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[Kirche von unten]

Gemeinsam - zärtlich - radikal

13. Kapitel

Die Ökumene vor Ort oder:

die Grenze zwischen den Konfessionen, zwischen evangelisch und katholisch

Die alten Vorbehalte

Lieschen Brzesinski, eine standhafte, klein gewachsene, unermüdliche, zähe Offleberin, die auf dem Klostergut großgeworden war, betrat die katholische Kirche natürlich aus Prinzip nicht. Man ging nicht in die katholische Kirche. Und umgekehrt auch nicht.

Es gab auch andere: Frau Schuppe, katholisch, aus Schlesien, mit der ich öfter einen Schwatz auf der Straße hielt, sagte mir immer wieder: "Herr Pastor, wir haben doch alle nur einen Gott." Sie gehörte mit anderen zu den eifrigen Befürwortern von gemeinsamen Gottesdiensten.

Die Gegend um Offleben und Reinsdorf war früher, wie im ganzen Herzogtum Braunschweig, "rein" evangelisch. "Katholische" kannte man gar nicht. Das änderte sich zu Anfang des Jahrhunderts, als hier bei den Braunschweigischen Kohlenbergwerken junge Leute aus Schlesien Arbeit fanden.

Die Gründung des polnisch-katholischen Arbeitervereins in Offleben

Erst kürzlich fand ich im Staatsarchiv Wolfenbüttel die Akte von der Gründung des katholisch-polnischen Arbeitervereins in Offleben aus dem Jahre 1895. Am 14. Juli 1895 trafen sich in Offleben 57 Arbeiter und gründeten diesen Arbeiterverein, reichten bei der Kreisdirektion ihre Satzung mit 25 Paragraphen zur Genehmigung ein und wählten den Offleber Bergarbeiter Franz Placzko zum ersten Vorsitzenden.

Der Gemeindevorsteher Wagenführ bekam von der Kreisdirektion den Bescheid, daß eine besondere Genehmigung nicht nötig sei, da in dem Verein öffentliche Angelegenheiten nicht verhandelt werden würden, man suche nur gegenseitigen Austausch, "Belehrung und Unterhaltung in religiöser und sittlicher Beziehung", wie es damals hieß, aber es kam doch auch die Anweisung, "den Verein im Auge zu behalten". Dieser letzte, aus heutiger Sicht nicht gerade freundliche Hinweis spiegelt das Mißtrauen gegen das Fremde wider, das gegenüber diesem katholisch-polnischen Arbeiterverein vorherrschte.

Unter den ersten Vereinsmitgliedern befinden sich auch heute noch geläufige Offleber Familienamen wie Owsiany, Globisch, Napirata, Hadamla. Es waren meist junge Leute, die im Osten arbeitslos gewesen waren, hierher kamen, und ohne soziale Unterstützung sich durchschlagen und mit sehr Wenigem zufrieden sein mußten. Zu ihnen gehörte später auch Emil Braun, der viel aus dieser Zeit erzählte.

Die Katholiken gingen entweder nach Schöningen zum Gottesdienst oder nach Hötensleben. Mitte der 20iger Jahre errichteten sie sich zur Gottesdienststätte eine Baracke am Ende des Rosenwinkels und 1933 wurde ein fester Bau oben an der Bahnhofsstraße unter dem ersten katholischen Pfarrer Matthäus May erbaut und zeitgemäß eingeweiht.

Vom katholischen Pfarrer Julius Ramb, in Offleben von 1938 bis 1946, erzählt man sich einige systemfeindliche Geschichten während der NS-Zeit, sein Nachfolger Pfarrer Christoph Zwingmann (1946-52) galt als sehr dogmenstreng, Pfarrer Johannes Surkemper, der seit 1952 in Offleben tätig war, dagegen als volkstümliches, trinkfestes und festfreudiges Original.

In Offleben hatten sich "katholische" Geschäfte eingebürgert: Otto Golus leitete ein größeres Malergeschäft, Georg Huke führte in zweiter Generation ein Kolonialwarengeschäft.

