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[Kirche von unten]

Ottmar Palmer 1873 - 1964

Versuch einer Annäherung und Deutung

26. Kapitel


Palmer als stellvertretender Vorsitzender des Pfarrernotbundes 1946



Ein Braunschweiger Schuldbekenntnis
Palmer gab sein Mandat im Landeskirchentag doch nicht so rasch auf wie Lerche es befürchtet hatte, sondern besuchte die Tagung vom 4. und 5. April 1946.

Die Tagebuchnotiz Palmers über diesen Landeskirchentag ist von besonderer Knappheit:
„4. April Donnerstag Sehr schön. 5.03 ab nach Wolfenbüttel. Landeskirchentag, ½ 10 an; Nacht bei Schrader. 5. April Freitag Sehr schön, heiß. Landeskirchentag; 16.12 ab, 20 ¼ an.“
Diese dürren Zeilen kontrastieren zu den sehr ausführlichen Bemerkungen zum vorhergehenden Landeskirchentag. Kein Wort über die stürmische Haushaltsdebatte, bei der OLKR Dr. Breust eine schwere Niederlage einstecken mußte, weil ihm der Landeskirchentag nicht auf Anhieb eine erhöhte Landeskirchensteuer genehmigte. Aber auch kein Wort über seinen nachhaltigen Beitrag am 2. Sitzungstag. Palmer überraschte nämlich den Landeskirchentag mitten in der Haushaltsdebatte am 2. Sitzungstag nach der Morgenandacht mit einem von ihm abgefaßten Wort an die Kirchengemeinden zum Pfingstfest und beantragte, über dieses Wort zu debattieren.

Offenbar hatte Palmer diesen Vorstoß mit keinem abgesprochen. In der Vollversammlung des Pfarrernotbundes am 17. März war davon noch keine Rede gewesen. Außerdem lag das von ihm verfaßte Wort der Kirchenregierung zur Lage am Reformationsfest erst ein halbes Jahr zurück. Warum noch ein zweites Wort, das sich vor allem mit der Haltung der Landeskirche zur Zeit des Nationalsozialismus beschäftigte? Mußte etwas nachgetragen werden? War das Wort zum Reformationsfest nicht gehört worden? Richtungsweisend war allerdings inzwischen das sog. Stuttgarter Schuldbekenntnis in die Öffentlichkeit gedrungen, wenn auch nicht akzeptiert worden.


Der Landeskirchentag lehnt Palmers Formulierung des Schuldbekenntnisses ab
Dem Landeskirchentag kam die Sache zu schnell. Er mochte den Wortlaut so wie er von Palmer vorgelegt wurde, nicht annehmen, sondern berief einen Ausschuß ein, der dem Landeskirchentag berichten sollte. Dem Ausschuß gehörten der Landeskirchenpräsident Erdmann, das Kirchenregierungsmitglied Strothmann und die Abgeordneten Rauls, Pinkernelle und der Verfasser an. Die Besetzung des Ausschusses zeigte, daß dem Landeskirchentag der Vorgang brenzlig war.
Es gehört zu den Auffälligkeiten dieses Landeskirchentages, daß alle Anlagen den Synodenakten wie üblich angefügt sind. Die Hülle der Anlage 3, der Palmersche Antrag, ist leer und unauffindbar. Daher ist der ursprüngliche Wortlaut des von Palmer verfaßten und zum Antrag erhobenen Textes verloren gegangen. Am Ende des Tages beriet der Landeskirchentag erneut über den Antrag Palmer. Ob der Ausschuß den Wortlaut geändert hatte, vermerkte das Protokoll nicht. Aber der Landeskirchentag konnte sich immer noch nicht durchringen, den Palmerschen Wortlaut für die Gemeinden für geeignet zu halten und beschloß, die Kirchenregierung möge den Text redigieren und ihn dann herausgeben. Palmer solle dazu hinzugezogen werden. Mit 17:4 Stimmen wurde diesem Antrag zugestimmt.
Es war für Palmer ein starkes Stück, daß jene Kirchenregierung, die er als einziger Abgeordneter des Landeskirchentages in offener Abstimmung abgelehnt hatte, seinen Text redigieren und herausbringen sollte. Das Abstimmungsverhalten der zur Bekennenden Kirche zugehörigen Abgeordneten war gespalten.

