütigkeit“ zugedeckt.

Erstmalig machte sich auch ein Braunschweiger, Karl Bode, während der Synode zusammen mit v. Thadden und Dr. Kreyssig zum Sprecher der Nichttheologen. (Immer S. 78f) Sie betonten die Mitverantwortung bei der geistlichen Arbeit der Pfarrer, ohne allerdings die klare Sprache der Konferenz von Golde zu finden. Die in Augsburg verabschiedete Kundgebung an die Gemeinden veröffentlichte v. Schwartz in vollem Wortlaut in „Ruf und Rüstung“ ( RuR 1935 S. 99ff) und Lachmund hob in seinem Synodenbericht die wiedergewonnene große Einmütigkeit in der Bekennenden Kirche hervor. Die Zustimmung zu den drei Bekenntnissynoden in Barmen, Dahlem und Augsburg gab dem Braunschweiger Pfarrernotbund festen Boden unter die Füße im Hinblick auf seine widersprüchliche Position zur Braunschweiger Kirchenleitung. Die Lutheraner waren auf der Bekenntnissynode mit dem Anliegen gescheitert, über den lutherischen Konvent besonders die Lutheraner aus den Kirchen der Altpreußischen Union in ihre Fraktion hinüberzuzerren und bereits die Augsburger Bekenntnissynode zu einer mehrheitlich lutherischen Synode umzufunktionieren.


Karl Adolf v. Schwartz beim Deutschen Lutherischen Tag in Hannover Juli 1935
Unter der Terminierung der Augsburger Synode wurde die „Lutherische Reichssynode“ zwar um drei Wochen auf den 2.-5. Juli 1935 verschoben und sehr viel bescheidener der „Deutsche Lutherische Tag“ genannt, aber der Anspruch und das Programm blieben erhalten. Erstmals präsentierte sich der Lutherische Pakt und die Lutherische Front mit der Heerschau einer reichsweiten Synode von 120 Abgeordneten aus den drei intakten Landeskirchen, aus den Bekenntnisgemeinschaften der anderen Landeskirchen und den „lutherischen Kreisen innerhalb der unierten Kirchen.“ Offizieller Delegierter des Braunschweiger Pfarrernotbundes war Karl Adolf v. Schwartz. Christian Stoll veröffentlichte in der Reihe „Bekennende Kirche“, in der die Lutheraner ihre Themen, Thesen und Programme vorstellten, ein Tagungsheft, ausgiebig berichtete die Allgemeine Ev. Luth. Kirchenzeitung, das journalistische Flaggschiff der Lutheraner, über die Tagung und veröffentlichte die Predigten von Marahrens und Meiser und die Vorträge von Hanns Lilje und Paul Althaus.

Die Lutheraner in den unierten Landeskirchen waren die große Hoffnung des Lutherischen Paktes, denn wenn diese eine eigene lutherische Gesamtleitung durchsetzen könnten, wäre der Alleinvertretungsanspruch der lutherischen Kirchen in Deutschland durchgesetzt. „Auch die Lutheraner innerhalb der preußischen Union bekannten mit höchster Energie ihren Willen zu einer Lutherischen Kirche“. (AELKZ 1935 Sp.657ff) Solche Kommentare der Allgemeinen Ev. Luth. Kirchenzeitung erweckten begreiflicherweise ein massives Mißtrauen im Reichsbruderrat. Statt Reichssynode hieß es auch „lutherischer Kirchentag“. Die Tage begannen mit Morgengottesdiensten und schlossen mit einer liturgischen Feier am Abend.

Es fehlten auch nicht deutliche Worte in Richtung der ns. Staatsführung. Paul Althaus, der sein Referat „Kirche und Staat“ für die Veröffentlichung noch überarbeitet hatte, legte den Finger in die aktuelle und im kirchlichen Alltag spürbare Wunde, daß die Deutsche Glaubensbewegung und die Deutschgläubigkeit sich ungehindert als die Weltanschauung des neuen Staates ausgeben dürfte. Die Gefahr bestünde darin, „daß die antichristliche Religion durch die Kanäle der Schulung und Erziehung weithin scheinbar bevorrechtet in unsre Mannschaft und in unsre christliche Jugend einströmen“ könne.
Andere Passagen wirkten aus Braunschweiger Sicht illusionär: „Wer unser Bauerntum an der Bibel und an Christus irre macht, der nimmt ihm jeden Halt. Die Folge für das Leben unseres Volkes wäre unausdenkbar furchtbar.... Zerbricht in der Breite des deutschen Volkes die Bindung an Christus, so zerbricht früher oder später jede heilige Bindung. Die Herzkammer unsres nationalen Ethos ist und bleibt die Furcht Gottes, des Gottes der Bibel, den unsre Väter gefürchtet haben.“ Das Bauerntum zwischen Schöppenstedt und Magdeburg hatte sich längst von Christus und der Kirche verabschiedet, ohne die bürokratischen Bindungen zu lösen. Die Arbeiterschaft war im 19. Jahrhundert in Massen der Kirche entfremdet und das Bürgertum seit der Aufklärung. Die Behauptung von der breiten Bindung des Volkes an Christus war eine Schimäre im Elfenbeinturm eines Erlanger Professors auf einer fränkischen Insel, aber sie ging an der Wirklichkeit der norddeutschen Bauern und norddeutscher Großstädte weit vorbei.
In dem grundsätzlichen Teil unterschied Althaus den absolutistischen Staat vom totalitären, lehnte den ersteren ab, um dem totalitären nach einer eigenwilligen Definition seine Berechtigung zu geben. Der Staat habe neben dem ordnenden auch ein „väterliches Amt“. Das waren auch aus der Sicht der dreijährigen Erfahrungen mit dem Hitlerstaat höchst mißverständliche Passagen. Aber Deutschland steckte mitten in einem „braunen Wirtschaftswunder“, da waren grundsätzliche kritische Überlegungen zum totalen Staat eher unbequem. Staat und Kirche müßten einander finden, beschwor Althaus die schwierige aktuelle Situation am Ende seines Referates. Bezeichnenderweise gab es keine Aussprache und Christian Stoll vermerkte in seinem Bericht, daß „volle Einmütigkeit über die Gedanken des Vortrages nicht bestand“(en) hätte (S. 35).

