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[Kirche von unten]

Ottmar Palmer 1873 - 1964

Versuch einer Annäherung und Deutung

27. Kapitel


Palmers hartnäckiger Kampf um einen anderen Bischof als Martin Erdmann - der dramatische Landeskirchentag November 1946/47


Palmer und Erdmann kannten sich seit langem und gut, vor allem aus der Helmstedter Zeit Palmers 1935-37. Palmer hatte dann bei seinem mehrtägigen Aufenthalt im Lelmer Pfarrhaus bei Pfr. Erdmann im August 1945 offenbar den Eindruck gewonnen, daß Erdmann nicht der überzeugende Kandidat für das Bischofsamt wäre. Palmer hatte gehofft, bereits in der ersten Sitzung des Landeskirchentages im Februar 1946, Wilhelm Brandt als neuen Bischof durchsetzen zu können. Palmer war mit diesem Vorschlag gescheitert, weil die Mehrheit des Landeskirchentages es unerträglich fand, in Abwesenheit des in Kriegsgefangenschaft befindlichen Landesbischofs Helmuth Johnsen einen neuen Landesbischof zu wählen.


Sitzung des Landeskirchentages am 14. November 1946


Bericht vom Landeskirchenpräsidenten Erdmann
Landeskirchenpräsident Erdmann eröffnete die Sitzung des Landeskirchentages am 14.11.1946 mit einem Tätigkeitsbericht, an dessen Beginn er erstaunliche Nachrichten über das Befinden von Bischof Johnsen stellte. „Die Nachrichten von Dr. Johnsen aus der Kriegsgefangenschaft in Jugoslawien sind in der letzten Zeit häufiger gekommen. Vor einem halben Jahr war sein Gesundheitszustand sehr angegriffen. Nach einem englischen Bischofsbericht ist die Behandlung der Kriegsgefangenen in Jugoslawien so schlecht, daß für eine eventuelle Rückkehr Befürchtungen gehegt werden müssen.“ (Syn 187) Diese traurige Nachricht animierte die Mitglieder des Landeskirchentages nicht etwa zu einem solidarischen brüderlichen Kartengruß an den amtierenden Bischof, aber Erdmann hatte sich bei einem Besuch des Londoner Bischofs in Wolfenbüttel die Zusicherung geben lassen, einen Brief an Johnsen durch das Foreign Office nach Jugoslawien befördern zu lassen. Diese Mitteilung vom schlechten Gesundheitszustand Johnsens konnte gegensätzlich gedeutet werden. Die einen mochten darin ein Indiz für eine rasche Bischofswahl sehen, da Johnsen doch nicht mehr in das Bischofsamt zurückkehren würde, die anderen mochten die Nachricht als Hinweis sehen, eine Bischofswahl hinauszuschieben, bis weitere Nachrichten aus Jugoslawien in der Heimat eintreffen würden. (nach Syn 187)

Am Ende berichtete Erdmann von einem Treffen mit dem hannoverschen Landesbischof Marahrens, wobei Fragen eines Zusammenschlusses der niedersächsischen Landeskirchen besprochen worden waren. Ein Zusammenschluß dürfe „keinesfalls überstürzt“ geschehen und müsse „behutsam“ bedacht werden. Das waren Vokabeln, um das Unternehmen eher im Sande verlaufen zu lassen. Die Frage des Zusammenschlusses war ein weiteres Argument, von einer Wahl Erdmanns als Landesbischof Abstand zu nehmen und zunächst die Strukturfragen zu lösen.


Palmers Debattenbeiträge
Palmer griff daher in der Aussprache zum Tätigkeitsbericht die Frage des Zusammenschlusses auf und empfahl, den Zusammenschluß „genauestens in der Kirchenregierung“ zu beraten. Er unterzeichnete auch einen Antrag von Propst Ehrhorn, die Bildung einer einheitlichen ev.-luth. Kirche Niedersachsens auf die Tagesordnung zu setzen. Dieser Antrag wurde mit 24:8 Stimmen angenommen. Ein weiterer Antrag in dieser Sache hatte folgenden Wortlaut: „Der Landeskirchentag der ev.-luth. Landeskirche Braunschweig würde es begrüßen ,wenn anläßlich der Vereinigung der Gebiete Hannover-Braunschweig-Oldenburg-Lippe im politischen Raum die Ev.-luth. Landeskirchen Niedersachsen bei Wahrung ihrer Eigenart sich zu einer Ev.-luth. Landeskirche Niedersachsens vereinigen würden. Um diese Vereinigung seinerseits voranzutreiben, beruft der Landeskirchentag aus seiner Mitte einen Ausschuß, der sofort die Fühlung mit den zuständigen Organen der übrigen Landeskirchen im niedersächsischen Raum aufnehmen soll.“ Wieder meldete sich Palmer zu Wort und unterstützte wie auch andere Abgeordnete der Bekennenden Kirche Vermeil, Wiesenfeldt, Herdieckerhoff den Antrag.

