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[Kirche von unten]

Gemeinsam - zärtlich - radikal

11. Kapitel

Dorfjugend - Konfirmandenunterricht - Gemeindejugend

Goldene Konfirmation

Dorfjugend

Wenn man durchs Dorf geht, fallen einem eher die älteren Menschen auf.

Auf der Mauer beim Kiosk haben die Jungen einen Treff. Wenn man sie fragen würde, was im Dorf "los" ist, würden sie rummaulen: "nichts los", "tote Hose", am schlimmsten sonntags: "Totensonntag". Sie meinen: zur Disko müssen sie nach Schöningen oder Helmstedt fahren, wenig Austausch mit anderen Gleichaltrigen. Auch zum Kino muß man aus dem Dorf. Es wird eben "nichts geboten".

Aber ganz so stimmt das ja nicht: der TSV hat eine breite Jugendarbeit aufgebaut. Fußballspielen war fast ein gesellschaftlicher Zwang für die Jüngeren. Die Feuerwehr hat ebenfalls eine Jugendabteilung mit Übungsabenden und Fahrten. Bei der Feuerwehr trifft man sich auch außerhalb des Dienstes gesellig. Früher gab es auch noch einen Schützenverein, der später mit den Reinsdorfer Schützen zusammengelegt wurde.

Doch die nichtorganisierte Jugend hat tatsächlich wenig Möglichkeiten. Es bilden sich Cliquen mit unterschiedlichen Schwerpunkten, die dann zu Hause rumhängen, spielen, saufen oder einen Freiraum suchen, wo sie unterkriechen können. Und dann und wann brechen sie aus, brechen in Gartenlauben ein, klauen Mopeds, ich habe mich eigentlich gewundert, daß nicht mehr passiert ist.

In diesem Alter wird naturgemäß gekloppt und geprügelt. Ich vermute, daß dies früher noch viel häufiger der Fall war. Es kam auch vor, daß sich ganze Familien daran beteiligten. Dann kam - das war eine Ausnahme - die Polizei und riegelte die Straßenausgänge ab.

In diesen nichtorganisierten Zirkeln wurde dann auch gekifft. Irgendwo wurde mir mal eine Wasserpfeife angeboten, aber ich dankte als Nichtraucher. Mal erzählte man sich auch: "Die feiern auf der Kippe eine schwarze Messe". Ich empfand das alles als verständliche, zeitbedingte, altergemäße Versuche des Ausbruchs aus der dörflichen, gesellschaftlichen Enge.

Die meisten der Jugendlichen gingen nach Schöningen zur Orientierungsstufe, wo die Offleber, wie die Eltern berichteten, zu Unrecht als schwierig galten. Ab der 7. Klasse sind die Hauptschüler in Büddenstedt. Ich bin gerne zur Schulentlassungsfeier nach Büddenstedt gefahren, um zu sehen, wie sich die Jugendlichen nach der Konfirmation weiterentwickelt hatten.

Einige gingen zur Mittelschule, und es gab auch wenige, die das Gymnasium Anna Sophianeum in Schöningen oder das Gymnasium am Bötschenberg in Helmstedt besuchten. Die bildeten wieder unter sich ihre Cliquen.

Konfirmandenunterricht

In diesem Jugendgemenge fand nun der Konfirmandenunterricht statt. Dafür mußte nicht besonders geworben werden. "Man" ging zum Konfirmandenunterricht. Meist klassenweise. Einer sagte in der Schule dem andern Bescheid: "Wir müssen jetzt zum Paster."

Und sonst sorgten schon die Eltern dafür. Denn die Erinnerungen an die eigene Konfirmandenzeit gehören zum festen kollektiven Bestandteil des Dorfbewußtseins und bieten auf Anhieb Gelegenheit zu einem kleinen Schwatz. "Auweia", erinnerte sich Pepper Hinze, "wehe die Eltern erfuhren, daß man Unsinn gemacht hatte. Dann gab's gleich 'ne Tracht hinterher:" Ja, wenn der Pastor im Hause auftauchte, was sonst eigentlich nur zu Beerdigungen der Fall war, dann war etwas passiert. Und zwar etwas Unerfreuliches. Das wollte man sich vom Halse halten. Und daß man was lernen mußte, gehörte auch zu diesen Erinnerungen. "Da kriegen die Jugendlichen noch mal ihren letzten Schliff", sagte Karl Heinz Isensee in einer Kirchenvorstandssitzung. Mit dieser militärischen Ausdruckweise verband er die Vorstellung: lernen, Prägungen erhalten.

Der Pastor war zwar eine Autorität, aber ganz ernst nahm man ihn im Unterricht auch nicht.

Aus einer Paukerfamilie

Ich stamme mütterlicherseits aus einer alten Paukerfamilie. Mein Großvater Peetz war Schulrektor in Posen und meine Tanten Elfriede und Hilde Lehrerinnen in Königsberg und Neukuhren. Meine Mutter hatte aus Liebe zu ihrem Mann das Referendarexamen abgebrochen. Sie hatte Deutsch und Geschichte studiert. Auch meine beiden Schwestern waren ins pädagogische Fach gegangen.

Das Unterrichten machte mir auf allen Ebenen Spaß: bei den 12- bis 14jährigen im Konfirmandenunterricht, bei den 12- bis 18jährigen am Gymnasium in Schöningen, mit den 18- bis 24jährigen Studentinnen und Studenten an der Technischen Universität in Braunschweig, wo ich von 1984 bis 1988 aushilfsweise acht Semester Übungen für Kirchengeschichte und biblische Fächer abhielt, und schließlich mit den 25- bis 35jährigen am Predigerseminar. Dort unterrichtete ich von 1990 bis November 1998 die Vikarinnen und Vikare in Braunschweiger Kirchengeschichte .

Lernziel

Ich war für Lernen und Lehren. Das ist heutzutage zwar ganz altmodisch, aber ich halte es immer noch für richtig, daß im Konfirmandenunterricht gelernt wird, und zwar in der Weise, daß die Grundlagen des christlichen Glaubens, also Kenntnisse in Alten und Neuem Testament, Jesus von Nazareth, das Land Palästina, Kirchenjahr, Gottesdienst, die Kirche vor Ort, Taufe und Abendmahl, evangelische und katholische Kirche, neue und alte Lieder vermittelt und durch Lernkontrollen befestigt werden.

Ich selber bin 1950 in Hamburg-Fuhlsbüttel konfirmiert worden und habe an den Unterricht keine besonders guten Erinnerungen. Wir saßen in Stühlen hintereinander ohne Schreibunterlage und haben kaum etwas gelernt. Irgendwie verlorene Zeit. Die Jugendlichen opfern tatsächlich für den Unterricht viel Zeit und knapsen die von ihrer Freizeit ab. Manche behaupteten sogar, es ginge von ihrer Lernzeit für die Schule ab. Dann sollte es wenigstens keine verlorene Zeit sein.

Im Dorfe ging der Spruch herum: "Glauben heißt Nicht-Wissen". Ich drehte für die Jugendlichen und auch für die Eltern gerne den Spruch herum: Glaube heißt Wissen, heißt Kenntnisse haben. Ein Glaube ohne Kenntnisse werde leicht fanatisch. Ein Wissen ohne Glauben verliere leicht an Tiefe.

In meiner pädagogischen Absicht bin ich von den Eltern, von einigen Ausnahmen abgesehen, und vom Kirchenvorstand unterstützt worden.

Lernen und Lehren galt für mich auch als pädagogisches Prinzip beim Religionsunterricht am Gymnasium. Gelegentlich habe ich auch dafür ein freundliches Echo bekommen. Ein ehemaliger Schüler vom Gymnasium, mein späterer Zahnarzt in Schöningen, meinte, ich hätte im Religionsunterricht guten Geschichtsunterricht gegeben. Ich hatte mit ihnen u.a. gründlich die nationalsozialistische Zeit - ein damals ansonsten umgangenes Thema - durchgenommen, im Hinblick auf die religiösen Strukturen dieser Ideologie.

Auch bei den Studentinnen und Studenten der Technischen Universität Braunschweig wurde meinem persönlichen Eindruck nach zu viel ohne Grundkenntnisse herumdiskutiert. Ich habe ganz stur "Grundzüge" vermittelt, in Bibelkunde, Kirchengeschichte und Dogmatik. Die Übungen waren sehr gut besucht. Aber diese Art von "Lehrplan" stieß nicht auf große Gegenliebe bei den unterrichtenden Professoren. Da waren mehr Spezialthemen wie "Gollwitzer und..." gefragt. Dafür fehlten m.E. allerdings die Voraussetzungen. Oftmals war bei diesen Studentinnen und Studenten der Konfirmandenunterricht die letzte Begegnung mit religiösen Themen gewesen. Die Grundkenntnisse waren entsprechend kümmerlich. Es kam dann vor, daß mich eine der mitschreibenden Studentinnen bei dem Abschnitt aus der Kirchengeschichte I, den Christenverfolgungen um 350 n. Chr. fragte, ob denn damals nur die katholischen oder auch die evangelischen Christen verfolgt worden seien. Es gibt bekanntlich keine dummen Fragen, aber ich fand es sinnlos, über dieses Defizit an Grundkenntnissen hinwegzudozieren.

Verbindlicher Glaube

Neben dieses Lernziel "Grundkenntnisse" trat für mich ein anderes: "verbindlicher Glaube". Die Jugendlichen sollten lernen, daß es ein paar Sachen im Leben gibt, mit denen man nicht Spaß treibt. Das fing bei der Reaktion auf die gräßlichen Behinderten-, Juden- und auch Ossiwitze an, die die Runde machten und mit denen sie auch bei mir landen wollten. Sie dachten sich dabei nicht viel. Aber ich wurde plötzlich und für sie unerwartet "moralisch". "Hört auf damit!"

Verbindlich - das hieß für mich auch: Verabredungen einhalten. Wenn sie zu spät zum Unterricht kamen - wofür sie Gründe haben konnten - hatten wir verabredet, sie sollten warten, bis wir mit unserem rituellen Unterrichtsanfang fertig waren. Eine andere Verabredung war der miteinander vorbereitete Gottesdienst. Sie waren dabei wichtig. Ich verließ mich auf sie. Ich richtete mich auch mit der Predigt auf sie ein. Ich wurde giftig, wenn solche einvernehmlich getroffenen Verabredungen nicht eingehalten wurden.

Verbindlicher Glaube hieß für mich nicht, daß man dies oder jenes unverwüstlich zu glauben habe. Es stand alles auf dem Prüfstand. Aber daß man sich im Ablauf der Unterrichtes doch in einem gewissen Maße aufeinander verlassen konnte, das war für mich wichtig. Diese Einstellung stand völlig verquer zu der grassierenden Unverbindlichkeit, die gerade unter Jugendlichen heute vielfach gang und gäbe ist.

Ein Transportmittel für verbindlichen Glauben war für mich die Einübung in das Ritual.

Die Jugendlichen leben mit viel Ritualen, z.B. in der Schule. Da gab es in der Büddenstedter Schule mal ein sogenanntes "Einführungsritual", wobei sich einige ältere Schüler einen Neuankömmling der Klasse sieben schnappten, seinen Kopf ins Klo steckten und die Wasserspülung betätigten. Schweigen war Ehrensache. Das Rauchen hat anfangs in diesem Alter eine solche Ritualfunktion. Rituale auf dem Sportplatz - das war ihnen nicht fremd.