Der Lutherische Tag verabschiedete eine Erklärung, deren vierten Abschnitt sich der Braunschweiger Pfarrernotbund gerne zu eigen gemacht haben wird.
„Wie verwerfen jedes Kirchenregiment, das zwar das lutherische Bekenntnis „unangetastet“ stehen lassen will, das sich aber in seinem kirchlichen Handeln von anderen Rücksichten und außerkirchlichen Einflüssen bestimmen läßt. Wir danken den Brüdern in den bedrängten, lutherischen Kirchengebieten, daß sie in Beugung unter Schrift und Bekenntnis einem Kirchenregiment die geistliche Autorität absprechen und ihr den Gehorsam verweigern, das zwar das lutherische Bekenntnis nennt, aber in seinem Handeln nicht bekennt.“

Die vom Lutherrat gestellte Aufgabe einer lutherischen Selbstbesinnung und Positionierung hatte der Lutherische Tag nicht erfüllt. Meiser hatte in seiner Einleitung richtig festgestellt:
„Das erste Thema weist uns darauf hin, daß wir in unseren eigenen Reihen zu einer Selbstbesinnung über die Frage kommen müssen, was wir unter „lutherisch“ verstehen. Es sind allerlei Luthertümer innerhalb der Deutschen Evangelischen Kirche vorhanden.“ (S. 14) Diese Luthertümer hatten sich historisch und landsmannschaftlich sehr unterschiedlich entwickelt. Zwischen württembergischen, bayerischen, ostpreußischen und braunschweiger Lutheranern gab es erhebliche Unterschiede. Die Württemberger standen einer Abendmahlsgemeinschaft mit den Reformierten nahe, was den Bayern ein Greuel an heiliger Stätte war. Die Wertschätzung des Bekenntnisses war unterschiedlich ausgeprägt, wie auch die Beurteilung der Union und das Verhältnis der Kirche zum Staat. In allen diesen Fragen gab es auf dem lutherischen Tag keine klare Antworten, sie wurden nicht einmal offen ausgesprochen und diskutiert. So war der lutherische Tag kein weiterführender Schritt auf dem Weg zu einer lutherischen Reichskirche.
Karl Adolf v. Schwartz beschränkte seinen Bericht über den Lutherischen Tag im Brief an Lachmund vom 6..7.1935 auf die kirchenpolitischen Gespräche am Rande, die ihn deprimierten. „Ihr müßt euch mit Johnsen abfinden“, hieß es. Es dürfe keine Erstarrung geben. (PNB 3/138). Lachmund bat am 28.8.1935 im Namen des Landesbruderrrates Bischof Marahrens, als Partei am Lutherischen Pakt teilnehmen zu können. (PNB 3/140). Am gleichen Tag jedoch forderte er die Notbundbrüder in einem Rundbrief auch auf, die roten Karten für die Mitglieder der Bekenntnisgemeinden auszugeben. Das machte den Unterschied zur Hannoverschen Situation und zugleich das Dilemma des Braunschweiger Pfarrernotbundes aus. Innerhalb der Mitglieder des Lutherischen Paktes waren die roten Dahlemer Mitgliedkarten nicht üblich, sondern die Ausnahme.


Die Deutsche Evangelische Woche in Hannover
Es ist auffällig, daß „Ruf und Rüstung“ mit keiner Silbe auf diese Tagung zu sprechen kam, dafür aber in der Julinummer das Programm der Deutschen Evangelischen Woche in Hannover vom 26.-30. August veröffentlichte. Sie war ein Vorläufer des erst 14 Jahre später ins Leben gerufenen Evangelischen Kirchentages. Einladende waren nicht die Landeskirche und nicht die Lutheraner. Die wären nicht auf die Idee gekommen, Niemöller und Asmussen als Referenten zu bitten. Niemöller sprach am ersten Abend über „Der Friede Gottes als die Kraft des wehrhaften Mannes“ und Asmussen über „Christi Botschaft als Erziehungsauftrag“. Einladende waren die Vorsitzenden des DCSV, der Deutschen Christlichen Studenten Vereinigung, Reinhold v. Thadden-Trieglaff und Pfarrer Humbug. Es referierten auch Marahrens, Lilje, Künneth, Oberstaatsanwalt Dr. Meinzolt und v. Thadden-Trieglaff. Jeder Tag wurde mit einer Bibelarbeit von Humbug eingeleitet. Pfr. Helmer berichtete aus eigener Anschauung im Septemberheft von „Ruf und Rüstung“ auf drei Seiten begeistert von den überfüllten Kirchen, vom kräftigen Singen vor und nach den Vorträgen. „Hier war kein Wort von „Kirchenkampf“, keine leere Dogmatik, sondern Leben aus dem Glauben und Ringen um die letzte Wahrheit...Es fiel natürlich auf, daß täglich die Massen in die Kirchen strömten und zu allen Stunden die Lieder durch die dicken Kirchenmauern auf den Marktplatz und in die anliegenden Straßen drangen.“ (RuR 1935 Pfarrer Helmer „Hannover!“ S. 129ff). Die Allgemeine Ev.-Luth. Kirchenzeitung fertigte die Tagung mit einem einspaltigen Abdruck des Programms ab.