Aufbruch und Krise in der katholischen Kirche

Zu Beginn meiner Pfarramtstätigkeit leitete Pfarrer Alfred Latka die katholische Gemeinde, zur Abwechslung wiederum ein mehr strenggläubiger Vertreter seines Berufes. Mir war das kollegiale Miteinander ganz selbstverständlich.

Auf dem katholischen Clemens-August-Gymnasium in Cloppenburg, dem schwärzesten Teil Niedersachsens, hatte ich 1954 mein Abitur gemacht, war 1959 aus Interesse für mehrere Wochen besuchsweise im Kloster Niederaltaich bei Passau in der Klausur der Benediktiner gewesen und hatte dort gute Kontakte geknüpft. Begeistert verfolgte ich die Verhandlungen des Ökumenischen Konzils unter Papst Johannes XXIII. Ich fuhr 1962 nach Rom und Pater Ireneäus aus Niederaltaich ließ mich etwas Konzilsluft schnuppern.

In der Schöninger St. Vincenzkirche hatte ich als Vikar zur Eröffnung des Konzils im Oktober 1962 einen ökumenischen Gottesdienst angeregt und zusammen mit Pfarrer Dr. Menzel von der St. Lorenzkirche und dem katholischen Pfarrer Kaluza von der St. Marienkirche auch gefeiert, was damals auf Stirnrunzeln und Kritik des Vincenz-Kirchenvorstandes stieß. Ich hatte ihn vorher nicht gefragt, um das Zustandekommen nicht zu gefährden. Es wurde damals sogar mit gedruckten Plakaten zum Gottesdienst eingeladen.

Aber die katholische Kirche stand mitten in einem noch größeren, gewaltigen Aufbruch, den ich fasziniert beobachtete. In der "Freien Volksbühne" von Westberlin lief ab Februar 1963 in der Inszenierung von Erwin Piscator das aufsehenerregende "christliche Trauerspiel" des damals 31jährigen Rolf Hochhuth "Der Stellvertreter", in dem er die zwiespältige Rolle von Papst Pius XII in der Judenfrage zur nationalsozialistischen Zeit schilderte. Ich fuhr nach Berlin zur Aufführung und mußte mich erst daran gewöhnen, daß der Held des deutschen Heimatfilmes, Dieter Borsche, den Papst spielte, ganz in weiß. Im Herbst 1963 wurde das Stück an acht deutschen und vierzehn ausländischen Bühnen gespielt. Ende des Jahres 1963 hatte das im Rowohlt Verlag erschienene Stück in der 13. Auflage das 160. Tausend erreicht. Sebastian Haffner schrieb in der Aprilnummer des STERN: "Ganz hart kann man sagen: es war nicht die höchste Aufgabe des Papstes, Juden zu retten. Der Papst kann nicht jeden retten. Aber es war seine Aufgabe, zu verhindern, daß die Christenheit im wörtlichen Sinne zum Teufel ging: daß mitten in seinem Abendland von Christen Satanswerk größten Ausmaßes getan wurde, mit dem nicht nur Deutschland, sondern die ganze Christenheit für immer befleckt bleiben wird. Die Nachwelt wird immer wieder ihr Auge auf jenen Papst richten und sich über sein Schweigen wundern." Möglicherweise ist die Reaktion auf dieses Stück der Grund, warum Pius XII im Jahr 2000 nicht selig gesprochen wurde.

Typisch für die Stimmung im Land war der Titel des bei rororo im Mai 1963 erschienenen Buches von Carl Amery "Die Kapitulation oder Deutscher Katholizismus heute". Amery gibt eine eindringliche Milieustudie des deutschen Katholizismus um 1933 und nach 1945 und rät, das Milieu zu verlassen, den Bruch mit dem existierenden Katholizismus und das Modell einer Minderheitenkirche ohne Autoritäten zu wagen. Das fand ich aufregend und war neugierig.

Ich hatte in Offleben den persönlichen Kontakt zu Pfarrer Latka gesucht. Mit dem Dechanten Reinhardt aus Helmstedt diskutierte ich in der Helmstedter Gemeinde St. Marienberg über die Frage der Miterlöserschaft Marias. Es war ein Dialog über hohe Zäune. Das änderte sich in Offleben.

