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[Kirche von unten]

Ottmar Palmer 1873 - 1964

Versuch einer Annäherung und Deutung

8. Kapitel


Das Altonaer Bekenntnis vom Januar 1933 in der „Bergkirche“


In der Märznummer der „Bergkirche“ des Jahres 1933 verzichteten die Herausgeber auf die übliche Spalte „Pfarramtliche Nachrichten“ mit den Namen der Getauften, Getrauten und Verstorbenen in beiden Kirchengemeinden, auch auf die beliebte Chronik „Aus Heimat und Gemeinden“ und druckten auf sechs Seiten ausschließlich das sog. Altonaer Bekenntnis ab. „Langsam und nachdenklich lesen“ mahnte Palmer. Alle drei Pfarrer, Palmer, Kellner und Lachmund machten sich dieses Bekenntnis förmlich zu eigen: „Dies ist auch unser Meinung und unser Bekenntnis in der Verwirrung der Zeit“, schrieben sie feierlich und entschuldigten sich, daß der Abdruck die ganze Nummer in Anspruch nahm. „Aber es erschien uns so wichtig, dies „Bekenntnis“ in der Zeit der Verwirrung ganz und ungeteilt den Gemeinden zu unterbreiten“. Palmer leitete mit einer knappen historischen Entstehungsgeschichte ein.


Die Vorgeschichte
Am 17. Juli 1932 waren 7.000 SA-Leute durch Altona und provokativ auch durch ein Arbeiterviertel marschiert. Es war zu einer Schießerei mit 12 Toten und 60 Verletzten gekommen. Unter den 12 Toten war ein SA-Mann, die anderen waren meist unbeteiligte Zivilisten. Dieser „Altonaer Blutsonntag“ ging durch die gesamte Reichspresse. Am Donnerstag, dem 21. Juli, hielten die Pfarrer in allen Kirchen Altonas Buß- und Notgottesdienste ab. Der Pfarrer der Hauptkirche, der 34jährige Hans Asmussen, erhielt von Propst Sieveking den Auftrag, eine „Klärung der Stellung der Kirche gegenüber den politischen Parteien“ zu formulieren. Es bildete sich eine Arbeitsgruppe, mehrere Entwürfe machten bei den Pfarrern die Runde, auch das Landeskirchenamt beteiligte sich an der Abfassung des Textes und billigte schließlich die Endfassung, die von 21 Pfarrern unterzeichnet wurde, als „Das Wort und Bekenntnis der Altonaer Pastoren in der Not und Verwirrung des öffentlichen Lebens“.

Es war etwas völlig Neues, daß aktive Pfarrer sich zum aktuellen Tagesgeschehen äußerten. Sie griffen die aktuellen Themen Arbeitslosigkeit, Straßenkampf, Arbeit als Ware, Zerrüttung der Wirtschaft, Mißbrauch der Feiertage zu gesteigerter wirtschaftlicher Betriebsamkeit auf und stellten sie in einen theologischen Zusammenhang. Sie reagierten nicht politisch sondern theologisch.
Otto Dibelius stellte in einer Besprechung im „Der Tag“ zu Recht fest, sie hätten das Lehramt der Kirche in Anspruch genommen. Man wolle nicht hören, was dieser oder jener Pfarrer, sondern was „die Kirche“ klärend und befestigend in einer verworrenen Zeit zu sagen habe. Am Sonntag dem 11. Januar 1933 wurde dieses Bekenntnis vor einer unübersehbar großen Gemeinde in der Hauptkirche vom Propst verlesen. Die Wirkung war unerhört. Es wurden 230.000 Exemplare gedruckt und der Text von allen großen Tageszeitungen in der Reichshauptstadt, in Frankfurt und München und natürlich in Hamburg ausführlich kommentiert. Die Lübecker Landeskirche machte sich die Erklärung zu eigen, die Niederdeutsche Kirchenzeitung für die lutherischen Kirchengemeinden Niedersachsens druckte es in der Februarausgabe vollständig ab und veröffentlichte eine Presseauswahl. Die Hannoversche jungreformatorische Konferenz, die 100 Mitglieder umfaßte, begrüßte das Bekenntnis.

