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[Kirche von unten]

Gemeinsam - zärtlich - radikal

9. Kapitel

Die Friedhöfe - Bestattungen - Beerdigungsgespräche

Auf der Grenze zwischen Leben und Tod

Der erste Besucher

Unvergeßlich bleibt mir das erste Gespräch als junger Pfarrer in der Pfarre Offleben. Das heutige Gemeindejugendzimmer rechts vom Eingang hatte ich als Amtszimmer eingerichtet, geräumig und mit der Schiebetür vergrößerbar. Ich schaute verträumt durch das Westfenster, das den Blick auf die Haustür und den Kirchplatz freigab und wartete auf den ersten Besucher. Es klingelte. "Bitte, nehmen Sie Platz." Ich hatte gegenüber vom Schreibtisch ein kleines Sofa mit kleinem Tisch für seelsorgerliche Gespräche hingestellt. Ich wartete auf ein "Anliegen", ein Problem, irgendwas religiöses. "Herr Pastor, ich möchte ein Grab kaufen", sagte mir die Frau. Ich rang mit meiner Fassung. "Was? Du handelst mit Gräbern?" schoß es mir durch den Kopf. Davon hatte ich nun wirklich keine Ahnung. Ich mußte die Frau nach Hause schicken und versprach ihr, mich in die Sache, die Lage der Grabstelle und die Preise einzuarbeiten.

Mit der Zeit hat mir die Gestaltung der beiden Friedhöfe in Offleben und Reinsdorf Freude gemacht. Ich empfand es als eine reizvolle Aufgabe, eine vorgegebene grüne Fläche mit geprägten Steinen zu versehen, dabei alte Traditionen zu berücksichtigen und unterschiedliche, persönliche und geschäftliche Interessen unter einen Hut zu bringen. Friedhöfe sind alte magische Orte. Es ist schade, wenn heutzutage die Friedhofsverwaltung von Kirchenvorständen als "lästige Verwaltungsarbeit" abgegeben wird, um sich "ganz auf Seelsorge und Evangelium zu konzentrieren". Tatsächlich kann die Gestaltung des Dorffriedhofes eine andere dauerhafte Art der Verkündigung sein.

Drei Friedhöfe

In Offleben gab es drei Friedhöfe: zwei im Braunschweigischen, einen im Preußischen. Sie bestanden aber nie alle zu gleicher Zeit. Wenn man von Reinsdorf nach Offleben hineinfährt, liegt links der kirchlich verwaltete, 1854 eingeweihte Friedhof. Er ist schön mit alten Bäumen bestanden, eine Art Waldfriedhof.

Nach Osten ist er durch den Kupferbach und hohe alte Kastanien begrenzt, zur Straßenseite hin wurden Tannen gepflanzt, um den Straßenlärm abzuhalten. Von der Siedlung Nord her fließt eine Wasserquelle zum Kupferbach, die in seltenen Fällen manche tiefergelegenen Gräber im Wasser stehen läßt.

Um die Jahrhundertwende war der Friedhof voll belegt und daher wurde ein weiterer Friedhof am anderen Dorfende nach Alversdorf zu eröffnet, der von der Kommunalgemeinde verwaltet wurde. Später wurde neben ihm die katholische Kirche errichtet, bald danach das Kraftwerk Offleben I. Daher bekam er sehr viel braunen Dreck ab, denn er lag in der Einflugschneise der Phenolstäube. Die Offleber wichen auf den dritten Friedhof auf dem preußischen Gebiet aus.

Der in Preußen gelegene Friedhof war um 1901 eröffnet worden. Er war eigentlich nicht nötig, denn alle Offleber, ob im Braunschweigischen oder im Preußischen wurden im Braunschweiger Teil begraben. Aber die Preußisch-Offleber waren reicher, wollten ihre eigene Schule und auch ihren eigenen Friedhof haben. Er lag etwas außerhalb in der Feldmark links auf dem Weg nach Hötensleben.

1943 aber wurde der preußische Friedhof wegen seiner Entfernung zum Schwelwerk zum Hauptfriedhof, auch für die Braunschweigisch-Offleber, und erweitert. Außerdem wurde für die im 2. Weltkrieg gefallenen Soldaten ein Ehrenhain eingerichtet. Manche Offleber Dorfbewohner haben diesen Friedhof noch vor Augen.

Trotz der Grenzziehung im Frühjahr 1945 konnten sich offenbar noch einige Trauerzüge über die Demarkationslinie bewegen. Dann aber untersagte die sowjetische Besatzungsmacht die Beerdigungen. Die letzte fand im Sommer 1945 statt. Der preußische Friedhof wurde nach einer Darstellung von Ernst Roehse bis 1950 noch von den Offleber Kleingärtnern aufgeräumt und unterhalten. Eine Zeitlang wurden auch die neben dem Friedhof liegenden Gärten noch von Hötenslebern genutzt. Anfang der 60iger Jahre wurden Friedhof und Gärten umgepflügt.

Für den unerreichbar gewordenen preußischen Friedhof wurden dann die beiden anderen Friedhöfe an der Alversdorfer und Reinsdorfer Straße wieder stärker genutzt. So ist es bis heute geblieben.

Der älteste Begräbnisplatz indes liegt unmittelbar vor der Offleber Kirche. Daran erinnern noch einige Grabmäler auf dem Rasen vor der Kirche. Dort wurden die Offleber jahrhundertelang begraben. Joachim Schmidt berichtet, daß es dort manchmal ziemlich wüst ausgesehen haben soll. Dieser Friedhof ist seit 150 Jahren nicht wieder belegt worden. Es ist wohl der älteste Platz in Offleben überhaupt. Daran erinnerte ich gern, wenn sich die Schulanfänger mit Eltern und Paten zum Schulanfängergottesdienst auf diesem alten "Kirchhof" versammelt haben.

In Reinsdorf liegt der Friedhof erhöht um die Kirche herum und prägt das Dorfbild. Alte Linden grenzen ihn nach der Straße hin ab, Pappeln zum Germerschen Grundstück.

Die Friedhofskapellen

Noch bis in die Nachkriegszeit hinein sind die Toten vom Hause aus bestattet worden. Sie wurden von der Totenfrau eingesargt, im Hause aufgebahrt und dann bis zur Beisetzung aus Temperaturgründen in den kühlen Keller geschafft. Die letzte Totenfrau in Offleben war Frau Alma Kamieth, die 1947 dieses Amt von Anna Wittkowski übernommen und dann 17 Jahre ausgeübt hat.

Frau Kamieth gehört für mich zu jenen unbeugsamen Arbeiterfrauen, die ihr Herz mit Stolz auf der linken Seite trugen und mit Gleichgesinnten in der Nr. 6 der Gerhart-Hauptmannstraße, dem sogenannten "Pannhus", eine solidarische Hausgemeinschaft erlebten. Als Frau Kamieth 1964 das Amt der Totenfrau abgab, übernahm zunächst der Tischler Alfred Chabowski, der die Särge herstellte, diese Aufgabe, später dann die Bestattungsfirmen. Damit war eine lange Beerdigungstradition im Dorfe beendet

Die Totenfrau war die erste, die vom Tod eines Dorfbewohners erfuhr. Sie sagte dann dem Pfarrer Bescheid. Sie wusch die Leiche und zog sie nach den Wünschen der Familienangehörigen an. Sie war auch die erste, die den Hinterbliebenen den ersten Trost zusprach. Ein unbemerkter Seelsorgedienst.

Am Beerdigungstage hielt der Pfarrer die Trauerfeier im Hause, dann wurde der Sarg auf den Leichenwagen mit den Pferden von Franz Gorny geschafft und danach die Beisetzung auf dem Friedhof gehalten. Als der Mühlenbesitzer Jacobs verstorben war, sammelte sich am 22. September 1951 eine große Trauergemeinde im Hause des Heimgegangenen, wo die Trauerfeier gehalten wurde, berichtet Pfarrer Haferburg in der Kirchenchronik. Die Küsterin mußte bei diesen Trauerfeierlichkeiten mit mehreren Jungens und vielem Taschentuchwinken das Kunststück vollbringen, im richtigen Augenblick die Kirchenglocken zu betätigen.