Palmer wurde zur Kirchenregierungssitzung am 12.4.1946 eingeladen, erschien aber nicht, weil es aus seiner Sicht an dem Text nichts weiter zu redigieren gab. Palmer erschien aber auch nicht zur Sitzung am 7. Mai 1946, wo endgültig über den von Seebaß, Strothmann, Herdieckerhoff und Linke redigierten Text beraten werden sollte. Es war eine aparte Sitzung, denn Kirchenpräsident Erdmann kündigte an, daß er sein Mandat im Braunschweiger Landtag niederlegen wolle. Die ahnungslosen Mitglieder der Kirchenregierung baten Erdmann, den Sitz bis zur Neuwahl zu behalten. Sie wußten nicht und wurden auch von Erdmann nicht darüber informiert, daß sein Landtagsmandat von den britischen Behörden wegen seiner frühen NSDAP Mitgliedschaft abgelehnt worden war. (PollLandtag S. 308)

Am 24. Mai beschloß die Kirchenregierung: „Das seinerzeit vom Landeskirchentag vorgelegte Wort an die Gemeinden wird nach Überarbeitung durch den Ausschuß des Landeskirchentages der Kirchenregierung vorgelegt und in der vorgelegten Form für gut befunden. Es soll nunmehr an den Pfingstfeiertagen verlesen werden.“ Daß der Text und der ursprüngliche Antrag von Palmer stammte, kam in dem Beschluß nicht mehr vor. (siehe KEPoll S. 42)
Im Amtsblatt vom 5. Juni veröffentlichte OLKR Röpke es als ein „Wort des Landeskirchentages an die Gemeinden“, unterzeichnet „Der Landeskirchentag“, den Text. Das Braunschweigische Volksblatt veröffentlichte den Text in seiner ersten Ausgabe Nr. 1 Pfingsten 1946, sodaß es die Pfarrer und Gemeinden noch rechtzeitig erreichte.

Es war unzweifelhaft ein Text aus der Feder von Palmer, der leider durch einen Einschub der Kirchenregierung am Anfang verwässert worden war, und er unterschied sich ganz erheblich in Sprache und Inhalt von der ersten Verlautbarung vom 31.10.1945. Palmer nahm Formulierungen auf, die eher an das Stuttgarter Schuldbekenntnis erinnerten. „In vielen Fällen ist geschwiegen worden, wo hätte geredet werden müssen. Vor Gott bekennen wir: es hat unter uns gefehlt an der Klarheit der christlichen Erkenntnis und an der Treue gegen die unverrückbaren Grundlagen der Kirche, an der Kraft des Gebets, am rechten Widerstand gegen falsche Lehre und am Geist der Liebe.“
Der Zusammenbruch von 1945 wurde auch nicht als eine „Heimsuchung von ferne her“ gedeutet, sondern als ein deutliches Zeichen dafür, daß Gott sich nicht spotten läßt. Palmer wiederholte als Auftrag der Kirche die Verkündigung des Reiches Gottes, was bedeute, daß Christus unter uns lebt. Von daher gebe es „Kraft zum Neuanfang“ und den Willen „zu dem von Gott der Kirche befohlenen Widerstand gegen alle Ungerechtigkeit und Unwahrhaftigkeit“. Den Schluß bildete ein Aufruf zur Unterstützung des Hilfswerkes und für ein offenes Auge für die Flüchtlingsfrage in den Gemeinden.
Dieser in sich stimmige Text wurde am Anfang durch einen Einschub gestört, der mal wieder das „Gewaltregiment der Finanzabteilung“ anprangerte, und aus der speziellen und verengten Optik der Oberlandeskirchenräte Dr. Breust und Röpke stammte. Ob dieser Text zum Pfingstfest verlesen worden ist und welche Wirkung er gehabt hat, ist nicht bekannt. (MzA 281)