Die Debatte wurde derart heftig geführt, daß Lerche einen weiteren Antrag mit folgendem Wortlaut einbrachte: „Der Landeskirchentag der ev.-luth. Landeskirche Braunschweig hält es anläßlich der Vereinigung der Gebiete Hannover-Braunschweig-Oldenburg-Lippe im politischen Raum für angezeigt, wenn zwischen den ev.-luth. Landeskirchen dieses Gebietes Verhandlungen über die Bildung einer ev.-luth. Landeskirche Niedersachsens bei Wahrung der Eigenart der einzelnen Landeskirchen aufgenommen werden. Zu diesem Zwecke beruft der Landeskirchentag einen Ausschuß, der die Fühlung mit den zuständigen Organen der übrigen Landeskirchen im niedersächsischen Raum aufnehmen soll.“ Dieser Antrag wurde mit 25:5 Stimmen angenommen. Zu den fünf Gegenstimmen gehörte die Erdmanns. Mit diesem Ergebnis konnte Palmer vollauf zufrieden sein, denne eine Strukturdebatte würde die Bischofsfrage in den Hintergrund drängen.


Ablehnung des Antrages von Linke für die lex Johnsen
Aber es kam aus der Sicht Palmers noch besser: der Antrag von Linke, der eine Lex Johnsen vorbereitet hatte, wonach Johnsen sein Bischofsamt verlieren aber Pfarrer der Braunschweiger Landeskirche bleiben soll, erhielt nicht die erforderliche 2/3 Mehrheit und war damit abgelehnt. Die ablehnenden Stimmen kamen zum größten Teil von den Mitgliedern des Pfarrernotbundes. Damit entbrannte im Landeskirchentag erneut eine heftige Debatte, Palmer kritisierte die Eile, mit der der Rechtsausschuß eine erneute Vorlage erarbeiten wollte, und Wiesenfeldt berichtete aus dem Bischofsausschuß, der sich nicht darüber einigen konnte, ob man überhaupt einen Bischof wählen sollte, aber er nannte zwei Kandidaten für das Bischofsamt: Dr. Brandt und Hanns Lilje. Lilje hatte zur Bedingung gemacht, daß das Bischofsproblem „menschlich sauber gelöst“ sein müsse, und Brandt wäre nicht abgeneigt, wenn ein ernstes Angebot vorläge. Am Abend dieses Sitzungstages war die Bischofsfrage wieder völlig offen und lief keineswegs von selbst auf Martin Erdmann hinaus.


Der Antrag von Wiesenfeldt auf radikalen Neubeginn wird abgelehnt
Ein anderer Antrag von Pfr. Wiesenfeldt, sämtliche Berufungen vom 7. Juli 1933 an, Landesbischof, Oberkirchenräte und Pröpste betreffend, aufzuheben und die Mitglieder des Landeskirchenamtes neu zu wählen, war der Mehrheit des Landeskirchentages zu radikal. Er hätte vor allem die Oberlandeskirchenräte Röpke und Dr. Breust betroffen, auch die im Landeskirchentag sitzenden Pröpste Ernesti, Rauls, Strothmann, Lehmberg. Rauls stellte daher den Antrag, daß sich die Pröpste der Abstimmung enthalten sollten, was der Landeskirchentag mit 20:12 Stimmen ablehnte. Der Antrag Wiesenfeldt wurde mit 25:7 Stimmen abgelehnt. Für den Antrag stimmte geschlossen die Gruppe des Pfarrernotbundes: Herdieckerhoff, Padel, Palmer, Rohlfs, Schwarz, Vermeil, Wiesenfeldt. Dieses Abstimmungsergebnis war vorhersehbar, weil sich der Rechtsausschuß bereits gegen den Antrag ausgesprochen hatte. Das hohe Abstimmungsergebnis löste allerdings bei Wiesenfeldt eine große Enttäuschung aus.