Diese jahrhundertealte Sitte änderte sich allmählich in der Nachkriegszeit in Offleben, wie in der ganzen Landeskirche. Es wurden zwischen 1948 und 1967 in der Braunschweiger Landeskirche 157 Friedhofskapellen zusammen mit den Kommunalgemeinden unter landeskirchlicher Bauleitung errichtet. Die Friedhofskapelle auf dem evangelischen Friedhof in Offleben wurde 1953 für ca. 25.000 DM gebaut. Dort wurde die älteste Glocke des Dorfes aus dem 15. Jahrhundert, die lange im Schöninger Heimatmuseum aufbewahrt war, wieder eingehängt. Es ist eine Ave-Maria-Glocke aus dem Dachreiter der Offleber Dorfkirche.

Mit den Gravuren kann ein Pfarrer übrigens auch Pech haben: in der 1935 eingeweihten Friedhofsglocke der Büddenstedter Friedhofskapelle ist zeitgemäß das Zeichen der BKB und das Hakenkreuz eingraviert.

Am Hauptweg auf dem Offleber Friedhof wurde ein Spalier mit Lebensbäumen angelegt. Der Weg läuft zentral auf die Wasserstelle des Friedhofes zu, die von der Firma Domeier mit einem Eisengitter versehen wurde. Frau Lucie Vasel stiftete einen Stein, am Sockel mit der Inschrift "Er führet mich zum frischen Wasser".

Die Friedhofskapelle in Offleben war groß genug, um eine kleine Trauergemeinde, meist die unmittelbaren Angehörigen, aufzunehmen. Die 1954 eingeweihte Reinsdorfer Friedhofskapelle dagegen war dafür ungeeignet. Sie war eigentlich nur eine Leichenhalle zur Aufbewahrung des Sarges bis zur Beisetzung. Anfangs habe ich dort noch Trauerfeiern abgehalten. Dann verlegte der Kirchenvorstand die Trauerfeiern wieder in die Kirche zurück, wo sie seit 1910 auch üblich gewesen waren.

Die alte Regionalagende von 1895 sah noch einen Trauergottesdienst vor, der in der Kirche beginnt und am Grabe schließt. Der Sarg wurde zu diesem Anlaß aus dem Trauerhaus in die Kirche vor den Altar getragen. Es konnte auch umgekehrt die Trauerfeier am Grabe beginnen und in der Kirche mit Gottesdienst und "Leichensermon" abgeschlossen werden. Mir war nicht klar, ob die Trauergemeinde eine Trauerfeier ohne Sarg annehmen würde. Sie bürgerte sich rasch ein und ich empfand es sogar als eine Erleichterung, weil es die Konzentration der Trauergemeinde stärkte und weil vor allem alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer in der Kirche Platz finden konnten.

Die Unterhaltung der Friedhofskapellen unterliegt der Kommunalgemeinde, was eine sehr große finanzielle Erleichterung ist.

Friedhofsgestaltung

Das Pfarramt hat also mit den Kirchenvorständen zwei Friedhöfe zu verwalten und zu gestalten. Solche Friedhofsverwaltung schreckt manche Kollegen ab. Mir machte eine solche Flächengestaltung mit Bäumen, Büschen und Steinen auf einem historisch gewachsenen Boden große Freude. Wir bildeten in jedem Kirchenvorstand einen Friedhofsausschuß. Durch die Verwaltung von Friedhöfen nimmt die dörfliche Kirchengemeinde noch eine öffentliche Aufgabe war, denn es werden auf diesem Friedhof ja alle Einwohner bestattet, nicht nur evangelische Gemeindemitglieder.

Der Friedhofsausschuß verantwortet auch die Friedhofskasse, die ja stets ausgeglichen sein muß. Wir mußten also zusehen, daß wir mit den Gebühren die tatsächlichen Ausgaben bestritten. Die beiden Kirchenvorstände waren daher mit den Friedhofsgebühren ärgerlicherweise immer etwas höher, als die Kommunalgemeinde bei der Verwaltung der beiden Kommunalfriedhöfe in Offleben und Büddenstedt. Jene waren jahrzehntelang defizitär und vom Kommunalhaushalt bezuschußt. Das fand ich ziemlich ungerecht: für alle vier Friedhöfe in der Samtgemeinde sollte jeweils dieselbe Friedhofsgebührenordnung gelten. Ich konnte diesen Mißstand im letzten Jahr meiner Gemeinderatstätigkeit mit der Mehrheit des Rates abstellen und die Friedhofsgebührenordnung angleichen.

Immer wieder ging der Friedhofsausschuß über die Friedhöfe und bestimmte, welche Gräber geräumt werden müßten. Da gab es die zeitlich längst "abgelaufenen", auffällig ausgestalteten Gräber der ansässigen Offleber Landwirte Bockmann, Brandes, Wagenführ und in Reinsdorf von Jacobs und Wietfeld. Einige sind aus Denkmalsgründen stehen geblieben, andere wurden mühsam beseitigt, denn es waren ausgemauerte Gräber, eines sogar innen blau mit goldnen Sternen angestrichen. Sie genierten sich offenbar, in die Erde zu kommen - ausgerechnet die Landwirte - und pflegten den leichten Glauben, der Mensch käme mit dem Tode stracks in den Himmel. Das ist eine auch heute gängige, oft gepredigte Ansicht.

Ich habe da meine Bedenken und habe die dann so ausgedrückt: wir kommen nicht in den Himmel, wir kommen in die Erde. Und das ist gute Ordnung Gottes: "Erde zu Erde". Und im übrigen: "Die Erde ist des Herrn und was darinnen ist".

Der Offleber Friedhof wurde zum Bahndamm hin um einen breiten verwilderten Streifen erweitert, den der Kirchenvorstand 1970 erworben hatte, und den Frau Heine, Ernst Jahnke und ich in einer Gewaltaktion entkrauteten.

Die Gestaltung der Friedhöfe ist grundlegend abhängig von denen, die ihn pflegen. Der Reinsdorfer Friedhof wurde vorbildlich 25 Jahre lang von Karl Mende und seiner Frau betreut. Karl Mende stammte aus Schlesien, wo die Mutter eine kleine Landwirtschaft hatte, der Vater arbeitete als Ziegeleibrenner auf der Wagenführschen Ziegelei in Offleben. Über Weihnachten waren alle wieder in der schlesischen Heimat für ein paar kalte Wochen zusammen.

Nach dem Kriege kam die Mutter Mende aus Schlesien nach Reinsdorf. Dorthin ließ sich auch der Sohn aus englischer Kriegsgefangenschaft entlassen. Der Vater war in Schlesien geblieben und kam erst 1956 aus Polen nach Reinsdorf. Im Jahr 1959, als die Mutter Mende starb, übernahm der Sohn Karl mit seiner Frau die Pflege des Friedhofes. Das Ehepaar Mende war aktives Mitglied der katholischen Kirchengemeinde und hat umsichtig und selbständig im Auftrag des Kirchenvorstandes den Reinsdorfer Friedhof gepflegt. Die Konfessionszugehörigkeit spielte für den Kirchenvorstand keine Rolle. Entscheidend war die gute, sachliche Zusammenarbeit.

Die Nachfolge Mendes haben Gisbert Kramer und seine Frau angetreten.

In Offleben fehlte zunächst eine ordnende Hand. Jeder, der ein Grab zu pflegen hatte, kümmerte sich auch um andere, mehr verlassene Grabstellen. Dann betätigte sich vor allem Herbert Vasel auf dem Friedhof. Danach aber übernahmen Rüdiger Schwarz und seine Frau tatkräftig und systematisch die Pflege, wodurch der Friedhof sehr gewann. Bei den Beerdigungen mit dabei war Kurt Schrader, der genau wußte, wo, wann, wer begraben war und, inzwischen fest angestellt, nun mit Hingabe den Friedhof pflegt.

Steinmetzfirmen

Die Steinmetzfirmen haben den mit den Angehörigen verabredeten Grabsteinentwurf dem Pfarramt zur Genehmigung vorzulegen. Das bot die Möglichkeit, auf die Gestaltung, auf Größe, Oberfläche und Schrift, Einfluß zu nehmen. Die im Dorf geläufige Meinung allerdings war, daß jeder mit seinem Grab und dem Grabstein machen könne, was er wolle. Er hätte die Stelle ja gemietet. Daß polierte Steine nach der geltenden Friedhofsordnung verboten waren, vor allem, weil sich der am Grab Verweilende dort störend widerspiegelt, mußte erst langsam bewußt gemacht werden. Daß Steinumrandungen, womöglich auch noch polierte, völlig überflüssig waren, bürgerte sich nur langsam ein. Mit den Steinmetzfirmen aber gab es zeitweise erbitterte Auseinandersetzungen über die Lieferung von polierten Grabsteinen und steinernen Einfassungen, an denen sie viel verdienten. Um einen möglichst grünen Friedhof zu erhalten, wurden Kiesgräber ganz und gar verboten, wie auch jene großen Steinplatten, die das ganze Grab abdeckten.