Mit Pfarrer Fabianek

Pfarrer Latka verließ Offleben 1965 und die Beziehungen tauten in Offleben ganz sichtlich auf unter seinem Nachfolger, Pastor Franz Fabianek, der seit Februar 1966 in Offleben wirkte. Fabianek war ein begeisterter Bergsteiger und spielte im TSV Fußball. Wir fanden rasch zueinander und hielten am 21. 6. 1966 im Dorfgemeinschaftshaus einen ersten ökumenischen Gesprächsabend über den Briefwechsel der deutschen und polnischen Bischöfe.

Am Martinitag begannen die Kinder einen Lampionumzug in der evangelischen Kirche, der mit Martinsliedern durchs Dorf führte und in der katholischen Kirche beendet wurde. Sogar das Pony, das Martin trug und aus dem Stall von Kurt Lohse stammte, durfte mit in die Kirche.

Pfarrer Fabianek berichtete in der Frauenhilfe über seine Besteigung des Kilimandscharo und eine Gipfelmesse, die er als begeisterter Bergsteiger gehalten hatte. Anläßlich der Ermordung von Martin Luther King hielten wir beide mit Pastor Menzel, Schöningen, und Pastor Haferburg, Neu-Büddenstedt, noch am 6. April 1966 einen ökumenischen Gottesdienst in unserer Kirche. Im selben Jahr nahm mich Pfarrer Fabianek sogar zum Katholikentag nach Essen mit, der mit einem Priestertag verbunden war. Die ökumenischen Beziehungen zueinander waren nie dichter.

Leider verließ Fabianek im Dezember 1968 die katholische Kirchengemeinde, er wollte im Grunde heiraten, ging nach München und wurde Religionslehrer.

Ökumenisches Pfingsttreffen in Augsburg 1971

Ein Höhepunkt des ökumenischen Tauwetters war 1971 das "Ökumenische Pfingsttreffen" in Augsburg an Stelle des dafür ausgefallenen evangelischen Kirchentages. Zum ersten Mal hielten katholische und evangelische Christen zusammen einen Kirchentag ab. Ich war begeistert. Es entschlossen sich Ralf Fricke, Bernd Redmann, Ulli Bläsing, Birgit und Gerdi Herde zur Teilnahme, also eine konfessionell gemischte Gruppe. In Augsburg wohnten wir verteilt in Privatquartieren, trennten uns in unterschiedliche Arbeitsgruppen und tauschten uns gegenseitig aus über einen orthodoxen Gottesdienst oder das "Kölner Nachtgebet" oder eine katholische Messe in einer hochbarocken Wallfahrtskirche. Außerdem wurde die Stadt erkundet. Der Spaß kam auch nicht zu kurz. Ich mußte lernen, daß junge Leute sich nicht den ganzen Tag Vorträge reinziehen und Veranstaltungen besuchen können.

Im Gemeindebrief 12/71 fassen sie unmittelbar nach der Rückkehr ihre Eindrücke so zusammen:

"Wir bringen mit: Plakate, Biergläser, den Kopf voll mit Schlagwörtern, Interesse an mehr Zusammenarbeit, hintereinander nie soviel in der Kirche gewesen! Menschliche Begegnungen, ein Stück buntes, freies Leben. Kritik: Kuessner war viel zu diktatorisch. Offenbar unverbesserlich."

In der Schlußveranstaltung im Rosenau-Stadion, die wir gemeinsam besuchten, machten der Münchner Kardinal Döpfner und Landesbischof Dietzfelbinger deutlich, daß so ein Experiment in nächster Zeit nicht wiederholt werden sollte. Es wurde klar: in der Kirchenhierarchie herrschte die Angst vor zu viel Ökumene, unten in den Gemeinden waren wir schon sehr viel weiter. Eine typische Redeweise der Angst wurde seitdem: man solle durch Überstürzung nicht den erreichten Grad der Ökumene gefährden. Die Jugendlichen sahen das ganz anders. Als Gerdi Herde bei einem evangelischen Gottesdienst in Offleben auch ganz selbstverständlich am Abendmahl teilgenommen hatte, wurde sie von oben zurückgepfiffen. Wir hatten die gastweise Zulassung von Katholiken zum Abendmahl schon praktiziert, bevor dies von der Generalsynode der VELKD beschlossen wurde.