Der zweite Anlauf zur lex Johnsen
Zum 4. Dezember wurde der Landeskirchentag erneut zusammengerufen, um über eine andere Vorlage für eine „lex Johnsen“ zu beraten. Tatsächlich handelte es sich um denselben Wortlaut, dem nur eine längere Einleitung vorangestellt worden war. Da es keine Geschäftsordnung gab, die die Vorlage ein und desselben Gesetzes sogar innerhalb eines Monates verbot, wurde die Debatte erneut eröffnet. Wiesenfeldt sprach sich scharf gegen die Vorlage aus. Die Ablehnung der lex Johnsen wäre ihm in der vorigen Sitzung wie ein Walten Gottes vorgekommen. Warum der Rechtsausschuß die Sache wieder aufgreife? Dieses Mal erreichte die Vorlage mit 26:6 Stimmen die erforderliche Mehrheit, denn Padel, der die Vorlage im November abgelehnt hatte, fehlte in der Sitzung.
Es war die letzte Sitzung Palmers im Landeskirchentag.


Palmer legt den stellvertretenden Vorsitz nieder – Nachfolger Alexander Rohlfs
Palmer legte im Januar 1947 den stellvertretenden Vorsitz des Pfarrernotbundes nieder. Er begründete dies in einem Rundbrief vom 28.1.1947. (NL 288) Zwar wären die gesteckten Ziele nicht in dem gewünschten Umfang erreicht worden, aber das wäre nicht sein entscheidender Grund. Vielmehr fehlte die räumliche Nähe und der unmittelbare Kontakt zu den Nachbarn und auch zur Kirchenleitung. Außerdem wären jetzt jüngere Kräfte an der Reihe. Sein Nachfolger wurde Alexander Rohlfs, der gerne Rudolf Brinckmeier als Vorsitzenden gesehen hätte, der sich aber zweimal energisch gesperrt hatte.
Alexander Rohlfs war 40 Jahre alt, 1934 hatte ihn OLKR Breust wegen seiner Zugehörigkeit zum Pfarrenotbund nicht in den Dienst der Landeskirche übernehmen wollen, was auf den geballten Protest des Pfarrernotbundes gestoßen war und von Bischof Johnsen zurückgenommen wurde. Seit 1934 verwaltete er die Gemeinde Kirchberg. Er war lange Soldat gewesen. Palmer hatte oft bei ihm Station gemacht und beide pflegten einen dichten dienstlichen Austausch. So lag es nahe, daß Rolfs nun der Nachfolger von Palmer in der Leitung des Pfarrernotbundes wurde und es sehr lange auch blieb.
Rohlfs übernahm den Pfarrernotbund in einer schwierigen Situation, denn über die Frage, ob Erdmann der geeignete Bischuf wäre, kam es unter den Notbundbrüdern zu starken Gegensätzen und Spannungen, die Rohlfs in einem Brief an Palmer vom 24.1.1947 schildert. Man hatte sogar an die Auflösung des Pfarrernotbundes gedacht „Aber wir sind übereingekommen, daß wir trotz aller Gegensätze, die z. Zt bei uns herrschen und nicht auszugleichen sind, doch zusammen- bleiben müssen, daß wir an uns selbst und an der Pfarrerschaft eine Aufgabe haben, die uns keiner abnehmen kann.“
Nach einem Vortrag von Prof. Trillhaas, Göttingen, vor der Vollversammlung am 23. Januar 1947 wurden diese Gegebnsätze behandelt. „Wir haben da auch ganz offen die Krise beleuchtet und die Brüder gefragt, ob wir trotz der Gegensätze und Mißerfolge zusammenbleiben sollen. Das Echo war erfreulich, ja sehr erfreulich. Fast alle – nur Buttler war etwas pessimistisch, aber doch nicht ablehnend – betonten, was ihnen der NB gewesen und wieviel Aufgaben wir auch jetzt hätten, auch wenn wir kirchenpolitisch zunächst nichts erreichten. Man möchte Bruderschaft, gemeinsames Ringen um die Fragen, die uns bewegen usw. Man ist sich auch klar, dass wir in vielem verläufig keine Einigung erzielen, aber doch zusammengehören. So herrschte diesmal eine gesunde brüderliche Offenheit, die wohltuend wirkte. Also bleiben wir.“ (iFb)

Am Tag vorher wurde der Bruderrat mit Burmester, Ulrich, Brinkmann, Damrow, Kammerer und Adolf Seebaß neu besetzt.


