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[Kirche von unten]

Ottmar Palmer 1873 - 1964

Versuch einer Annäherung und Deutung

3. Kapitel


Palmer als Kirchenreformer


Als junger Pfarrer von 35 Jahren kam Palmer 1908 an die große Hauptkirche von Wolfenbüttel, St. Marien, und seine Tätigkeit verdient es, unter dem Stichwort „Kirchenreform“ gewürdigt zu werden. Palmer selber verwendet dieses Wort nicht, aber er berichtet davon. Auf vier Gebieten wurde die kirchenreformerische Tätigkeit Palmers sichtbar: beim Kindergottesdienst, dem Gemeindebrief, der Bibelstunde und dem Gemeindehausbau.


Der Kindergottesdienst
Der Kindergottesdienst war zunächst eine städtische Einrichtung. Am Braunschweiger Dom, an der Magnikirche, an Katharinen, Ulrici und Andreas fanden sich seit 1880 je zwischen 200 und 500 Kinder zum Kindergottesdienst ein. Auch in den kleineren Städten, im Kloster Marienberg, Helmstedt, an St. Lorenz in Schöningen, in Blankenburg waren Kindergottesdienste eingerichtet worden. In den ländlichen Kirchengemeinden dagegen gab es als pastorale Katechese die Kinderlehre, die jedoch an die Schule und den Konfirmandenunterricht angebunden war. Der Kindergottesdienst dagegen zielte auf eine erbauliche Unterweisung hin. Dazu waren u.a. 1902 von E. v. Koetsveld zwei Bände Kinderpredigten erschienen.


Kindergottesdienst in Wolfenbüttel
In Wolfenbüttel waren seit 1898 vom Vorgänger Palmers, Pfarrer Franz Eißfeldt, Kinder zum Gottesdienst gesammelt worden und unter dem jungen Pastor Palmer erlebte der Kindergottesdienst einen erheblichen Aufschwung. Palmer verstand die Einrichtung des Kindergottesdienstes als volksmissionarischen Impuls und fand ein riesiges Echo. In Wolfenbüttel sammelten sich sonntäglich bis zu 600 bis 700 Kinder. „Es gibt auch in unserer Stadt noch Vorurteile gegen Kindergottesdienste und manche mögen aus diesem Grunde ihre Kinder fernhalten. Möchten einmal die Zweifler und Gegner sehen, mit welcher Freude die große Kinderschar sonntäglich zusammenströmt,“ schrieb er 1911 im Gemeindebrief. Zu einer Art Familiengottesdienst sammelten sich Kindergottesdienstkinder mit ihren Eltern am Abend des 1. Advent 1910 in der Hauptkirche. „700 Adventszweige hatten die fleißigen Hände unserer 39 Helfer und Helferinnen geschmückt und 625 Weihnachtskalender wurden verteilt.“ Bereits drei Tage später versammelten sich 500 Kinder zu einem Missionsbilderabend im Saal des Gasthauses „Zum Löwen“, den Domprediger v. Schwartz hielt. In der Kirchenchronik vermerkte Superintendent Beste für das Jahr 1912: „Am Kindergottesdienst haben 350-400 Kinder in 30-35 Gruppen teilgenommen.“

Als Kindergottesdiensthelfer standen Palmer Schüler und Schülerinnen der Oberschulen und aus dem Kreis der Konfirmierten zur Seite. So blühte auch eine zielgerichtete Jugendarbeit an der Kirchengemeinde auf. Die Eltern der Kindergottesdienstkinder wurden zu Elternabenden eingeladen und über Sinn und Inhalte des Kindergottesdienstes informiert. Sie dienten auch der Entstehung und Festigung einer häuslichen Frömmigkeit. Im Sommer wurden Ausflüge mit den Kindern veranstaltet. Durch den 1. Weltkrieg sank die Zahl der Kinder erheblich.