Ernüchternde Reaktionen auf die Arbeit im Landeskirchentag
Der Verlauf des Landeskirchentages im Februar und April 1946 hatte die Mitglieder des Pfarrernotbundes hinsichtlich ihrer kirchenpolitischen Möglichkeiten ziemlich ernüchtert. Ernst Heinrich Kammerer schätzte die Lage richtig ein, als er am 16.5.1946 an Palmer schrieb, daß der Pfarrernotbund „den Anspruch der BK auf Führung in der Landeskirche mit eigenen Kräften nicht durchdrücken“ könne. Kammerer bat Palmer, er möge Rohlfs, Herdieckerhoff und Erdmann scharf ins Gewissen reden, daß diese ihr Mandat in der Kirchenregierung niederlegen sollten. Das war aus einer moralischen Sicht des Pfarrernotbundes zwar wünschenswert, aber im Landeskirchentag würde dann eine neue Kirchenregierung gewählt, in der die „Mitte“ und die alten Deutschen Christen die vollständige Mehrheit gehabt hätten. Außerdem hatte die Mehrheit der Anhänger der BK in dem Landeskirchentag eben diese Kirchenregierung gewählt.

Diese Ernüchterung schlug sich auch in einem kritischen Brief von Pfr. Ulrich aus Berel am 28. Mai 1946 an den Bruderrat nieder.
„Der Notbund hat es nicht vermocht, das Gesetz des Handelns an sich zu reißen, sondern er hat sich dieses Gesetz immer vorschreiben lassen. Da es an klarer Besinnung und theologischer Vorarbeit zu schlechterdings allen Fragen fehlte, die uns jetzt in der Kirche auf den Nägeln brennen, wurde von vorneherein der Weg des Kompromisses eingeschlagen und damit die Ebene der Kirchenpolitik beschritten in jener Weise, die für die Kirche nur zerstörend wirken kann. Es ist also gar nicht zu verwundern, daß das geistliche Leben der Landeskirche durch diese Art der „Führung“ nicht geweckt, sondern gelähmt wurde. Die geistliche Lähmung der Landeskirchenregierung und ihrer Organe ist eine direkte Folge der geistlichen Lähmung innerhalb des Notbundes. In erschütternder Deutlichkeit brachten das die Vollversammlungen ans Licht.
Als Symptome dieser geistlichen Lähmung nenne ich u.a.
Die Unentschlossenheit in Fragen der Selbstreinigung der Kirche
Die Tatsache, daß das Stuttgarter Schuldbekenntnis nicht einmal im Notbund rezipiert wurde
Die falsche Brüderlichkeit, die in der Sache nachgibt, aber in Wirklichkeit alles auf dem Herzen behält, weil sie die Buße umgehen möchte.
Die Art und Weise wie der Landeskirchentag zustande kam, insonderheit die Oberflächlichkeit in der Behandlung der Laienfrage.
Die Frage, wie die Kirche sich neu zu ordnen habe, ist weder im Blick auf das Amt (für die Gesamtkirche: Bischof) noch im Blick auf die Gemeinde (für die Gesamtkirche: das synodale Element) beachtet.
Das Führerprinzip wird insgeheim immer noch angebetet.
Die Notbundbrüder sind denkbar schlecht kirchlich informiert
Der Bischofskandidat des Notbundes D. Brandt wurde während seiner Anwesenheit auf der Freizeit in Neu Erkerode vom Notbund offiziell überhaupt nicht beachtet.
Der weitere Weg des Notbundes kann nur dann von Segen sein, wenn diese Linie verlassen und konkret Buße getan wird. Die Erneuerung unserer Landeskirche darf sich nicht in kirchenpolitischen Kämpfen um Positionen erschöpfen, sondern sie muß die Erweckung und den Dienst an den Gemeinden zum Ziel haben....“
(NL 279)

Palmer las den Brief mit offensichtlicher Zustimmung und unterstrich zahlreiche Stellen, nur bei dem Satz, daß das Führerprinzip angebetet werde, machte er ein Fragezeichen. Immerhin hatte Ulrich richtig gespürt, daß besonders bei den führenden Lutheranern im Pfarrernotbund ein vom Amtsverständnis herrührender Autoritätsbegriff vorherrschte, der die Widerstandsunfähigkeit unterstützte und den Konformismus förderte. Ulrich war jede Kompromißhaltung verdächtig.

