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[Kirche von unten]

Ottmar Palmer 1873 - 1964

Quellenstücke

4. Quellenstück


Ansprache Palmers als Vorsitzender der Kirchenregierung am 26.9.1945 vor der Pfarrerversammlung


Begrüßung 26.9.1945 im Magnigemeindesaal und Predigt
über Lukas 17 vor der Pfarrerversammlung
von Ottmar Palmer
Im Manuskript stehen am Rand mit Bleistift notierte folgende Stichworte:
1) Gedenkworte 21 Tote, 2) Vermißte, Verschollene, 3) Verfolgte, 4) Blankenburger

Der Predigttext Lukas 17, 20ff
„Da er aber gefragt ward von den Pharisäern: Wann kommt das Reich Gottes, antwortete er ihnen und sprach: „Das Reich Gottes kommt nicht so, daß man’s mit Augen sehen kann; man wird auch nicht sagen: Sieh hier! oder: da! Denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch.“

Wenn ich heute im Namen der neuen „vorläufigen“ Kirchenregierung ein Wort der Begrüßung an Sie richte, so darf dieser Gruß natürlich nicht bloß aus einigen freundlichen, unverbindlichen oder aus uns vertrauten Worten bestehen.
Vielmehr erwarten Sie mit Recht, daß hier etwas gesagt werde zu den Dingen, welche zu der neuen Sachlage geführt haben, daß etwas darin gesagt werde, wie man sich die weitere Entwicklung in der Landeskirche denkt und vor allem doch wohl ein Wort, das der Besinnung dienen soll auf das, was uns zutiefst bewegt und was dem wirklichen Leben unserer Kirche noch weit mehr not tut als alle organisatorischen oder verwaltungsmäßigen Pläne und Unternehmungen. Von diesem innersten Anliegen der gegenwärtigen Stunde lassen Sie mich zuerst sprechen an Hand von Luk. 17.

Als am 11.5.1933 der Landeskirchentag seine letzte Sitzung vor der Selbstauflösung in eben diesem Raum hier abhielt, hatte ich zu Beginn das Schriftwort zu verlesen. Es war dasselbe, das wir jetzt hörten. An jenem Tag ging wie ungefähr um dieselbe Zeit in allen ev. Landeskirchen auch in der unsrigen eine Epoche ihrer Geschichte zu Ende; eine neue Epoche hob an. Ihr erschütterndes und ruhmloses Ende haben wir alle miterlebt. Wieviel hochfliegende Pläne waren zerflattert, wie viel Hoffnungen auf das „äußerliche Gebäude“ zerschlagen, wieviel allzu Menschliches hatte sich eingemischt, wieviel innere Not und oft auch äußerliches Leid war über Gemeinden und Pfarrer hereingebrochen. Einzelnes zu nennen tut nicht not.
Aber das darf nicht unausgesprochen bleiben, daß Gott sichtlich seine Hand über die Kirche gehalten hat. Sie ist noch da trotz aller schlecht verhüllten oder offen ausgesprochenen Vernichtungspläne ihrer Feinde. Sie ist noch da und die Reinheit des Evangeliums und unseres Bekenntnisses ist erhalten, ganz gewiß nicht aus unserer Kraft, Klugheit und Tüchtigkeit, sondern trotz so vielen Versagens auch unter uns ging es einfach darum, weil Gott es wollte. Das soll hier in aller Demut und mit heißem Dank festgestellt werden.

In diesem Dank aber gehen uns die Augen auf für die ungeheure Verantwortung, die die jetzt anhebende neue Epoche unserer Kirche auf unsere Schultern legt. Die neue Epoche trifft uns mitten in der Stunde größter Not, die die deutsche Geschichte gesehen hat. Diese Not schreit uns entgegen in Stadt und Land, auf den deutschen Landstraßen und auf den deutschen Eisenbahnen, in den Trümmern unserer Städte und Kirchen, in den Häusern jener, die unserer Sorge anbefohlen sind, sie hat sich tief hineingefressen in Millionen müder, zerschlagener Seelen, sie kann uns die Spannkraft unserer Tage rauben und den Schlaf unserer Nächte. Die äußere und innere Not ist so groß, daß jedes Wort, das man darüber sagen könnte, nur ihre Schwere abschwächen könnte.