Kindergottesdienst in Blankenburg
Auch in Blankenburg fand Palmer bereits die Einrichtung eines Kindergottesdienstes vor, und setzte seine Kinder-, Jugend- und Elternarbeit fort. Dabei wurden die Zahlen aus der Vorkriegszeit nicht wieder erreicht. Palmer berichtete in der Dezembernummer der „Bergkirche“ 1919 unter der Überschrift „Unser Kindergottesdienst“ anläßlich des 35jährigen Helferinjubiläums von Frl. Mathilde und Luise Dübner aus den Anfängen des Kindergottesdienstes in Blankenburg. Er war um 1884 von Konsistorialrat Nölting eingerichtet und in der Turnhalle der Bürgerschule, später in der Bartholomäuskirche und dann im Georgenhof abgehalten worden. An anderer Stelle berichtete Palmer, der Kindergottesdienst wäre von seinem Vorgänger Eugen Schlüter, der ab 1891 in Blankenburg amtierte, eingerichtet worden, und von 400 Kindern besucht worden. Durch die Kriegsverhältnisse war die Besucherzahl sehr zurückgegangen. Palmer beklagt sich 1919 über die geringe Zahl von 200 Kindern um die Weihnachtszeit, die sich während des Jahres um die Hälfte reduzierte. Palmer sah den Grund dazu „vor allem – neben der Unbeständigkeit der Kinder – in der völligen Gleichgültigkeit der Eltern; je kirchlicher eine Gemeinde ist, desto mehr blüht selbstverständlich auch ihr Kindergottesdienst. Bei uns aber sind sehr weite Kreise der Stadt in völligen Kirchentod versunken.“ Palmer nannte für das Jahr 1919 zehn Kindergottesdienst-helferinnen und für das Jahr 1927 folgende Zahlen: „Der Kindergottesdienst wird sonntäglich von 100-150 Kindern besucht.“ Es sind aus heutiger Sicht immer noch imponierende Zahlen, die Palmer nennen konnte.

Die Kindergottesdiensttätigkeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist ein in der Kirchengeschichte wenig beachteter Zweig des ansonsten als trübe dargestellten kirchlichen Lebens.

Der Gemeindebrief
Kirchliche Presse um 1900 in der Landeskirche
In der Landeskirche herrschte zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine vielfältige kirchliche Pressetätigkeit. Seit 1866 gab der Verein für Innere Mission das wöchentlich erscheinende „Braunschweiger Volksblatt“ heraus, sogar mit Sonderausgaben für einzelne Kirchenkreise. Verantwortlicher Herausgeber war der jeweilige Pfarrer der Inneren Mission. Pfarrer des Evangelischen Vereins war 1897-1905 Pfarrer Robert Knopf, der auch nach seinem Fortgang in die Gemeinde Bevern von dort aus das „Braunschweiger Volksblatt“ herausgab. Auf acht großen Seiten wurden Predigten und Andachten zur Kirchenjahreszeit, erbauliche Erzählungen und ausgiebige Nachrichten aus dem politischen und landeskirchlichen Geschehen geboten. Geschäftsannoncen, Ankündigung von kirchlichen Veranstaltungen, Bücherhinweise füllten die letzte Seite. Beim Evangelischen Verein liefen die zahlreichen Nachrichten aus der Landeskirche zusammen. 1914 wurden folgende Volksblätter ausgegeben: Sonderausgabe Harz 1030 Stück, der Inspektion Campen 1022, der Inspektion Vorsfelde und Calvörde 1048, des Weserkreises 1728, der Parochie Lutter a. B. 603; die Hauptausgabe 3611; Gesamtausgabe 9042 Exemplare. Es wirkt aus heutiger Sicht erstaunlich, unter welchen schlichten Verhältnissen ein landeskirchliches Wochenblatt erscheinen konnte, das an detaillierter Information die heutige kirchliche Presse weit in den Schatten stellt.