Brief Palmers an Erdmann
Palmer blieb in der Bischofsfrage die treibende Kraft. Am 3. Februar 1947 unternahm er einen erneuten Versuch und schrieb an Martin Erdmann folgenden Brief:

Lieber Br. E! Die mir mitgeteilte Tagesordnung f. d. L.Ki.Tg. veranlaßt mich, Dir die folgende Bitte auszusprechen, die Du – wie ich weiß – in derselben brüderl. Gesinnung aufnehmen wirst, in der sie ausgesprochen wird.
Du weißt, daß eine Anzahl von Abgeordneten (bestimmt weiß ich es von Padel, Schwarz, Herdieckerhoff, Rohlfs, Wiesenfeldt, Rauls) und darüber hinaus von Notbundbrüdern mit mir den dringenden Wunsch haben, D. Brandt auf den Bischofsstuhl zu berufen. Wir glauben, daß es vielleicht auf Jahrzehnte hinaus von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung unserer Br. Ki sein kann, wenn 1 Mann mit solchen Gaben und Erfahrungen an d. Spitze steht, wie Br. sie hat.
Deine Kandidatur ist nicht von uns proklamiert, sondern von denen, die sich um Strothmann, Ernesti, Jürgens gruppieren. Im Febr. d.J. haben diese Leute zwar vor versammelter Corona des L.K.Tages erklärt, sie seien ja auch für einen Mann wie Bruder Lilje, jetzt aber stehen sie nicht zu ihrem Wort; sie haben die Majorität, nutzen sie rücksichtslos aus u. werden Br. nicht wählen.
Der einzige Weg, auf dem wir zu dem von uns erwünschten Ziel kommen können, wäre der, daß Du selbst an B. herantrittst, u. ihn bittest, ihn dem L.Ki.T. vorschlagen zu dürfen. So viel ich weiß, müßte diese Bitte nicht aussichtslos sein und sie würde ein besonderes Gewicht erhalten, wenn sie von Dir ausginge. Natürlich würde sie einen Verzicht auf Deine Kandidatur bedeuten.
Ich bitte Dich in letzter Stunde herzlich, Dir meine Bitte noch einmal durch Kopf und Herz gehen zu lassen. Durch ihre Erfüllung würdet Du auch der für Dich peinlichen Situation entgehen, daß Du ohne die Stimmen Deiner Notbundbrüder gewählt würdest und es würde ein neues herzl. Vertrauensverhältnis zwischen uns allen wieder Platz greifen.
Mit dieser Bitte schließe ich m. Mitwirkung an dem neuen landeskirchl. Forum; daß sie nicht glücklicher und erfolgreicher war, bedeutet für mich eine Trübung der Erinnerungen an die Jahre 1945/46, aber ich möchte wenigstens das Bewußtsein ungetrübter brüderl. Gemeinschaft mit in die Zukunft nehmen.
Daß ich m. Mandat im L.K.T. niedergelegt habe, siehst Du aus anl. Schreiben.
Mit herzl. Gr. von Haus zu Haus Dein Palmer
(handschriftliche Abschrift iFb)
Es ist erstaunlich, daß Palmer diesen Brief nicht den von ihm geordneten Notbundakten beigelegt hat. Das kann seinen Grund darin haben, daß dieser Brief persönlich und nicht im Auftrag der Notbundbrüder an Erdmann gerichtet war. Palmer hat ihn aber auch nicht weggelegt, sondern er hat ihn mit anderen Briefsachen dem Familienarchiv anvertraut. Er wird hier zum ersten Mal veröffentlicht und dokumentiert das Ausmaß der Verunsicherung gegenüber der Wahl von M. Erdmann als Landesbischof. Es ist, wie Palmer selber schreibt, ein Versuch „in letzter Stunde“. Er dokumentiert noch einmal die persönliche Überzeugung Palmers, aber er ist kirchenpolitisch aussichtslos. Palmer deutet dies auch damit an, daß sein Vorschlag nicht die geringste Chance einer Mehrheit hat und Erdmann schon selber Brandt als Kandidat vorschlagen müßte. Das war, wie Palmer annehmen konnte, völlig zwecklos, denn Erdmann wollte Bischof werden.
Der Vorschlag Palmers war aber auch in Hinblick auf die Bereitschaft von D. Brandt illusionär.
Brinckmeier kannte Brandt gut aus der gemeinsamen Arbeit in Potsdam in der Reichsfrauenhilfe vor 1945. Nach 1945 war Brandt Dozent an der Kirchlichen Hochschule in Bethel geworden.
Rudolf Brinckmeier war bereits im Sommer 1946 zu Besuch bei Brandt in Bethel gewesen und hatte Palmer in einem Brief vom 14.8.1946 aus Othfresen geschrieben: „mit D. Brandt ganz ausgiebig die Bischofsfrage ventiliert. Er sagt also endgültig ab. Es hat nun auch keinen Zweck mehr, einen neuen Versuch zu unternehmen, um ihn zu drängen. Er ist jetzt fest entschlossen, nicht nach Wolfenbüttel zu gehen“.