Gelegentlich waren die Grabsteine mit merkwürdigen Sprüchen versehen: "Müh und Arbeit war dein Leben, Ruhe hat dir Gott gegeben" war zu lesen. Es setzte sich langsam durch, daß man auch ein Bibelwort auf einen Grabstein setzen kann. "Gott ist unsere Zuversicht", heißt es auf dem Grabstein von Georg Habenicht, oder: "Harre meine Seele", woanders lesen wir die Fortsetzung: "Harre des Herrn", oder "Der Herr ist mein Hirte", oder "Christus lebt, mit ihm auch ich", oder "Ich lieg und schlafe ganz im Frieden", oder "Aus Gottes Hand in Gottes Hand". An älteren Gräbern sind nur die Bibelverse vermerkt: beim alten Amtsrat Brandes auf dem großen steinernen Kreuz bei der Friedhofskapelle Matthäus 28, 20 "Siehe ich bin bei euch alle Tage".

Langsam konnte ich mich mit der Einsicht durchsetzen, daß wir in Offleben mit seinem alten Baumbestand so etwas wie einen Waldfriedhof hätten und pflegen wollten.

Auf dem Reinsdorfer Friedhof wurden drei große Platanen gepflanzt, um etwas mehr Schatten auf den Südteil zu bekommen.

Unter den Grünen Rasen

Vor längerer Zeit richteten wir dann auch auf beiden Friedhöfen einen Platz für solche ein, die, wie man sagt, "unter den grünen Rasen kommen" sollten. Das entband die Angehörigen von der Pflege einer Grabfläche, aber die Beisetzung der Urne sollte keinesfalls anonym sein. Es war mir wichtig, daß die Angehörigen bei der Bestattung der Urne auf dem grünen Rasen dabei waren. Bei den von den Kirchenvorständen verwalteten Friedhöfen in Offleben und Reinsdorf war das kein Problem. Die Kommunalgemeinde aber sperrte sich, was nicht von allen Angehörigen verstanden wurde, und ließ kein Grab ausheben, sondern verschob die Prozedur auf die Zeit nach dem Trauergottesdienst. Das fand ich gegenüber den Familienangehörigen nicht vertretbar. Einmal riß mir der Geduldsfaden, ich holte kurz vor einem Trauergottesdienst meinen Spaten aus dem Pfarrhausstall und grub selbst ein Urnengrab, was eigentlich nicht statthaft war, und ging mit dem Spaten hinter der Urne her. Aber hier brach Seelsorge das Recht.

Zum grünen Rasen gehört eine Stelle, wo die Angehörigen Blumen hinlegen und verweilen können. Dazu benutzten wir in Offleben einen bereits vorhandenen Stein und ließen den Gesangbuchvers "Harre meine Seele" einmeißeln. Die Stelle wurde liebevoll von Hinterbliebenen gepflegt. Später erhielt auch der Grüne Rasen in Reinsdorf einen Naturstein, den die BKB durch Vermittlung von Herrn Erwin Brandt spendete. Der Kirchenvorstand beließ diesen Stein in seinem Naturzustand und fügte nur ein Kreuz als Meditationsmitte hinzu.

Leider kam es auch vor, daß Verstorbene einfach aus dem Haus geschafft, ins Krematorium gefahren und irgendwo auf einem grünen Rasen anonym bestattet wurden. "Es ist dahin zu wirken, daß keine Leiche ohne der den Dienst der Kirche beerdigt werde", heißt es in der Agende von 1895, weil in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nur etwa 30% der Sterbefälle auch kirchlich begraben wurden. Eine solche Erinnerung schien in der Begräbnisagende von 1964 überflüssig. Heute wäre sie wieder fällig. Der Braunschweiger Propst Kraft klagte kürzlich über die zahlreichen Leichen, die ohne Begleitung der Kirche aus dem Krankenhaus oder Sterbehaus ins Krematorium verschafft würden.

Das Trauergespräch

Das Trauergespräch mit den Hinterbliebenen habe ich in der Regel am Abend vor dem Beerdigungstag im Trauerhause geführt. Die Berichte über die letzte Wegstrecke des Verstorbenen und über eigene Vorstellungen beim Trauergottesdienst, über Erfahrungen mit Sterben und Tod füllten das Gespräch.

Ich hatte schon sehr früh die Absicht, das Gespräch mit einem Gebet abzuschließen und habe mich lange Zeit nicht getraut. Ich befürchtete eine frömmelnde Zumutung gegenüber den Hinterbliebenen, wartete vielleicht auch auf ein Signal für ein solches Gebet. Ich hatte derlei im Predigerseminar auch nicht gelernt. Es dauerte also ziemlich lange, bis ich mir ein Herz faßte und die Angehörigen fragte, ob es ihnen vielleicht zu viel sei, wenn wir zusammen ein Vaterunser sprechen würden. Nein, es war fast allen nicht zu viel, die meisten nahmen es sogar erleichtert zur Kenntnis, weil sie sich in ihrem Glauben ernst genommen fühlten. Sie hatten womöglich unausgesprochene Ängste, der Pfarrer sei ihnen wegen ihrer anhaltenden Abwesenheit in Gottesdienst und Gemeindeveranstaltungen gram. Nun konnten sie mit dem Vaterunser "eine Glaubwürdigkeitslücke" schließen.

Es wird vermutlich mehr in den Häusern gebetet, als sich das ein Pfarrer denkt. Aber das regelmäßige Gebet geschieht überwiegend eben doch im Gottesdienst.

Einmal ist mir in Schöningen allerdings auch passiert, was ich jedesmal befürchtet habe. Nach dem Gebet entließ mich die trauernde Witwe mit dem Satz: "Nun haben Sie Ihre Pflicht getan, nun können Sie ja gehen." Das Gebet als Pflichtpensum - schauerlich, eben - und darum habe ich oft lieber auf ein Gebet verzichtet. Es kam ganz auf die Gelegenheit an.

Es kam auch vor, daß ich etwa bei einer Beerdigungsgespräch mit Gemeinschaftschristen zu einem Gebet aufgefordert und erwartet wurde, daß auch viel Platz für ein freies Gebet der Familienangehörigen blieb. Da bestimmte dann oft ein mir etwas zu überschwenglicher Dank für das Leben der Verstorbenen die Gebetsmelodie. Als ich sie fragte, ob sie einen besonderen Wunsch für die Gestaltung des Gottesdienstes hätten, sagte mir der Witwer: "Herr Pastor, sagen Sie das Wort."

Ans Sterbebett gerufen

Es kam nur selten vor, daß ich im Dorf an das Sterbebett gerufen wurde. Als ich anfangs einmal ungebeten kam, spürte ich Unruhe bei der versammelten Familie. Ganz unverständig wurde meine Bitte aufgenommen, mit der Sterbenden auch allein zu sein. Vielleicht gab es noch ganz persönliche Dinge zu besprechen, eine Art Beichte, dachte ich, und wollte dafür Raum schaffen. Als dann die Angehörigen wieder in das Sterbezimmer hereinkamen, war es schwer, mit ihnen noch gemeinsam ein Gebet zu sprechen. Es hing ein unausgesprochenes Mißtrauen im Raum. Manche Angehörigen mochten glauben, der Pastor mische sich etwa noch in der letzten Stunde in die finanziellen Angelegenheiten der Familie und wollte womöglich das Testament ändern.

Wie ungelegen ein Pfarrer manchmal kommen kann, wurde mir am Sterbett meines eigenen Vaters bewußt. Der Enkelsohn war noch einmal gekommen und Vater freute sich sichtlich und lebte auf. Da platzte plötzlich und unangemeldet der Mutterhauspfarrer herein und die entspannte Situation war kaputt.

Ich wartete also in Zukunft ab, daß ich gerufen wurde.