Wo ist eine neue Hoffnung? Wo ist heute der berühmte Silberstreifen am Horizont? Was dürfen wir von den neuen Machthabern oder von der neu eingesetzten Regierung, von organisatorischen Maßnahmen, von der altbewährten deutschen Tatkraft erwarten? Möge sich jeder selbst fragen, wie viel echtes Vertrauen er in alles das zu setzen vermag!
Aber es geht hier für uns noch um ganz anderes. Wer Ohren hat zu hören, der hört aus dem tausendstimmigen Schrei der Not und der Verbitterung noch ein andere Stimme heraus. Es ist die quälendste und zugleich die entscheidendste aller Fragen, die aus unserer Seele herausdringen kann, laut oder leise, sehnsüchtig und hoffnungsvoll von den einen, enttäuscht, verbittert, aufbegehrend von den anderen: Wann kommt das Reich Gottes? Es mögen nicht immer gerade diese Worte sein. Die Frage kann auch lauten: Wo bleibt Gott? Warum schweigt Gott? Wo ist noch ein Sinn nach all dem Grauen, das über uns hereingebrochen ist. Mögen auch viele nun erst recht in die blöde Stumpfheit versinken, die einfach sagt: am besten, man denkt überhaupt nicht mehr nach. Es sind doch auch viele, viele, welche wirklich so fragen. Und nun finden sie alle zunächst keine Antwort, es ist , als ob alles Fragen ins Leere hineingriffe. Nachdem wir Jahre lang mit den gewaltigen Reden überschüttet und gequält wurden, liegt nun das große Schweigen auf Deutschland: „Da war keine Stimme noch Antwort“.

Als Christus gefragt wird: Wann kommt das Reich Gottes, da ist seine Antwort zunächst eine Zusage: es kommt, es kommt ganz gewiß. Gott läßt seine Kinder nicht umsonst schreien. Gott ist nicht tot, er ist auch nicht machtlos geworden. Gott ist noch da, er kann sich tief verbergen hinter Zorn und Gericht, aber er offenbart sich auch in Gnade und Erbarmen. Sein Reich, das ist seine Herrschaft, ist ein ewiges Reich. Und er kann mit aller seiner Macht und seiner Gnade ans Licht treten, genau zu der Stunde, wann er will. Gott kann sein Reich auch wie ein sichtbares Haus bauen, in seiner Gemeinde auf Erden, in seiner Kirche, auch in einer Landeskirche. Er kann diese Kirche benutzen, um Menschen aus der Not ihrer Seelen zu befreien und ihnen den Frieden zu geben, den ihnen keine Macht der Welt geben kann. Er kann durch den Dienst seiner Kirche Menschen die Füße stärken, auf den rauhen Pfaden dieser Gegenwart zu wandeln, er kann sie durch seine heilige Kirche den Weg zur Seligkeit führen.

Aber all das kommt nicht mit „äußerlichen Gebärden“. Es ist nicht gekommen mit den kirchlichen Aufmärschen der SA und nicht mit Masseneintritten oder Massentrauungen wie 1933, auch nicht mit dem befohlenen Kirchgang der Frauenschaft und der Jugend, nicht mit Kirchenminister oder Reichskirchenführer. Es wird auch nicht kommen auf den Bajonetten der englischen Militärregierung, auch nicht durch eine christlich demokratische Partei, es wird freilich auch nicht kommen durch eine neue Verfassung, und auch nicht durch eine neue Betriebsamkeit wie sie heute wieder als Gefahr uns bevorsteht. Von solchen Illusionen haben uns wohl hoffentlich die letzten 12 Jahre gründlich befreit.
Es kommt nicht mit äußeren Gebärden, es ist mitten unter euch, wir dürfen auch sagen: es ist inwendig in euch! Ob wir uns nun auf die eine oder die andere Übersetzung des entos hymon verstehen, es kommt doch immer auf das eine hinaus: das Reich Gottes ist da, wo Christus ist und dieser Christus aus dem heiligen Geist und durch das Evangelium sein Werk treibt und wo unter dem Wehen und Wirken des hl. Geistes die Riegeln der menschlichen Seele aufspringen und diese Seelen sich gehorsam und freudig dem Regiment Gottes unterstellen.