Palmer wußte von der festen Absicht Brandts, nicht mehr in Wolfenbüttel als Bischofskandidat zur Verfügung zu stehen. Daher setzte er seine Hoffnung darauf, daß Brandt doch umzustimmen wäre, wenn Erdmann selber ihn als Kandidat vorschlagen und gleichzeitig auf eine Kandidatur verzichten würde, was die Unterstützer Erdmanns aus der kirchlichen Mitte in Verlegenheit gebracht hätte.
Aber dieses Manöver war mit Brandt nicht abgesprochen, daher wählte Palmer die vage Formulierung, daß eine solche Bitte Erdmanns „nicht aussichtslos sein würde.“
Erdmann war in der günstigen Lage, gar nichts mehr unternehmen zu müssen, um diesen Vorschlag zu unterlaufen und selber gewählt zu werden. Eine Antwort Erdmanns ist nicht bekannt, was in der Natur der kirchenpolitischen Logik der Sache lag.

Palmer stand indes nicht allein. Auch Rolfs wollte eine Wahl Erdmanns wenn irgend möglich verhindern und schrieb am 3. Februar 1947 an Palmer einen bewegenden Brief:
„Man meint, daß Brandt vielleicht doch noch zu gewinnen wäre. Erdmann machte uns neulich in einem Gespräch mit Herdieckerhoff und mir den Vorwurf, wir hätten uns nicht genügend um den großen Mann bemüht.. Hinterher ist mir klar geworden, daß in diesem Punkt er selbst die grösste Schuld hat. Wenn er von Anfang an sich darum bemüht hätte, sein Amt in Brandts Hände zu legen, wäre es vielleicht geglückt. Wenn er uns damals versprach, nur als Platzhalter das Amt zu übernehmen, so hat er dies Versprechen nicht gehalten, sondern ist schliesslich doch als Konkurrent aufgetreten. Ich habe mir vorgenommen, ihm das in diesen Tagen noch einnmal zu sagen und ihn zu fragen, ob er sich zutraut, für 10-20 Jahre unsere Landeskirche zu führen, wo ihm doch die Gabe, seine Pfarrer theol. zu schulen und in der Öfentlichkeit wegweisende Vorträge zu halten, fehlt. Wir können den Landeskirchentag nicht mehr bewegen, sich um Brandt oder einen andern zu bemühen, aber Erdmann könnte es und würde damit zu seinem Versprechen, nur Platzhalter ein zu wollen, stehen. Ich glaube, wir müssen ihn noch einmal darum bitten. Er warf uns vor, erst hätten wir ihn rausgestellt und nun entzögen wir ihm das Vertrauen. Aber wir hatten ihn ja nur als Platzhalter rausgestellt. Selbstverständlich sollte er bei Gefahr einer Kandidatur Leistikow die Stellung halten, aber doch auch dann nur als Platzhalter. Wenn er es aber nun ablehnt, sich jetzt selbst an Brandt zu wenden, sollen wir dann im Landeskirchentag noch gegen Erdmanns Wahl Stellung nehmen, dort öffentlich auf das hinweisen, was ihm fehlt? Das widerstrebt mir etwas. Er sagte mir schon mehrmals, wir hätten ihn in der Pfarrerschaft in Mißkredit gebracht. Aber andrerseits fühle ich mich verpflichtet, den Landeskirchentag zu warnen, so leichtfertig den höchsten Posten zu besetzen. Man hat Brandt nicht einmal hier sprechen lassen. und sich ihn angesehen. Ich glaube, das wird man dem Landeskirchentag doch klar sagen müssen. Wir stehen dann zwar wieder als die Stänker da, aber um des Gewissens willen kann ich nicht anders. Denn unsre Landeskirche tut mir leid, daß sie sich nicht um den rechtnen Mann bemüht...“
(iFb)
Beide Briefe haben sich gekreuzt. Der Brief von Rohlfs gibt noch einmal einen Rückblick auf die dramatische Auseinandersetzung um die Person Erdmanns, die bereits 12 Monate dauert.
Außer Palmer und Rohlfs wandte sich Reinhard Herdieckerhoff in einem zweiseitigen Schreiben vom 22. Februar 1947 an die Mitglieder des Kirchentages, ausdrücklich nicht im Auftrag einer kirchlichen Gruppe oder des Pfarrernotbundes, sondern als Mitglied des Landeskirchentages. Er zeichnete ein ungeschöntes Bild von der Unkirchlichkeit der Landeskirche: die Jugend wäre vom Nationalsozialismus gefährlich unkirchlich infiziert, die Flüchtlinge würden in den Sog der Unkirchlichkeit hineingerissen, es gäbe aber auch „neue Sehnsucht und neue Forderungen an die Kirchenleitung“. Angesicht dieser Situation hielt Herdieckerhoff „die Vertiefung christlicher Erkenntnis“ und die „gründlichere Zurüstung unseres Pfarrerstandes zum seelsorgelrichen Dienst“ für die zwei tragenden Forderungen. Die Person Brandts müsse „gerade in Bezug auf die beiden erwähnten Anforderungen durch seine Gaben und seinen Lebensweg als ein besonders Berufener erscheinen.“