So baute sich im Verlauf des Unterrichtes ein ritualisierter Unterrichtsbeginn auf mit folgendem liturgischen Gerüst: Eingangsgebet aus dem grünen Gottesdienstbuch, Liedvers, Psalm, Lesung aus dem roten Lektionar, Glaubensbekenntnis. Sie werden diesen sich immer wiederholenden Unterrichtsbeginn vermutlich verinnerlicht haben. Es war für sie ein kleiner Einstieg in das Verständnis eines Gottesdienstes.

Ein weiterer Versuch von Ritualisierung war, die Unterrichtsstunde mit einer Abendandacht in Form der liturgischen Vesper in der Kirche zu beschließen. Die "Konfis" lasen die Abendpsalmen, wir versuchten uns auch in den gregorianischen Responsorien. Das ging eine Zeitlang gut, doch dann hatte dieses Experiment sein Ende.

Daß bei meinem vorletzten Gottesdienst im Mai 1999 der bereits konfirmierte Jahrgang mit Eltern komplett die vorderen Bankreihen besetzte, hat mich sehr gefreut.

Der erste Eindruck entscheidet viel

Mir geht es heute selber noch so, daß der erste Eindruck am tiefsten haften bleibt. Ich habe Mühe, diesen ersten Eindruck zu korrigieren.

Das gilt auch für die erste Begegnung der Zwölfjährigen, wenn sie sich zum Konfirmandenunterricht anmelden. Mir war es wichtig, daß die Zwölfjährigen bei der ersten Begegnung mit ihrem Pastor einen gesprächbereiten, zielbewußten, ihre Selbständigkeit respektierenden und ihre Interessen wahrnehmenden Menschen vor sich hatten. Der Konfirmandenraum war aufgeräumt, die Jungen und Mädchen - nicht die oft begleitenden Eltern - füllten selber den Anmeldungsbogen aus, in dem auch Fragen nach ihren Hobbies enthalten waren, und lasen mir diesen vor. Sie sollten merken, daß mir wichtig war, was sie schrieben. Ich sagte ihnen, was sie zum Unterricht mitzubringen hätten und wann die erste Stunde sei.

Zur ersten Stunde sammelte ich sie vor dem Pfarrhaus und wies ihnen einen Platz im Konfirmandenraum an. Die unzertrennlich waren, konnten sich natürlich auch zusammensetzen. Aber grundsätzlich hatte jeder seinen Platz, der auch leer blieb, wenn er fehlte. Es herrschte also am Anfang eine unmißverständliche "Ordnung", von der ich im Verlauf der Unterrichtszeit immer noch abweichen konnte. Wichtig war mir der erste Eindruck des geordneten Ablaufs. Mir erschien dies im Laufe der Zeit immer dringlicher, weil die Konzentrationsschwächen der Jugendlichen enorm zugenommen haben. Von außen gesehen erscheint dies Arrangement vielleicht zu schulmäßig. Tatsächlich diente es einer organisatorischen, auch von den Jugendlichen verstehbaren Klarheit. Wir saßen in der Regel im Viereck.

Der Konfirmandenunterricht vereinigte eine ziemlich heterogene, bunt zusammengewürfelte Altersgruppe mit sehr unterschiedlichen schulischen Voraussetzungen und unterschiedlichem häuslichen Milieu. Diese Unterschiede machten sich bald im Unterricht bemerkbar und es erschien mir das Erlernen der gegenseitigen Rücksichtnahme ein unauffälliges und unausgesprochenes Ziel des Unterrichtes zu sein.

Alles fremd

Gewiß, jene, die mal in einem Kindergottesdienst gewesen waren, wußten etwas von "Kirche". Heilig Abend hatten viele schon mal die Christvesper für Kinder besucht. Aber das lag für die Zwölfjährigen schon einige Jahre zurück. "Kirche" war ihnen im Grunde fremd. Das Vaterunser war ihnen meisten unbekannt. Woher auch? Wenn in den letzten Konfirmandenjahrgängen die Zwölfjährigen das Glaubensbekenntnis runterschnurren konnten, weil Pfarrer Wenzel ihnen den Text in der Orientierungsstufe eingebläut hatte, fand ich das auch unangemessen.

Selbst die Person des Pastors war ihnen selbst auf dem Dorfe mehr von der anderen Straßenseite her bekannt.

Die Befremdlichkeit setzte beim Unterrichtsraum an. Die hohen Wände und großen Räume des Offleber Pfarrhauses erinnerten sie eher an ein Herrenhaus oder an eine Schule als an ihr eigenes Zuhause. Noch befremdlicher war die Begegnung mit dem Kirchenraum, den die jungen Leute ja ansonsten kaum betraten. Uns, die wir darin geradezu aufgewachsen sind, ist dieses Gefühl der Befremdlichkeit ganz abhanden gekommen. Ich habe daher versucht, den Besuch des Gottesdienstes für sie auf die wenigen Male zu beschränken, an denen sie sich selber am Gottesdienst beteiligen konnten.

Lernmittel: Tafel und Heft, Gottesdienstbuch und Lektionar

Mein Lernmittel im Konfirmandenunterricht war denkbar einfach: eine Tafel. Die hatte ich angeschafft und 35 Jahre lang benutzt. Ich beherzigte also die alte Paukerregel: von der Hand in den Kopf.

Die Konfirmandinnen und Konfirmanden führten ein Heft. Es gab zwar ein reiches Angebot an Lernbögen zu kaufen, z.B. aus dem Rauhen Haus, aber ich machte lieber meine eigenen, vervielfältigte sie und verteilte sie im Unterricht. Das war billiger und etwas komprimierter. Außerdem wurde in ein Tagebuch eingetragen, was wir in der Stunde gemacht hatten. Am Ende der Konfirmandenzeit fertigten die Konfirmanden ein Inhaltsverzeichnis an und hatten eine Übersicht über den Stoff und ihre Kenntnisse. Ich reichte den Kirchenvorständen die Hefte herum, damit sie einen Einblick in den Unterricht bekämen. Sie schrieben dort etwas Freundliches, Ermutigendes hinein, ich vervollständigte das mit Fotos. Manche werden die Mappe weggeschmissen haben. Das war jedoch kein überzeugender Gesichtspunkt, die Methode zu ändern. Es sollte kein Poesiealbum sein, sondern ein Mittel, durch Schreiben sich etwas einzuprägen.

Besonders entspannend war es mit jener Gruppe in Reinsdorf, die lerngewohnt und lernwillig war. So empfahl ich ihnen, sie könnten, wenn es sie beim Zuhören und Diskutieren entspannte, ihr Strickzeug mitbringen. Der einzige, der in der nächsten und den weitere Stunden ein Strickzeug mitbrachte, war ein Junge. Diese Gruppe wollte ich langsam vom Zwang eines personalen Gottesbildes lösen und ihr Gott als eine prägende Qualität unseres Lebens nahebringen. Da lachten sie mich mehr oder minder aus. Die Fixierung auf das Historische ist in diesem Alter zu groß und das kritische Hinterfragen von Texten nicht übermäßig beliebt.

Singen? - Es mußte nicht schön sein, aber singen kann jeder. Denn das Singen fängt mit dem Hören an. Und Hören kann auch jeder. In den 60iger Jahren konnte ich mit den Konfirmanden sogar einen Psalm schlicht dreistimmig singen. Diese Fähigkeit wurde jedoch immer geringer, je lauter die Musik wurde, die sie privat hörten. Das schlichte, zeilenweise Nachsingen ging nach meinem Gefühl aber immer noch, und sie lernten wenigstens dabei Hören.

Die Befremdlichkeit der Melodien war für die Jugendlichen schon eine harte Probe. Viel befremdlicher hingegen empfand ich für sie jene Texte, die mir von Jugend an geläufig waren, z.B. "Macht hoch die Tür". Zu jeder Kirchenjahreszeit sollten sie ein Lied parat haben. Zu Weihnachen etwa das schlichte "Wißt ihr noch, wie es geschehen". Zu Advent das klassische Adventslied von Georg Weissel aus Königsberg. Aber: "...es kommt der Herr der Herrlichkeit, ein König aller Königreich... derhalben jauchzt" - das war ja nun wirklich eine fremde Welt. War das zumutbar? Oder wenigstens die letzte, gebetsartige Strophe? Die klassischen Choräle berührten einen wunden Punkt des Unterrichtes. Und ohne sie geht doch ein unerschöpfliches Kulturgut verloren.

Auch außerhalb des Konfirmandenraumes

Der Konfirmandenunterricht fand nicht nur im Pfarrhaus statt. Wir gingen um und in die Kirche und kletterten natürlich auch auf den Kirchturm. Wir wanderten durchs Dorf zur Erkundung der Dorfgeschichte, wo wir die Grenzsteine an der Gerhart-Hauptmannstraße entdeckten, die sie vorher ja nie gesehen hatten. Ein oder zwei Unterrichtsstunden im Herbst bestanden im Beseitigen der riesigen Kastanienlaubmassen auf dem Kirchplatz. Zu Weihnachten waren sie für das Krippenspiel zuständig. Sie waren jeweils Josef, Maria, Hirte, König, Engel oder Sprecher.

Zum Programm des Konfirmandenunterrichtes gehörte ein Ausflug, von Kurs zu Kurs verschieden, mal nach Hamburg, mal nach Hannover oder Braunschweig, nach Helmstedt, Königslutter oder Jerxheim, einmal sogar mehrtägig nach Berlin (1977). Ich litt allerdings darunter, wenn die Fahrten nur Jux-Fahrten und nicht lernbezogen waren. Ich hatte also keine Lust, mit den Konfirmanden nach Braunschweig zu fahren, damit sie dort nur die Rolltreppen rauf und runter rollen konnten. Das wollten sie natürlich am liebsten. Die Särge in der Domkrypta wirkten dagegen nicht mal gruselig.

Bei den Fahrten unterschied ich zwischen "Pflicht" und "Kür". Es gab ein Pflichtprogramm für alle und eben ein Kürprogramm, wo sie sich selbständig machen und auf Entdeckung gehen konnten. Und ich wußte selber genau, daß jede kleinste, selbst gemachte Entdeckung wertvoller und wichtiger war als der beste von mir angebotene kulturelle Leckerbissen.

In den letzten Jahren unterblieben leider die Fahrten. Die Angebote an Freizeitgestaltung hatten in den Jahrzehnten so zugenommen, daß solche Fahrten nicht mehr begehrt waren. Es war schwierig, die Eltern und Jugendlichen davon zu überzeugen, daß sie für solch eine Fahrt auch etwas Geld locker machen müßten.

Gelegentlich fanden sich Kleingruppen außerhalb des Unterrichtes zusammen. Mit einer solchen fuhren wir im Sommer 1965 die längste Strecke: per Fahrrad zum Kirchentag nach Köln, der unter dem Motto stand "In der Freiheit bestehen". Am schönsten fand ich es, wenn es zu Begegnungen mit anderen Gruppen kam: mit dem Kurs 1968 im Marienstift mit der damaligen Welt der Diakonissen, oder bei einer Fahrt nach Köln mit der Konfirmandengruppe des Büddenstedter Nachbarnpfarrers Ulrich Adrian oder als Michael Pfau mit seinen "Konfis" aus Kreiensen uns in Offleben besuchte und die beiden Gruppen sich über "Gewalt in der Schule" austauschten, ein gar nicht vorgesehenes Thema, aber spannend für uns.