Die norddeutschen Lutheraner organisierten hingegen ihre Treffen weiterhin in Lüneburg. Am Deutschen Lutherischen Tag war in Hannover ein Ausschuß für das niederdeutsche Luthertum gebildet worden, der die Arbeit am norddeutschen Konvent aufnahm und am 7. Oktober 1935 in Lüneburg fortsetzte. An diesem Treffen nahmen Karl v. Schwartz, Karl Adolf v. Schwartz und Barg teil. Bei diesem Treffen wurde das sog. Lüneburger Abkommen geschlossen. Bereits einen Tag später teilte Palmer in einem Rundbrief an die Notbundbrüder in Vertretung für Lachmund mit, daß die Bruderräte von Hannover, Braunschweig, Oldenburg, Hamburg, Schleswig-Holstein, Lübeck und Mecklenburg einen Ausschuß gebildet hätten, der unter der Leitung von Marahrens stünde. Vorschläge zur Lösung der Kirchenfrage bedürften jeweils der Zustimmung dieses Ausschusses.
„Dieser Ausschuß übernimmt die Verantwortung für die lutherische Kirche im niederdeutschen Raum in ihrer Gesamtheit und in allen ihren Teilen.“ Der Braunschweiger Bruderrat erhoffte sich eine Verstärkung in der Frontstellung gegen Bischof Johnsen und für den Fall, daß er einen Landeskirchenausschuß als Nebenstelle des Reichskirchenausschusses in Wolfenbüttel installieren wollte. Palmer fügte deshalb hinzu, daß keiner der Notbundbrüder einem landeskirchlichen Ausschuß beitreten sollte, auch wenn er dazu von Landesbischof Johnsen aufgefordert werden sollte, jedenfalls nicht ohne Genehmigung des braunschweigischen Bruderrates.


Die 4. Bekenntnissynode in Oeynhausen
Es war ein erstes Signal für eine Rechtsschwenkung des Braunschweiger Pfarrernotbundes, daß als Delegierter des Braunschweiger Bruderrates an der 4. Bekenntnissynode in Oeynhausen im Februar 1936 nicht wie bei den Bekenntnissynoden in Barmen, Dahlem und Augsburg Lachmund und Karl Bode sondern erstmals Hans Eduard Seebaß teilnahm. Auf dieser Synode trat die gesamte Vorläufigen Leitung unter dem Vorsitz von Marahrens auf Wunsch des linken Flügels zurück, der später eine zweite Vorläufige Leitung (2. VKL) bildete, an der sich aber die Bischöfe Meiser, Wurm, Marahrens nicht mehr beteiligten. In dieser 2. VKL dominierte der Reichsbruderrat. Die Beschlüsse sämtlicher preußischer Bekenntnissynoden in Steglitz (1935), Breslau (1936), Halle (1937), Lippstadt (1937), Nikolassee (1938 und 1939), Leipzig (1940), Hamburg (1941 und 1942) und Breslau (1943) wurden vom lutherischen Westen im wesentlichen ignoriert. Als Seebaß für „Ruf und Rüstung“ einen Bericht von Oeynhausen schreiben sollte, traute er sich nicht, den Konflikt deutlich zu benennen. Es habe sich während der Synode herausgestellt, „daß in allen grundlegenden Fragen von Schrift und Bekenntnis her eine völlige Übereinstimmung bestand und besteht“, weitgehende Übereinstimmung habe auch in den Ordnungsfragen und eine große Mehrheit beim Wort über die Erziehungsfragen bestanden. (RuR 1936 S. 23) Über den dramatischen Rücktritt der VKL fand Seebaß kein Wort. Seebaß wollte offenbar „um der Kirche willen“ den Konflikt unter den Teppich kehren. Lachmund stellte diesen irreführenden Eindruck in der nächsten Märznummer richtig und dankte den zurückgetretenen Männern der VKL, die er namentlich noch einmal aufzählte. „Wer einmal mit diesen Kirchenmännern zusammengesessen hat, wird unvergeßliche Eindrücke davon behalten. Wer an ihre Stelle rückt, wird erst von dem neuzubildenden Reichsbruderrat bestimmt werden.“ (RuR 1936 S. 45) Auf dreieinhalb Seiten der Aprilnummer von „Ruf und Rüstung“ zitierte Lachmund sehr ausführlich die Darstellung von OKR Breit aus der Allgemeinen Ev.-Luth. Kirchenzeitung. Breit sprach unverhohlen von der inneren Krise, von den Spannungen und Gegensätzen, die innerhalb der Bekennenden Kirche in gefährlicher Schärfe hervorgetreten wären. Sie entzündeten sich am unterschiedlichen Kirchenverständnis. Die in Barmen geschenkte Einheit wäre überhaupt nicht als Kirche zu bezeichnen. Die lutherischen Kirchen drängten längst auf eine eigene gestaltete lutherische Kirche in Deutschland. Sie hofften, die lutherischen Gemeinden in den Kirchen der Alt-preußischen Union auch zum Anschluß zu bewegen und auf die Dauer die 1817 gebildete Union zu Fall zu bringen. Das war das in vielen Nuancierungen zwar nie klar ausgesprochene, aber allzu deutliche Ziel der lutherischen Kirchenführer im Dritten Reich.