Ich bot mich auch an, am Bett eines Sterbenden zu wachen und ein alleinstehendes Familienmitglied mal abzulösen, z. B. als es Lieschen Brzezinsky, einer energischen, kleinen, frommen Frau schlecht ging. Das war dann keineswegs nur eine geistliche Angelegenheit. Dann und wann tauchte der Pfarrer in ihre Phantasien ein, und wir fanden im Stroh des Klostergutes, wo sie gearbeitet hatte, Eier, stachen ein Loch hinein und tranken das rohe Ei aus. Sie wollte auch immer noch in die Rüben auf den Acker. Ich war für sie der längst verstorbene Pastor Reiche und sollte meine Gemahlin regelmäßig grüßen.

Den Sterbenden stehen mehr Räume zur Verfügung als uns Zurückbleibenden, lernte ich. Ich nahm diese Dimension sehr ernst. Hängen die Ostergeschichten vom Durchschreiten der verschlossenen Türen mit solchen Erfahrungen der erweiterten Zeitdimensionen zusammen, also: daß den Sterbenden mehr Vergangenheit und Zukunft greifbar und erlebbar sind?

Ich lernte bei "Lieseken" auch, daß man nicht vorschnell auf eine sich am Sterbebett möglicherweise einstellende Frömmigkeit hereinfallen darf. "Amen ist das letzte", sagte sie mir eines Abends und ich dachte bei mir, das sei ein schönes Wort für ihre Beerdigung. Am nächsten Tag offenbarte sie mir die Fortsetzung: "Amen ist das Letzte, Fräten ist das Beste", sagte sie, und damit war dieser Teil als Beerdigungstext gestorben. Wenn ich länger bei ihr blieb, nahm ich auch passende Sachen zum Arbeiten mit. "Herr Pastor sieht ja so würdig aus", rief sie entzückt, als ich für eine Goldene Konfirmation einmal den Lutherrock angezogen hatte. "Wie use Pappen im Sarge", setzte sie fort, und seither habe ich den Lutherrock nie mehr angezogen, denn so würdig wie der verstorbene Vater von Lieschen wollte ich doch nicht aussehen.

Das letzte Abendmahl

Selten wurde ich zu einem "letzten Abendmahl" gerufen. Meist hatte ich dort schon vorher Hausandachten gehalten und die häusliche Situation war mir nicht fremd. Als ich von einem stämmigen Rumänendeutschen, der sich rühmte, die Sense mit dem breitesten Schnitt im Dorfe zu führen, ins Krankenhaus ans Krankenbett zum Abendmahl gerufen wurde, und erst langsam mich an seine Situation mit einigen Fragen herantastete, fiel er mir bald barsch ins Wort und sagte: "Wollen Sie nicht langsam anfangen." Es ging ihm mit der Abendmahlsvorbereitung nicht schnell genug. Ich lernte dabei übrigens, daß das sogenannte "letzte Abendmahl" keineswegs das letzte sein muß. Er wurde danach wieder putzmunter. Es ist eben doch ein Mahl zum Leben. Und zwar zum ewigen Leben hier in dieser Welt.

Ich wurde erst durch die Praxis klüger. Als ich zu einer abendmahlsgeübten sterbenden Frau gerufen wurde, nahm ich statt des kleinen Krankenabendmahlskelches den üblichen mit, den die Sterbende kannte. Ich wollte ihn ihr noch einmal zeigen als etwas Bekanntes, Vertrautes. Als ich ihn ihr dann reichte, verschüttete ich Dussel natürlich einen Teil des Weines, weil ein größerer Kelch eben für diesen Zweck ungeeignet ist. Ich hatte angenommen, der Kelch wäre nur so klein, weil er nur für einen gedacht gewesen sei. Wir kannten uns gut und es wurde mir nicht übel genommen.

Aussegnung

Es kam auch vor, daß die Hinterbliebenen mich riefen, wenn der Tod eingetreten war. Das war zum ersten Mal bei dem Tod von Betty Liesegang, einer treuen Frauenhilfsschwester, "Fräulein Doktor", wie die Offleber leicht hämisch bemerkten, weil sie in frühen Jahren dem Dorfdoktor Schnabel den Haushalt geführt hatte. "Wollen Sie nicht noch mal kommen und sie ansehen?" fragte Herr Liesegang am Telefon. Ich verweilte am Totenbett, ließ mir Zeit, meist ließen mich die Angehörigen allein, ich sprach ein Gebet und segnete die Verstorbene. Es kam aber auch vor, daß ich mich in die Erschütterung der vom Todesfall überraschten Familie hineinstellte, mitweinte und in einem knappen Gebet den Schmerz teilte und vor Gott brachte.

Zu früher Trost - wenig Zeit zum Hadern

Erst langsam habe ich gelernt, daß alle tröstlichen Rituale eigentlich viel zu früh kommen und wir von der Seelsorge her zu wenig Zeit auch zu einer kämpferischen Auseinandersetzung mit dem Todesfall lassen. Oft quälen sich die Hinterbliebenen mit der Warum-Frage. Sie führt uns in die unverständliche und dunkle Seite Gottes, von der Luther so viel und wir heute so wenig predigen und wissen. Peinlich finde ich es geradezu, wenn ein Pfarrer dann mit empor gestrecktem Zeigefinger solche Warum-Frage als "die falsch gestellte" Frage tituliert und sich zum Verteidiger Gottes aufschwingt. Wie positioniert sich da ein Prediger? Ich habe die Warum-Frage dadurch relativiert, daß das Begreifbarmachen eines unbegreiflichen Todes die Lage der Hinterbliebenen ja noch sehr viel mehr erschwert. Dann ist das Verharren im Schmerz des Unbegreiflichen und Unverständlichen sehr viel lebendiger.

Das erste Mal verlor ich als Vikar über den Tod eines Menschen die Fassung. Mir wurde kurz vor dem Weihnachtstagsgottesdienst in Melverode zugetragen, daß der Rektor der Schule plötzlich verstorben war. Diesen Tod brachte ich im freien Gebet am Altar nach der Predigt zur Sprache und pochte beim Beten mit der Faust auf die steinerne Platte. Mir war dieser Tod unverständlich, ich wollte ihn mir nicht bieten lassen.

Ganz besonders erfuhr ich die Notwendigkeit des Haderns beim Tod meines engeren 20jährigen Freundes, den ich selber begraben habe. Ich konnte ihn, weil er vom tödlichen Verkehrsunfall so verstümmelt war, lange Zeit im geöffneten Sarg nicht erkennen. Erst später am Halsansatz. Diesen Tod wollte ich nicht akzeptieren.

Seither habe ich auch den Hinterbliebenen geraten, nicht gleich alles und auch nicht diesen Tod "gehorsam aus Gottes Hand" zu nehmen, sondern Raum zu lassen, zu klagen, mit Gott zu streiten und zu hadern. Die Bibel ist ja voll von Menschen, die mit Gott hadern. Ich habe gelernt, daß der schnelle Trost den Trauernden womöglich zu schnell vom Toten trennt und die Untröstlichkeit die wundervolle Funktion hat, die Verbindung mit dem Gestorbenen zu intensivieren. Das Lob der Untröstlichkeit habe ich dann auch einmal in einer Predigt am Totensonntag ausgebreitet.

Beerdigung als Dorfereignis

Eine Beerdigung ist nach wie vor ein gewisses Dorfereignis: die Hausgemeinschaft, Nachbarn, Berufskollegen gehen in der Regel mit. Selten spricht der Dorfpfarrer vor mehr Menschen als bei einer Beerdigung. Aber die Trauergottesdienste haben mir, besonders anfangs, sehr viel Mühe gemacht. Es trifft sich ja keine christliche Gemeinde. Die Männer bleiben meist draußen vor der Halle. Wenn das Vaterunser gebetet wird, gilt es schon als ein Zeichen von Kirchlichkeit oder persönlicher Frömmigkeit, wenn einer es laut mitspricht. Karl Heinz Isensee hat es mir oft genug bestätigt: die Männer draußen nehmen praktisch am gottesdienstlichen Geschehen drinnen nicht teil.

Aber auch im Innenraum der kleinen Friedhofskapelle ist die choralgewohnte, singebereite Gemeinde eher die Ausnahme. Ich war immer glücklich, wenn einige Katholiken unter den Trauergästen waren, die dann den eher schüchternen Gesang verstärkten. In Schöningen war es in den 60iger und 70iger Jahren geradezu üblich, auf einen Begräbnisgesang völlig zu verzichten. Nur Pfarrer Wille von der Clusgemeinde bestand aus einem gewissen christlichen Trotz darauf, daß lange gesungen werden sollte.