Außerdem erschien für die Kirchengemeinden der Stadt Braunschweig seit 1897 das wöchentlich herausgegebene „Braunschweiger Sonntagsblatt – Kirchliche Zeitung für die evangelischen Gemeinden“, kleiner im Format als das Braunschweiger Volksblatt, mit Predigten, Andachten, Erbaulichem, Kommentaren zum Zeitgeschehen, Gottesdienstplan und Geschäftsannoncen, im Aufbau ähnlich wie das „Braunschweiger Volksblatt“, aber lokalbezogener und daher für christliche Leser und Leserinnen in der Stadt Braunschweig auch neben dem landeskirchlichen Wochenblatt interessant. Es wurde „im Auftrage der evangelischen Stadtgeistlichkeit herausgegeben“; viele Jahre lang von Pastor Richard Gerlich (Johanniskirche), danach von Emil Schomburg (Magnikirche).


Die Presse der kirchlichen Gruppen
Neben diesen beiden kirchlichen Blättern gaben die kirchlichen Gruppen ihre profilierten Gruppenorgane heraus, die Lutheraner, auch die Positiven genannt, die „Evangelisch-lutherische(n) Monatsblätter für Kirche, Schule und innere Mission“. Sie waren 1880 von Pfarrer Albert Schwartz, Gr. Winnigstedt, begründet worden, später als Ev. Luth. Wochenblätter lange Zeit von Pfarrer Werner Kirchberg aus Uthmöden herausgegeben worden. Sie hatten meist acht Seiten, mit einem geistlichen Wort als Aufmacher, vor allem aber mit kirchenpolitisch und theologisch kontroversen Artikeln, in denen sie sich mit den liberalen Positionen auseinandersetzten.

Die Liberalen, die in der Landessynode lange Zeit die Mehrheit bildeten und den „kirchlichen Zeitgeist“ in Stadt und Land Braunschweig prägten, warben für ihre Ideen und Positionen mit der seit 1884 wöchentlich erscheinenden Zeitung „Evangelisches Gemeindeblatt für das Herzogtum Braunschweig.“ Aufmacher waren auf Seite eins kontroverse theologische Zeitthemen, der erbauliche Teil beschränkte sich auf poetische Texte. Aus liberaler Sicht wurde eine „Kirchliche Rundschau“ geboten, sowie Nachrichten aus dem Herzogtum, Büchertisch und Annoncen. Herausgeber war Pfr. Theodor v. Hanffstengel, der aus Bremen gekommen war und seit 1872 die Kirchengemeinde zunächst in Schladen, dann in Werlaburgdorf und seit 1887 in Börßum verwaltete, wo er 1896 emeritierte, aber das „Evangelische Gemeindeblatt“ weiter herausgab.


Die ersten Gemeindebriefe
Angesichts dieser reichhaltigen, theologisch wie kirchenpolitisch unterschiedlichen Presselandschaft ist es erstaunlich, daß der 44jährige Pfarrer Robert Knopf, der seit 1905 in der Kirchengemeinde Bevern amtierte, bereits 1906 ein eigenes Gemeindeblatt herausgab und Erfolg hatte. Die Anzahl der Leser betrug 473, darunter 77 auswärtige. Knopf verkaufte das Blatt und behielt am Jahresende noch einen kleinen Überschuß übrig. Knopf hatte allerdings bereits Routine. Er war zuvor seit 1897 acht Jahre lang Pfarrer im Evangelischen Verein gewesen und hatte die Herausgabe des „Braunschweiger Volksblattes“ besorgt.


Gemeindeblatt in Wolfenbüttel
Wenig später erschienen unabhängig voneinander zwei Gemeindeblätter: im November 1910 ein Gemeindeblatt für St. Jakobi in Braunschweig, vom dortigen Gemeindepfarrer Dr. Henry Beck herausgegeben, und zum 1. Januar 1911 ein „Gemeindeblatt für die Hauptkirche B.M.V. zu Wolfenbüttel“, von Palmer herausgegeben. Beide Blätter hatten in den weiteren Jahrzehnten Bestand und sind eine ergiebige Quelle für die Kirchengeschichte.