Der Antrag des Pfarrernotbundes auf Aufnahme in den Lutherrat
Der Rücktritt der VKL brachte den Braunschweiger Notbund in Schwierigkeiten, weil er sich offenbar weigerte, sich der vom Reichsbruderrat bestellten 2. Vorläufigen Leitung zu unterstellen. Die Lutheraner antworteten auf das Scheitern der 1. VKL und den Bruch in Oeynhausen umgehend und ohne zu Zögern am 18. März 1936 mit der Bildung des „Rats der Lutherischen Kirche Deutschlands“, abgekürzt „Lutherrat“, dem die Bayerische, Hannoversche und Württembergische Landeskirche sowie die Bruderräte von Sachen, Mecklenburg und Thüringen angehörten. Mit einem Grußwort stellte er sich der kirchlichen Öffentlichkeit vor: „Die lutherischen Kirchen in Deutschland schließen sich unter einer eigenen geistlichen Leitung zusammen, um dadurch die geistliche und kirchliche Geschlossenheit des deutschen Luthertums zum Ausdruck zu bringen.“ Das war eine ziemliche Übertreibung. Tatsächlich bedeutete das Scheitern der Einheit der Bekennenden Kirche in Oeynhausen, daß einerseits der Vorrang der preußischen unierten Kirchen über die lutherischen Kirchen gescheitert war und andrerseits die westlichen lutherischen Kirchen nicht in die lutherischen Gemeinden der APU so eindringen konnten, daß sich diese einer geistlichen lutherischen Leitung unterstellt hätten. Der Lutherrat brachte daher keineswegs „die Geschlossenheit des deutschen Luthertums zum Ausdruck“, sondern deren Spaltung in die lutherischen Landeskirchen und die vielen, vor allem in der Lutherischen Vereinigung sich sammelnden preußischen Lutheraner. Für den Braunschweiger Pfarrernotbund war der Lutherrat sozusagen ein Ersatz für die 1. VKL. Am 2. Mai 1936 schrieb Lachmund im Namen des Landesbruderrates, daß die Braunschweiger Bekennende Kirche sich dem Lutherrat unterstellen wolle. (Schreiben Gauger an Lachmund 7.5.1936 in PNB 12) In der Vollsitzung vom 28. Mai 1936 im Dresden wurde festgestellt, daß Braunschweig ebenso aufgenommen werden sollte wie Lübeck aufgenommen worden ist. Das bedeutete, daß Lachmund regelmäßig die Protokolle zur Kenntnisnahme zugesandt bekam, aber daß der Braunschweiger Pfarrernotbund weder Sitz noch Stimme im Lutherrat hatte. Er wurde von der Hannoverschen Bekenntnisgemeinschaft mit vertreten. In derselben Sitzung wurde auch zur Kenntnis genommen, daß Bischof Johnsen Fühlung mit dem Rat aufgenommen habe. „Hier sei jedenfalls mit äußerster Bedächtigkeit und nach gründlicher Besinnung vorzugehen.“ (Protokoll der 3. Vollsitzung S. 4 PNB 12)

OKR Breit informierte in Braunschweig den Bruderrat in der Sitzung am 22. Juni 1936, an der auch Palmer teilgenommen hatte. Karl Adolf v. Schwartz schrieb den Notbundbrüdern vertraulich am 23. Juni, daß die Braunschweiger Bekenntnisgemeinschaft in den Lutherrat aufgenommen wäre und daß auch die Braunschweiger Kirchenregierung einen Aufnahmeantrag gestellt hätte. Beruhigend stellte v. Schwartz fest, daß die Bekenntnisgemeinschaft selbstverständlich im Rat vertreten bleiben und an den Verhandlungen beteiligt werden würde. (Brief von Karl Adolf v. Schwartz in Sammlung Wicke)