Der Bruderrat unterstützt Palmers Vorschlag, Brandt zu wählen
Rohlfs trug die Lage dem Bruderrat vor, der am 24. Februar bei Rohlfs in Wolfenbüttel tagte. Ich gebe im folgenden den vollständigen Wortlaut des im Familienbesitz befindlichen Protokolls wieder, da er Hinweise auf die weiteren Aktivitäten Palmers enthält.

Protokoll der Bruderratssitzung am 24.2.1947 in Wolfenbüttel bei Rohlfs 10-15 Uhr
Anwesend: Obkr. Seebaß, Burmester, Wiesenfeldt, Brinckmeier, Dr. Brinkmann, Ulrich, Damrow, A. Seebaß, Rohlfs.
Es fehlten: Kr. Palmer und Kammerer, die beide geschrieben hatten. Durch Arbeit verhindert war Lkpr. Erdmann, der kommen wollte, aber tel. absagen mußte.
Nach der Morgenandacht besprachen wir:
Bischofsfrage. Alle anwesenden Brüder sind für Brandt. Rohlfs soll mit Bruder Erdmann sprechen, daß er sich für Brandt einsetzt, da er den nötigen Einfluß hat.
Br. Ulrich soll die Kasse übernehmen. Als Beitrag wollen wir 2 M monatlich erheben.
Ein Vortrag von Prof. v. Rad soll möglichst im April steigen. Lilje, Trillhas u.a. sollen im Sommer zu Vorträgen gebeten werden.
Für Studenten soll nach Ostern eine Tagung in Räbke sein, die Dr. Brinkmann leitet. Die Studenten sollen mit einem Laienspiel in mehreren Gemeinden evangelisieren.
Br. Wiesenfeldt berichtet über die Sitzung des Rechtsausschusses, wo der Entwurf für eine Wahlordnung besprochen wurde. Br. Wiesenfeldt ist über die Ablehnung, die er (bzw. wir) mit seinen Vorschlägen immer wieder erlebt, so erschüttert, daß er sich aus dem Landeskirchentag zurückziehen möchte. Er wird aber gebeten, das vorläufig noch nicht zu tun,.
Für unsere Frauen wollen wir vorläufig keine besonderen Veranstaltungen ansetzen, da die Schwierigkeiten zu groß sind. Frl. v. Hoerschelmann bemüht sich außerdem um unsre Frauen.
Der Volksmissionskreis soll neu erstehen. Wir schlagen dafür vor: Seebaß-Rautheim, Oelze-Cremlingen ?, Erdmann, Ulrich-Berel bei Lebenstedt, Lepsien-Watenstedt bei Jerxheim, Daniel-Schöppenstedt, D. Brinkmann-Frellstedt, Haferburg-Alversdorf, bei Schöningen, Jansen-Goslar, Payk-Lochtum bei Vienenburg, Wilgoss-Harlingerode bei Harzburg, Krupp-Jerstedt bei Goslar, Frühling- Lutter a.B., Peuker-Wolfshagen, Wurr-Herrhausen?, Wicke-Wolfenbüttel, Kammerer-Hohegeiss, Müller-Mahlum, bei Bockenem? Diese sollen gefragt werden. Es werden nicht alle Ja sagen, aber der Kreis darf auch nicht zu groß sein. Im Frühsommer soll in Räbke die erste Tagung sein, im Spätherbst der erste Einsatz.
Die evangelische Akademie Hermannsburg soll möglichst von uns beschickt werden. Wir wollen sehen, daß wir aus unseren Gemeinden Menschen dorthin senden können.
(iFb)

Es ist erstaunlich, daß alle Mitglieder des Bruderrates in der Sitzung sich gegen Erdmann und für einen Kandidaten Brandt aussprechen. Möglicherweise waren sie auch durch den Brief Herdieckerhoffs ermutigt worden. Auf der Rückseite des Protokolls findet sich noch ein Schreiben von Rohlfs an Palmer vom 28.2.1947, das die zahlreichen Bemühungen um eine Alternative zu Erdmann beschreibt.