Psalm im Wechsel

Wenn die Trauergemeinde nicht singen kann, weil die meisten Choräle oft auch viel zu hoch gestimmt sind und die Stimme gerade in solcher bedrängten Lage nach unten sackt, dann könnte sie doch reden, dachte ich mir, und wir gewöhnten uns an, jahrelang den 23. Psalm im Wechsel zu sprechen. Das bürgerte sich bald ein und zwar so sehr, daß die Gemeinde den Text sogar auswendig sprach, als einmal das Blatt mit dem Text nicht vorhanden war. Inzwischen haben wir eine feste Vorlage, auf der auch der 90. Psalm abgedruckt ist. Den verwendete ich bei einer eher kirchengewohnten Trauergemeinde. Ich finde es sehr schade, daß die neue Agende von 1996 diese Möglichkeit eines im Wechsel gesprochenen Psalms nicht einmal empfiehlt. Sie hätten auf die jahrzehntelange Tradition unserer Dorfgemeinde zurückgreifen können.

Glaubensbekenntnis

Darf man geistlich mehr verlangen? Ich habe sehr früh dazu eingeladen, nach der Lesung das apostolische Glaubensbekenntnis gemeinsam zu sprechen. Wer wollte, konnte mitsprechen. Wer nicht wollte - dann nicht. Die Trauergesellschaft sollte die Möglichkeit haben, sich als Trauergemeinde zu konstituieren. Sie sollte wissen: dies ist ein Trauergottesdienst. Vom Gottesdienst sind die Leute das Sprechen des Glaubensbekenntnisses gewohnt. Spätestens jetzt würden sie merken: das ist in der Kapelle keine familiäre Abschiedsfeier mit Pastor und geistlichem Kringel, sondern ein Gottesdienst anläßlich eines Sterbefalles.

Schon der Vorentwurf zur Agende aus dem Jahre 1958, den ich bei meinem Dienstantritt in Offleben vorfand, sah als Möglichkeit vor, daß das Glaubensbekenntnis gesprochen wird, und zwar draußen am Grabe unmittelbar vor dem Segen nach dem Vaterunser. Das sollte eine Erinnerung daran sein, daß der Verstorbene getauftes Mitglied der Kirche gewesen war. Ich kann mir nicht vorstellen, daß das jemand so gehalten hat. Das Glaubensbekenntnis an dieser Stelle ist eine unzumutbare Überfrachtung von Gebetstexten, denn zwischen dem Vaterunser und dem Glaubensbekenntnis sollte noch ein Gebet gesprochen werden.

Leider hat die neue Begräbnisagende von 1996 nur eine kleine Veränderung vorgenommen, indem sie nun das Glaubensbekenntnis mehr an den Anfang der Handlung am Grabe gestellt hat und zwar nach der Lesung und dem dreimaligen Erdwurf. Aber auch mit einer knappen Einleitung, die an die Taufe des Verstorbenen erinnert. Das halte ich für sehr schwierig. Das Glaubensbekenntnis ist üblicherweise eine Antwort der hörenden Gemeinde auf das verkündigte Evangelium, das sie sich auf diese Weise, wer immer es will, hörbar aneignen kann. Leider ist keiner der Agendenmacher auf die Idee gekommen, das Glaubensbekenntnis nach der biblischen Lesung bereits in der Halle anzubieten. Das hat auch den sehr äußerlichen Vorteil, daß die Handlung am Grabe etwas verkürzt wird.

Die zweimalige Möglichkeit der Trauergemeinde, in der Kapelle etwas zu sprechen, hat auch den Vorzug, daß das für die Teilnehmerinnern und Teilnehmer meist lastende Schweigen, das für einige Zeit durchaus auch seine Berechtigung hat, gebrochen werden kann von dem, der mitsprechen will. Durch das laute Sprechen wird die drückende Situation etwas leichter. Außerdem wird auch bei einer Beerdigung der wichtige Gedanke hörbar, daß die Kirchengemeinde vor Ort "ihren" Toten begräbt.

In Reinsdorf wurde das dadurch noch deutlicher, daß die Küsterin oder ein Kirchenvorstandsmitglied den Psalm im Wechsel mit der Trauergemeinde gesprochen hat. Hier wurde das Sprechen aber auch dadurch begünstigt, daß wir den Trauergottesdienst nicht in der viel zu kleinen Kapelle, sondern in der Kirche, ohne den Sarg, abhielten. Das hatte sich erstaunlich gut eingebürgert.

"Jeder Gottesdienst zur Bestattung ist zugleich ein Gemeindegottesdienst", heißt es jetzt im Vorwort zur Agende von 1996 (S. 12). Das war auch der leitende Gesichtspunkt bei unseren Änderungen der Ordnung des Trauergottesdienstes.

Lesung

Es kamen weitere Änderungen hinzu. Nach dem Psalm wird in der Kapelle ein biblischer Text gelesen. Ich fand nicht nur zu Beginn bei meiner Dienstzeit, sondern auch noch am Ende, daß es sehr unbarmherzig ist, der Trauergemeinde, die in der Regel diesen Text zum ersten Mal hört, einen zu tröstlichen, einen zu evangelischen, womöglich einen Text aus den Briefen des Paulus vorzusetzen. Wenn es überhaupt Sinn macht, die Trauergemeinde auch in dieser, die Ohren oft genug verstopfenden Situation an einen Text heranzuführen, dann kann es nur ein Wort von der Bitterkeit des Todes sein. Ich fand ihn schließlich bei Jesus Sirach 41, 1f:

"O Tod, wie bitter bist du, wenn ein Mensch gedenkt, der gute Tage und genug hat, ohne Sorge lebt, dem es wohl geht in allen Dingen, und der noch wohl essen kann. O Tod, wie wohl tust du dem Dürftigen, der da schwach und alt ist, der in allen Sorgen steckt und nichts Besseres zu hoffen noch zu erwarten hat. Fürchte den Tod nicht. Denke, daß es so vom Herrn geordnet ist über alles Geschöpf. Gedenke derer, die vor dir gewesen sind und die nach dir kommen werden. Und was weigerst du dich gegen den Willen Gottes?"

Vermutlich ist mir der Text zum ersten Mal beim Hören der Vertonung durch Max Reger begegnet. Er spricht das Gefühl der Bitterkeit aus, das über jedem Sterbefall liegt und nimmt zugleich das Gefühl der Dankbarkeit auf, das gerade bei im hohen Alter Verstorbenen auch vorhanden sein kann. Es ist meist mein einziger Bibeltext gewesen. Einen zweiten habe ich mir bei den doch meist kirchlich und bibeltextlich ungeübten Trauergottesdienstteilnehmern nicht zugetraut.

Bei einer Urnenbestattung indes habe ich gerne am Urnengrab draußen noch 1. Kor. 15 mit dem mehrfachen "Es wird gesät..." gelesen. Dabei habe ich den Gedanken der Ärmlichkeit und Kleinheit der Asche in einem Vorwort aufgegriffen und darauf verwiesen, daß die Verwendung des Paulustextes dem Beisetzen der Urne das Bild vom Säen zuordnet. Indem wir die Urne beisetzen, säen wir. Und die Saat kann eben nur klein und unscheinbar sein wie die Asche in der Urne.

Ich habe es nur in wenigen Trauerfällen gewagt, auch einen der Auferstehungstexte zu lesen. Da hat es mir einfach an Mut gemangelt. Ich war daher ziemlich erschrocken, als Pfarrer Christoph Brinckmeier aus Helmstedt mir eines Tages sagte, er verlese bei jeder Beerdigung die Auferstehungsgeschichte des Markus. So sehen es auch die Agenden seit 1958 vor. Brinckmeier verwendete beim Trauergespräch mit den Angehörigen auch einige Zeit, auf diesen Text zu verweisen, sodaß er ihnen im Gottesdienst nicht ganz fremd war.

Als ich einmal eine Beerdigung von ihm miterlebte, was ja beim Pastoren höchst selten vorkommt - es war die Beerdigung von Ruth Ponczek, einer verdienten Lehrerin und Gottesdiensthelferin in Offleben, die Anfang der 70iger Jahre mit ihrem Mann aus beruflichen Gründen nach Helmstedt gezogen war - überzeugte mich die Lesung. Ich war da kleingläubiger in der Meinung, was man den Trauergottesdienstbesuchern zumuten konnte.