Verhandlungen Johnsens über eine Aufnahme der Landeskirche in den Lutherrat
Schon in der 5. Vollsitzung am 6. Juli in Kissingen beschloß der Lutherrat die Aufnahme von Verhandlungen mit Johnsen zum Beitritt der Braunschweiger Landeskirche in den Lutherrat. Allerdings müßte Johnsen „sichtbare Opfer bringen“ (Flor), Jagow im Reichsmännerwerk entlassen (Breit) und Seebaß als Mitglied des Landesbruderrates in die Behörde des Landeskirchenamtes aufnehmen (Marahrens). Meiser, mit dem Johnsen seit Sommer 1935 in Verbindung stand, stellte keine Bedingungen. (Protokoll der 5. Vollsitzung S. 2 PNB 12) Schon elf Tage später fanden Verhandlungen statt. Auf die für Johnsen entscheidende Frage, wer die Landeskirche vertrete, antwortete Breit, daß die Braunschweiger Landeskirche durch ihren Bischof vertreten werde, aber eine Vertretung des Bruderrates bestehen bliebe. Auch eine Rückkehr Palmers nach Blankenburg war Verhandlungsgegenstand, jedoch auf Vorschlag von Breit so, daß man zwar das Unrecht wiedergutmachen wolle, „aber aus seelsorgerlichen Gründen habe die Landeskirche Palmer gebeten, auf seiner Pfarrstelle zu verbleiben.“ Auch für den Lutherrat war die Rückkehr Palmers nach Blankenburg offenbar nicht so zwingend, daß daran die Verhandlungen scheitern sollten. Gegen diese Regelung protestierte Lachmund, der das Protokoll zugesandt bekommen hatte, beim Lutherat und auch bei Bischof Johnsen, der auf diese Weise erfuhr, daß der Bruderrat über die Sitzungen unterrichtet wurde.. Schon beim vorbereitenden Gespräch mit Hanns Lilje am 2. Juli in Berlin hatte Johnsen erfahren, daß der Braunschweiger Bruderrat seine Aufnahme beantragt und vollzogen hatte. (Vermerk in Lbf 125) Das Verhandlungsklima trübte sich ein. Aber auch auf Seiten des Bruderrates war die Enttäuschung groß, als Lachmund duerch ein Schreiben Breits vom 31. Juli erfuhr, daß mit dem Beitritt der Landeskirche die Anerkennung des Landesbischofs als geistliche Leitung durch den Bruderrat verbunden wäre. Der für September vorgesehene Termin der festlichen Aufnahme wurde verschoben. Das Aufnahmeklima im Lutherrat kühlte sich etwas ab. In der Sitzung am 18. September nannte Breit zwei Gründe. „Lästig ist in Braunschweig, daß hinter den Braunschweiger Pfarrern nichts steht, keine Gemeinde. Auch sind dort die typischen Stimmungen einer ganz kleinen Kirche ohne Gemeinde. Die Brüder sind manchmal etwas klein in dem, was sie sich in den Kopf setzen. Schwierig ist auch die Persönlichkeit Johnsens. Johnsen kann viel. Er exerziert das Bekenntnis durch Himmel und Hölle hindurch, kann dann aber auch wieder in Eisenach Reden beim Männerwerk passieren lassen, gegen die einfach Stellung hätte genommen werden müssen.. Ich habe darum keinen Schmerz, daß es bis jetzt nicht gelungen ist, Braunschweig in Ordnung zu bringen.“ (Meiser II S. 265) Dieses wenig schmeichelhafte Bild, das Breit im Lutherrat gab, war unzutreffend. Daß hinter den Braunschweiger Pfarrern „nichts“ stünde, war ziemlich hochmütig. Die Gottesdienstbesucherzahlen waren in einigen Gemeinden ausgesprochen durchschnittlich gut, in anderen ländlichen Gemeinden tatsächlich schlecht, indes genauso schlecht wie in Gebieten der Hannoverschen und Oldenburgischen Landeskirche auch. Es gab auch Bekenntnisgemeinden in Braunschweig, Blankenburg und Helmstedt, die sich regelmäßig trafen. Es war gewiß falsch gewesen, daß der Bruderrat bisher die Bekenntnisgemeinden nie zu einem gemeinsamen Treffen zusammengeführt hatte. Es wäre nach den vorliegenden Zahlen eine Versammlung von 500 Personen möglich gewesen, eine für Braunschweiger Verhältnisse durchaus respektable und repräsentative Gruppierung, die von der Kirchenleitung nicht hätte übersehen werden können. Die Sicht Breits entsprach einem fränkischen Mißverständnis, das süddeutsche Verhältnisse an norddeutsche anlegte. Aber es war auch die Redeweise eines sich gerne bedauernden Pfarrernotbundes, daß man sich wie Offiziere ohne Mannschaften fühlte. Palmer wiederholte mehrfach dieses fragwürdige Bild in seiner späteren Darstellung vom „Kirchenkampf“, das die beträchtliche Zahl der bekennenden Laien völlig außer acht ließ. Diese kümmerliche Sicht war Breit auch bei seinem Treffen mit den Notbundbrüdern in Braunschweig vermittelt worden. Daß ihm die Ziele des Braunschweiger Notbundes „manchmal etwas klein“ vorkamen, lag daran, daß es bei den Gesprächen mit ihm meist um die Personalien der Rückkehr von Palmer und v. Schwartz in ihre alten Gemeinden ging und um die widersprüchliche Haltung zu Johnsen. Ihm fehlten andere, kirchenpolitische oder theologische Themen. Auch auf den Bekenntnissynoden hatten sich die Braunschweiger nicht positioniert. Dadurch war dieses schiefe Bild von der Braunschweiger Landeskirche und der Bekennenden Kirche entstanden. So fehlte im Lutherrat offenbar eine große Anschlußbegeisterung hinsichtlich der Braunschweiger Landeskirche.

Aber auch die Braunschweiger Seite brauchte Zeit, sich an das Ergebnis zu gewöhnen. Für den Pfarrernotbund war die Tatsache, daß sich an der Situation von Palmer und v. Schwartz nichts änderte und daß die Anerkennung Johnsens als geistliche Leitung mit dem Anschluß vollzogen wäre, sehr bitter. Für Johnsen war gewöhnungsbedürftig, daß im Lutherrat neben ihm auch OKR Seebaß oder Lachmund sitzen sollte. Aber die entsprechende Lösung hatte schon vorher für die sächsische Landeskirche gegolten, die im Mai 1936 in den Lutherrat aufgenommen worden war und durch den Vorsitzenden des Landeskirchenausschusses sowie des Pfarrernotbundes vertreten wurde. Johnsen versuchte noch, die Vertretung von Seebaß im Lutherrat zu verhindern, und Seebaß schrieb an alle Notbundbrüder, daß er leider seinen Posten unter dieser Bedingung im Landeskirchenamt zum 1. November nicht wie vorgesehen antreten könnte. „Wir müssen also im gegenwärtigen Augenblick straffe Disziplin üben und auf keinen Fall zu den Konferenzen gehen. Nur dann, wenn wir geschlossen bleiben, können wir etwas erreichen, und nur dann habe ich auch für eine etwaige Mitarbeit im Landeskirchenamt den nötigen Rückhalt“. (Brief undatiert in Sammlung Wicke). Aber die Beteiligung an den Amtskonferenzen hatte überhaupt keinen Einfluß auf den Gang der Dinge, das gehörte wieder zu den Überschätzungen des Pfarrernotbundes. OKR Breit überrumpelte vielmehr Johnsen und Seebaß, indem er beide unabhängig voneinander zur 9. Vollsitzung am 25./26. November 1936 einlud und Johnsen zu Beginn der Sitzung mit warmherzigen Worten in Anwesenheit von Seebaß begrüßte. Damit war die Landeskirche im Beisein des Braunschweiger Pfarrernotbundes in den Lutherrat aufgenommen, obwohl noch kein Kirchenregierungsbeschluß dazu vorgelegen hatte. Das mochte Johnsen doch etwas die Sprache verschlagen haben, denn er erwiderte nicht sogleich auf die Begrüßung von Breit, sondern meldete sich erst im Laufe der Debatte über andere Verhandlungsgegenstände zu Worte und wirkte bei seiner Dankesrede ziemlich hölzern. Für ihn persönlich bedeute die Aufnahme in den Lutherrat „wie eine Heimkehr in den Schoß der Heimat, von der wir uns vielleicht einmal irgendwie und irgendwo getrennt haben.“ Es täte ihm leid, daß so lange keine Verbindung zustande gekommen wäre. Die jetzige Aufnahme wäre Führung und Geschenk Gottes. Es bleibt undeutlich, was Johnsen meinte, als er fortfuhr: „Wir in Braunschweig bedürfen Ihrer Hilfe. Es ist in Braunschweig nicht alles verloren. Auch dort in dem toten Kirchengebiet ist doch noch kirchliche Substanz da. Helfen Sie uns in Braunschweig.“ (Meiser II S. 375 f). Hoffte Johnsen, mit Hilfe des Lutherrates die Opposition des Pfarrernotbundes endlich zum Schweigen zu bringen, oder erhoffte er sich sogar einen volksmissionarischen Schub? Das Signal von Hilfsbedürftigkeit konnte beim Einstieg in eine neue Ära aber auch ein eher konventionelles Stereotyp der Anbiederung sein.
Man einigte sich auf den Epiphaniastag 1937 als Tag des feierlichen geistlichen Vollzugs der Aufnahme der Landeskirche in den Lutherrat. Am folgenden Tag schrieb Breit an Lachmund über die Aufnahme: „Seebaß war höchstlich überrascht von dem beschleunigten Verfahren, mit dem ich allen weiteren Erwägungen und Besprechungen... ein Ende bereitete. Gynäkologisch geredet war es ein Kaiserschnitt, aber die Hauptsache ist, daß das Kind gesund zur Welt gekommen ist. Ihr Landesbischof schien sehr beglückt zu sein von diesem Verfahren, und Seebaß war es auch zufrieden.“ (MzGK S. 73) Nur Palmer konnte mit diesem Ergebnis nicht zufrieden sein. Bei einer Verhandlungsrunde am 30. 9. mit Breit, Stoll, Johnsen, Lambrecht, Lachmund und Seebaß gab Lachmund nach längerer Aussprache, die Erklärung ab, „daß nunmehr die Bekenntnisgemeinschaft der Landeskirche und die Bekenntnisgemeinschaft von Blankenburg in Zukunft die Rückkehr Palmers nicht mehr fordern“ würde. (Lbf 125) Seebaß hingegen könnte den Dienst sofort antreten. Es war für Palmer bitter, daß nunmehr auch der Pfarrernotbund und sein Blankenburger Kollege Lachmund jede Aussicht auf einen neuen Anfang in Blankenburg zunicht machte. Der im Landeskirchenamt angefertigte Vermerk konnte den nicht ganz unrichtigen Eindruck erwecken, als ob Palmer für Seebaß geopfert worden war.