Wolfenbüttel den 28.2.1947
Lieber Bruder Palmer!
Du wartest sicher schon auf den Bericht. Umseitig in dürren Worten das Wichtigste. Daß du nicht kommen konntest, war mit klar. Vielen Dank für Deine Zeilen! Die Bischofsfrage hat uns sehr lange beschäftigt. Selbst Obkr. Seebaß sagte: Ja, wenn wir Brandt kriegen können, bin ich für Brandt. Ich habe nun gestern mit Erdmann gesprochen, aber leider vergeblich.. Ich habe ihm noch mal alles restlos klar gesagt. Aber er will sich nicht für Brandt einsetzen. Ich habe ihm gesagt, daß das seine größte Aufgabe sei, uns zu dem rechten Mann zu verhelfen und daß der Landeskirchentag auf ihn wohl hören würde. Er wäre bereit, gern seinen Platz Brandt zu übergeben, aber für Brandt werben, das könne er nicht. Es ist schrecklich, daß er da nicht mit uns einig ist. Aber wir können ja nicht mehr tun als ihn darum bitten. Ich habe vorgestern auch Linke aufgesucht und lange mit ihm gesprochen. Er ist aufgeschlossen für unsere Gründe. Aber er meint, man sei nun an Erdmann schon etwas gebunden. Wenn Erdmann sagte, daß er lieber Brandt haben möchte, als selbst Bischof zu werden, dann sei es ihm leichter, für Brandt zu stimmen. Ich habe das Erdmann auch gesagt. Gestern habe ich mit Ernesti gesprochen. Auch er verschließt sich unsern Gedanken nicht und ist nicht gegen Brandt. Daß Herdieckerhoff einen Brief an alle Abgeordneten geschrieben hat, ist Dir wohl bekannt. So ist also alles geschehen. Am 11.3. ist von Ernesti eine interne Vorbesprechung angesetzt. Aber meine Hoffnung ist klein. Ich werde natürlich noch alles versuchen.
An Prof. v. Rad habe ich geschrieben.
Willst Du nun die für den Volksmissionskreis vorgeschlagenen Brüder auffordern zur Mitarbeit?
Montag und Dienstag war dann auch der Bereler Kreis bei uns. War gut besucht und sehr schön. Tagt am 22./23. April wieder bei mir.
So, das wäre wohl erst mal das Wichtigste.
Mit herzlichen Grüßen v.H.z.H. Dein A. Rohlfs
(iFb)


Der letzte Versuch bei Lerche
Vor der internen Sitzung bemühte sich auch Palmer noch einmal. Nachdem Rohlfs mit Ernesti und Linke gesprochen hatte, schrieb Palmer am 6.3.1947 an Lerche: „Eben darum darf ich Sie herzlich und dringlich bitten, daß Sie Ihren ganzen Einfluß dafür geltend machen möchten, daß nicht Erdmann, sondern D. Brandt an die Spitze gerufen werde“. Erdmann sei bei aller Würdigung der gemeinsamen Arbeit als „Kirchenführer“ doch nicht geeignet. (iFb)

Aber bereits in der nächsten Sitzung des Landeskirchentages am 22. April 1947 wurde Erdmann mit 30:3 Stimmen zum Landesbischof gewählt. Der Antrag, der von Propst Ernesti vorgetragen wurde, war von keinem Mitglied der Bekennenden Kirche unterzeichnet. Die drei Gegenstimmen kamen von Rohlfs, Schwarz und Wiesenfeldt. Palmer hingegen bearbeitete an diesem schönen Vormittag seinen Garten. Auch für den Tag der groß angelegten Einführung Erdmanns als Landesbischof am 29. Mai in Wolfenbüttel hatte sich Palmer etwas anderes vorgenommen. Er fuhr mit seiner Frau nach Oldenburg
Trotz unterschiedlicher Beurteilung hielten Palmer und Erdmann persönliche Verbindung. Palmer übernachtete wiederholt bei der Familie Erdmann in Wolfenbüttel.