In der Braunschweiger Landeskirche wurde das Altonaer Bekenntnis vollständig in der Februarnummer von „Ruf und Rüstung“ unter der Überschrift „Die Kirche spricht“ mit einem redaktionellen Hinweis auf die Entstehungsgeschichte abgedruckt.
Das Braunschweiger Volksblatt hingegen veröffentlichte erst zwei Monate später eine 2o Zeilen- Notiz und verwies auf den vollständigen Text in „Ruf und Rüstung“. Um so bemerkenswerter ist der vollständige Abdruck in einem Gemeindeblatt wie der Blankenburger „Bergkirche“.


Der Inhalt des Altonaer Bekenntnisses
Das Bekenntnis von Altona erfüllte das offenbar weit verbreitete Bedürfnis in der kirchlichen Öffentlichkeit nach einem autoritativen, grundsätzlichen Wort der Kirche zur Lage.
Mit der sechs mal wiederholten Standardformel „Wir glauben, lehren und bekennen, daß..“ formulierten die Verfasser des Altonaer Bekenntnisses eine in fünf Artikel gegliederte Grundsatzerklärung. Dieses „glauben und lehren“ wurde verschärft durch ein kräftiges Nein. „Wir verwerfen“ hieß es sieben mal und „wir verwerfen entschieden“ und „wir scheiden uns“. Damit wurde die Bekenntnisstruktur des Augsburger Bekenntnisses von 1530 aufgenommen, das den Glaubensartikeln jeweils einen Verwerfungsabsatz folgen ließ. Die Verfasser weckten die Hoffnung auf ein eindeutiges Ja und Nein zu den brennenden Fragen der Zeit.


Es wird nach der Kirche gefragt
Das Bekenntnis begann mit einer kühnen Deutung der politischen turbulenten Ereignisse. In der unübersehbaren Beschädigung des öffentlichen Lebens würde wieder nach der Kirche gefragt. „Jetzt fängt man an, nach der Kirche zu fragen.“ Tatsächlich versuchten die Rechtsparteien die evangelische Kirche für ihre politischen Ziele einzuspannen. Den Anspruch, das politische Handeln zu weihen, zu rechtfertigen oder politische Begeisterung noch anzufachen, könnte und dürfte die Kirche jedoch nicht befriedigen. Das war ganz offensichtlich zur politischen Rechten hin gesagt, allerdings ohne sich einzugestehen, daß sich seit November 1918 die offiziöse evangelische Kirche unübersehbar zu den politischen Zielen der DNVP und DVP bekannt und viele kirchenleitenden Persönlichkeiten durch ihre Parteimitgliedschaft auch für eine solche Position geworben hatten, darunter auch die Blankenburger Pfarrer Palmer, Kiel und Lachmund und der Braunschweiger Domprediger v. Schwartz.. Die Kirche war jahrelang „Bundesgenossenschaft im politischen Kampf“. Wenn die Verfasser Anfang 1933 behaupteten, solche Ansprüche könnte die Kirche in der Gegenwart nicht befriedigen, müßte sie vorweg ein Wort der Umkehr dazu sagen, daß sie in der Vergangenheit parteiisch gewesen war.
Noch kühner war es, daß die Verfasser auch die „leidenschaftliche Bekämpfung der Kirche“ als eine Frage an die Kirche interpretierten. Die Verfasser machten aus dem drastischen Nein der anschwellenden Freidenkerbewegung, der KPD und weiter Teile der SPD gegenüber der Kirche ein anfragendes Ja. Das entsprach nicht dem Selbstverständnis der Parteien sondern folgte einem theologischen Schema.
Die Antwort der Verfasser war jedoch nicht politisch, sondern theologisch vom Grundbegriff des „Wortes Gottes“ her formuliert. „Durch dieses Wort wird offenbar, wo der Staat, die Parteien und die Einzelnen die von Gott gewollte und gesetzte Ordnung durchbrochen haben“. Die Verfasser sahen es als ihr Aufgabe, „daß wir dieses Wort von der rechten Ordnung sagen“.