Das Fest der Aufnahme in den Lutherrat am 6. Januar 1937
Johnsen organisierte ein rauschendes Fest mit allen glanzvollen Namen. Der Vorsitzende des Reichskirchenausschusses, der greise Generalsuperintendent Zoellner, hielt vormittags in der Martinikirche die Eröffnungspredigt und Johnsen die Liturgie. Johnsen hatte ausdrücklich feststellen lassen, daß der Beitritt zum Lutherrat das Verhältnis zum Reichskirchenausschuß nicht trüben dürfe. Aber bereits einen Monat später war der Reichskirchenausschuß zurückgetreten. Zoellner predigte über Psalm 100 und hob einleitend den Widerstand gegen den gottfeindlichen und seelenvernichtenden Bolschewismus hervor. „Die Vereinigung gegen den Bolschewismus trägt den Namen „pro deo“, d.h. für Gott! Für Gott!. Da sollte doch die Kirche dabei sein! Da sollte sie doch gerufen werden! Da sollte sie doch gehört werden, auch mit Mahnungen und auch mit Warnungen“: (BV 1937 S.9)´. Zoellner ließ durchklingen, daß bereits in dieser durch den spanischen Bürgerkrieg angefachten, antikommunistischen Kampagne die Partnerschaft der Kirche von der nationalsozialistischen Führung nicht begehrt war. Zoellner erweckte die Hoffnung auf eine lutherische Reichskirche, in der die lutherischen Landeskirchen nur noch Sprengel sein würden, und „die dann auch klopfen kann an die Tore der unierten preußischen Kirchen.“ Es war vor allem das Bild des im Alter noch enthusiastischen 77jährigen Predigers, das die große Gemeinde beeindruckte. Im Juli des selben Jahres verstarb Zoellner.

Nach dem Eröffnungsgottesdienste begrüßte Johnsen die Gäste und sprach die Hoffnung aus, daß „alte, schmerzliche, aus dem Kirchenkampf stammende Trennungen“ überwunden sein sollten. Was der Kirchenkampf in Braunschweig herausgearbeitet habe, würde nun in gemeinsamen Bahnen weitergetragen werden. Das konnte so verstanden werden, daß Johnsen in Zukunft in der Spur der Bekennenden Kirche weiterarbeiten würde. Daran dachte er indes keineswegs, sondern erhoffte sich ein Ende des Streites zwischen BK und DC und seiner Kirchenleitung und diesen beiden „Gruppen“. Bezeichnenderweise forderte er diese bereits zwei Wochen später vergeblich auf, sich aufzulösen.
Nach Johnsen sprachen Lachmund, ziemlich zurückhaltend für den Braunschweiger Pfarrernotbund, OKR Breit für den Lutherrat, Vizepräsident Meinzoldt, München für die bayerische Landeskirche und Superintendent Ficker für die sächsische Landeskirche Grußworte. An diesem Tag wurde die Braunschweiger Landeskirche möglicherweise von manchen überhaupt erstmals zur Kenntnis genommen. In der Magnikirche versammelten sich zur gleichen Zeit 700 Kirchenvorsteher, zu denen Superintendent Hahn aus Sachsen, Pfr. Dr. Schanze aus Thüringen, Pfr. Rauls und lic. Schäfer vom Männerwerk sprachen. Beim Festakt nachmittags hielt Bischof Marahrens die Predigt, OKR Breit und Bischof Johnsen verlasen vor einer über tausend köpfigen Gemeinde in der Martinikirche je eine ausführliche Erklärung, Bischof Wurm sprach mit der Gemeinde das Glaubensbekenntnis und Bischof Meiser das Vaterunser. Braunschweig stand an diesem Tag im Mittelpunkt der lutherischen Kirchen Deutschlands. Das hatte es bisher nicht gegeben.