Mit Pfarrer Bruno Hanke Fortsetzung der ökumenischen Arbeit

Mit Pfarrer Fabianek war ein Tor zu einem friedlichen katholisch/evangelischen Verhältnis auf Ortsebene aufgestoßen, das Maßstäbe setzte. Als zur kurzen Vertretung der niederländische Pater Blom nach Offleben geschickt wurde, vereinbarten wir, ohne irgendwelche Hemmschwellen überwinden zu müssen, die ökumenische Weiterarbeit, die von seinem Nachfolger Pfarrer Bruno Hanke fortgeführt wurde. Die regelmäßigen Weltgebetsgottesdienste am ersten Freitag im März wurden eisern ökumenisch durchgeführt. Der Versuch, dabei auch ein ökumenisches Abendmahl zu halten, erwies sich auf die Dauer als ein zu weit gestecktes Ziel.

Bei Pfarrer Hanke führten wir aber einen zweiten ökumenischen Gottesdienst ein, der sich über die Jahrzehnte gehalten hat und in der Propstei bisher nicht erreicht worden ist: eine ökumenische Maiandacht. Der leitende Gesichtspunkt war dabei nicht die Entwicklung eines ökumenischen Marienbildes, sondern jede Konfession sollte jeweils ihr Marienbild in den Mittelpunkt der Andacht stellen. Manchmal haben wir eine Maiandacht auch in der evangelischen Kirche gehalten, später aber regelmäßig in der katholischen Kirche.

Bei Pfarrer Hanke erlebt wir auch ein- oder zweimal einen mit der Marienandacht verbundenen "Flursegen". Wir zogen durch seinen hinter der Kirche gelegenen kleinen Garten, wo das Grün gesegnet wurde. Ich habe mich sehr gefreut, daß wir bei der letzten Maiandacht 1999 im Offleber Pfarrgarten, bei der Pfarrer Gerhard Hinrichs die Predigt hielt, den Flursegen um den mächtigen, dunkelroten Haselnußstrauch herum mit Pfarrdiakon Lehmann wiederholt haben.

Im Anschluß an die Maiandacht kam dann die Maibowle. Der persönliche Austausch sollte gepflegt werden.

Schon Pfarrer Fabianek hatte in der Reinsdorfer Kirche mit Meßgottesdiensten begonnen, so war es selbstverständlich, daß sich die Reinsdorfer auch an den Maiandachten beteiligten. Die Grenze zwischen katholischen und evangelischen Christen wurde sichtlich in unserem Dorf durchlöchert. Eine gemeinsame Adventsfeier blieb allerdings auf einige Male beschränkt. Dafür veranstalteten die evangelische Frauenhilfe und die katholische Frauengruppe mehrere gemeinschaftliche Gemeindeausflüge.

Nach dem ökumenischen Weltgebetstag der Frauen bleiben noch insgesamt 50 Frauen zum Klönen. Wir wollen die Ökumene intensivieren. Am 22. März wird ein gut besuchter ökumenischer Gottesdienst in unserer Kirche gehalten, am 24. Mai machen wir oben um die katholische Kirche eine Flurprozession, am 29. 9. halten P. Hanke und ich einen ökumenischen Gottesdienst in Reinsdorf, ein weiterer in der katholischen Kirche, bei dem ich predigen sollte, findet nicht statt. Es fällt leider auch zum ersten Mal die gemeinsame Adventsfeier aus.

(aus der Kirchenchronik S. 233f)

Mit Pfarrer Hanke habe ich dann auch die ersten ökumenischen Traugottesdienste gefeiert. Dazu gab es von offizieller Seite noch keine Formulare. Das Wichtigste war in unseren Augen, daß sich zwei Pfarrer zur Amtshandlung einfanden und sich an der jeweiligen Liturgie beteiligten. Hierbei war nicht wichtig, wer was tat und wer am Ende den Segen sprechen würde - das sollte m.E. jeweils der Hausherr machen - mir war nur wichtig, daß sowohl die evangelische als auch die katholische Gemeinde merkte, daß hier die beiden Kirchen nicht gegeneinander arbeiteten, sondern in zentralen Punkten ihres Glaubens, nämlich im Gebet und in der Wortverkündigung, sich gegenseitig respektierten und zusammenwirkten.