Sehr mißtrauisch werde ich allerdings, wenn aus den Trauergottesdiensten die klassischen Sterbelieder "Alle Menschen müssen sterben" u.a. völlig verschwinden und der "Osterjubel" die Trauernacht völlig verdrängt. Schließlich war auch für die Jünger die Nachricht von der Auferstehung mit Schrecken und Angst verbunden und die Einsicht, ihr verstorbener Jesus wäre "im Himmel", ist ihnen auch erst nach knapp 50 Tagen geschenkt worden. Wenn die Kirche derlei Glaubenserwartungen bereits drei Tage nach dem Todesfall predigt und fordert ("Wir Christen glauben und wissen um...") dann finde ich für mich keinen Platz mehr in diesen Trauergottesdiensten und denke über die furchtbaren Verdrängungsbeschädigungen nach, die solche Predigten erzeugen können.

Gebet nach der Predigt

Beim Gebet nach der Predigt und vor dem Hinausgehen war es mir immer schwer, für denjenigen zu beten, "den du als nächsten aus unserer Mitte abrufen wirst". So stand es in dem Formular. Ich dachte mir: einen Tod zu verkraften, ist eigentlich schon schwer genug, und dann gleich an den nächsten Toten zu denken, hilft nun auch nicht sehr viel weiter. Außerdem kam man aufs Abzählen: wer ist der/die Älteste? Die müßte dann ja nach menschliche Ermessen "dran" sein. Aber wie oft kam es anders.

Mir war es auch fragwürdig, ob man von der Sünde und Schuld des Verstorbenen beten dürfte. War das jetzt der richtige Moment? Gehörte das nicht mehr in das Beerdigungsgespräch? Sprach da nicht die alte, unerbittliche, richtende Kirche?

Die Beerdigungsgebete gehörten zu den ersten Projekten, derer sich die Agendenkommission der Landeskirche unter Oberlandeskirchenrat Brinckmeier annahm. Der ermahnte uns, daß wenigstens bei Pfarrern von der Schuld und Sünde am Grabe zu beten und zu reden sei. Es ist aber auch bei jeder Traueransprache gut, wenn der Tote nicht in den Himmel gehoben wird, sondern auch von den mißratenen und unerledigten Dingen in taktvoller Weise gesprochen werden kann.

Auf dem Dorfe, wo jeder jeden kennt, hatte ich allerdings zeitweise auch den Eindruck, daß die zuhörende Gemeinde Verständnis hat, wenn manches gerade nicht benannt wird. Es kommt ja nicht darauf an, ans Licht zu zerren, sondern den Verstorbenen Gott anzuempfehlen.

Jede Beerdigung ist für die Teilnehmer eine Erinnerung an das eigenen Sterben. Wir bitten "...und wenn unsere Stunde kommt", was dann? Dazu gab es noch in der 1964 eingeführten Begräbnisagende teils zu füllige, teils zu harte Worte: "Bereite ihn und uns alle zu einem seligen Ende und gib uns Kraft, daß wir den guten Kampf kämpfen, Glauben halten und gerüstet seien für deine Stunde in der Hoffnung der Auferstehung zum ewigen Leben", oder: "Laß uns täglich unser Ende bedenken und die Frist nicht versäumen, die du uns noch gibst. Hilf uns, daß wir leben im Glauben an deinen Sohn, der allein aus Gericht und Hölle retten kann. Bewahre uns vor einem bösen, unbußfertigen Tod und schenke uns in Gnaden ein seligen Ende." Ich konnte so beim besten Willen nicht beten. Da war man als junger Pfarrer doch ziemlich alleine gelassen und in den Pfarrkonferenzen wurde derlei nicht besprochen.

Es war ausgerechnet ein alter SS-Mann aus Büddenstedt, der mir während eines schweren Beerdigungsgespräches den Eintritt des Todes seines Familienangehörigen, den er miterlebt hatte, so schilderte: "Und dann warf der Engel den Schleier." Ich hatte das vorher noch nie gehört. Aber das Bild war für ihn offenbar sehr tröstlich. Ich suchte in alten Gebeten und fand die Formulierung "...und wenn unsere Stunde kommt, sende uns deinen heiligen Engel, daß er uns im Frieden geleite zu deiner ewigen Herrlichkeit". Das habe ich dann jahrzehntelang so gebetet.

Wort beim Erdwurf

Außer dem Psalm im Wechsel, Lesung und Glaubensbekenntnis hatten wir in Offleben noch eine Besonderheit. Schon mein Vater fand das Wort beim Erdwurf "Erde zu Erde, Asche zur Asche, Staub zum Staub" zu negativ und ohne Bezug auf einen erinnerlichen biblischen Text. Ich habe dann bald den dreimaligen Erdwurf mit dem dreigliedrigen Pauluswort: "Leben wir, so leben dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum wir leben oder sterben, wir gehören zum Herrn" begleitet. Wenn der Pfarrer als erster sich dem offenen Grab zuwendet, kann er mit einer erhöhten Aufmerksamkeit der Trauergemeinde rechnen, besondern auch von denen, die bisher vom Geschehen in der Kapelle nichts mitbekommen haben. Es ist nach dem Eingangswort bei der Handlung draußen die erste vernehmbare biblische Botschaft, die die Trauergemeinde hört.

Die neue Agende von 1996 bietet dankenswerterweise eine biblische Alternative und zwar: "Es wird gesät verweslich und wird auferstehen unverweslich. Es wird gesät in Niedrigkeit und wird auferstehen in Herrlichkeit. Es wird gesät in Schwachheit und wird auferstehen in Kraft". Ich halte dieses Wort ohne ein Verständnis öffnendes Präfamen (Vorwort) in dieser Situation für zu schwer. Manchmal habe ich auch den Text aus der Offenbarung Johannes Kapitel 21, 3 zusätzlich verwendet: "Siehe da die Hütte Gottes bei den Menschen, und er wird bei ihnen wohnen und sie werden sein Volk sein und er selbst, Gott, wird mit ihnen sein".

Die dann folgende Formulierung, die die Begräbnisagende von 1964 vorsah, "sei ihm gnädig im Gericht und helfe ihm aus zu deinem ewigen Reich" empfand ich als zu hart. Außerdem hielt ich die Vorstellung vom "Jüngsten Gericht" gerade in diesem Augenblick für fragwürdig. Sie ist keineswegs überflüssig. Sie soll uns zu verantwortlichem Handeln, zu einer letzten Verantwortung im Alltag ermuntern, aber als eine zeitliche Fixierung nach dem Tode hielt ich dieses Bild für problematisch und vermied es.

Lebenslauf

Da meine Patentante Ruth Erdmann eine Diakonisse war und aus dem Mutterhaus in Niesky stammte, kannte ich von ihr die Herrnhuter Sitte, daß man noch zu Lebzeiten einen Lebenslauf für den Todesfall schreibt, der dann bei der Beerdigung vorgelesen werden kann. Die Möglichkeit, einen von der Familie verfaßten Lebenslauf vorzulesen, bietet auch die neue Agende an. Ich habe das nicht selten praktiziert und unterschiedliche Erfahrungen dabei gemacht.

Es ist hilfreich, wenn man sich den Text vorher noch mal geben läßt und taktvoll hier und da Veränderungen vorschlägt, besonders dann, wenn der Lebenslauf in einen zu langen Nachruf ausartet. Nicht alle Familienangehörigen sind auch in der Lage, einen solchen Text vorzutragen und flüchten sich in eine Überlegenheit vortäuschende Nonchalance, die dem Gottesdienst nicht angemessen ist. Häufiger habe ich einen solchen Text auch selber vorgelesen. Ich war dankbar dafür, daß sich die Familie hingesetzt und die für sie wichtigen Daten zusammengetragen hatte, weil ein solcher Text authentischer ist, besonders dann, wenn der Pfarrer den Verstorbenen nicht gut kannte. Auch die Zweiteilung von Lebenslauf und Textauslegung hat meine seelsorgerliche Situation eher erleichtert.

Der Trauerzug

In der Regel teilt sich der Trauergottesdienst in zwei Teile: in der Kapelle und am Grabe. Ein dritter Teil, der sich zwischen diese beiden Teile schiebt, kommt dort vor, wo die Trauergemeinde bis zum Grabe eine ziemliche Strecke zu überwinden hat. Es entsteht eine reichlich formlose Phase, die durch die kurze Handlung am Grabe nur schlecht aufgefangen werden kann. So erging es mir in Schöningen, als der neue, hintere Teil des Friedhofes in Gebrauch genommen war. Ich fand es sehr schön, wenn die Schlesier bei der Beerdigung einer ihrer Heimatvertriebenen dem Sarg vorweg gingen und Heimatlieder sangen.