Am Abend tagte der Lutherrat bis in die Nacht im Börsenhotel in der Besetzung Beste, Breit, Ficker, Fleisch, Flor, Hahn, Kühl, Lilje, Marahrens, Meinzolt, Meiser, Wurm, Geiger, Henke, Johnsen, Lachmund, Schanze. (Meiser II, S. 466) . Die Anwesenheit von Vizepräsident Fleisch aus Hannover war durchaus pikant, weil er zwei Jahre zuvor ein vernichtendes Gutachten über die Unrechtmäßigkeit der Wahl Johnsens als Bischof verfaßt hatte, das Palmer später sogar dem Anhang seines Materials zur Geschichte des Kirchenkampfes einverleibte. War mit der Aufnahme auch diese Rechtsfrage auf realkirchenpolitische Weise erledigt? Mit dem Gutachten wurde nach dem Kriege immer wieder mal gegen die Person Johnsen argumentiert. Die kirchenpolitische Lage hatte sich verändert und das Kirchenrecht wurde nach den aktuellen Interessen ausgerichtet.

Auf den Festakt am Mittwoch schloß sich eine Lutherische Woche bis Sonntag mit inhaltlich viel zu befrachteten Abendvorträgen in der Martinikirche von Prof. Elert, Erlangen „Die Lutherische Kirche im neuen Reich“, Hauptpastor Knolle, Hamburg „Gottesdienst lutherischer Art“, Domprediger Ruff, Magdeburg „Die Bibel im lutherischen Verständnis“ und Männerwerkspfarrer Schäfer, Wolfenbüttel „Der Weltanschauungskampf in lutherischer Sicht“ an. Es war für Braunschweiger Verhältnisse ein außergewöhnliches Programm mit einer ungewöhnlich starken Beteiligung.

Das Braunschweigische Volksblatt berichtete seitenweise, die Allgemeine Lutherische Kirchen-zeitung widmete einige Spalten, und sogar die Tagespresse berichtete ausgiebig. Es waren nicht nur die großen Namen, die das Braunschweiger Kirchenvolk in einem noch nie gekannten Maße mobilisiert hatten, es war auch der Tag, an dem Johnsen die Ernte seiner dichten Gemeinde- und Basiskontakte einfahren konnte. Es war auch das Ergebnis einer Kirchenpolitik, die sich auf der Regionalebene um ein einvernehmliches Verhältnis zur Braunschweiger Klagges-Regierung und zu den Parteistellen bemühte. Zur gleichen Zeit war nämlich eine kirchliche Woche in Erfurt verboten worden und zwar in der provozierenden Form, daß Bischof Meiser, der bereits die Eingangsliturgie hielt, vom Regierungspräsidenten persönlich am weiteren Amtieren gehindert wurde und 2000 Gottesdienstbesucher nach Hause gehen mußten. In Bremen wurde zu dieser Zeit ebenfalls eine mit zahlreichen Referenten längst vorbereitete kirchliche Woche kurzfristig verboten, obwohl sämtliche Vorträge in Kirchenräumen gehalten werden sollten, auch in Nürnberg wurde die kirchliche Woche im Januar 1937 verboten, das Verbot jedoch wieder aufgehoben. Es war also durchaus keine Selbstverständlichkeit, daß die Kirchliche Woche in Braunschweig in dieser aufwendigen Form organisiert werden konnte.


Unterschiedliche Bewertung der Aufnahme in den Lutherrat
Der Anschluß an den Lutherrat erfuhr eine unterschiedliche Bewertung: der Reichsbruderrat und die 2. VKL vermißten in der feierlichen Erklärung (Rundschreiben Nr. 8/1937) die Anbindung an die auch von dem Braunschweiger Pfarrernotbund besuchten großen Bekenntnissynoden. Für die Deutschen Christen nicht nur im Braunschweiger Land befand sich die Landeskirche nun auch offiziell auf der verhaßten „Bekennerseite“, die sogar einen Oberkirchenratsposten im Landeskirchenamt erhalten hatten. Für Johnsen vollendete sich der Traum der kirchlichen Mitte, denn der Pfarrernotbund war als Oppositionsgruppe in sein Konzept einer gruppenfreien Kirche eingebunden; erstmals versammelte sich die ganze Braunschweiger Pfarrerschaft aller kirchenpolitischen coleur geschlossen zu einer repräsentativen Veranstaltung des christlichen Glaubens im ns. begeisterten Braunschweig. Den Braunschweiger Notbundpfarrern war an diesem Tag „nicht ganz so wohl wie dem veranstaltenden Bischof,“ schrieb Lachmund in seinen späteren Aufzeichnungen zum Kirchenkampf. (MzGK S. 59), aber sie befanden sich mehrheitlich in dem guten Glauben, daß sich die Landeskirche auf die Seite der Bekennenden Kirche begeben hatte und deshalb darauf bestanden hatte, daß es in der Erklärung Johnsens, an der der Bruderrat offenbar mitgearbeitet hatte, hieß: „Sie bekennt sich damit zu der grundsätzlichen Haltung, welche die im Rat vereinigten Kirchenleitungen, Bruderräte und kirchlichen Werke in den von der Kirche in den letzten Jahren geforderten Entscheidungen eingenommen haben. Es geht dabei um nichts anderes, als daß auch heute das im Bekenntnis unserer Kirche bezeugte, in der Reformation wiederentdeckte Evangelium dem deutschen Volke ohne Abstrich und Zutat lauter und rein und mit aller Freudigkeit verkündet werde.“ Diese Erklärung, auf die der Bruderrat stolz war, umging aber gerade die Nennung der Bekenntnissynoden von Barmen und Dahlem, was offenbar nicht nur Johnsen, sondern auch dem Lutherrat durchaus recht gewesen und von der 2. VKL kritisch angemerkt worden war.