Nach dem Fortzug von Pfarrer Hanke im Jahre 1976 sorgte Pater Daniel Maas für moderne Gottesdienstformen. Mit Pater Daniel feierten wir noch einen dritten ökumenischen Gottesdienst im Herbst. Ich wollte den Michaelistag dafür beleben, was aber nur einige Male gelang.

Der ökumenische Gottesdienst mit Pater Daniel Michaelis 1976 in der Büddenstedter Kirche stand unter dem Motto "Freiheit gibt es nur durch Veränderung". Kurz danach fand die Bundestagswahl und auch die Kommunalwahl statt. Unmittelbar vorher hatten Pfarrer Adrian und ich ein Umweltseminar in Büddenstedt gehalten. So konnte dieser Gottesdienst politisch mißverstanden werden.

"Michael - die Antwort des Glaubens auf den Terror in der Welt" hieß das Leitwort für den ökumenischen Michaelisgottesdienst 1977. In diesem Gottesdienst passierte es nun, daß während der Fürbitte am Schluß des Gottesdienstes Frau Lück, die Frau des gerade abgewählten Gemeindedirektors Lück, an den Altar stürzte, den Ablauf des Gottesdienstes unterbrach und mit theatralisch ausgestreckten Händen eine mühsam in Gebetsform gekleidete Schimpfkanonade gegen mich losließ, weil ich an der Abwahl ihres Mannes nicht ganz unschuldig gewesen war. Das war nun nicht gerade eine Werbung für einen weiteren ökumenischen Gottesdienst zu Michaelis.

Abkühlung nach 1976, aber die katholischen Frauen setzten sich durch

Das vertrauens- und hoffnungsvolle Verhältnis der Kirchen untereinander in der Zeit nach dem 2. Vatikanischen Konzil kühlte sich durch die kälter werdende katholische Großwetterlage ab.

In der katholischen Kirche machte sich Pfarrermangel bemerkbar. Es war für das ökumenische Miteinander nicht einfach, daß der Nachfolger von Pfarrer Hanke, Pfarrer Josef Wyczik, aus Polen, also aus einem rein katholischen Land kam, dem evangelisches Glaubensgut begreiflicherweise völlig fremd war. Ich hörte bei seiner Einführung in der katholischen Kirche den katholischen Dechanten Merten sagen, wie die Lage in Offleben aus seiner Sicht für waschechte Katholiken aus zwei Gründen sehr schwer sei: erstens, so dicht am Kommunismus, nämlich an der Grenze, und zweitens, in einem überwiegend protestantischen Dorf. Kommunismus und Protestantismus gehörten aus der Sicht der "reinen katholischen Wahrheit" leider enger zusammen als es die Geschichte erlaubte.

Aber auch bei Pfarrern Wyczik blieben wir bei unserem ökumenischen Rhythmus: im März Weltgebetstag, im Mai Maiandacht. Das hatte die Offleber katholische Frauengruppe unter Frau Anna Duczmal auch gegen den gegenwindigen Trend aus Helmstedt durchgesetzt. Mit einer ökumenischen Andacht weihten wir 1978 gemeinsam die Glocke auf dem kommunalen Friedhof ein, die der Offleber Kirchenvorstand dem Gemeinderat geschenkt hatte.

Es hätte aber nicht viel gefehlt, und wir hätten bei der ökumenischen Einweihung der Reinsdorfer Kirche im Januar 1978, an der auch mehrere katholische Pfarrer teilnahmen, beim Abendmahl gemeinsam am Altar gestanden. Ein katholischer Amtsbruder aus Braunschweig war schon von seinem Platz aufgestanden und wurde von Pfarrer Wyczik im letzten Moment zurückgehalten.

Auf Pfarrer Wyczik, der Offleben 1982 verließ, folgte Pfarrer Bernhard Westphal, gebürtiger Hannoveraner, also aus einem konfessionsgemischten Gelände, mit vielen persönlichen evangelischen Bekannten. Er wurde Beauftragter des Dekanates für ökumenische Fragen und beriet die Wehrdienstverweigerer. In seine Zeit fielen die Jahrtausendfeiern in Hohnsleben 1983 und in Offleben 1984, die wir mit ökumenischen Gottesdiensten in den Kirchen eröffneten. 1988 trafen sich evangelische und katholische Jugendliche zu einem ökumenischen Kreuzweg.