Neben dieser Lernebene gab es andere Formen der Begegnung, insbesondere auf dem engen Raum eines Dorfes, wo man sich auf der Straße, "an der Ecke", "am Kiosk", im Laden, sogar in der Kneipe begegnete und im Vorbeigehen klären konnte, warum sie nicht beim Unterricht waren. Das "Erleben" und ein bißchen "gemeinsames Leben" kamen aus meiner Sicht nicht zu kurz.

Nach den großen Sommerferien habe ich mich auf den Beginn des Unterrichtes doch gefreut. Die Konfirmanden gehörten in meinen Alltag:, alles in allem 80 Stunden, meist zweimal in der Woche. Das fand ich wegen des Einprägens und der Lernmethode für die Jugendlichen am einfachsten.

Provokationen

Das kennt jeder Unterrichtende: die Tagesform der Konfirmanden und des Pastors ist unterschiedlich, die Lernwilligkeit und die Konzentrationsfähigkeit auch. Und dann fordert mal die Gruppe den Pastor heraus und testet seine Grenze oder es fordert der Pastor die Gruppe heraus, wenn er darauf besteht, sein Pensum durchzuziehen, auch wenn die Gruppe "nicht gut drauf" ist.

Es gibt entsetzliche Geschichten, erzählt durch Goldene Konfirmanden, von umgedrehten Tischen und Wachs auf dem Ofen und verräucherten Zimmern, aber es mag sein, daß an solchen Geschichten auch viel Imponiergehabe hängt. Derlei haben sich die Jugendlichen bei mir in aller Regel nicht erlaubt. Aber es gab Situationen, denen ich ausgewichen bin. Dann habe ich sie einfach nach Hause geschickt und hatte "Ruhe". Es kam auch vor, daß ich einzelne "Störer" vor die Tür oder in die Küche schickte, bis sie sich ausgealbert hatten. So ein Koller kam in dem Alter vor und war ganz natürlich. Aber die Gruppe sollte nicht angesteckt werden.

Eine schwierige Situation entstand einmal dadurch, daß eine Konfirmandin behauptete, ich hätte sie während des Unterrichtes unsittlich angefaßt. Die wenigen anderen Mitkonfirmanden schwiegen sich aus. Das war jene berühmte Falle, in die ein Pfarrer rasch hineingeraten und die er doch kaum vermeiden kann. Ich trennte diese Konfirmandin sofort von der Gruppe und bestand darauf, sie zu Hause in Gegenwart eines Elternteils zu unterrichten. Ausgerechnet der Vater dieses Mädchens beschwerte sich dann bei der Prüfung, daß ich seine Tochter nicht streng genug "rangenommen" hätte.

Unterrichtsexperimente

Es gab viele Versuche in der Landeskirche und auch in der Propstei, den Konfirmandenunterricht lebendiger und lebensnäher zu gestalten. Pfarrer Adolf Nebel von der St. Thomasgemeinde in Helmstedt hat seit 1960 etwa 22 Jahre lang mehrtägige, themenzentrierte Seminare zwischen dem Vor- und Hauptkonfirmandenunterricht im CVJM-Heim bei Dassel durchgeführt und die Teilnehmer danach zum Abendmahl zugelassen. Er war damals der einzige Pfarrer in unserer Propstei, der solche mehrtägigen Freizeiten durchführte

Zu derartigen Versuchen gehörten mehrwöchige Fahrten, wie sie Pfarrer Bernhard Freist, seit 1967 an der St. Georgkirche in Goslar tätig, realisierte. Sein Vikar Geert Beyer führte im Pfarramt von St. Vincenz in Schöningen und St. Pauli in Braunschweig diese Tradition fort.

Seit 1968 gibt es die von Pfarrer H. J. Hasse in St. Lukas, Lebenstedt, später Goslar, und Pfarrer Martin Quandt, Immenrode, durchgeführten Konfirmandenferienseminare, in denen der Pfarrer, eine Gruppe von geschulten Konfirmierten im Alter von 15-20 Jahren (Teamer) und die "Konfi"gruppe während der Sommerferien nach Südtirol in eine dreiwöchige Freizeit fahren mit gemeinsamem Wohnen, Wandern, Lernen, Taufen in einem Gebirgswasser. Inzwischen nehmen an solchen Seminaren bis zu 800 Konfirmandinnen und Konfirmanden aus der Landeskirche teil. Die Unterrichtszeit verkürzt sich, anders als beim Modell Freist/Beyer, auf ein Jahr. Pfarrer Hermann Meerheimb von der Helmstedter Michaeliskirche führt sie heute noch regelmäßig durch. Das ist ohne Frage für die Gemeindebildung ein großer Gewinn, denn die Eltern müssen das nötige Kleingeld dafür aufbringen und es müssen jene jungen Mitarbeiter vorhanden sein, die sich monatlich in Kursen auf das Thema der Freizeit, das in der Regel das Kirchentagsthema ist, vorbereiten.

Ein andere Variante ist, statt des wöchentlichen zweimaligen dreiviertelstündigen Zusammentreffens ein mehrstündiges Sonnabendwochenende in der Vorkonfirmandenzeit. Dabei kann dann auch gebastelt und gemalt, kreativ etwas erarbeitet werden. Diese Methode hat Frau Böttger-Bolte an der St. Lorenzkirche in Schöningen versucht. Sie erfordert treue und pädagogisch geschickte erwachsene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Diese Methode, in der die Jugendlichen mehrere Stunden zusammenhängend beisammen sind, fördert den Gruppenzusammenhalt.

Ein besonderer Schwachpunkt des gesamten Konfirmandenunterrichtes ist die Einbeziehung der Eltern. Pastor Christoph Brinckmeier und seine Frau Anne waren auf diesem Gebiet für die Landeskirche bahnbrechend: sie beteiligten die Eltern am Unterricht und machten es ihnen bereits bei der Anmeldung zur Pflicht, daß sie mit den Kindern in mehrere Freizeiten fuhren, wo ein Thema gemeinsam erarbeitet wurde. Diese Methode praktizierte Pastor Brinckmeier während seiner Gemeindezeit in der Braunschweiger Christuskirchengemeinde "Am Schwarzen Berge", ihre Spuren sind dort bis heute erhalten. Als er 1995 an die Helmstedter Christophorusgemeinde kam, sah er auf eine ausgedehnte Konfirmandenpraxis in Papua-Neuguinea zurück. Dorthin war er von der Bayrischen Mission entsandt worden, mit dem Ziel, ein Konfirmandenbuch in Pidgin-Englisch zu verfassen, der "lingua franca", in der die Landesbewohner sich miteinander verständigen können, denn sie sprechen untereinander über 800 Sprachen

Wir haben in Offleben ebenfalls experimentiert: zunächst mit dem Konfirmandenalter. Um dem "schwierigen", unruhigen Pubertätsalter zu entgehen, bot ich eine Konfirmandengruppe für 10-11jährige an, die dann mit 12 Jahren konfirmiert werden konnten. Es kam auch zweimal eine solche Gruppe zustande. Damals halfen Frau Lisa Radusch und Frau Else Heine beim Beschäftigen, Malen und Basteln. Wir trafen uns jeweils am Sonnabend. In gewisser Hinsicht war das Unterrichten "einfacher". Am 29. Oktober 1972 wurden nach einjährigem Unterricht sieben Zwölfjährige konfirmiert und 1974 noch einmal acht Zwölfjährige. Andrerseits hatte ich das Gefühl der persönlichen Drückebergerei. Denn gerade in dem "unruhigen" Alter war es vielleicht für die Heranwachsenden gut, daß sie in der Ablösephase aus dem Elternhaus mit einer anderen Autorität in Berührung kamen.

Nach der Wende 1989 bekamen wir auch Kontakt mit der Kreiskatechetin Frau Mendel aus Sommersdorf. Sie berichtete von der Christenlehre in der DDR, die ich für vorbildlich hielt. Dort war ja die gesamte religiöse Unterweisung in den Händen der Kirche, der Kontakt zu den Getauften im Kindesalter schon viel früher hergestellt und die Ziele der Unterweisung im Unterricht von vorneherein zentraler ausgerichtet.

Gottesdienstbesuch

Ein schwieriger Punkt war für mich der Gottesdienstbesuch. Der Sonntagvormittagsgottesdienst ist für die Jugendlichen wenig geeignet. Aus der Sicht der Konfirmanden ist der Gottesdienst viel zu früh, von zu wenigen Leuten besucht und meist von zu alten, jedenfalls von einer Gruppe, mit der sie ansonsten keinen täglichen Kontakt haben. Eine andere nicht unwesentliche Schwierigkeit ist, daß die Eltern ihre Kinder alleine gehen lassen. Wenn tatsächlich mal eine Mutter oder gar ein Elternpaar mitkam, war das auffallend und besonders schön. Es war typisch, daß ein den Vormittagsgottesdienst häufiger besuchendes Elternpaar aus Kasachstan kam. Sie hatten zwei Söhne zur Konfirmation angemeldet.

Ich habe früher die berüchtigten Anwesenheitskarten benutzt, aber bald davon keinen Gebrauch mehr gemacht. Sie sind, wie ich kürzlich anläßlich einer Gottesdienstvertretung in Braunschweig erfuhr, noch gebräuchlich. Ich habe versucht, die Jungen und Mädchen am Gottesdienst zu beteiligen, indem sie das Eingangsgebet, den Psalm und eine Lesung übernahmen. Das wurde im Unterricht geübt und verabredet, wer was machte. Das deutliche, lautere Sprechen haben wir im Kirchenraum geprobt und den Text mit Strichen und Bögen bearbeitet. Das war dann besonders schön, wenn wir einige Texte auch chorisch bearbeiteten und den Text auf diese Weise neu strukturierten.

Auch die neuen Kirchenlieder waren eine schmale Brücke, ihnen den Gottesdienst akzeptabel zu machen. "Herr, gib mir Mut zum Brückenbauen", "Ins Wasser fällt ein Stein", "Danke", "Wo ein Mensch Vertrauen gibt" gehörten zum Stammteil.

Trotzdem bleibt der Gottesdienst für sie eine fremde Welt. "Fremde Heimat Kirche" hieß der Titel einer Befragung, die 1993 von der EKD herausgegeben wurde und der auch gut zum Gefühl der Konfirmanden im Hinblick auf den Unterricht und den sonntäglichen Gottesdienst paßt.

Prüfungen

Als ich nach Offleben kam, gab es noch die sogenannten "Ephoralprüfungen". Propst Hobom kam in einen Gottesdienst und prüfte gesprächsweise das Wissen der Konfirmandinnen und Konfirmanden. Über diese Prüfungen im Gottesdienst kursierten aus älterer Zeit sonderbare Geschichten, die möglicherweise nur dummes Gerede in jeder Gemeinde waren: wer etwas wußte, hielt den einen Arm hoch, und wer nichts wußte, den anderen, Hauptsache: alle Arme gingen in die Höhe. Ich weiß nicht, ob das beim guten alten Pastor Reiche so abgelaufen ist. So einen Quatsch habe ich natürlich nicht angefangen. Es wurde ja nicht der Pfarrer, sondern die Konfirmanden geprüft. Ich verlegte die Prüfungen sehr bald in den Unterrichtsraum, weil mir eine solche Prüfung mit Abfragerei einem Gottesdienst nicht angemessen erschien. Gottesdienst sollte Gottesdienst bleiben. Später wurden die Pröpste von dieser Pflicht wohl entlastet. Es kam jedenfalls keiner mehr. Ich hielt die Prüfungen selber ab.