Das Wolfenbüttler Gemeindeblatt bildete in der Aufmachung eine Zeichnung der Hauptkirche ab und brachte auf Seite eins eine Andacht und im Folgenden überwiegend Nachrichten und Berichte aus der Gemeinde, aus dem kirchlichen Vereinsleben: Amtshandlungen, Kollekten und Sammlungen sowie Planungen für die nächsten Vorhaben, vor allem für die Errichtung eines Gemeindehauses, außerdem historische Rückblicke. Diese enge Begrenzung auf die eigene Hauptkirchengemeinde war klug, weil damit jede Konkurrenz zu den bestehenden kirchlichen Blättern vermieden wurde. Als Absicht des Gemeindeblattes nannte Palmer in der ersten Nummer die Bildung „eine(r) Schar bewußter, lebendiger evangelischer Christen. Es (das Gemeindeblatt) will uns zum Bewußtsein bringen, daß wir eine Gemeinde bilden und mehr miteinander gemeinsam haben, als den Wohnsitz in demselben Stadtteil.“


Die Entdeckung der Gemeinde
Mit dem Begriff „Gemeinde“ nahm Palmer den klassischen Reformbegriff seiner Zeit auf. Am 5. und 6. April 1910 hatte in Braunschweig die erste Konferenz für evangelische Gemeindearbeit im großen Saal des Wilhelmsgarten mit Teilnehmern aus zahlreichen anderen Landeskirchen und sogar aus dem Ausland stattgefunden. Der Pfarrer von St. Katharinen in Braunschweig, August Stock, war der eigentliche Organisator, begrüßte einleitend den 78jährigen Pfarrer Sulze aus Dresden, der mit seinem Buch „Die evangelische Gemeinde“ 1891 den Anstoß für ein völlig neues Gemeindeverständnis gegeben hatte. Darin warb Sulze für die Auflösung der durch die Bevölkerungsexplosion riesig angewachsenen Kirchengemeinden in kleinere Gemeindeeinheiten, die Einteilung der Kirchengemeinde in Seelsorgebezirke, für die der jeweilige Pfarrer selbständig verantwortlich sein sollte und für eine starke Gemeindediakonie.

Eines der Hauptreferate in Braunschweig hatte Prof. Schian aus Gießen gehalten, der mit seinem Buch „Die evangelische Kirchengemeinde“ 1907 die Sulzeschen Ansätze wieder in Erinnerung gerufen hatte. Das Thema seines Vortrages in Braunschweig hieß „Gemeindereform – die Voraussetzung der Kirchenreform“. Gemeindereform bedeutete für ihn „die Schaffung wirklicher Gemeinden mit lebendigem Gemeindebewußtsein“, und „mit kraftvoller Gemeindetätigkeit“. „Kirchenreform wird nur möglich sein, wenn wir wirkliche Gemeinden mit frischer Selbständigkeit bekommen“. Dieses Kirchenverständnis wurde insbesondere von liberalen und orthodoxen Theologen bestritten. Die orthodoxen Theologen hielten Schian ein Amtsverständnis entgegen, wonach ein Pfarrer nur zur Verkündigung von Wort und Sakrament berufen wäre. Für den liberalen Theologen war das einzelne Gemeindemitglied Objekt der Seelsorge mit dem Ziel der Heranbildung einer reifen christlichen Individualität. Die Konferenz für evangelische Gemeindearbeit fand ein ausführliches Echo in der Tagespresse und endete mit einem von 500 Personen besuchten Männerabend, auf dem u.a. der charismatische Pfarrer Charles Wagner aus Paris einen beeindruckenden Vortrag zum Thema „Welche Verantwortung lädt die Männerwelt der Gegenwart durch ihre kirchliche Gleichgültigkeit auf sich?“ Im Anschluß erhob sich die Versammlung und sang die erste und vierte Strophe von „Ein feste Burg“.