Die Aversionen gegen die Zusammensetzung der neu gebildeten Kirchenregierung entzündeten sich im Sommer 1946 besonders an der Person von Dr. Strothmann. Pfr. Hille erinnerte sich eines Zitates von Strothmann im Predigerseminar, daß es allen Notbundpfarrern so ergehen müßte wie Pfr. Buttler, also daß sie eigentlich ins Konzentrationslager gehörten. Dieses Zitat wurde in zwei Kirchenregierungsitzungen (am 24.5. und 28.6.1946) behandelt, Hille konnte begreiflicherweise dieses Zitat nicht „beweisen“, Strothmann brachte Zeugnisse von zwei anderen Kandidaten, die sich an nichts derartiges erinnern konnten, schließlich mußte sich Hille entschuldigen. Dieser Vorgang spiegelt die atmosphärische Verworrenheit vom Sommer 1946. Auch Pfr. Ulrich wandte sich gegen Strothmann und wurde dafür „seelsorgerlich“ ermahnt. Palmer forderte Strothmann auf, sein Mandat in der Kirchenregierung niederzulegen, was die Kirchenregierung am 25.6. zur Kenntnis nahm. Es gelang dem Pfarrernotbund nicht, seine grundsätzlichen Einwände in einer Denkschrift niederzulegen und in der Pfarrerschaft dafür um Verständnis zu werben.


Die Zusammensetzung des Pfarrernotbundes 1946
Der Brief von Pfr. Ulrich, Berel, machte die Veränderung in der Zusammensetzung des Pfarrernotbundes deutlich. 1946 hatte der Pfarrernotbund die zweithöchste Mitgliederzahl erreicht. Die Zunahme ergab sich durch die acht BK- Pfarrer aus dem Osten, die sich in der Braunschweiger Landeskirche mit ihren roten Mitgliederkarten selbstverständlich dem Pfarrernotbund anschlossen. Zu ihnen gehörten Johannes Damrow, Martin-Luthergemeinde Braunschweig, Kurt Geisler, Sambleben, Ernst Froehse, Braunschweig, Karl Bruno Haferburg, Alversdorf, Gerhard Krupp, Jerstedt, Ernst Payk, Lochtum, Max Schliephak, Bredelem, Helmut Wielgoß, Schlewecke. Drei Pfarrer stammten aus Goslar, das seit 1943 der Braunschweiger Landeskirche angegliedert war und die in der Hannoverschen Landeskirche der Hannoverschen Bekenntnisgemeinschaft angehört hatten, nämlich Hans Wiesenfeldt, Friedrich Lindemann und Udo Janssen. Von den 68 Mitgliedern des Jahres 1946 hatten nur 37 dem Braunschweiger Pfarrernotbund von 1934 angehört. Mit Erinnerungen an alte kämpferische Zeiten war kaum eine Gemeinschaft herzustellen. Dazu waren die Erinnerungen nach Region und Person zu unterschiedlich.

Außer diesen gab es die ganz Jungen und Neuen, wie z.B. den 32jährigen Heinrich-Hermann Ulrich. Ulrich, Jahrgang 1914, stammte aus dem Kreis Peine, hatte in Wolfenbüttel 1933 Abitur gemacht und nach seinem Studium in Bethel, Königsberg, Marburg und Erlangen 1938 das 1. theologische Examen in Wolfenbüttel abgelegt und ein halbjähriges Vikariat bei Propst Lehmberg, Vorsfelde absolviert. 1938 wurde er zum Wehrmachtsdienst eingezogen und an der Front in Frankreich und Rußland eingesetzt, zuletzt als Oberleutnant und Batteriechef, wie er in der Kirchenchronik vermerkt. Im April 1940 absolvierte er das 2. theologische Examen und erhielt die Kirchengemeinde Berel zugewiesen, in der er im Urlaub predigte. Seit April 1945 war er frisch verheiratet in seiner Bereler Gemeinde tätig . Berel gehörte wie das Gebiet um Lichtenberge zur Ursprungsgegend des Nationalsozialismus im Braunschweiger Land. In Berel gab es sieben Personen mit dem goldenen Parteiabzeichen und ein ausgeprägtes ns. Parteileben, unter dem auch die Kirchengemeinde zu leiden hatte. Ulrich bildete eine „Kerngemeinde unter dem Wort“ mit regelmäßigen Bibelstunden und Gebetskreisen, gründete ein Ev. Hilfswerk, nahm sich der Flüchtlinge an und war nach der langen Kriegszeit offenbar hungrig auf Theologie. Dabei standen ihm sein Propst Strothmann und die Brüder im Pfarrkonvent theologisch zu fern. So war der Pfarrernotbund für ihn der einzige Kreis, in dem theologisch und kirchenpolitisch gemeinsam nachgedacht wurde. In einem Brief vom 15.3.1946 klagte er: „Wir stehen hier in manchen Kämpfen, die uns gerade von der Trägheit und Selbstgenügsamkeit der Mitte bereitet werden.“