Lachmund schrieb am 23.12.1936 an den Landesbischof, wie dankbar und froh er wäre, „daß wir dieses Ziel erreicht und in unserer Landeskirche den Frieden hergestellt haben.“ Die Zusammenarbeit würde sich mehr und mehr einspielen. Lachmund weckte mit diesen Zeilen die Hoffnung, daß das vom Pfarrernotbund Johnsen gegenüber immer wieder öffentlich und intern geäußerte und genährte Mißtrauen endlich abklingen würde. Lachmund hatte allen Grund zur Genugtuung, denn wenige Tage vor der 9. Vollsitzung des Lutherrates am 23. November wurde das im April 1934 gegen ihn gefällte Urteil vollständig aufgehoben. Das war die Lösung, die auch Palmer und v. Schwartz für ihren „Fall“ vergeblich erhofft hatten. Lachmund ließ im Brief an Johnsen auch durchklingen, wie der Beitritt zum Lutherrat den Pfarrernotbund gespalten hatte. „Daß einige von uns wahrscheinlich nach draußen gehen, ist mir schmerzlich, aber ich kann es natürlich nicht hindern. Hoffentlich wachsen uns tüchtige Kräfte nach.“ Palmer kam in seiner Darstellung auf diesen Konflikt ausdrücklich zu sprechen. „Wie fest verbunden er (der Pfarrernotbund) sich wußte, zeigte sich unter anderem auch darin, daß er trotz grundsätzlicher Differenz in der Frage: Linie Lutherrat oder Linie Dahlem nicht auseinanderbrach. Es hieß einfach: wir bleiben zusammen.“ (MzGK S. 124)
Palmer und Karl Adolf v. Schwartz hatten an den Feierlichkeiten zur Aufnahme in den Lutherrat am 6. Januar 1937 aus Protest nicht teilgenommen. Palmer gehörte zu den bitter Enttäuschten und hatte sogar eine persönliche Einladung Johnsens zu diesem Tag ausgeschlagen, da sowohl dem Reichskirchenausschuß als auch dem Lutherrat eine Wiederherstellung des Rechtes in Gestalt seiner Rückkehr nach Blankenburg, wie im Falle von Lachmund, nicht gelungen war. Im Gemeindeblatt der Stephanikirche erschien hingegen ein großer Bericht von dem gelungenen Tag. Palmer notierte für den 6. Januar 1937: „Amtlich Ordnen, 14 (Uhr) Beerdigung, nachmittags Volksmission, milde, veränderlich, gegen Abend Sturm. In Braunschweig: Eingliederung.“

Nur zweieinhalb Jahre später erhielt Lachmund einen Brief von OKR Breit aus München, in dem dieser seine bald einsetzende schwere Enttäuschung über die gescheiterte Arbeit im Lutherrat freien Lauf ließ. „Von Berlin bin ich gern geschieden – und zwar stieg ich zu derselben Stunde in den FD-Zug am Anhalter Bahnhof, der nach Bayern geht, zu der die Bischöfe in einer Audienz bei dem Reichskirchenminister sich öffentlich von den Männern der VL in einer wenig achtbaren Weise losgesagt haben. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß meine Resignation von Woche zu Woche wuchs. Auf der Bildung des Lutherrates schien wirklich einige Verheißung zu liegen. Und wenn wir auch nicht mit fliegenden Fahnen ins Reich zogen, um Gefolgschaft zu sammeln, so schien es doch eine Weile so, als ob die Bildung einer lutherischen Großkirche im Bereich der Möglichkeit läge. Aber in demselben Maße, in dem diese Aussicht und unsere Hoffnung wuchs, nahm die Bereitschaft und der Wille zu tatkräftiger kirchlicher Gemeinschaft unter den Partnern des Lutherrates ab – eine geradezu groteske Situation.“
„Wem es Oktober 1938 noch nicht klar war, daß der Lutherrat in den letzten Zügen liegt, den hat die Entwicklung der letzten Monate davon überzeugen müssen.“ Es wäre keine kirchenpolitische Differenz zwischen ihm und Marahrens, über die eine Gemeinschaft nicht zerbrechen müßte. „Ich muß leider ein zweifaches feststellen: a) Marahrens weiß es besser, und handelt trotzdem so, wie es geschehen ist, b) Marahrens handelt nicht aus der Entscheidung des eigenen Herzens, sondern von den raffinierten Politikern seiner Kirchenregierung überwältigt. Auch Dr. J. weiß es besser.. Wenn ich’s ganz untheologisch sagen darf: es ist mir ein großer Schmerz, Bischöfe, die ich für Männer gehalten habe, in edler Gesellschaft von Memmen zu sehen. Sie haben nicht einmal Gewinn davon.“ (Schreiben Breit an Lachmund vom 7. August 1939 in PNB7/1939/18).
Der Brief bestätigt die hochfliegenden Hoffnungen des Jahres 1935/36 auf eine auf lutherische Reichskirche neben und später wohl an Stelle einer Bekennenden Kirche aus dem Geiste von Barmen und Dahlem. Der festliche Tag von Braunschweig lag erst gut zwei Jahre zurück, aber die fatale Hoffnung auf eine lutherische Reichskirche, womöglich mit einem lutherischen Erzbischof zu Lasten einer gemeinsamen Linie der Bekennenden Kirche war vollständig zerbrochen. Drei Wochen nach dem Brief von OKR Breit meldete auch Bischof Johnsen den Austritt aus dem Lutherrat, während der Braunschweiger Pfarrernotbund seine Mitgliedschaft aufrecht erhielt.



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