In Offleben führte dieser Weg durch das ganze Dorf, als es für den Friedhof oben an der Bahnhofstraße noch keine Friedhofskapelle gab. Sie wurde erst 1975 formlos im Gebrauch genommen. Bis dahin bildeten wir einen Trauerzug. Das fand ich eigentlich sehr schön, weil es der Bevölkerung die Möglichkeit gab, auf eine wenigstens flüchtige Weise an dem Trauerfall teilzunehmen. Der Zug hinter dem Trauerwagen, der anfangs noch von den Pferden von Erich Gorny gezogen und dann durch ein Auto von Alfred Chabowski ersetzt wurde, ging zunächst über die Hauptstraße. Es war aber den Offlebern nicht beizubringen, stehen zu bleiben und die Mütze zu ziehen, wenn der Trauerzug an ihnen vorbeiging. Besonders ärgerlich war es, wenn der Autoverkehr auf die paar Minuten Verzögerung nicht Rücksicht nehmen konnte, sondern, Benzingestank hinterlassend, den langsamen Trauerzug überholte. "Bedenke das Ende", dafür fand sich auf der Straße keine verbindliche Form. Später gingen wir aus falscher Rücksicht gegenüber den Autofahrern einen anderen Weg durch die Siedlung Nord.

Einen Trauerzug gibt es auch in Reinsdorf, wenn die Trauergemeinde aus der Kirche kommend von der Leichenhalle den Sarg abholt. Gerne hätte ich bei der Gelegenheit ein Lied gesungen, was aber aus akustischen Gründen allein wegen der mangelnden Abstimmung nicht gelungen wäre.

Wie lange soll man am Grab bleiben?

Mir war es ganz selbstverständlich, daß ich der letzte sein sollte, der vom Grab wegging. Das war keineswegs üblich. Ich habe Beerdigungen erlebt, wo der Pfarrer vom Grabe wegging, wenn er den Segen gesprochen hatte. Ich habe als letzter den Familienangehörigen kondoliert. Insbesondere bei widrigen Wetterverhältnissen fand ich es richtig, wenigstens solange auszuharren, wie die Familienangehörigen.

Es gab auch noch einen anderen Grund. Bei Beerdigungen wurden ja gelegentlich auch Nachrufe gesprochen. So erlebte ich bei einer Beerdigung eines fern von der Heimat verstorbenen Flüchtlings, daß der BdV-Funktionär die Gelegenheit benutzte, um lauthals zu erklären: "Der Verstorbene kam aus Danzig. Und Danzig war deutsch und ist deutsch und muß wieder deutsch werden." Das stieß mir sehr sauer auf. Ich wollte mir auch nicht nachsagen lassen, daß bei Beerdigungen von Kuessner revanchistische Reden gehalten wurden. Ich konnte bei diesem und noch einem anderen Anlaß auf den Redner einwirken, daß solche Bemerkungen unterbleiben sollten, sonst müßte ich noch einmal das Wort nehmen. So etwas konnte ich aber nur verhindern, wenn ich als letzter vom Grabe ging.

Es kam einmal - nicht in Offleben und Reinsdorf - auch vor, daß das Grab nicht breit genug ausgehoben war und der Sarg beim Herunterlassen klemmte. Das war der Sarg eines prominenten Heeseberger Landwirtes, dessen Angehörige unbedingt wollten, daß der Sarg vorher erst in der Dorfkirche aufgebahrt werden sollte. Das hatte ich jedoch abgelehnt. Einer der Angehörigen stemmte sich auf das nach oben ragende Ende des Sarges und wollte ihn mit Gewalt herunterdrücken. Dann schrie er die Totengräber an, die am grünen Grabschmuck zerrten. Ich beendete das unwürdige Spiel, setzt den Trauergottesdienst fort und blieb nach dem Segen so lange, bis der Sarg nach etlichen zusätzlichen Spatenstichen der Totengräber den Erdboden erreicht hatte. Ich fühlte mich doch bis zum Ende verantwortlich für das ganze Geschehen am Grabe.

Andere Trauerfeiern

In der Erinnerung haken sich jene Trauerfeiern besonders intensiv fest, die sich vom geschilderten Ritual grundlegend unterschieden: etwa jener Trauergottesdienst anläßlich des Todes einer alten Sintifrau in Emmerstedt, zu dem ich verkehrsbedingt - was nur einmal passiert ist - zehn Minuten zu spät kam. Das hätte bei jeder "normalen" Beerdigung einen Aufstand des Entsetzens und eine Beschwerde beim Landeskirchenamt ausgelöst. Bei dieser "Zigeunergemeinde" überhaupt nicht. Sie betrat gar nicht die Kapelle, sie verfolgte meine Gebete und Lesungen durch die Tür aus einem Respekt signalisierenden Abstand vor dem Ritual, das ich vollzog. Erst als ich mit dem Gottesdienst fertig war, wurden sie lebhaft und füllten die Gruft mit zahlreichen Papierblumen.

Die Trauerfeier für den Bundtagskandidaten der FDP aus Helmstedt, Rechtsanwalt Dr. Notdurft, der nicht der Kirche angehörte, aber mit dem ich über die FDP-Zugehörigkeit auch politisch verbunden war, habe ich nur mit Gedichten von Gottfried Benn im Wechsel mit Musikstücken dazwischen gestaltet.

Die gut 40jährige Frau eines bis auf die Knochen sozialistischen Freundes begrub ich, umgeben von roten Fahnen und einem Frauenchor, der "Brot und Rosen" und andere Naturfreundelieder sang, mit vertrauten Texten.

Eines Tages erhielt ich einen Anruf von einem Fremden, dessen Freund an Aids gestorben war und der auch nicht in der Kirche war. Mit Texten und Musikstücken und einem Lebenslauf des Freundes haben wir ihn gemeinsam begraben. Es muß nicht immer der Name Gottes vorkommen. Es kann auch ein ganz anderes Ritual sein, ohne Glaubensbekenntnis und ohne "Wenn ich einmal soll scheiden". Vielleicht sollten wir uns auch bei unseren christlichen Beerdigungen mehr und länger in das Tränenfeld hineinstellen und dort gemeinsam nur still verharren.

Das krasse Gegenteil, bei dem ich mich ziemlich zusammennehmen mußte, erlebte ich bei der Bestattung eines Bundeswehrangehörigen. Ich hatte ihn konfirmiert, er war auf der Straße verunglückt, nun meldete sich ein Offizier und wollte mir die Prozedur der Beerdigung erklären und vorschreiben, wie ich zu gehen hätte und welche Kommandos über dem offenen Grab ertönten und wann ich dann wieder zu reden hätte. Mir kamen bei dem Stahlhelm, den ich da auf dem Sarg liegen sah, nur unpassende Gedanken. Ich hatte den jungen Mann ziemlich gut kennengelernt, wir waren zusammen mit anderen Jugendlichen auf dem ökumenischen Augsburger Kirchentag gewesen, ich kannte auch seine im Grunde sanfte Grundausstattung. Als wir aus der Kapelle kamen, stand hinter jedem Baum ein Soldat mit einem Gewehr, ich glaube, es wurde sogar irgendwann geschossen. Mir drehte sich der Magen um. Da wurde nach meinem Gefühl die Trauer in ein lächerliches Ritual eingesperrt.

Trauerfeiern durch Lektorinnen und Lektoren

Es gibt eigentlich keinen theologischen Einwand dagegen, daß Lektorinnen und Lektoren, die einen Predigtgottesdienst halten, nicht auch Trauergottesdienste halten könnten.

Historisch gesehen, hat es das früher gegeben. Die bis nach 1945 gültige "Agende der ev.-lutherischen Kirche des Herzogtums Braunschweig" von 1895 sah ein Begräbnis "unter Mitwirkung des Opfermanns bzw. Lehrers" vor. Solche Begräbnisfeiern galten besonders im vorigen Jahrhundert, als alle Amtshandlungen noch bezahlt werden mußten, weil es keine Landeskirchensteuer gab, als "Armeleutebegräbnisse". Wer es sich leisten konnte, hielt sich einen Pastor. Die anderen wurden vom billigeren Opfermann "beigekuhlt". Solche Bedenken können heute nicht mehr entstehen.