Der Kirchenbegriff
Im ersten Artikel „Von der Kirche“ wurde das klassische Bild von der geistlichen, inneren und von der äußeren, organisatorischen Gestalt der Kirche als der Verkündigerin des Wortes entworfen. Daß die Kirche die durch das „geschehene“ Wort Gottes „aufgerufene Schar“ ist, „in welcher Christus wahrhaftig gegenwärtig ist“, ist vielfach als eine Definition verstanden worden, die in der Barmer Erklärung aufgenommen und dort weiter entwickelt worden ist. Zu dieser inneren Struktur gehörte jedoch eine äußere Gestalt. „Wer die Kirche will, muß auch ihre Organisation wollen“. Es müßte an ihrer Organisation „dauernd gebessert“ werden, und unter anderem auch so, daß sie „der Art des Volkes und den Forderungen der Zeit gemäß gestaltet“ wäre. Neben die Grundtatsache, daß Gott redet und sein Wort allen gilt, trat das modische Zauberwort jener Jahre: das Volk, die Art des Volkes, das Lebensrecht des Volkes und Gott als der Schöpfer des Volkes. Schon in der Einleitung hatten die Verfasser den Eindruck erweckt, sie redeten „unter der Not des Volkes stehend“ aus dem Volk zum deutschen Volk.
„Wir scheiden uns von allen, welche die Kirche auf eine bestimmte Schicht des Volkes beschränken wollen. Denn die Kirche ist für alle da, und ihr Wort richtet sich an alle Schichten und Parteien“. So lautete eine praktische Folgerung aus der Gestalt der Kirche. Die Verfasser nahmen damit inhaltlich den seit 1918 als Alternative zur Staatskirche besonders von Otto Dibelius geförderten Begriff der Volkskirche auf, ohne ihn förmlich zu verwenden. Allerdings machten sich hier schon einige Risse in der Erklärung bemerkbar. Die Volkskirche war nämlich etwas völlig anderes als jene „durch Gottes jetzt geschehenes Wort aufgerufene Schar“.

In diesem ersten Abschnitt nahmen die Verfasser zu der in den Parteien viel diskutierten Frage Stellung, wie die Kirche auf Einladungen etwa zu Fahnenweihen des Stahlhelm oder zu Feldgottesdiensten der Landwehr reagieren sollte. „Wenn jemand bei militärischen, staatlichen oder parteilichen Festen die Kirche nur dazu haben will, um die Feierlichkeit der Feste zu heben, mißbraucht die Kirche. Wird die Kirche zu solchen Festen gerufen, dann hat sie auch nichts anderes zu verkündigen als Gericht und Verheißung, und zwar nicht den Anderen, sondern denen die da sind.“ Oft genug hatte die sozialdemokratische Presse evangelische Pfarrer bei Feldgottesdiensten der nationalen Front glossiert, die sich den politischen Zielen der jeweiligen Festgemeinde völlig untergeordnet hatten.

Undeutlich blieb allerdings die Antwort auf die andere damals noch heißer diskutierte Frage, ob bei Trauungen und Beerdigungen Fahnen und Uniformen gezeigt werden dürften. „Wer die Kirche in ihrer Verkündigung dem Einfluß einer politischen Macht unterstellen will, macht damit die politische Macht zu einer dem Christentum feindlichen Religion“. Die Leser konnten aus dieser Antwort eine Ablehnung heraushören, auch wenn ihnen der Anspruch, daß etwa Stahlhelm oder Nationalsozialisten sich dadurch als feindliche Religion aufführten, fremd geblieben sein wird.