Ich fand es richtig, am Ende des Unterrichtes durch eine schriftliche und eine mündliche Prüfung das Wissen aufzufrischen und zu befestigen. "Die Wiederholung ist die Mutter der Studien", sagen die alten Römer und haben recht. Die mündliche Prüfung machte ich insbesondere wegen der schriftlich nicht so gewandten Jugendlichen. Wie bei einer Führerscheinprüfung gab ich Fragen und Antworten heraus. Die Konfirmanden konnten anhand ihrer Hefte kontrollieren, ob wir diesen Stoff auch wirklich durchgenommen hatten. Wir haben dann auch gemeinsam gelernt und die Konfirmanden haben sich gegenseitig abgefragt. Sie bringen ja von der Schule immer weniger die Fähigkeit und den Willen zum Lernen mit. Daß man laut lernt, war ihnen meist fremd. Und daß Texte mehrfach wiederholt laut aufgesagt werden sollten, war ihnen noch fremder. So haben sie wenigstens in meinen Unterricht das Lernen gelernt. Bis zur Prüfung hatten sie noch einmal drei Wochen Zeit, sich im Stoff zu tummeln. Meistens brauchten sie nach eigenen Angaben höchstens drei Tage, um sich auf die Prüfung vorzubereiten. Die Prüfungen boten auch die Möglichkeit, von jedem, je nach seinen Fähigkeiten, mehr oder auch weniger zu verlangen.

Die Prüfungen wurden von den "Konfis" gehaßt. Besonders dann, wenn sie entdeckt hatten, daß es so etwas "Jugendfeindliches und Altmodisches" in Schöningen, Esbeck und Büddenstedt nicht gab. Ich habe aber auch erlebt, daß sie und Konfirmanden aus anderen Gemeinden untereinander ihre Kenntnisse verglichen haben und die Offleber dann ziemlich stolz waren, daß sie doch "mehr" wußten.

Prüfungen wird es bestimmt nicht mehr geben. Diese Zeit ist endgültig vorbei. Das war wohl eher typisch für das vergangene Gemeindeprofil und natürlich generationenbedingt.

Ein einziges Mal waren die Konfis geschlossen in den Streik getreten, und zwar die letzte Gruppe, mit intelligenten, aufgeweckten Mädchen zur Konfirmation im April 1999. Sie waren gut und schlugen vor, statt der Prüfung eine eigene Predigt in einem Gottesdienst zu halten. Das hatten auch schon andre Kurse früher vorgeschlagen und ich war der Ansicht: auch die jungen Leute haben der Gemeinde etwas zu sagen und können sie geistlich anregen. Die Mädchen schlugen das Thema vor: "Es gibt keinen Gott". Etwas apart, fand ich, aber Theologieprofessoren hatten über dieses Thema schon dicke Bücher geschrieben, also: warum sollten die Konfirmandinnen sich nicht auch daran versuchen. Es wurden zwei Gruppen gebildet: die eine meinte, es gäbe keinen Gott, denn sonst würde es nicht Kriege, Krankheiten und Vergewaltigungen geben, und die andere meinte, es gäbe doch einen Gott, denn Kriege kämen schließlich von den Menschen. Im Gottesdienst beteiligte sich die Gemeinde angeregt an diesem von den Konfirmanden ausgesuchten und engagiert durchgeführten Thema.

Elterntreffen

Den Kontakt zu den Eltern suchte ich in drei Elternabenden: zu Beginn des Vorkonfirmandenunterrichtes, des Hauptkonfirmandenunterrichtes und vor der Konfirmation. Dabei wurden Erinnerungen an ihre eigene Konfirmation geweckt. Wir sprachen über die Lerninhalte des Konfirmandenunterrichtes, über die Begleitung der Eltern, daß sie sich mal die Mappen zeigen ließen oder am Ende sogar die Kenntnisse überprüften und "abhörten". Schließlich ergaben sich auch Fragen über den Ablauf des Konfirmationstages. Diese Elternabende wurden mit zunehmenden Alter immer leichter. Die meisten Eltern hatte ich schließlich selber konfirmiert. Wenn ich sie dann fragte, was ich anders machen sollte als zu ihrer Zeit, meinten sie in der Regel, das sei so ganz in Ordnung gewesen, ich sollte nichts ändern.

Nicht der gelernte Stoff bleibt ja hängen, sondern der Eindruck von der Person des Pfarrers oder der Pastorin. "Ich bin bei dem und der konfirmiert", heißt es, "und der war soundso." Was da gelernt worden ist, erscheint im nachhinein zweitrangig.

Der Konfirmationstag

Der Konfirmationstag wäre, so schrieb der damalige Predigerseminardirektor Brinckmeier, für viele Pfarrer ein "schwarzer Tag". Tatsächlich versammelte sich aus der Sicht des Pfarrers eine gottesdienstfremde, liturgisch unerfahrene Gemeinde. Wie da Gottesdienst gestalten? Ich selber war allerdings meist erstaunt, wie kräftig die Gemeinde doch im Gottesdienst "mitmachte".

Als ich in Offleben begann, galt der Konfirmationstag als der Tag des ersten Abendmahlsganges der Konfirmanden. Das habe ich bald abgeschafft und den "Konfis" den Zugang wenigstens schon während des Hauptkonfirmanden-Unterrichtes ermöglicht. Am 1. Advent 1968 feierten wir erstmals vor dem Konfirmationstag einen Abendmahlsgottesdienst. Später verlegte ich ihn bald zu Beginn des Unterrichtes überhaupt. Widerstände gab es anfangs im Kirchenvorstand und gelegentlich von Eltern, die ihre eigene Konfirmationspraxis auf ihre Kinder übertragen wollten.

Eine andere Frage war, ob man den Konfirmationstag selber mit dem Abendmahl verbinden sollte. Konfirmationstag war für die Eltern meist erster Abendmahlstag. Das erschien mir bei dem Getümmel an diesem Tag in der Kirche ganz und gar unmöglich. Es bürgerte sich bald der Gottesdienst am Abend vorher ein, mit Abendmahl und allgemeiner Beichte, nach der Form des Abendgebetes. Er wurde von den Konfirmandinnen und Konfirmanden ganz allein getragen. Sie saßen dazu nicht extra vorne in den Konfirmandenbänken, sondern bei ihren Eltern. Dieser Abendgottesdienst war durchweg gut besucht. Zu den Eltern kamen oft auch die Paten, die am Ort wohnten. Was ich den Konfirmanden und Eltern sozusagen geistlich vermitteln wollte, das sagte ich ihnen in diesem mehr besinnlichen, fast ernsten Abendgottesdienst. Als Predigttext wählte ich jeweils einen Konfirmationsspruch.

Der Gottesdienst am Konfirmationstag war dann mehr ein fröhlicher Kehraus, höchsten 50 Minuten lang, eine knappe Predigt mit Erinnerungen an bemerkenswerte, mal auch komische Ereignisse aus der Unterrichtszeit, als Predigttext wieder einer der Konfirmationssprüche, eine mehr missionarisch gefärbte Ansprache an die vielen Gäste in diesem Gottesdienst. Musikalisch half uns in den letzten organistenlosen Jahren die Kantorei der Braunschweiger Studentengemeinde unter der bewegten Leitung von Christian Werner, deren Mitarbeiter im Pfarrhaus eine Freizeit abhielten und auf ihren Instrumenten fetzige, geistliche Musik machten.

In der Regel beteiligten sich die Mitglieder der Kirchenvorstände am Gottesdienst: sie zogen mit in die Kirche ein und übernahmen im Gottesdienst wie auch sonst das Eingangsgebet, den Psalm und eine Lesung. Nach dem Gottesdienst überreichten sie den Konfirmand/Innen das Bronzekreuz als Kette, die Osterkerze und den Konfirmationsschein.

Alles, was einen solchen Gottesdienst in die Länge zieht, ist schädlich. So werden im neusten Entwurf von 1995 verschiedene Texte zur "Begrüßung" angeboten, darunter solche Selbstverständlichkeiten wie folgender Textabschnitt: nach einer überflüssigen Begrüßung der Konfirmanden und Konfirmandinnen, die ja längst im Konfirmandensaal erfolgt ist, wo sich die jungen Leute bereits viel zu früh getroffen haben und Krach machten, sollen die Eltern in besonderer Weise mit folgenden Worten "abgeholt" werden: "Seit der Taufe Ihrer Kinder, liebe Eltern und Paten, sind Jahre vergangen, in denen sie groß geworden sind und auch ein wenig selbständig. Gerade uns Erwachsene erfüllt das vielleicht mit besonderer Bewegung: daß diese Jungen und Mädchen leben, gesund sind..." Bla bla bla. So etwas gehört in die Predigt. Der Konfirmationsgottesdienst sollte mit dem üblichen Eingangsgebet, Lied und Psalm bald auf die Lesungen zulaufen. Es hat sich als vorteilhaft herausgestellt, daß ich 10 Minuten vor dem Gottesdienst die Leute in der überfüllten Kirche in die Gottesdienstordnung eingewiesen habe, damit sie von Anfang an kräftig mitmachen konnten.

Konfirmationsversprechen

Meine erste Konfirmation habe ich in der Gnadenkirche in Salzgitter-Bad gehalten, eine große Schar, nach meiner Erinnerung ca. 70 Konfirmandinnen und Konfirmanden.

Ein früher in der Landeskirche viel diskutierter Teil des Konfirmationsgottesdienstes war die Frage an die Konfirmanden, ob sie im Glauben "bleiben und wachsen" wollten. In der Landessynode war viel über die Konfirmation und die "Konfirmationsnot" diskutiert worden, zunächst 1959 anläßlich einer Änderung der Braunschweiger Ordnung, 1965 dann über die von der VELKD beschlossene Ordnung, die zum 1. Advent 1965 eingeführt wurde. Die revidierte Ordnung sieht dieses Versprechen vom "Bleiben und Wachsen im Glauben" vor.

Dieses Versprechen löste das alte aus der Konfirmationsordnung von 1926 ab, in der den Konfirmanden das Glaubensbekenntnis vorgehalten wurde, worauf sie antworteten "Ja, das glauben wir." "Ich frage euch weiter: Gelobet ihr, diesem allerheiligsten Glauben gemäß durch die Gnade Gottes würdiglich zu wandeln, euch vor Sünden zu hüten und gottselig zu leben? So antwortet: Ja, das geloben wir." Antwort: "Ja, das geloben wir." "Ich frage euch zum dritten: Wollet ihr in solchen rechten Glauben und gottseligen Wandel mit Hilfe Gottes bis an euer Ende beharren und, damit ihr solches vollbringen möget, euch mit fleißigem Gebet zu Gottes Wort und Tisch treulich halten? So antwortet: Ja mit Gottes Hilfe." Antwort: "Ja mit Gottes Hilfe!"

Ich habe gelegentlich diesen Wortlaut den Jubilaren bei der Goldenen Konfirmationen vorgelesen. Diese Ordnung galt ja bis 1959, ist also von meinen Vorgängern Müller und Schuseil noch benutzt worden und klingt möglicherweise den Goldenen Konfirmanden des Jahres 2009 noch im Ohr. Aber so ging es nun wirklich nicht mehr.