Gewiß verfügen wir nicht über die Stunde, wann Gott das alles machen will, er wirkt und gibt, wann und wo er will, aber mitten aus hundert Bedrängnissen der Zeit heraus kann Paulus sagen „Jetzt ist die angenehme Zeit. Jetzt ist der Tag des Heils.“ Man kann heute das Wort hören von der großen Chance, die der Kirche gegeben sei. Aber diese Chance besteht nicht darin, daß die Kirche von der weltlichen Macht begünstigt ist - wie leicht kann das wieder anders werden! - sondern sie besteht darin, daß ihr nach Gottes Willen die Freiheit der Verkündigung wieder gegeben ist und daß dieses Evangelium nun in einen weithin durch die Not durchgepflügten Acker gestreut zu Korn wird.

Vor zwölf Jahren hieß es auch: „die Stunde der Kirche ist gekommen“, aber es war doch nicht Gottes Stunde.
Aber als die Bedrückung und Verfolgung kam, da schlug die Stunde Gottes für die Kirche und heute schlägt sie, weil die verlassene Menschheit keinen Weg mehr sieht und vieler Augen sich auf die Kirche richten.

Damit aber sind diese Augen auf uns, die Pfarrer, gerichtet: wissen sie wirklich um ihr eigentliches Amt, um ihre größte Aufgabe? Können sie reden mit den Müden zur rechten Zeit? Können wir ihnen Rat, Trost, Hilfe und Wegweisung geben auf den dunklen Pfaden, die vor uns liegen? Wissen sie etwas zu sagen von dem letzten Halt, wenn alles andere zerbrochen ist? Ich glaube wirklich, daß die Pfarrergeneration, die wir jetzt darstellen, nie vor größeren Aufgaben gestanden hat als heute. Man kann schon erschrecken und klein werden, wenn man das erkennt. Man könnte schon sagen: ich tauge nicht zu predigen, sende einen anderen. Und doch geht es auch hier nur um den schlichten Gehorsam: gehe hin und verkündige das Reich Gottes. Und es geht um die Verheißung, daß Gottes Wort nicht leer zurückkommen soll.

Zu beiden haben wir uns immer wieder zu stärken, um beides zu beten: um Gehorsam und Glauben. Darf ich da einmal sagen, welche Bedeutung die Stille unserer Studierstuben da gewinnt und das, was in diesen Stuben geschieht an meditatio, oratio, tentatio? Wir dürfen sie und wir müssen sie uns bewahren, diese Stille unserer Amtszimmer. Mag die Zeit um uns herum noch so besetzt und gehetzt sein, wir werden weder Kraft noch Freudigkeit haben, unseren gestellten Aufgaben gerecht zu werden, wenn wir nicht selber still werden und unsere Bibel lesen, und die lieben Amtsbrüder, die der Krieg Jahre lang aus allem herausriß, zu sich innerlich nicht wieder hineinfinden ins rechte Pfarrerleben, wenn sie sich nicht hineinbeten, studieren, leben mit ihrer Bibel.

Und noch eines zum Schluß: Vielen unter uns ist durch den Kampf der Kirche ein Geschenk zuteil geworden, das ihnen vorher in diesem Maße nicht bekannt war, ich meine die echte brüderliche Gemeinschaft. Lassen Sie uns dieses Geschenk pflegen in aller Treue! Mag hier die Nachbarschaft zwei oder drei zusammenführen, dort eine gemeinsame Arbeit oder mag es einem Propst gegeben sein, in echtem Vertrauen eine Zahl von Brüdern um sich zu sammeln – immer möge es eine echte Gemeinschaft sein in der Apostel Lehre, im Brotbrechen und im Gebet! So lassen Sie uns hineingehen in diese neue Zeit unserer Kirche, auch wenn das schwer ankommen mag, und hacken auf dem steinigen Boden. Und Gott segne allen rechten treuen Dienst.
(„Wir pflügen.......... in des Höchsten Hand“).


(Quelle: Familie Palmer)



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