Gegen die Seligsprechung des toten Soldaten
Die Verfasser griffen aber eine andere, sehr volkstümliche und viel verwendete Rede- und Denkweise kritisch auf, nämlich daß der Heldentod fürs Vaterland auf dem „Schlachtfeld“ mit der Seligkeit belohnt würde. „Wer den Heldentod stirbt, wird selig“, war eine auf rührenden Feldpostkarten farbig abgebildete Botschaft mit dem Anspruch, die Hinterbliebenen zu trösten. Die Altonaer Pastoren hielten folgendermaßen dagegen: „Wer von der Verkündigung des Pastors erwartet, daß er eine bestimmte Wirtschaftsform, den Krieg oder den Frieden, den Waffendienst oder die Kriegsdienstverweigerung rechtfertigen oder bestätigen soll, - wer vom Pastor verlangt, daß er die höchste Leistung, deren ein Mensch fähig ist, den Heldentod fürs Vaterland unbedingt als seligen Tod ansprechen soll, der verleitet ihn zur Verleugnung des Herrn Christus und seines Erlösungswerkes.“ Mit diesem Satz stellten die Altonaer Pastoren den Zentralsatz der gängigen Kriegstheologie auf den Kopf. Diese Kriegstheologie wurde nach dem Kriege in den jährlich wiederholten Heldengedenkfeiern am 2. Passionssonntag wiederholt. Die Verfasser ließen nunmehr die Möglichkeit offen, daß auch der Heldentod unter die Sünde der Menschen gehöre und ins Verderben führen könnte. Sie fügten ihn betont in den ersten Artikel ein.
Keine Passage der Altonaer Erklärung machte mehr Furore als dieser Satz. Er veranlaßte die Verfasser drei Monate später zu einer Neuformulierung, die jedoch den eigentlichen Anstoß nicht beseitigte. Ganz besonders traf dieser Satz jedoch die nationalsozialistische Ideologie, die einem extremen, schwülstigen Totenkult huldigte und ihn später im Ablauf des „braunen Kirchenjahres“ am 9. November an der Münchner Feldherrnhalle zelebrierte. „Die Helden gehen in Walhalla ein“, war die Botschaft. Sie war nichts anderes als die säkularisierte Form von der Seligsprechung des gefallenen Soldaten durch die evangelische Kirche.


Eine verdächtige Auslassung
Diesen aufregenden und theologisch weit vorausgreifenden Satz ließen die Blankenburger Pfarrer Palmer, Kellner und Lachmund in der Wiedergabe in der Bergkirche aus. Sie markierten diese Lücke auch nicht durch ein Auslassungszeichen. Konnten sie diesen Satz ihren offensichtlich stark national geprägten Kirchengemeindemitgliedern nicht zumuten? Widersprach dieser Satz ihrer eigenen Auffassung von der Verkündigung im und nach dem Krieg? Widersprach er ihrer parteipolitischen Position, die der deutsch-nationalen Volkspartei sehr nahe kam?

Abgrenzung gegen sozialistische und völkische Zukunftsvorstellungen Die Verfasser wollten ein Bild von der rechten Ordnung in Volk und Staat entwerfen und grenzten sich im 2. Artikel „Von den Grenzen der Menschen“ von allen politischen programmatischen Zukunftsvorstellungen ab, von der klassenlosen Gesellschaft und einem artgemäßen nationalen Zukunftsstaat. In den ihm gesetzten Grenzen könnte der Mensch zwar in Wirtschaft und Technik bewundernswerte Leistungen erbringen, aber solche Höchstleistungen, die „in Krieg und Frieden über uns gekommen sind“ brächten auch viele Nöte und Ungerechtigkeiten über die Menschen. Politische Utopien verleugneten die von Gott gesetzte Grenze und machten sich selber zur Religion. Eine zukünftige neue Welt wäre vielmehr dem Handeln Gottes vorbehalten, „die er durch Jesus Christus unseren Herren geben wird“. Dies gehörte zu seinem Erlösungswerk, und ein Überschreiten der natürlichen Schöpfungsgrenze, die das Wirken der Menschen auf die Erde beschränkt, wäre Auflehnung gegen Gott. „Wir aber glauben, lehren und bekennen, daß um unsrer Sünde willen nie ein Zustand erreicht werden kann, in welchem Leistung und Lohn sich wirklich entsprechen, in welchem es keinen Krieg irgendwelcher Art mehr geben wird und in welchem das Recht wesenhaft gerecht sein wird. Das alles hat Gott der neuen Welt vorbehalten“.


Vom Staat
In den nächsten drei Artikel redeten die Verfasser ausschließlich vom Staat. „Vom Staate“, „Von den Aufgaben des Staates, „Von den Geboten Gottes.“ Der Staat wäre eine Schöpfungsordnung Gottes, und beruhe nicht etwa auf einem Gesellschaftsvertrag. Der Gläubige hatte dem Staat als Obrigkeit zu gehorchen, jedoch notfalls auch zu widerstehen, wenn die Obrigkeit nicht „der Stadt Bestes“ suche. Dieses Recht auf Widerstand ist in der späteren Auslegung besonders hervorgehoben worden. Es muß allerdings bedacht werden, daß die Obrigkeit des Jahres 1932 und Anfang 1933 keine nationalsozialistische war.
Wo die Staatsgewalt sich zum Herrn über die Gewissen aufwerfe, werde sie antichristlich.
„Wir verwerfen jede Vergöttlichung des Staates“. Es bleibt unklar, wogegen sich diese Formulierung wandte. War damit die bolschewistische Diktatur Stalins gemeint, von der manche befürchteten, sie würde bald auch im Deutschen Reich eingeführt?