Sonderbarerweise wurde diese Sonderstellung von Glaubensbekenntnis und Vaterunser auch in der revidierten Fassung der VELKD von 1958 beibehalten, die ich beim Amtsantritt in Offleben vorfand.

Das Glaubensbekenntnis war bereits einmal in der nationalsozialistischen Zeit in die betende Gemeinde zurückgegeben worden. Der Pfarrer sprach es also nicht mehr alleine am Altar. Um so merkwürdiger erschien es mir, daß auch in der Handausgabe der Amtshandlungen aus dem Jahre 1969 diese antiquierte Form beibehalten worden war. Erst der neue Entwurf aus dem Jahre 1995, der im Frühjahr 2000 von der Landessynode abgesegnet worden ist, sieht vor, daß das Glaubensbekenntnis und Vaterunser von den Konfirmanden mit der ganzen Gemeinde, also mit Eltern und Paten zusammen gesprochen wird.

Aber sollte ein Versprechen ganz entfallen? In der Ordnung von 1895 hieß es "Bekenntnis und Gelübde". In der neusten Ordnung von 2000 heißt es "Frage oder Erklärung". Das halte ich für zu mager. Ich bin nach wie vor der Überzeugung, daß es bei der Konfirmation auch um einen "verbindlichen Glauben" geht. Die jungen Leute lernen für ihr Alter, Verabredungen und Verbindlichkeiten einzugehen. Das muß man nun nicht allzu schwer befrachten, als ob die Kirche ein allzu ernstes Gelübde auf das Gewissen der Jugendlichen legt. Aber daß der Unterricht nicht mit Jux und Dollerei endet, sondern mit einer Verpflichtung, halte ich für angemessen und nimmt auch die Vierzehnjährigen in ihrem Verantwortungsbewußtsein ernst. So wie sie im Alltag, zu Hause, beim Sport, in der Schule bereits verbindliche Absprachen treffen, so kann nun auch die zweijährige gemeinsame Zeit mit einer verbindlichen Absprache enden.

Ich habe den Konfirmandenunterricht allerdings nicht als Bekenntnisunterricht verstanden. So passierte es also, daß in einer der letzten Stunden, als wir den Ablauf des Konfirmationsgottesdienstes und auch den Wortlaut dieser Verpflichtung besprachen, ein Konfirmand, es war Jörg Gödecke, Bedenken anmeldete. Er habe den Unterricht mehr "geschichtlich" verstanden. Oho, dachte ich. Er hat eigentlich recht. Ich habe den Unterricht tatsächlich als Information über das Umfeld Kirche gehalten und selbst die Gottesdienstbeteiligung war mehr unter dem Gesichtspunkt angeboten: "Seht euch einmal um, was im Gottesdienst passiert." Mit diesem Versprechen hatte Jörg plötzlich das richtige Gefühl: es wird ernst, es wird verbindlich. Ich fand es gut, daß er die Absicht und den Inhalt des Textes verstanden hatte.

Allerdings kam es vor, daß Jugendliche vom Unterricht absprangen. Das waren solche, denen der Zeitaufwand zu groß erschien. Es gab auch einen, der seine Geschenke von Oma und Eltern bereits ein halbes Jahr vorher kassiert hatte, und sich dann nicht mehr sehen ließ. Wieder andere haben sich vielleicht gesagt: "Kirche ist nicht mein Ding", oder näher: "So wie mir die Kirche in Offleben begegnet - ich habe andere Vorstellungen." Vielleicht wollten sie auch nicht eine solche "Verpflichtung" eingehen. Ich habe den Unterricht immer nur als Angebot verstanden. Die Jugendlichen konnten sich ganz frei fühlen, wieder zu gehen. Und wenn sie es taten, habe ich diesen Schritt respektiert.

Im Gottesdienstablauf folgt auf das Versprechen ein Bittlied um den Heiligen Geist. Das ist seit vielen hundert Jahren "Nun bitten wir den Heilgen Geist um den rechten Glauben allermeist", schwierig für eine gottesdienstungewohnte Gemeinde. Wir waren dann froh, als das Lied "Herr, wir bitten komm und segne uns" erschien, leider stehen die 5 Verse nicht im Gesangbuch. Daher ist es in der Konfirmationsordnung der grünen Gottesdienstordnung abgedruckt, das sich die Teilnehmer als Erinnerung nach Hause mitnehmen konnten.

Die Einsegnungsformel - Die Gemeinde segnet ein

Die Agende von 1964 sah drei Einsegnungsworte vor, die mir teils zu allgemein erschienen, teils zu füllig ("wolle dich vollbereiten, stärken, kräftigen, gründen") oder zu substantivisch ("gebe dir Schutz und Schirm (!), Stärke und Hilfe"). Ich machte daraus Tusätze, wie man früher sagte und benutzte folgende Formel: "Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist erhalte dich in seiner Gnade, bewahre dich vor allem Argen, stärke dich zu allem Guten, daß du bewahrt werdest zum ewigen Leben." Das schien mir auch für die Jugendlichen verständlich und annehmbar.

Das für mich schönste und wohl größte Experiment wurde aus der Not geboren: die Konfirmation während meiner angeblichen, vorläufigen Dienstenthebung im April 1999. Es war unklar, ob das Landeskirchenamt mit institutioneller Gewalt die Konfirmation durch mich verhindern und dafür extra irgendeinen Pfarrer einsetzen würde. Tag und Stunde der Konfirmation waren in einer Zeitungsbeilage veröffentlicht und gegen den Willen des Kirchenbüros mit meinem Namen versehen worden. Das hätte leicht ein Einschreiten der Behörde verursachen können. Im Propsteivorstand wurde bereits unruhig gefragt, wer denn die Konfirmation in Offleben mache.

Die Eltern hatten von Anfang an darauf bestanden und auch dem Landeskirchenamt mitgeteilt, daß ich die Konfirmation durchführen sollte. Möglicherweise befürchtete das Amt bei solch massiver Meinungsbildung nicht zu Unrecht einen Eklat bei der Konfirmation und hielt stille, machte aber weder dem Kirchenvorstand noch mir irgendeine entlastende Mitteilung. Durfte ich die Konfirmationsscheine überhaupt siegeln und die Stammbücher ausfüllen? Alles war in der Schwebe.

Da kam uns die theologische Erleuchtung, daß eigentlich gar nicht der Pastor der Einsegnende sei, sondern die Gemeinde. Die Gemeinde segnet die Konfirmanden ein. Also setzten sich der Kirchenvorstand und die Eltern zusammen und wir verabredeten folgendes Ritual: die Konfirmanden sollten nicht wie sonst zu zweit eingesegnet werden, sondern einzeln, umgeben von den Eltern, Paten, Kirchenvorstehern und dem Pastor. Ein Kirchenvorsteher nannte den Namen des Konfirmanden, die Eltern einen selbst gewählten Segenswunsch, alle bildeten einen engen Kreis um den Konfirmanden/die Konfirmandin, legten mit dem Pastor die Hand auf und segneten unter einem Bibelspruch den Jugendlichen ein. Endlich wurde die geistliche Verantwortung der Eltern mit angesprochen, die sich alle auch ohne Zögern zu diesem Mitmachen bereiterklärten. Ich war mal wieder glücklich, daß sich die geistliche Verantwortung auf mehrere Schultern verteilte. "Ich bin von meinen Eltern konfirmiert worden", können diese Konfirmanden sagen.

Diese Tradition könnte sich eigentlich fortsetzen. Ob man dazu allerdings einen Pfarrer oder eine Pfarrerin findet?

Es hat ihn bereits gegeben. Martin Quandt, Pfarrer in Immenrode, hatte unter der bezeichnenden Überschrift "Liturgie von unten?" in KvU Heft 30, Februar 1988 berichtet, wie ein Gemeindemitglied vorgeschlagen hatte, auch die Mütter bei der Einsegnung der Kinder zu beteiligen. Offenbar machten die Mütter mit bei dieser Konfirmation, ohne Vorbereitung, spontan. "Die Mütter fühlten sich zwar etwas überrumpelt, doch waren sie sehr froh, auf diese Weise an der Einsegnung ihres Kindes beteiligt zu werden. In den darauffolgenden Jahren wünschten nicht nur die Mütter, diese Art der Einsegnung beizubehalten. Auch die Väter wollten mitbeteiligt werden. Erst hinterher wurde mir deutlich, daß auf diese Weise die Familie an einer zentralen Stelle des Konfirmationsgottesdienstes integriert worden war." (S. 28).

Konfirmationspredigt in Offleben vom 30.11. 1974

Liebe Brüder und Schwestern an St. Georg,

ich finde es komisch, im Regen zu stehen und die Tropfen zu zählen, sondern ich spanne den Schirm auf und gehe weiter.

Ich finde es komisch, Konfirmation zu feiern und nicht von Gott zu reden oder gar erst darüber zu diskutieren, ob es ihn denn gäbe, und wenn ja, dann wie. Sondern an diesem Tag - und vielleicht nicht nur jetzt - reden wir von unsern Erfahrungen mit Gott.

Gott - das ist die Fähigkeit, Vertrauen zu können, wo andere schon längst mißtrauisch geworden sind.

Gott - das ist die Fähigkeit, festhalten zu wollen, wo andere schon längst losgelassen haben.

Gott - das ist der Mut, dem Geschwätz der Leute zu widerstehen.

Gott - das ist die Arglosigkeit, einen gewalttätigen Gefangenen zu besuchen, auch wenn die Herrschenden dagegen sind.

Gott - das ist die Fähigkeit zu lieben, den Partner verstehen zu wollen, auch wenn er sich von der unverständigen Seite zeigt, sich so in seine Lage zu versetzen, so in ihn hineinzukriechen, daß man nicht mehr gegen ihn sein kann, sondern sich überlegt, was für ihn gut ist.

Gott - das ist die Fähigkeit, dankbar auf sein Leben zu sehen, auch wenn die andern einen bedauern.

Leute, die sich auf das Geld verlassen, haben wir genug, aber solche, die Phantasie genug haben, auch ohne viel Geld Weihnachten zu feiern- da fängt der Glaube an.

Leute, die eine bonfozionöse Konfirmation feiern, wie gehabt, kennen wir, aber solche, die dabei ihre jungen Familienmitglieder nicht vergessen, ohne Aufwand festlich miteinander umgehen können, das wäre was für den Glauben.

Leute, die sich auf die Gewalt verlassen, vielleicht nur auf die vornehme Art, daß sie sich wieder für die Todesstrafe erwärmen, die wird's immer wieder geben, aber was damit besser wird, das wäre eine Frage des Glaubens, und sich nicht auf Fürsten, Gewalt, Terror und Folter verlassen, das wäre eine Art des Glaubens.

Wie könnt ihr die Molotowcocktails und die Bomben der Baader-Meinhof mit Recht verurteilen, aber zu den Bomben auf Vietnam schweigen?

Wie könnt ihr die Folter in den Gefängnissen der Sowjetunion zu Recht verurteilen, aber wie sich die Wärter bei uns verhalten und wie es denen geht, die bei uns herauskommen, bleibt undurchsichtig?