Palmer kommt auf diese Konferenz in seinen Erinnerungen kurz zu sprechen und ich nehme an, daß er die Konferenz besucht hat. In der ersten Nummer des Gemeindeblattes wirbt Palmer nachdrücklich für die Bildung eines Gemeindebewußtseins und für die Mitverantwortung der Gemeindemitglieder für die Kirchengemeinde. Seine Wunschvorstellung mit dem Gemeindeblatt war, es möge „ein neues Band sein zwischen den Geistlichen und den Gemeindegliedern, eine Stelle gegenseitiger Aussprache, wo Wünsche und Bitten geäußert, wo gemeinsame Angelegenheiten besprochen werden, ungezwungener und ausführlicher, als es auf der Kanzel geschehen kann.“ Das Gemeindeblatt wurde ein wichtiger Schritt von dem bisher isolierten gottesdienstlichen Leben in den kirchlichen Alltag und ein wichtiges Informationsblatt über die Vorgänge und Veranstaltungen in der Kirchengemeinde.

Palmer plante ursprünglich ein Vierteljahresblatt, aber es erschienen in der Regel sechs Blätter pro Jahr. Es wurde nicht kostenlos verteilt, sondern für 5 Pf. verkauft, zunächst in den Pfarrhäusern, dann auch in den Buchhandlungen. Nach einer hohen Einführungsauflage von 1.200 Stück wurden zum Jahresende 1911 schon über 500 Abonnenten gewonnen. Das Blatt wurde von Helferinnen in die Häuser gebracht und wuchs bald auf 800 Exemplare. Im Weltkrieg wurde zahlreiche Exemplare zusätzlich an die Soldaten an der Front verschickt.


Das Gemeindeblatt in Blankenburg „Die Bergkirche“
Als Palmer Superintendent in Blankenburg wurde, gab er bereits ein Jahr später im Oktober 1917 als Gemeindeblatt „Die Bergkirche“ heraus, ein achtseitiges Gemeindeblatt im DIN A5 Format. In seinen Erinnerungen schreibt Palmer irrtümlicherweise 1919. Es war ein Blatt „für die Kirchengemeinden in Blankenburg“, damals also bereits gemeindeübergreifend. Alle Blankenburger Pfarrer beteiligten sich mit Beiträgen. Als Deckblatt diente eine Zeichnung mit dem Blick vom Markt hinauf auf die Bartholomäuskirche und dahinter das Welfenschloß.

Die „Bergkirche“ wolle, so Palmer in der ersten Nummer, eine Verbindung zwischen den Pfarrhäusern und den Gemeindemitgliedern schaffen, eine Kanzel sein, auf der ausführlicher und ungezwungener Dinge besprochen werden können, als es die Kanzel in der Kirche erlaube. Palmer verfolgte einen volksmissionarischen Zweck. „Wieviel dunkle Flecken starren uns entgegen am Gewand der Gemeinde! Ist sie überhaupt eine Gemeinde?... Auch die Glut des Krieges und seiner tausendfachen Not hat, soweit Menschen sehen, noch nicht viel geistlich Erstorbenes umgeschmolzen zu neuem Leben zu Gott. Um so mehr heißt es arbeiten.“

Die Herausgabe war nicht risikolos, denn in Kriegszeiten war das Geld knapp und die materielle Not beträchtlich. Das Blatt wurde von einem Helferinnenkreis für 15 Pfennig in den Häusern verkauft. Die erste Nummer fand 400 Abnehmer. Es enthielt regelmäßig pfarramtliche Nachrichten aus beiden Gemeinden, geistliche und erbauliche Beiträge sowie aktuelle zur kirchlichen Lage („Aus Heimat und Gemeinde“). Auch nach dem Weggang von Palmer 1934 wurde das Blatt vor allem durch Pfr. Lachmund von der Lutherkirche bis 1941 weiter am Leben erhalten. Es wurde kein Blatt der Bekennenden Kirche in Blankenburg, sondern vereinte regelmäßig DC-Pfarrer und solche des Pfarrernotbundes in jeweils einer Ausgabe. Im Archiv der Blankenburger Bartholomäusgemeinde befindet sich noch eine vollständige Ausgabe. 1917 gab es in der Landeskirche demnach drei regelmäßig erscheinende Gemeindebriefe: von St. Jakobi, von der Wolfenbüttler Hauptkirche und nun von Blankenburg.