Der Deutsche, ein Geschöpf Gottes
Die Aufgabe des Staates wäre es, das Zusammenleben der Menschen zu ordnen und „seinem eigenen Wachstum Raum zu schaffen“. Dazu müsse er es notfalls durch Waffengewalt verteidigen und Verträge, die den Bestand des Staates gefährdeten, bekämpfen und beseitigen. Unmittelbar an diese Sätze, die als eine Rechtfertigung der krassen Ablehnung des Versailler Vertrages durch die Deutsche Ev. Kirche verstanden werden konnten, rückten die Verfasser den Text von den Deutschen als einer Schöpfungsordnung Gottes. „Gott hat uns als Deutsche geschaffen. Darum sollen wir auch Deutsche sein wollen. So gewiß jede Nation Lebensrecht und Lebenspflicht hat, so gewiß haben wir Deutsche es auch. Wo immer wir in unserem Deutschsein bedroht werden, hat eine deutsche Obrigkeit die Aufgabe von Gott, Volk und Staat in ihrer Deutschheit zu bewahren.“ Hier griffen die Verfasser tief in das nationalistische Vokabular und konnten sich der Zustimmung der Mehrheit ihrer Kirchenmitglieder sicher sein. Es war eine Bestätigung des Spottverses: Die Kirche ist neutral und denkt deutsch-national.

Die Parteien mißverstünden sich als Konfessionen, was die Bereitschaft zu Bürgerkrieg und Straßenkampf förderte. Sie wüßten nichts von Christus dem Herrn, der diesem Leiden ein Ende setzen werde. Der Artikel endete mit einer starken Betonung des autoritären Staates gegenüber dem Einzelnen. Die Parteien dürften das Volk in seinem Recht gegenüber der Obrigkeit nur soweit bestärken, wie auch der Einzelne in die Pflicht genommen würde. Sie bestünde in den Tugenden des deutschen Mittelstandes: Sparsamkeit, Sauberkeit, Ordnung und Treue, alles offenbar besonders deutsche Tugenden. Wie die sechs Millionen arbeitslose Deutsche sparen und in den unerträglichen Wohnverhältnissen der deutschen Innenstädte insbesondere Sauberkeit walten lassen sollten und wie beides zu einer zu achtenden deutschen Obrigkeit passe, blieb von den Verfassern ungesagt.


Die Schöpfungsordnung
Im letzten Artikel wird neben dem Staat auch die Ehe, die Ständeordnung und die Arbeit als besondere göttliche Ordnung dargestellt. Daher müßte Arbeitsleistung und Arbeitsertrag in Einklang gebracht werden. „Darum verwerfen wir es, wenn Arbeit zur Ware wird, die man kaufen und verkaufen kann. Auch halten wir es für Sünde, wenn sich jemand bei der herrschenden Arbeitslosigkeit beruhigen kann.“
Noch einmal wurde auch die nationalistische Tastatur betätigt. Es entspräche der Schöpfungsordnung, wenn in Deutschland eine deutsche Obrigkeit regiere, und es müsse als Sünde zurückgewiesen werden, „wenn der Respekt vor der deutschen Nation untergraben, sie selber aber in Wehrlosigkeit den Angriffen und dem diplomatischen Spiel aller preisgegeben“ werde.
Die Erklärung endet nicht mit einem erneuten Hinweis auf das Wort Gottes, sondern mit der abrupten pauschalen Behauptung: „Das Evangelium stellt uns alle an den rechten Platz und ist damit alleinige Hilfe und völliges Heil für unser irdisches Vaterland. Das glauben, lehren und bekennen wir.“


Das Echo
Das ungewöhnliche Echo auf diese Erklärung beruhte auf dem von der Öffentlichkeit längst erwartete Ende der selbstverordneten kirchlichen Zurückhaltung. “Wir können es nicht mehr verantworten, die bislang gewahrte Zurückhaltung zu üben“. Sie beruhte weiterhin auf dem offenbar imponierenden hohen Anspruch eines Bekenntnisses und einer Lehre, die die Verfasser erhoben. In einer Zeit geistiger Orientierungslosigkeit wurde ein apodiktisch ausgesprochenes Wort als Erleichterung empfunden. Die Erklärung ließ besonders dort aufhorchen, wo sie kirchliche Selbstverständlichkeiten z.B. eine volkstümliche Kriegstheologie antastete.