Zu den Jüngeren gehörten außerdem Karl Heinz Oelker, Gr. Flöthe, 30 Jahre alt; Ulrich Rüß, Duttenstedt, 28 Jahre; Arnd Müller, Mahlum, 32 Jahre; Kurt Schaper, Reppner, 32 Jahre; Kurt Kleemeyer, Neu-Erkerode, 33 Jahre alt. Theologisch gehörten sie unterschiedlichen Fraktionen an.


Palmer sammelt die Notbundbrüder
Neben der Arbeit in seiner Kirchengemeinde Berka und im Landeskirchentag intensivierte Palmer seine Tätigkeit als stellvertretender Vorsitzender des Pfarrernotbundes. Formell war zwar Karl Adolf v. Schwartz der erste Vorsitzende, der sich jedoch in sowjetischer Kriegsgefangenschaft befand, daher führte Palmer als sein Stellvertreter die Geschäfte. Vielleicht hoffte er auch auf eine Art außersynodaler Opposition. „Wenn es noch an einem Beweis für die Notwendigkeit des Fortbestehens des Notbundes gefehlt hätte, so wäre er durch den Landeskirchentag erbracht“, schrieb Palmer an seine Notbundbrüder Ende März 1946. Seine Tätigkeit als Vorsitzender der ersten Nachkriegskirchenregierung und die Arbeit im Landeskirchentag hatten ihn bei den Notbundbrüdern wieder stärker ins Bewußtsein gebracht.

Die Notizen im Tagebuch geben seine Aktivitäten im Pfarrernotbund wieder. Die theologische Arbeit im Pfarrernotbund war für Palmer vorrangig. Einmal im Jahr holte er einen führenden Theologen zum Vortrag vor den Brüdern des Pfarrernotbundes ins Marienstift nach Braunschweig, wo das Notbundsmitglied OLKR H.E. Seebaß Anstaltspfarrer war. Am 6. Februar 1946 hatte der Göttinger Professor für Systematische Theologie H.J. Iwand über „Die Ordnungen der Kirchen und das Wort Gottes“ gesprochen. Am 30.April 1947 referierte der Prof. für A.T. Gerhard v. Rad, Göttingen über „Die Weissagungen im A.T.“

In Abständen trat der Bruderrat des Pfarrernotbundes zusammen, dem elf Pfarrer angehörten: OLKR. Seebaß, Burmester, Wiesenfeldt, Brinckmeier, Dr. Brinkmann, Ulrich, Damrow, A. Seebaß, Rohlfs, Kammerer und Palmer. Palmer notierte sich im Pfarramtskalender folgende Termine: am 26. März 1946 im Marienstift, am 5. Juni bei J.H. Wicke in Braunschweig, Magni, am 13. November bei Pfr. Rohlfs in Wolfenbüttel.
Der Bruderrat war offenbar der engere, harte Kern des Pfarrernotbundes, der weniger den Pfarrernotbund nach außen repräsentierte, sondern Anstöße für die Sammlung des Notbundes und kirchenpolitische Absprachen traf.

Dazu kamen die Vollversammlung bzw. die Regionaltreffen der Notbundbrüder: am 27. März im Marienstift, 22. Mai Konvent in Herrhausen, am 22. Juli in Braunschweig, am 28. August in Herrhausen bei Pfr. Wurr, am 17.Oktober, am 11. Dezember bei Pfr. Wurr in Herrhausen der Konvent Goslar/Gandersheim.