Das Gemeindehaus
Der Dresdener Gemeindepfarrer Emil Sulze hatte bereits zehn Jahre vor seinem bedeutenden Buch „Die evangelische Gemeinde“ aus dem Jahre 1891 in der Protestantischen Kirchenzeitung einige Artikel über den evangelischen Kirchbau veröffentlicht und darin die Abkehr von großen neuromanisch- oder neugotischen Pfarrkirchen und statt dessen den Bau von Gemeindehäusern gefordert. Die Taufe sollte in den Gemeindegottesdienst verlegt werden und Trauungen und Beerdigungen stärker in das gottesdienstliche Leben der Gemeinde einbezogen werden. Diese Ideen fielen beim Katharinenpfarrer August Skerl auf fruchtbaren Boden und er lud Sulze nach Braunschweig zu Vorträgen ein.


Gemeindehaus St. Katharinen 1905
Unter dem Nachfolger Skerls, August Stock, wurde 1905 das erste Gemeindehaus in der Landeskirche eingeweiht. Es war ausschließlich durch Spenden der Gemeindemitglieder finanziert worden. Im Gemeindehaus waren Konfirmandenräume, Schwesternwohnungen, Sitzungsräume und ein großer Gemeindesaal untergebracht worden. Das Gemeindehaus wurde von der 1885 gegründeten Gemeindepflegestiftung verwaltet. An der Einweihungsfeier 1905 nahm auch der bereits im Ruhestand befindliche Pfr. Sulze teil.

Als 1911 die Jakobikirche in Braunschweig eingeweiht wurde, waren ein Gemeindesaal und Konfirmandenräume von vorneherein in der Bauplanung vorgesehen. Am Reformationstag desselben Jahres wurde das Gemeindehaus der Gemeindepflegestiftung der Magnikirchengemeinde eingeweiht.


Gemeindehaus in Wolfenbüttel 1915
In Wolfenbüttel warb Palmer von Anfang an für den Bau eines Gemeindehauses. Das Projekt war durchaus umstritten, denn andere Baumaßnahmen an der ständig reparaturbedürftigen Hauptkirche mußten dadurch zurückgestellt werden. Auch war das klassische Bild eines Pfarrers, der vor allem in der Kirche zu predigen und die Sakramente auszuteilen hatte, in Gefahr. Es spricht für die solide Planung, daß selbst in Kriegszeiten der Bau fertiggestellt wurde. In einer Doppelnummer des Gemeindeblattes Februar 1915 beschrieb Palmer den Festgottesdienst, die Weiherede von Propst Beste in der anschließenden Festversammlung und den Gemeindeabend. Palmer griff in seiner Predigt das in der Gemeindekonferenz 1910 diskutierte Leitbild von der Gemeinde auf. Das Gemeindehaus diene der Bildung eines Gemeindekerns und der Pflege der Gemeinschaft. „Du sollst zusammenführen, versöhnen, gegenseitig sich kennen und verstehen lernen, was so oft durch die Verschiedenheit der Bildung, des Besitzes, des Berufes auseinanderfällt.. Wie wohltuend, wenn sie sich alle im Gemeindehaus zusammenfinden.“ Es möge eine „Quelle werden, aus der Ströme von Liebe hinausfließen in die große Gemeinde. Alle Hilfsbereitschaft und Hilfeleistung freiwilliger Kräfte soll von ihm aus hineingeleitet werden in die mannigfachen Nöte der Armen, Kranken, Einsamen, Bekümmerten.“