Der Offleber Kirchenvorstand beantragte Anfang der 70iger Jahre, auch Lektorinnen und Lektoren die Abhaltung einer Trauerfeier zu übertragen. Die Sache ging an die Landessynode und ein gemeinsamer Ausschuß aus Gemeinde- und Rechtsausschuß kam im Januar 1974 zum Ergebnis, daß von der Verfassung her dagegen keine Bedenken zu erheben wären. Die Landessynode stellte allerdings fest, daß für derlei Aufträge zur Zeit kein Bedarf bestünde und teilte dies durch den Synodalpräsidenten der Propsteisynode Helmstedt mit. Bei einem späteren Vorstoß lehnte die Propsteisynode einen ähnlichen Antrag des Offleber Kirchenvorstandes ab.

Es wäre an der Zeit, innerhalb der Lektorenausbildung auch die Abhaltung eines Begräbnisses und eines Trauergespräches zu behandeln.

Ansprache bei der Beerdigung von Karl Heinz Isensee am 21. Februar 1998

"Wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt,

von des Leibe werden Ströme des lebendigen Wassers fließen" (Joh. 7, 38)

Liebe Trauergemeinde, liebe Familie Isensee,

dieses Bibelwort kommt dreimal in eurer Familiengeschichte vor. Es ist ein Konfirmationsspruch; am 18. Februar 1966 war es das Geleitwort für die 32 Jahre währende Ehe; und weil der Hochzeitstag der Sterbetag war, soll es auch über dieser Stunde stehen.

Ein gültiges Wort in ganz verschiedenen Lebenssituationen zu unterschiedlichen Generationen; zur damals 14jährigen, zum 36jährigen Ehemann und nun nach 67 Lebensjahren wieder.

Ohne Umschweife zielen die ersten vier Worte auf die Mitte unseres Lebens: "Wer an mich glaubt". Wer an Gott glaubt.

Wer an Gott glaubt, der kann in diesen Tagen mit Gott hadern, sich an seinem Gott reiben über den plötzlichen und zugleich so stillen, lautlosen Tod von Karl Heinz Isensee. "Unser Leben währet siebzig Jahre", lesen wir in der Bibel. Wie gerne hätten wir im Sommer des Jahres 2000 seinen 70. Geburtstag gefeiert. Manches Familienfest, angefangen mit der Konfirmation der Enkeltochter in diesem Jahr ohne ihn, ist nun schwer. Das Alte Testament ist voll von Menschen, die mit Gott gekämpft und gehadert haben.

Diese Worte hätte Karl Heinz Isensee ohne Umschweife für sich in Anspruch genommen. Er hat aus seinem Glauben keinen Hehl gemacht. Ein Glaube, der mit unserer Dorfkirche verbunden war: am 21. September 1930 wurde er hier getauft und der Anfang seines Glaubens gesetzt. Am 5. März 1944 wurde er in unserer Kirche von Pastor Reiche konfirmiert. Das war nicht selbstverständlich. Sein Vater war im Gemeinderat und manche Offleber ließen sich unter der Fahne konfirmieren. Das kam für sein Elternhaus nicht in Frage. Er hat anläßlich der Goldenen Konfirmation 1994 davon erzählt. Von 1966-1971 war er im Kirchenvorstand tätig, wo er selber praktisch Hand anlegte, als das Kircheninnere von Grund auf von den Gemeindegliedern in Eigenarbeit renoviert wurde. Das letzte veröffentlichte Bild zeigt ihn in der 2. Adventswoche in unserer Kirche beim Podiumsgespräch über die Zukunft unseres Dorfes. "Wer an mich glaubt" - das ist sein Erbe an die Familie, an Kinder und Enkelkinder: den Glauben in die Mitte seines Lebens stellen.

"Wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt", fährt Johannes fort. Also nicht ein Glaube, den wir uns ausdenken und den wir uns zurechtmachen, sondern den wir uns von der Schrift, vom Wort Gottes, einprägen und sagen lassen. Als wir gestern abend in verschiedenen Bibelausgaben den Wortlaut des Konfirmationsspruches miteinander verglichen haben - das hätte ihm wohl gefallen. Die Schrift als den tragenden Grund unsres Glaubens hat er oft genug vernommen.

Wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt, der wird die Schöpfung pflegen und bewahren. Als Landwirt hat Karl Heinz Isensee einmal angefangen, bevor er bei der BKB anfing, und sein ganzes Leben hat er im besten Sinne des Wortes geackert. Im Kleinen - seinen Garten hat er Ende Januar in den wärmeren Tagen schon fertig gemacht - und im öffentlichen Bereich vor allem. Geackert in den Gremien und Ausschüssen, als Betriebsrat und als Bürgermeister. Diese Arbeit wird noch ausführlich gewürdigt werden. Und als in einem der örtlichen Vereine gerade ein Kassenwart fehlte, war er sich für diesen Posten aus Liebe zu den Tieren nicht zu schade.

Als einer, der ackerte, paßte er in unser Dorf, und hat auch ernten dürfen. Manche Geschichten vom Ertrag seiner "Ackerarbeit", von der Frucht, hat man sich in den letzten Tagen unter uns erzählt und werden noch anhalten.

Diese Arbeit hat er unnachgiebig getan, und er hat es seinen Weggefährten auch nicht immer leicht gemacht. Durch seine impulsive Art und manche Unberechenbarkeit erlebten wir ihn auch als schwierigen Zeitgenossen.

"Wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt, von des Leibe werden Ströme des lebendigen Wassers fließen". So kann ein Mensch, der den Glauben zur Mitte seines Lebens macht und sich unter das Wort der Schrift beugt, zu einer sprudelnden Quelle werden. Das ist nicht von unsern Verdiensten und Erfolgen gesagt, sondern von Jesus selbst. "Jesus ist kommen, die Quelle der Gnaden, komme, wen dürstet". Das ist auch von denen gesagt, von denen wir den Glauben empfangen haben, also von seinen Eltern, an deren Seite wir ihn heute begraben, an der Seite seiner Mutter, an deren plötzlichen Tod ich heute denken muß. (Frau Isensee war nach einer Beerdigung noch auf dem Friedhof tot umgefallen und wurde auf eine Bank in der Friedhofskapelle gelegt, wo ich dann solange Choräle auf dem Harmonium spielte, bis ein Vertreter einer Beerdigungsfirma kam. Ich dachte mir: der Mensch stirbt sukzessive und vielleicht stirbt das Gehör erst später und sie hört noch die Klänge). Es ist zugleich die Hoffnung aller derer, die sich diese Wort zu eigen machen, die Hoffnung ein in aller Traurigkeit getröstetes Leben, das sich täglich erfrischen kann an dem Strom des lebendigen Wassers seines Wortes. Dem wollen wir uns anempfehlen, indem wir das Lied singen "Befiehl du deine Wege..." Strophe 1 und 7 + 8.

Gebet:

Allmächtiger, ewiger Gott, du Herr über Lebende und Tote,

der du deinen Diener Karl Heinz Isensee abgerufen hat nach einem arbeitsreichen Leben aus dieser vergänglichen Welt:

wir danken dir für alles, was du in deiner väterlichen Liebe an ihm getan hast:

für die Fürsorge, die du seiner Familie erwiesen hast,

für alle Freude, die du ihm geschenkt hast

für seinen Einsatz und treue Arbeit in unserm Dorf und für seine Bewohner,

für alles, was du ihm hast gelingen lassen.

Wir bitten dich für alle, die durch seinen plötzlichen Tod gebeugt und betrübt sind: Tröste sie durch dein heiliges Wort,

daß, wer an dich glaubt, von dir zum frischen Wasser geführt wird.

Gib ihnen Kraft für die Tage, die nun kommen.

Wir bitten dich, Herr, für alle, die im Glauben entschlafen sind:

vollende dein Werk an ihnen in Ewigkeit.

Wir bitten dich für alle Sterbenden: laß sie dein Erbarmen finden und stärke sie in der Kraft deiner Auferstehung.

Uns allen aber schenke stete Bereitschaft, unser Leben dir zurückzugeben und wenn unser Ende kommt, sende uns deinen heiligen Engel, daß er uns im Frieden geleite zu deiner ewigen Herrlichkeit.

Herr gib ihm die ewige Ruhe, und das ewige Licht leuchte ihm durch Jesus Christus, unsern Herrn. Amen.


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