Neu war für die damaligen Ohren der kritische Ton eines Lehr- und Bekenntnisdokumentes gegenüber der politischen Rechten.

Die Erklärung erhielt erhebliche Publizität durch die groben Erwiderungen von der kommunistischen Presse („Wieder die alten Vertröstungen der notleidenden Massen“), und nationalsozialistischen Presse. Hinrich Lohse, der spätere Gauleiter der DC und Oberpräsident, warf den Verfassern Landesverrat vor.


Erhebliche Fragen
Die Erklärung warf erhebliche Fragen auf: beruhte die Behauptung von der neuen Frage an die Kirche nicht auf einer vielfachen Selbsttäuschung? Die politische Linke, die Kommunisten und Bolschewisten hatten keine Fragen an die Kirche, wie die Pfarrer behaupteten. Die Verfasser nahmen das atheistische Selbstverständnis dieser politischen Gruppen nicht ernst, das sich in einer schroffen Dialogfeindlichkeit äußerte. Es gab kein Gespräch zwischen der politischen Linken und der evangelischen Kirche, sondern nur deutliche Aussagen zur Beseitigung des „Gegners“. Das Altonaer Bekenntnis hingegen war kein Angebot zum Dialog und fragte auch nicht nach den eigenen Schuldanteilen zur Entwicklung des grundsätzlichen Atheismus, sondern es vereinnahmte die „offenbaren Gegner“ als Fragesteller. Das mußte die Widersacher auf der politischen Linken eher aufreizen oder vollständig kalt lassen.
Eine weitere Selbsttäuschung war der Wunsch der Verfasser nach politischer Neutralität, einer Position jenseits der Parteien, indem sie sich nach beiden Seiten hin kritisch äußerten, die Ansprüche aller Parteien abwehrten und eine fragende Bezogenheit aller Parteien zur Kirche konstruierten. Aber eine politisch neutrale Position war ebenso unmöglich wie eine Neutralität etwa des barmherzigen Samariters zwischen dem Überfallenen und seinen Räubern. Die von Christus gebotene Position war die der ungeteilten Solidarität ganz abgesehen von Weltanschauung und Herkommen.
Die neutrale Position, die es ihnen scheinbar erlaubte, alle Gruppen und Parteien anzusprechen, erzeugte schließlich eine merkwürdige Verschwommenheit in den tatsächlich zu ziehenden Folgerungen. So blieben unmißverständliche Aussagen zum Uniformtragen bei Trauungen und anderen kirchlichen Handlungen aus. Ebenfalls blieb eine klare Stellungnahme zu den Evangelischen Nationalsozialisten und Deutschen Christen aus, die anläßlich der Kirchenwahlen 1932 in den Kirchen der altpreußischen Union, zu denen Altona gehörte, erste nennenswerte Erfolge verbucht hatten.

Für die Verständigung mit der großen Öffentlichkeit erwies sich die theologische Sprache als Barriere. Es mußte den Beteiligten am Altonaer Blutsonntag gleichgültig sein, ob die Arbeitslosigkeit nun als Sünde qualifiziert wurde und der Straßenkampf als Rebellion gegen Gott. Wer sich an die große nichtkirchliche Öffentlichkeit wenden wollte, mußte sich ihrer Sprache und ihren Verstehensmöglichkeiten aussetzen.
Es war leicht abzusehen, daß diese Art von „Lehre und Bekenntnis“ nur im engen Raum der eigenen kirchlichen Mitgliederschaft gehört werden würde.
Insofern täuschten sich die Verfasser möglicherweise über die tiefere Wirksamkeit ihrer neutralen, theologischen Position in einer nichtkirchlichen Öffentlichkeit.

Theologisch erwies sich die Kombination einer Karl Barth entnommenen Wort Gottes Theologie mit dem lutherischen Verständnis von Staat und Ehe als Schöpfungsordnung als widersprüchlich. Auch der Kirchenbegriff als einer vom Wort Gottes geschaffenen kleinen Schar und der großen Volkskirche blieb unausgeführt. Es hatten offenbar Pfarrer von verschiedener theologischer Herkunft an der Erklärung mitgearbeitet, die eher die aktuelle Situation als die theologische Position einigte.