Das Gemeindehaus wurde zum Zentrum der bestehenden und neuer Gemeindeaktivitäten. Aber für Palmer erfüllten sich nicht alle mit dem Bau verbundenen Wünsche. In seiner Abschiedspredigt am 17. September 1916 kam er auch auf die Enttäuschungen zu sprechen. „...wofür wir arbeiten und wofür auch ich zu arbeiten versucht habe, daß es eine G e m e i n d e werde, ein Herz und eine Seele, eine wirkliche Gemeinschaft des Glaubens und der Liebe, da ein Glied das andre kennt und trägt und stützt und hält. Darf ich’s noch mal sagen: wir sind vom wahren Gemeinde-Ideal noch weit entfernt... Die Zurückhaltung so vieler, vom Leben der Gemeinde hier in der Kirche und drüben im Gemeindehaus, gehört zu den schmerzlichsten Erinnerungen, die ich mitnehme, und daß z.B. in zwei Kriegswintern, als drüben im Gemeindehause bedeutende Männer, zum Teil aus der Ferne gekommen, unser Herz in vaterländischer und christlicher Rede stärken und erheben wollten, daß sich da ein so großer Teil unsrer Männerwelt und besonders derjenigen, die man die gebildete zu nennen pflegt, fernhielt, bleibt eine arge Enttäuschung.“


Gemeindehaus in Blankenburg 1931
Auch in Blankenburg fehlte es dringend an kircheneigenen Räumen für Gemeindeveranstaltungen, Konfirmandenunterricht und Sitzungen. Palmer nahm sich auch an der neuen Wirkungsstätte dieses Projekt vor und veranstaltete seit 1925 Sammlungen zum Kauf eines Grundstückes und zum Bau eines Gemeindehauses, das im November 1931 in der Lühnergasse von Landesbischof D. Bernewitz eingeweiht wurde. In der oberen Etage des Gemeindehauses war die Wohnung des Stadtpredigers untergebracht. Es gab in der Landeskirche keinen Pfarrer wieder, auf den die Gründung von zwei Gemeindebriefen und zwei Gemeindehäusern zurückgegangen wäre. Das Gemeindehaus in der Lühnergasse wurde in den späteren Jahrzehnten zum Zentrum des kirchlichen Lebens in Blankenburg, besonders zu Zeiten der DDR. Es ist erst 2005 zu Gunsten des Ausbaus des Georgenhofes als Gemeindezentrum aufgegeben worden.


Die Bibelstunde
In das Konzept des Gemeindeaufbaus gehörte schließlich für Palmer auch die Einrichtung einer Bibelstunde. Am 20. April 1910 wurde im Saal der Herberge zur Heimat abends um 8½ Uhr erstmals eine Bibelstunde angeboten. Die beiden Pfarrer wechselten sich im wöchentlichen Rhythmus ab. Beste vermerkte über das Ziel dieser Bibelstunden: „Anfragen an die Texte oder sich gegenseitig über die religiösen Erfahrungen aussprechen.“ Die Bibelstunde war also nicht als „Ergänzung“ zur Predigt gedacht, sondern hier sollte im Gegensatz zur Predigt die Gemeinde zu Worte kommen. Das bedeutete eine erhebliche Veränderung des Pfarrerbildes. Der Pfarrherr belehrte nicht von der Kanzelhöhe die Gemeinde, sondern befand sich nun auf Augenhöhe, auf einer Ebene mit der Gemeinde. Diese kam mit ihren religiösen Erfahrungen zu Worte. Aus ihrem geistlichen Erfahrungsschatz stellte sie Fragen, vermutlich auch kritische Anfragen an das Bibelwort. „Bibelstunde mit Bibelbesprechung“ schrieb Superintendent Beste und stellte damit klar, daß die Mitte der Bibelstunde die Auslegung eines Bibeltextes war. Aber nun wurde die Glaubenserfahrung der Gemeinde ernst genommen und konnte sich an dem Verständnis eines Bibelabschnittes weiterhin vertiefen und klären.

Gemeindeblatt, Gemeindehaus, Bibelstunde, Kindergottesdienst gehören zu den wichtigen Pfeilern eines neuen Gemeindeverständnisses und Gemeindebewußtseins, das Palmer wichtig war.



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