So sehr hat Gott, hat der Glaube mit unserm Leben zu tun, daß das beileibe keine langweilige und pomadige Sache ist, sondern daß wir uns jetzt gleich in eine lebendiger Diskussion stürzen könnten. Wenn ich hier den Verwalter von ausschließlich jenseitigen Glückgütern spielen müßte, dann hätte ich den Talar schon längst ausgezogen.

Auf diesen lebendigen Gott seid ihr getauft.

In solchen Gedanken seid ihr hineingetaucht - zunächst mit Hilfe eurer Eltern - aber von heute an seid ihr Freischwimmer.

Bleibt in diesem Gewässer.

Wechselt nicht in das trübe, seichte Gewässer der Gewalt, der Lieblosigkeit, des Mißtrauens, der Verständnislosigkeit.

Steht nicht im Regen und zählt die Tropfen.

Laßt euch nicht einreden, Gott habe mit eurem Leben nichts zu tun.

Seht euren Schulkameraden, euren Lehrern, euren Verwandten, euren Eltern ins Gesicht, hört wie sie mit euch reden, wie sie von der Welt reden, daran seht ihr, was für einen Gott sie haben, was sie anbeten, was ihnen wichtig ist.

Uns soll wichtig sein, daß es in unserem Dorf, in unseren Familien, in unseren Schulen noch mehr Vertrauen, noch mehr Mut, noch mehr Liebe, kurz: noch mehr "Gott" gibt. Davor brauchen wir nicht bange zu sein, wenn uns Jesus und sein Beispiel vorangehen. Auf diesem Weg gibt er uns immer wieder Brot und Wein, daß wir nicht schwach werden, sondern dabei bleiben. Darum bitten wir: Jesus, geht voran. Amen

Nach 27 Jahren ein Blick in den Predigtspiegel

Mir fällt an dieser Predigt die Wut ein, mit der ich gerade an diesem Tage der "Versammlung" in der Kirche gegenübergetreten war. Das war nicht meine Gemeinde, sondern ein sich in der Kirche zusammendrängender Haufe, hinten herumstehend und kaum teilnehmend, ich hatte keinen seelsorgerlichen Kontakt zu ihnen: der Gottesdienst als religiöser Kringel einer ausgedehnten Familienfeier und zum Schluß die von Haus zu Haus ziehenden, am Ende betrunkenen Jugendlichen. Ich habe von Volksmission wenig gehalten, aber an diesem Tag sprach ich zu einer m.E. völlig unkirchlichen Versammlung. Während ich sonst gerne im Vollzug der Predigt Fragen stellte und die Wege Gottes mit uns und in dieser Gemeinde problematisierte, steuerte ich in dieser Predigt mit Volldampf auf den gottesdienstfremden, dem Glauben eher gelangweilt gegenüberlebenden Haufen zu und wollte ihnen nichts anders bezeugen als eben den lebendigen, in unser Leben eingreifenden Gott. Daß kein Bibeltext vorneweg genannt wird, finde ich nicht gut. Die Kürze imponiert mir heute noch. Ich konnte mich auch nicht über Aufmerksamkeit beklagen. Im übrigen war ich ungerecht. Nach dem Gottesdienst war ich immer wieder erstaunt und glücklich, daß "der Haufe" eben doch unsere reiche Liturgie, von der ich keine Zeile etwa aus "Rücksicht" fortließ - also auch das "Wir loben dich, wir beten dich an..." - kräftig erwidert hatte.

Es gab auch Predigten, die ich mehr als Rückblick auf den Konfirmandenunterricht gestaltete und dabei die Konfirmandinnen und Konfirmanden mehr im Blick hatte.

Der 30. November 1974 war der Samstag vor dem 1. Advent. Mich wundert heute, daß ich am Kirchenjahr völlig vorbeigepredigt hatte. Das kam dann wohl in den Liedern vor.

Der Abend des Konfirmationstages

Es ist ja eigentlich schön, wenn sich die Konfirmandinnen und Konfirmanden für den Abend verabreden und sich treffen. Unbegreiflich ist mir nach wie vor, daß sie in manchen Häusern der Eltern dann doch Alkohol bekommen haben und "abgefüllt" bald betrunken waren. Am letzten Elternabend hatten wir über Geschenke und Gestaltung des Tages ausführlich gesprochen und regelmäßig vereinbart, daß Alkohol nur an das eigene Kind ausgeschenkt werden sollte. Aber da waren dann auch die bereits Konfirmierten, die sich Stoff aus den Elternhäusern besorgten hatten, und dann waren sie eben blau. Leider wird in Offleben überhaupt zu viel getrunken. Die Alkoholabhängigkeit ist sehr viel größer als die Abhängigkeit von Drogen.

In der Hoffnung auf eine Änderung dieser Unsitten vereinbarte ich mit den Eltern eine Konfirmation zu einer anderen Zeit und Stunde, z.B. am Nachmittag des Reformationstages oder im Advent oder am Epiphaniastag. Die Adventsgottesdienste fanden regelmäßig um 17.00 Uhr statt, die Eltern sparten sich das Mittagessen, der Tag lief erst spät an. Eine durchgreifende Besserung habe ich nicht erzielt. Das war auch kein spezifisches Offleber Problem, sondern gehörte zu der viel beschriebenen "Konfirmationsnot". Der Konfirmationstag als Einstieg in den Alkoholgenuß ist mir nach wie vor eine besonders abstoßende, aber leider im Braunschweiger Land weit verbreitete Vorstellung.

Kritik

Es gab auch kräftige Kritik, besonders von denen, die andere Unterrichtsmethoden kennengelernt hatten. Sybille Madry zum Beispiel war Diakonin in Berlin geworden, ließ sich in den Ferien gerne im Pfarrhaus sehen und machte mich ziemlich zur Schnecke. Der Unterricht sei entsetzlich gewesen, natürlich entsetzlich autoritär. "Totes Wissen" war ein anderes Argument. Was sollen sie mit dem ganzen Plunder, wenn sie das später doch nicht "gebrauchen" können. Ich ging, aufgewachsen in einem christlich-bürgerlichen Milieu, möglicherweise von einem völlig überholten Bildungsideal aus. Andrerseits war unsere westeuropäische Kultur nun doch ohne Christentum nicht denkbar. Also: Vermittlung und Bewußtmachen von Wurzeln.

Von außen gesehen

Ich bin ein schlechter Kommentator des eigenen Unterrichts, befangen und noch zu nah. Es gibt aber auch Beobachter von außen. Ende der 80iger Jahre fertigte Heiko Lüdemann, Pädagogikstudent im 11. Semester, eine 37 Seiten lange Arbeit über den Offleber Konfirmandenunterricht an. Die Arbeit hat den umständlichen Titel "Untersuchung über den Stellenwert des Konfirmandenunterrichts am Beispiel einer Befragung in einer ländlichen Gemeinde". An der Arbeit beteiligten sich 13 Jugendliche, vier Mädchen und neun Jungen im Alter von 13-16 Jahren, die meisten bereits konfirmiert. Lüdemann legte ihnen einen Fragebogen vor und hielt mit sechs von ihnen ein vorbereitendes Gespräch ab.

Hier die Fragen und Antworten der Jugendlichen:

Bist du freiwillig zum Unterricht gegangen?
ja: 11,
nein: 1,
keine Antwort: 1

Warum hast Du daran teilgenommen?

a) weil meine Eltern es wollten? 1
b) wegen des Geldes? 1
c) aus Neugier oder Interesse? 2
d) weil meine Klassenkameraden auch hingegangen sind: 6
e) eigene Antwort: 1
f) ungültig: 2

Wie ist deine persönliche Einschätzung? Hat der Konfirmandenunterricht bzw. das erste Jahr

a) sich gelohnt? 5
b) sich kaum gelohnt? 6
c) sich gar nicht gelohnt? 1
d) keine Antwort: 1

Würdest Du Deinen Geschwistern oder Freunden zu der Entscheidung, zum Konfirmandenunterricht zu gehen

a) zuraten? 6
b) abraten? 1
c) weder zuraten noch abraten? 6

Wenn Du zu entscheiden hättest, würdet Du den Konfirmandenunterricht

a) ganz abschaffen? -
b) in der jetzigen Form beibehalten? 8
c) verbessern? 5

Wie stellst Du Dir persönlich Gott vor?

a) eher freundlich und liebend? 6
b) eher bedrohlich und strafend? -
c) ich habe keine bestimmte Vorstellung von Gott? 6
d) ungültig: 1

Es gibt in Deiner Gemeinde keine festen kirchlichen Jugendgruppen. Hättest du Lust an einer teilzunehmen, wenn es eine gäbe?

a) ja: 2
b) nein: 11

Was denkst Du, halten Deine Eltern vom Konfirmandenunterricht?

a) sie nehmen ihn wichtig: 8
b) Sie nehmen ihn nicht so wichtig: 4
c) Er ist ihnen egal: 1

Das Leben in der Gemeinde ist oft bestimmt von älteren Leuten. Hättest Du Lust, einen besonderen Jugendgottesdienst mit vorzubereiten?

a) ja: 2
b) ein wenig: 3
c) nein: 8

Lüdemann kommt in seiner Auswertung zu folgendem, abschließenden, grundsätzlichen Urteil: "Die Tatsache, daß der Konfirmandenunterricht bis heute gut besucht und auf die Konfirmation nach wie vor gesellschaftlich großer Wert gelegt wird, läßt die grundsätzliche Aussage zu, daß sein Stellenwert in der ausgewählten Gemeinde relativ hoch ist."

Dieser hohe Stellenwert rechtfertigt es auch, daß sich ein Pfarrer für den Unterricht und seine Vorbereitung Zeit nimmt. Tatsächlich empfand ich den Unterricht als zeitintensiv und spürte es schon, wenn er in den Ferien ausfiel.

Natürlich betrachten die Jugendlichen die traditionellen Inhalte des Unterrichtes kritisch. Dieses Urteil verändert sich mit zunehmendem Alter, wie ich bei den Eltern feststellen konnte. "Auffallend ist dann, daß an seiner grundsätzlichen Form und Existenz keiner rütteln wollte", stellt Lüdemann fest. "Im Gegenteil: ein Großteil der Befragten wollte den Konfirmandenunterricht sogar weiterempfehlen."

Ganz erhebliche Zweifel habe ich bei der Aufrichtigkeit der Antworten zur Motivation, zum Unterricht zu gehen. Nur einer antwortete, das Geld spiele eine entscheidende Rolle. Ich vermute, daß die zu erwartenden Geldgeschenke ein ganz starkes - und wie ich finde, durchaus berechtigtes - Motiv bei allen Anmeldungen zum Unterricht sind, denn dort, wo bereits Geschwister konfirmiert wurden, haben die Jugendlichen den sehr großen Aufwand miterlebt. Diese Antwort ist ganz besonders auffällig, weil die meisten Befragten gerade eine Konfirmation hinter sich und "abkassiert" hatten.

Daß die Konfirmierten keine Lust zu einem Jugendgottesdienst haben, könnte stark negativ auf den Unterricht zurückfallen. Die Antwort kann aber auch bedeuten: ich will keine Jugendgottesdienst, weil ich da ja hingehen müßte.

Erfreulich finde ich die Antwort, die Jugendlichen seien freiwillig zum Unterricht gekommen. Vielleicht hätten sie die Frage zu Beginn des Vorkonfirmandenunterrichtes doch anders beantwortet. Jetzt ist sie ein Teil der neu gewonnenen Freiheit.