Palmer berichtete in einem Rundbrief über die von 20 Pfarrern besuchte Vollversammlung am 27. März 1946 im Marienstift. (PNB 9/1946/3) Sie begann mit einer Bibelarbeit des Hausherrn, OLKR H.E. Seebaß über die Lätare-Epistel Gal. 4,21-31. Palmer: „Er hat es verstanden, diesen exegetisch schwierigen und anscheinend spröden Text uns so zu öffnen und nahezubringen, daß wir das Problem „Gesetz - Freiheit“ bis in die innersten Bezirke des eigenen Lebens greifen fühlten.“ Drei Pfarrer wurden neue Mitglieder des Pfarrernotbundes: Frühling, Lutter; Schröder-Pander, Meerdorf und Schünemann, Winnigstedt.


Erneute Konventsbildung
Auf dieser Vollversammlung wurden vier Konvente begründet und ihre Leiter bestimmt: Konvent Braunschweig Stadt und Land: Seebaß, Siloah; Konvent Wolfenbüttel: Burmester; Konvent Helmstedt: Clemen; Konvent Goslar, Gandersheim, Harz: Rohlfs.

Palmer beschrieb das Profil der Konvente folgendermaßen: „Sie sollten nicht nur unserer theologischen Weiterbildung, sondern ebenso sehr der Festigung unserer brüderlichen Gemeinschaft dienen. Damit diese Gemeinschaft stets aufs neue aus dem Innersten herauswachse und ihre Stärkung erfahre, darf kein Konvent ohne ernste Bibelarbeit und möglichst auch nicht ohne eine Feier im Heiligtum sein. Gern werden wir uns auch immer wieder zum gemeinsamen Empfang des Sakraments vereinigen. Wenn die Konvente zu brüderlicher Aussprache auch über unser persönliches (Leben, d.H.) und Amtsleben, ja zu brüderlicher Zucht unter einander führen, dann haben sie ihren letzten und vornehmsten Zweck erreicht.“

Mit der Wortwahl „ernste Bibelarbeit“, „Empfang des Sakraments“, „brüderliche Zucht“ macht Palmer auf ein sich verschärfendes Problem innerhalb des Pfarrernotbundes aufmerksam. Die Gegensätze zwischen den unterschiedlichen Gruppen der Karl Barthschüler, der Erlanger Lutheraner und dem orthodoxen Brüdernflügel waren durch die gemeinsame Gegnerschaft zu den Deutschen Christen und durch das Erlebnis des Krieges stark eingeebnet. Nach dem Verschwinden der Deutschen Christen und in der Nachkriegszeit machten sich diese Gegensätze wieder stärker bemerkbar und Palmer nahm mit dieser Wortwahl besondere Rücksicht auf den orthodoxen Flügel des Pfarrernotbundes. Ihr Repräsentant wurde Max Witte, der seit 1942 Pfarrer an der Ulrici-Brüdernkirche in Braunschweig war. Zu dieser Gruppe gehörten OLKR Hans Eduard Seebaß, lic. Ferdinand v. Hoerschelmann, und von den neuen Ulrich Rüß. Später schloß sich auch Bischof Erdmann innerlich dieser Gruppe an, nachdem er seine Bindungen an den Pfarrernotbund gelockert hatte.

Ihnen konträr gegenüber standen die sog. Ostpfarrer, die in ihrer Heimat der BK angehört hatten, aus ihren Kirchen der altpreußischen Union geflüchtet oder vertrieben waren und sich dem Braunschweiger Pfarrernotbund angeschlossen hatten. Diese sahen sich vor die ihnen ganz unverständliche Frage gestellt, ob man gemeinsam das Abendmahl halten konnte, weil die Ostpfarrer „Unierte“ waren und dem orthodoxen Flügel als nicht rechtgläubig galten. OLKR H.E. Seebaß verlangte von den Ostpfarrern bei sog. „Flüchtlingsgottesdiensten“, daß sie ihm die Ordnung der Abendmahlsliturgie einreichen sollten, die darauf überprüft werden sollte, ob sie genau der lutherischen Abendmahlslehre entspräche. Über diese Gegensätze indes wurde nicht offen gesprochen, sondern sie wurden „brüderlich“ zugedeckt.