Die Altonaer Erklärung war schon einige Monate später dadurch beschädigt, daß einige Verfasser ihren Inhalt teilweise erneut erläuterten, daß ein Pfarrer seine Unterschrift zurückzog, daß Pfr. Hasselmann, der zum engeren Kreis der Verfasser gehörte, im Herbst 1933 ins Lager der Deutschen Christen schwenkte und 1935 in die Gruppe der Kirchlichen Mitte, der „gruppenfreien Kirche“ wechselte. Außerdem wurde der kirchenpolitische Druck auf die Verfasser sehr erheblich. Pfr. Hans Asmussen wurde disziplinarisch belangt und vom Dienst beurlaubt.
Eine ähnliche Entwicklung läßt sich für Blankenburg beobachten. Der befürwortende Pfarrer Kellner kandidierte bei den Kirchenwahlen 1933 für die Deutschen Christen und stieg zum deutsch-christlichen Propst von Blankenburg auf, während die Pfarrer Palmer und Lachmund sich der Jungreformatorischen Bewegung anschlossen und Monate später vom Dienst beurlaubt wurden.
Hat also die neutrale Position des Altonaer Bekenntnisses nicht sehr unterschiedliche künftige kirchenpolitische Wege offen gelassen?

Die starke Betonung des autoritären Staates und die heftige Abwehr demokratischer Strukturen, vor allem aber das wiederholte nationalistische Vokabular mündeten direkt in den Führerstaat Hitlers. Insofern war es konsequent, daß alle 21 Verfasser den Staat Hitlers in einer weiteren Erklärung vom 26. April 1933 ausdrücklich begrüßten. Frei von der Demokratie müsse vom Wort Gottes und den lutherischen Bekenntnissen her die deutsche Nationalkirche gebaut werden, die den Weg zu den Herzen der Deutschen fände. „Wer als Christ im neuen Staat zum Untertan bestellt ist, wird seine Ehre darin sehen, Untertan sein zu dürfen“, hieß es von Asmussen in der Täglichen Rundschau vom 24. März 1933. Wenig später formulierte Mitverfasser Hasselmann: „Mit Adolf Hitler und Reichsbischof Müller. Für autoritäre „Führung der Kirche“. Gegen Liberalismus und Demokratie in der Kirche.“ Das Bekenntnis wäre nie als eine einseitige Stellungnahme gegen den Nationalsozialismus gedacht gewesen. „Wir müssen doch bitten, nicht zu übersehen, wie stark es mit allen liberalen und liberalistischen Ideologien bricht“, schrieb einer der Verfasser in der Märznummer der Niederdeutschen Kirchenzeitung.

Die Übernahme zahlreicher parteipolitischer Aussagen über die Wehrlosigkeit und Unterdrückung Deutschlands sowie die hysterische Überschätzung der kommunistischen Gefahr rückten die Verfasser an die Seite der Deutschen Christen. Es liegt nicht in biografischen Brüchen, daß sich einige Verfasser den Deutschen Christen zuwandten, sondern von der Altonaer Erklärung führten drei Wege in unterschiedliche Richtungen, sowohl in die Jungreformatorische Bewegung bis hin nach Barmen, in die deutsch-christlichen Arme Hossenfelders und in die gruppenfreie kirchliche Mitte der Bischöfe Paulsen und Johnsen. Das spricht allerdings gegen die Eindeutigkeit der Altonaer Erklärung. So bezeichnete Ernst Wolf das Altonaer Bekenntnis zu Recht als „unklares Vorspiel.“

„Dies ist auch unser Meinung und unser Bekenntnis in der Verwirrung der Zeit“, hatten die drei Blankenburger Pfarrer feierlich ihren Gemeindemitgliedern mitgeteilt. Dabei hatten sie sogar die wichtige Passage, die die Kriegstheologie des 1. Weltkrieges betraf, gestrichen. Auch in Blankenburg führte von diesem Altonaer Bekenntnis den sympathisierenden Pfarrer Kellner in die Arme der Deutschen Christen und die Pfarrer Lachmund und Palmer zum Pfarrernotbund.



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