"Theater"

Zum Schluß muß von dem "Theater" berichtet werden, das zweimal in der Gemeinde wegen der Konfirmation stattfand.

Das erste Mal war es beim "Konfi"jahrgang 1967. Die Konfirmandinnen und Konfirmanden hatten die Prüfung nicht ernst genommen und viel zu wenig gelernt. Also sollten sie die Prüfung nach einiger Zeit wiederholen. Der Zeitpunkt der Konfirmation verschob sich dadurch auch. Kein Problem.

Das führte aber zu einem Aufstand, weniger bei den Jugendlichen als bei den Eltern. Es bewahrheitete sich für mich, was Rudolf Brinckmeier vor der Landessynode Ende der 50iger Jahre gesagt hatte, daß nämlich die sogenannte Konfirmationsnot auch damit zusammenhinge, "daß die Konfirmation gerade von den entkirchlichten Kreisen so dringend gewünscht wird." Die Eltern, denen ansonsten der Unterricht und Gottesdienst ziemlich gleichgültig war, fürchteten um ihre schöne Feier.

Am 13. März 1967 stand die Sache in einer 13-Zeilen-Meldung auf Seite 2 in der BILD Zeitung, die natürlich in der näheren Umgebung rasch ausverkauft war. Die Meldung amüsierte mich. Da war zu lesen: "Ausgerechnet die drei Kinder, die beim Pastor umgegraben haben, bestanden die Prüfung." Na ja, das war eben BILD und Unsinn, aber es las sich ganz gut. BILD machte mich auch älter als ich war. Es fanden Elterntreffen ohne mich im Dorfgemeinschaftshaus statt, "Kuessner darf die auf keinen Fall konfirmieren."

Der Propst wollte vermitteln. Ich ließ mich jedoch nicht erweichen. Ich habe dann während einer weiteren Unterrichtsstunde die Jugendlichen noch einmal geprüft, und bei der Konfirmation war alles vergessen. Alle Eltern kamen zur Konfirmation in den Gottesdienst. Aber in Zukunft wurden die Prüfungen ernst genommen.

Das andere "Theater" lief im Dezember 1997 ab. Ich hatte mich mit den Eltern auf zwei Konfirmationstermine verständigt: am 2. Advent nachmittags um 17.00 Uhr und im März an einem Sonnabend nachmittag. Die Prüfungen waren abgelaufen, aber die verbindliche Präsenz bei den Gottesdiensten hatten die Konfirmanden dreimal geschmissen. Darauf verschob ich die Einsegnung auf den Epiphaniastag, also um einen Monat, während die Familienfeier von mir aus im Advent ruhig stattfinden konnte. Mir war die Trennung von Familienfeier und Einsegnungsgottesdienst sogar ganz lieb.

Den Konfirmanden wäre das ganz recht gewesen, aber die Eltern probten wieder den Aufstand. Dieses Mal wurden sie, anders als 1967, auch vom Kirchenvorstand unterstützt, der mich bat, doch die Konfirmation zum vorgesehenen Zeitpunkt durchzuführen. Der Propst erlaubte sich, mich an meine seelsorgerliche Pflicht zu erinnern, die ich ja gerade wahrzunehmen gedachte, und auch das Landeskirchenamt schaltete sich ganz im Gegensatz zu 1967 ein. OLKR Kollmar hatte ich am 1. Advent 1997 zu einem Gottesdienst und anschließendem Mitarbeitertreffen zum Thema "Reform der Kirche" gebeten. Die Aussprache im Pfarrhaus benutzte er, mich zur Durchführung der Konfirmation zu drängen.

Ich war nicht überzeugt, ging an den fraglichen Wochenende in Urlaub und der Propst übernahm die Gottesdienste nicht etwa selber, sondern übertrug sie dem überforderten Nachbarpfarrer.

Ich fand das ziemlich unverschämt. Das Landeskirchenamt versuchte in dieser Sache auch ein Ermittlungsverfahren, OLKR Niemann fuhr zu zwei protestierenden Eltern und veranstaltete zwei nicht formgerechte Anhörungen - und die Sache verlief im Sande.

Die Konfirmation im März war dann wie gewohnt. Nach wie vor halte ich die Regelung der Lebensordnung von 1959 für richtig, daß die seelsorgerliche Verantwortung unteilbar beim Ortspfarrer liegt und eine Amtshandlung so lange aufgeschoben bleibt, bis der Anstoß beseitigt ist. Die Einmischung in diese Seelsorgepflicht von welcher Seite auch immer und ganz besonders von kirchenleitender Stelle ist gänzlich unerträglich.

Nach der Konfirmation

"Sie werden aus der Kirche herauskonfirmiert", war ein alter Vorwurf im Blick auf den Tatbestand, daß die Jugendlichen sich nach ihrer Konfirmationszeit nicht in eine feste kirchliche Jugendarbeit einbinden lassen. Ich halte diesen Vorwurf für unberechtigt. In den 50iger Jahren, zur Zeit von Pfarrer Schuseil gab es tatsächlich eine solche beständige, sich wöchentlich treffende Jugendgruppe, deren Wimpel ich noch auf dem Boden des Pfarrhauses vorfand. Die Zeiten sind vorbei. Heute sind engagierte Jugendliche bei den Vorbereitungen für die Konfirmandenferienseminare gefragt und es gelingt auch manchen Pfarrern, dazu aus der Reihe der Konfirmierten Jugendliche zu gewinnen. Für das Konfirmandenfahrten-Seminar im Sommer 2000 hat z.B. Pfarrer Geert Beyer aus der Braunschweiger Pauligemeinde zahlreiche ehemalige Konfirmanden heranziehen können.

Es fanden sich in Offleben andere, unverbindlichere Möglichkeiten: viermal hatten die Konfirmanden eine "Konfizeitung" herausgebracht. Ich besinne mich auf Titel wie "Die Lümmel von der Kirchenbank" oder "Gulli". Um den jugendlichen, mit einer Dorfschullehrerin verheirateten Gerhard Landzettel und um Gerdi Herde sammelten sich Anfang der 70iger Jahre Jugendliche und beschäftigten sich mit gesellschaftlichen und politischen Themen. Sie suchten auch einen Raum für ungestörte Treffen. Sie zogen auf den Boden des Pfarrhauses oder in den Keller ("Gulli" oder "Katakombe") oder in den Stall und richteten sich dort ihre Nester ein, wo sie auch privat und ohne Erwachsene ihr Leben ausprobieren und sich näher kommen konnten.

Die Möglichkeit, auf dem Dorf etwas Geld zum elterlichen Taschengeld hinzuzuverdienen, ist gering. Da war "der Paster" eine gute Quelle. Im Garten war immer etwas zu tun. Der Kirchplatz war eine Quelle ständiger Arbeit. Sie kamen und mähten und hackten Unkraut, beschnitten die Bäume und ich zahlte ihnen etwas; in ihren Augen natürlich viel zu wenig. Und im Sommer grillten sie und machten viel zu laute Musik oder spielten auf dem Vorplatz Fußball. Die geräumige Wohnküche des Pfarrhauses bot gute Gelegenheit, mal vorbeizugucken und zu sehen, was der Pastor so macht und um sich bißchen zu unterhalten.

Die Jugendlichen waren auch für einzelne Projekte zu haben. Als ich nach Offleben kam, gab es keinen ordentlichen Weg für die Kirchgänger zur Kirche. Sie mußten sich auf dem Gehweg an der Seitenwand der alten Braunschweiger Schule vorbeidrücken. Die Straße bestand aus Kopfsteinpflaster, auf dem sich die alten Leute die Beine brechen konnten. Der kleine Abhang zur Scheune hin war eine Brennesselfläche. Für die Herrichtung eines soliden, breiten Gehweges entlang waren die Jugendlichen bald gewonnen. Erst später merkte ich, daß die Aktion illegal war, weil das Gelände gar nicht der Kirche gehörte. Der Kloster- und Studienfonds forderte mich auf, den alten Zustand wieder herzustellen, was er jedoch selber nicht sehr ernst nahm. Der Weg blieb, wie er heute noch ist.

Genauso aktiv beteiligten sich diese jungen Gemeindemitglieder bei der Herstellung eines Platzes vor der Kirche im Zusammenhang mit dem Abbruch der Kuhstallscheune. Der Film über die Kirchenrenovierung zeigt dies anschaulich.

Nach dem Abbruch der Eisenbahnbrücke über die Reinsdorfer Straße legten die Jugendlichen einen Spazierweg an, in die alte Eisenbahnböschung bis zur Grenze hin. Der Weg wurde dann gerne von den Spaziergängern angenommen.

Mit den Schülern des Anna Sophianeums und einigen Offleber Jugendlichen führten wir zusammen "Der Mord im Dom" von T.S. Eliot auf. Wir kamen im selben Jahr 1966 auf immerhin vier Aufführungen.

Der Nachtgottesdienst zu Weihnachten wurde eine Zeitlang eine Art Geheimtip zum "Ehemaligentreffen", besonders für solche, die inzwischen auswärts wohnten. Das Pfarrhaus wurde zur Anlaufstelle für kritische, fragende Geister. Mich selber erfrischten solche Gespräche sehr.

Manche kamen auch später ins Pfarrhaus, wenn sie den Wehrdienst verweigern wollten.

Ich war für den Bereich der Propstei Berater und Begleiter für die Prüfungsverfahren. Wer den Wehrdienst verweigerte, sollte sein Gewissen vorkehren. Wer Soldat wurde, brauchte das nicht. Der normale, deutsche, gesunde, junge Mann "diente" pflichtgemäß beim Bund. Eine ganz verquere Geschichte. Der Verweigerer mußte also nachweisen, daß er unnormal oder ungesund an Leib und Seele wäre, um als Zivildienstleistender anerkannt zu werden.

Die mündlichen Prüfungsverhandlungen waren zumeist ein Lotteriespiel. Lag die Prüfung um die Mittagszeit und waren die zwei vorangegangen anerkannt worden, konnte ich sicher sein, daß der folgende Antrag auf Anerkennung abgelehnt wurde. Wer Auto fuhr, hatte es schwer, anerkannt zu werden. Denn das Auto wäre ein "Tötungsinstrument". Die dumme Frage, ob man seine Freundin nachts im Park gegen einen Angreifer verteidigen würde, fehlte nicht.

Ich riet den jungen Leuten im Vorgespräch, ehrlich zu sein und sich eher in Widersprüche zu begeben. Ich hatte im Schlußwort die Gelegenheit, auf die Widersprüche einzugehen. Ein Prüfender, selbst Reservist, fragte: "Haben Sie etwa Angst?" Der junge Mann antwortete wahrheitsgemäß: "Ja!" Damit hatte er sich vor diesem strammen Reservisten als "Angsthase" blamiert, der natürlich nicht "reif für den Bund" war.

Ich habe die Prüfungsverfahren meist als demütigend empfunden und war für den Rest des Tages deprimiert. Später wurde das Verfahren vereinfacht, die mündlichen Verhandlungen stark eingeschränkt und es genügte eine schriftliche Begründung. Auch da war eine Beratung über Form und Inhalt öfters nötig und hilfreich. Ich bekam durch die Tätigkeit Kontakt und ernsthafte Gespräche mit einer Vielzahl von jungen Männern weit über die Kirchengemeinde hinaus.