Ein neuer Anlauf für eine volksmissionarische Arbeitsgemeinschaft scheitert
In der Bruderratssitzung war als neues Projekt die Belebung der volksmissionarischen Arbeit angeregt, die Palmer bis in die Kriegsjahre geleitet hatte. Palmer verband mit den volksmissionarischen Wochen vor allem das prägende Erlebnis der Gemeinschaft mit anderen Pfarrern und zwar bei der Arbeit an der Bibel und in der praktischen Verkündigung. Immer wieder erwähnte Palmer das Gemeinschaftserlebnis.
Auch dieses Mal nahm er die Organisation in die Hand und schrieb die in der Bruderratssitzung genannten Namen der interessierten Brüder an. Aber das Echo war derart mager, daß dieses Vorhaben nicht zustande kam. Die wirtschaftliche, politische und geistliche Situation war in den Pfarrhäusern und in den Kirchengemeinden so gespannt, daß eine zusätzliche Arbeit als eine zu große Belastung empfunden worden war. Aber Palmer war ja keineswegs arbeitslos.

Palmer hatte am 25.2.1947 nach Wolfenbüttel seinen Antrag auf Versetzung in den Ruhestand geschrieben und die von Erdmann unterzeichnete Urkunde vom 26.3.1947 veranschaulicht noch einmal die groteske persönliche Situation. Für den Braunschweiger Ruheständler Palmer begann in Berka am 30. März die Karwoche, die am Sonntag Palmarum mit der Konfirmation eingeleitet wurde, Gründonnerstag, Karfreitag und Ostersonntag hielt Palmer die Gottesdienste, am Ostersonntag um 11 ½ Katechumenengottesdienst, 14 Uhr Kindergottesdienst 15 Uhr eine Taufe. Ein wahrhaft erfüllter, gesegneter „Ruhestand“.

Mit peinlicher Verspätung bemerkte auch der Landeskirchentag offiziell das Ausscheiden Palmers und neun Monate später schickte der Präsident des Landeskirchentages ein Dankesschreiben an den „verehrten Kirchenrat“. Man habe in der gestrigen Sitzung der Tätigkeit Palmers „besonders ehrend gedacht“ und danke „für alles das, was Sie in Ihrer langjährigen Tätigkeit für diese (Landeskirche) insbesondere in den schweren Jahren, in denen unsere Landeskirche stärksten Angriffen ausgesetzt war, geleistet haben. Ihr mannhaftes Eintreten für unsere Landeskirche wurde ganz besonders gewürdigt.“ (iFb) Wer die Tätigkeit Palmers in der Landeskirche gerade von 1945-1947 aus der Nähe erlebt hatte, wußte von der Unaufrichtigkeit, die hinter derlei üblichen kirchlichen Formalitäten steckte. Palmer erholte sich in der Gemeindearbeit in Berka.


50jähriges Ordinationsjubiläum und Legendenbildung
Drei Jahre später feierte Palmer in seiner Gemeinde Berka das seltene 50jährige Ordinationsjubliäum. Daß ein Pfarrer dann nicht längst im Ruhestand sondern noch in einer Kirchengemeinde tätig ist, ist eine außerordentliche Ausnahme. Palmer feierte im kleinen Kreis der Familie, aber auch Freunde und Bekannte aus dem Braunschweigischen waren gekommen. Reinhard Herdieckerhoff verfaßte zu diesem Anlaß eine Würdigung im Braunschweiger Volksblatt, die zugleich ein Mosaik zur Legendenbildung darstellte.

„Unvergessen sind besonders die Jahre, in denen Kirchenrat Palmer in Blankenburg Harz als Propst gewirkt hat,“ und von Helmstedt aus als „unermüdlicher Förderer der Volksmission.“
„Nach 1945 versagte er sich auch nicht dem Ruf, bei dem Neuaufbau der Braunschweigischen Landeskirche mitzuwirken, obwohl er damals nicht mehr braunschweigischer Pfarrer war, sondern inzwischen nach Berka bei Northeim umgesiedelt war. Als interimistischer Vorsitzender der Kirchenregierung hat er entscheidende Schritte zur Einberufung eines neuen Landeskirchentages getan.... An seinem Jubiläumstag ist darum viel gutes Gedenken nach Berka gewandert, wo Kirchenrat Palmer immer noch rüstig amtiert.“

Diese Zeitungsnotiz im Braunschweiger Volksblatt vom 4.6.50 ist ein kleines Mosaik einer ausgedehnten Legendenbildung über die Nachkriegszeit. Palmer hatte sich gerade den Neuaufbau ganz anders gedacht. Er hatte als einziger gegen die neue Kirchenregierung gestimmt, die Kandidatur für den Präsidenten dieses LKT abgelehnt und bis 1947 immer wieder gegen Erdmann als Landesbischof votiert und agitiert. Palmer wurde für eine Entwicklung in Anspruch genommen, die er gerade verhindern wollte.



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