Schon seit 1937 hatten sich die Notbundbrüder als Ergänzung der Vollversammlungen in Braunschweig in regionalen Konventen in Helmstedt, Braunschweig, Blankenburg und Kirchberg getroffen. Die Konventslisten vom 18.6.1946 geben eine letzte Übersicht über die personelle Zusammensetzung des Pfarrernotbundes 1946:

Konvent Braunschweig
Seebaß Hans Eduard Obkr. Braunschweig, Marienstift
Wendeburg Otto, Kirchenrat Braunschweig, Marienstift
Herdieckerhoff Heinrich, Braunschweig
Bosse Erwin, Braunschweig, Bugenhagenkirche
Johann Heinrich Wicke, Braunschweig, Magni
Damrow Hans, Martin Luther
Freise Walter,
Walther Otto
Seebaß Georg, Rautheim
Buttler Hans, Alvesse
Dodt Friedrich, Bottmer
Klapproth Heinrich, Lehndorf
Oelze Viktor, Cremlingen
Althaus Georg, Timmerlah
Froese Kurt, Riddagshausen
Witte Max, Wahle
Rüss Ulrich, Duttenstedt
Schröder-Pander, Wolfgang, Meerdorf
Barg Paul, Gr. Schwülper

Konvent Wolfenbüttel
Erdmann Martin, Wolfenbüttel
Burmester Karl, Hedeper
Hörschelmann Ferdinand, Sauingen
Lipsius Theodor, Kissenbrück
Heinemann Karl, Barbecke
Freytag Wilhelm, Leiferde
Ulrich Heinrich Hermann, Berel
Schaper Kurt, Reppner
Lepsien Rolf, Watenstedt
Reischauer Hans, Bad Harzburg
Schünemann Iwan, Gr. Winnigstedt
Geisler Kurt, Ampleben
v. Schwartz Karl Adolf, Eilum
Schrader Otto, Wolfenbüttel
Oelker Karl-Heinz, Gr. Flöthe
Wielgoß Helmut. Schlewecke
Wedekind Wilhelm, Gr. Döhren

Konvent Helmstedt
Padel Herbert, Helmstedt
Clemen Friedrich, Helmstedt
Brinkmann Heinrich, Frellstedt
Wicke Hugo, Wolsdorf
Rothermel Alexander, Hoiersdorf
Hille Wilhelm, Jerxheim
Schröder Walter, Esbeck
Oetzmann Hans Otto, Parsau
(Radkau Günther, Grasleben)
Haferburg Karl Bruno, Alversdorf

Konvent Goslar-Gandersheim
Palmer Ottmar, Berka
Lindemann Hermann, Goslar
Janssen Udo, Goslar
Brinckmeier Rudolf, Othfresen
Payk Ernst, Lochtum
Wielgoss Helmut, Harlingerode
Krupp Gerhard, Jerstedt
Schliephak Max, Brodelem
Wiesenfeldt Hans, Liebenburg
Frühling Gerhard, Lutter a.B.
Pauker Artur, Wolfshagen
Caspar Siegfried, Volkersheim
Wurr Gustav, Herrhausen
Rohlfs Alexander, Kirchberg
Wicke Hermann, Zorge
Querfurth Albert, Walkenried
Kammerer Heinrich, Hohegeiss
Müller Arnd, Mahlum

abgetrennt
Lachmund Heinrich, Blankenburg
Seebaß Julius, Dörnten

nicht aufgeführt
Kleemeyer, Neu-Erkerode
Wedekind D, Gr. Döhren

Die Geschichte dieser Konvente, ihre Lebendigkeit und Arbeitsintensität läßt sich anhand der Quellenlage nicht mehr nachvollziehen.

Eine fehlende Gegnerschaft und der sich abschwächende Wille zu öffentlichen kirchenpolitischen Vorstößen ließen die Gemeinschaft bröckeln. Die Vollversammlung am 17.10.1946 war nur von 10 Notbundbrüdern besucht: Althaus, Brinckmeier, Burmester, Frühling, Geisler, Klapproth, Rohlfs, Stosch, Ulrich, Wiesenfeldt. Palmer hatte an einer Sitzung des Reichsbruderrates in Darmstadt teilgenommen. Nach einer Andacht von Brinckmeier berichtete Landeskirchenpräsident Erdmann aus der Landeskirche und OLKR Seebaß referierte über die VELKD.



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