Die Goldenen Konfirmationen

Anfang schwärmte ich nicht allzusehr für die Goldenen Konfirmationsgottesdienste. Sie trugen meiner Ansicht nicht sehr zum Gemeindeaufbau bei. Sie hatten sich in den 30iger Jahren während der nationalsozialistischen Zeit in unserer Landeskirche eingebürgert. In Offleben lud Pfarrer Schuseil zur ersten Goldenen Konfirmation am 25. September 1955 ein. Es kamen über 100 Jubilare der Konfirmationsjahrgänge zu Beginn unseres Jahrhunderts. Oberlandeskirchenrat Röpke hielt die Festansprache. Es gibt von diesem Ereignis ein bezeichnendes Bild: alle Jubilare in schwarz gekleidet, mit ernster Miene, als ob sie Rechenschaft darüber ablegen müßten, ob sie den seinerzeit gelobten gottseligen Wandel auch geübt hätten.

Wir haben in Offleben die Goldenen Konfirmationen im zweijährigen und in Reinsdorf im fünfjährigen Turnus gehalten.

Ich war gegenüber dieser gottesdienstlich doch sehr ungeübten Gemeinde etwas hilflos, zumal es ja erneut ein Abendmahlsgottesdienst sein sollte. Die Teilnehmer wunderten sich über das neue Gesangbuch von 1953, das sie in den Händen hielten, sie kannten aus ihrer Konfirmandenzeit das Gesangbuch von 1902, und sie staunten über die neue Gottesdienstordnung. Vor allem hatte sich auch der Kirchenraum entscheidend geändert. Der schöne alte Kronleuchter war nicht mehr da und die alten Plätze der Konfirmanden auf den Querbänken im Altarraum waren weggeräumt worden. So war es für die Jubilare kein einfacher Tag, wenn sie sich auf den Weg zurück in ihre kirchliche Vergangenheit begeben wollten.

"Das Konfirmationsjubiläum hat ausgesprochen volkskirchlichen Charakter mit starken lebensgeschichtlichen Akzenten", heißt es auch jetzt im Agendenentwurf von 1995. Eben dieser Akzent war mir anfangs zuwider, und OLKR Brinckmeier spottete über meine volkskirchlichen Aversionen und meinte, ich sei für den Volkskirchengedanken noch nicht verloren, solange ich Goldene Konfirmationen abhielte. Aber es mußten irgendwelche diffusen, religiösen, rückwärtsgewandten Gefühle theologisch aufgenommen werden, die meines Erachtens wenig mit Gemeinde und dem Wort Gottes zu tun hatten. Mir kam die Goldene Konfirmation wie ein Klassentreffen mit einem religiösen, kirchlichen Anstrich vor. Ich bat jeweils die Pröpste, die Predigt zu diesem Anlaß zu halten und das Abendmahl mit auszuteilen.

Später merkte ich, mit wieviel Aufwand das Fest nun doch für die Jubilare verbunden war. Oft eine weite Anreise, Übernachtungen. Die Kirche trat mal wieder in ihr Bewußtsein. Sie knüpften ihre Erinnerung an diese Kirchengemeinde in Offleben und Reinsdorf-Hohnsleben. Sollte ich das behindern? Von ihnen war viel zu erfahren: über den Unterricht von Pfarrer Reiche, den sie über die Maßen geärgert haben müssen, aber auch über die Dorfgeschichte von damals.

Ich lud daher schon zu einem Gesprächsabend am voraufgehenden Sonnabend ins Pfarrhaus oder in den Pfarrgarten ein, was erstaunlich gut angenommen wurde. Für die Weitgereisten war es eine zusätzliche Möglichkeit zum persönlichen Austausch. Einige präparierten sich sogar, und gaben ganze Vorträge zum Besten. Mittelschullehrer Rolf Söchtig, früherer strammer HJ-Führer, verfertigte aus Anlaß seiner Goldenen Konfirmation 1991 eine ausführliche, 40 Seiten lange schriftliche Arbeit über seine Kindheit und Jugend von 1932 bis 1943. Es war wohl kein Zufall, daß darin vom kirchlichen Leben nicht die geringste Spur zu lesen war, obwohl er in der benachbarten Schulstraße, heute Poststraße, gewohnt hatte.

Beim Gottesdienst stellte sich eine kleine Verlegenheit bei denen ein, die inzwischen aus der Kirche ausgetreten waren. Sollten sie kommen? Durften sie am Abendmahl teilnehmen? Ich ließ sie das selber entscheiden. Eingeladen war jede und jeder. Wenn ich bemerkte, daß das Abendmahl eine Überforderung sein könnte, hielt ich einen kräftigen Predigtgottesdienst.

Es war mir auch die Frage, ob das Verlesen der Namen der Jubilare nach dem Predigtlied und das besondere Gebet, wie es die Agende von 1964 vorsah und wie ich es auch hielt, genügte, und ob nicht doch eine besondere gruppenweise Einsegnung am Altar angebracht wäre. Diese Möglichkeit sieht der neuste Agendenentwurf von 1995 vor. So habe ich es bei der letzten Goldenen Konfirmation in Reinsdorf im Mai 2000 gehalten und zwar so, daß sich die Mitglieder des Kirchenvorstand an der Einsegnung mitbeteiligten und hinter den knienden Jubilaren stehend ihre Hände segnend über sie hielten. Das geht bereits über den Agendenentwurf hinaus.

In einer zahlenmäßig kleiner gewordenen Kirchengemeinde wirkte die Goldene Konfirmation auch wie ein kleines Signal: "Wie schön, daß es euch noch gibt!" Der Nachmittag dieses herausgehobenen Tages wurde von der Frauenhilfe, meist im Dorfgemeinschaftshaus, mit besonderer Mühe und Liebe vorbereitet, für Kaffee, Kuchen und Gedeck gesorgt. Es wurden also auch die eigenen Kräfte mobilisiert, auch wenn es oft, wie üblich, an nur wenigen hängen blieb. Der Volkschor kam und sang einige Choräle und Volkslieder. Fotos aus der Dorfgeschichte wurden ausgelegt und aus dem Kirchenbuch die inzwischen Verstorbenen vorgelesen. Vor allem kamen nun auch die Jubilare selber zu Wort und konnten von alten Zeiten berichten und sich untereinander austauschen.

So ist mir die Goldene Konfirmation im Laufe meiner Dienstzeit aus einer eher fraglichen doch zu einer den Gemeindealltag belebenden Veranstaltung geworden.

Die Reinsdorfer versuchten sogar, eine Silberne Konfirmation durchzuführen und luden dazu auch zweimal ein. Aber sie fand nicht das selbe Echo wie die Goldene. Das ist vermutlich eine Generationsfrage.

Bericht von der Goldenen Konfirmation am Sonntag, den 22. August 1982, in Offleben

von Elisabeth Warnebold, geb. Reiche, der Tochter von Pfarrer Oskar Reiche

Der Treffpunkt der Goldenen Konfirmation war ab 9.15 Uhr im Gemeinderaum, wir nannten ihn immer Konfirmandenzimmer, des Pfarrhauses. Für mich war es ein Wiedersehen mit meinem Elternhaus. Auf das Treffen mit meinen früheren Mitschülern und Konfirmanden freute ich mich unsagbar. Die Spannung, wer würde kommen, wer würde gemeinsam mit mir diesen Tag verleben, war groß. Es waren nur elf Goldkonfirmanden, ein kleiner Kreis, der sich im Gemeinderaum einfand: Hermann Fricke, Georg Niemann, Alfred Rheinsberg, Gertrud Rheinsberg, geb. Fischer, Erika Falke, geb. Same, Annemarie Globisch, geb. Hoppe, Elisabeth Schrödter, geb. Döring, Hildegard Hundt, geb. Hinze, Hildegard Koch, geb. Grabe, Elfriede Harensa, geb. Beyes. Und ich. Nachdem wir von Pastor Kuessner und dem Kirchenvorstand begrüßt wurden, gingen wir, begleitet von den Glockenklängen wie vor 50 Jahren, vom Pfarrhaus in die Kirche. Unsre Gesichter waren geprägt von den 50 Jahren, vom Leben, Erleben und Schicksalen. Singend zogen wir in unsere alte Dorfkirche, die renoviert für uns ein völlig neues Gesicht hatte und doch so vertraut war. Die alte Orgel stand nicht mehr an ihrem Platz, wo Lehrer Wöhler so viele Jahre gespielt hatte und auch zu unserer Konfirmation die Feierstunde mit Orgelklängen umrahmte. Der Gottesdienst, der von der Gemeinde mitgestaltet wurde, stand unter dem Psalm 103: "Lobe den Herren, meine Seele und was in mir ist, seinen heiligen Namen". Vor 50 Jahren hatten wir den Text aus dem Evangelium Johannis 21, Vers 15-19: Folge mir nach im Lieben, im Leben, im Leiden.

50 Jahre lagen dazwischen. 50 Jahre, die unser Leben geprägt hatten. - 50 Jahre im Lieben, im Leben, im Leiden. Und trotzdem zurückschauend - so reich an Liebe, an Güte, an Kraft, daß wir alle einstimmen können: Lobe den Herren, meine Seele und was in mir ist, seinen heiligen Namen. Lobe den Herren, und vergiß nicht, was er dir Gutes getan hat. - Das gemeinsame Abendmahl beendete den Gottesdienst unserer Goldenen Konfirmation.

Nun hatten wir Zeit, uns die Kirche genauer anzusehen und konnten alle Neuerungen bewundern. Die anschließende Kaffeerunde im Pfarrhaus lockerte schnell die Stimmung auf und das Klönen nahm seinen Anfang. Um 12.30 Uhr war das Mittagessen für uns im Dorfgemeinschaftshaus, wo die Frauenhilfe festlich die Tische gedeckt hatte und liebevoll das Mittagessen gerichtet hatte. Es schmeckte herrlich. Der Küche und den Köchinnen herzlichen Dank. Danach bummelten wir gemeinsam durchs Dorf, frischten Erinnerungen auf und ließen unser Mundwerk fleißig mit spazierengehen. Selbst über die Friedhöfe gingen wir, die ein Stück Vergangenheit und Gegenwart bedeuteten. Es war ein Erinnern an Namen, die mit uns ein Stück des Weges in der Jugend und in den darauf folgenden Jahren gegangen sind.

In angeregter, aufgeschlossener Stimmung kamen wir zum Kaffeetrinken, das als Gemeindenachmittag geplant war, ins Dorfgemeinschaftshaus zurück. Kaffee und Kuchen stand auf dem Tisch und gar zu schnell verging beim Singen und Klönen die Zeit. Die Dias aus alten Zeiten, alte Konfirmandenbilder, wie das Dorf früher ausgesehen hat, wo die alten Tafeln, besser Steinplatten, die jetzt so eindrucksvoll in der renovierten Kirche angebracht sind, früher an der Außenwand angebracht waren, riefen viele Erinnerungen wach.

Es war ein schöner Tag. Unser Dank gilt all den Helfern aus der Frauenhilfe, dem Kirchenvorstand und Herrn Pastor Kuessner, die zum Gelingen dieses Tages beigetragen haben. Doch die Erinnerung an das Wiedersehen nach 50 Jahren klingt in mir noch lange nach. Es wäre schön, wenn die Verbindung zwischen uns Goldenen Konfirmanden nicht wieder ganz abreißen würde.

(aus einem Gemeindebrief 1982)


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