Westphal und ich haben uns gut verstanden. Über Friedrich Spee planten wir für den September 1988 noch einen gemeinsamen Herbstgottesdienst . Doch dann wurde er schwer krank. Als er nach sechsjähriger Tätigkeit für die örtliche katholische Gemeinde 1989 starb, läuteten in Offleben und Reinsdorf die Glocken der evangelischen Kirchen. Beim Requiem für ihn in der Helmstedter Ludgerikirche, an dem ich teilnahm, war von seinem förderlichen katholisch-evangelischen Engagement keine Rede mehr.

Auf Pfarrer Westphal folgte 1990 wieder ein Kollege aus Polen. Pfarrer Eugen Heyna war ein jugendlicher, volkstümlicher Pfarrer, der seine Gottesdienste gerne mit einem Witz beendete und bei der katholischen Gemeinde sehr beliebt war. Wir haben verschiedene ökumenische Trauungen vorgenommen.

Längst war dazu die Agende für evangelisch-katholische Traugottesdienste 1971 erschienen. Ich empfand sie als einen Rückschritt. Sie enthielt keinen Vorschlag für einen ökumenische Gottesdienst, in den Kirchenleitungen hatte man sich nur auf einen katholischen oder evangelischen Gottesdienst unter Beteiligung des jeweils anderen Pfarrers einigen können. "Trauung in der evangelischen Kirche unter Beteiligung des katholischen Pfarrers" hieß es jetzt.

Ökumenische Trauungen waren nun keine Besonderheit mehr. Aber sie fanden doch überwiegend in der katholischen Kirche statt. Es entstand der Eindruck, daß katholische Pfarrer dazu ungern in die evangelischen Kirchen kamen. Zeitweise verabredete der Konvent der Helmstedter evangelischen Pfarrer intern, an ökumenischen Trauungen überhaupt nicht mehr teilzunehmen. Sie fühlten sich irgendwie vereinnahmt.

Heyna war der letzte katholische Pfarrer in Offleben. Im Rahmen der Strukturveränderung in der Diözese Hildesheim zog er nach Jerxheim um. Er verließ am 1.12.1995, seinem Geburtstag, die Gemeinden und verwaltet seither eine Pfarrstelle im Weserkreis.

Inzwischen gibt es keinen eigenständigen katholischen Pfarrer mehr in Offleben. Dafür übernahm nun die Gemeindereferentin Dietlinde Schulze die Leitung der Gottesdienste, was mir sehr imponierte.

Zur katholischen Kirchengemeinde gehörte auch die große Kirche in Büddenstedt. Die Anzahl der Katholiken ist Anfang 1999 auf 492 Gemeindemitglieder in allen drei Gemeinden, Offleben, Reinsdorf und Büddenstedt, gesunken. Sie verteilen sich nach Auskunft der Gemeindeverwaltung folgendermaßen: Büddenstedt: 223; Offleben: 214; Reinsdorf: 55 Katholiken. In der Reinsdorfer Kirche findet nur noch monatlich eine Messe statt. Die Offleber Gemeinde wird von Pfarrer Franzke in Schöningen mit versorgt.

Seit der Grenzöffnung besuchen die Offleber Katholiken auch gerne die katholische Kirche in Hötensleben.

Ich habe mich sehr gefreut, daß sich die katholische Kirchengemeinde anläßlich der 750-Jahrfeier und an dem ausgiebigen gottesdienstlichen Abschied im Mai 1999 so herzlich beteiligt hat.

Bei einer kleinen Meinungsumfrage anläßlich der Kirchenvorstandswahl 1994 lauteten die Antworten auf die Frage: "Evangelische und Katholische arbeiten in unserm Dorf seit Jahrzehnten eng zusammen. So was finde ich gut: 79, weniger gut : 0, interessiert mich nicht: 0." Die höchst erfreuliche Antwort kam auch von denen, die nur lose Bindungen an ihre Ortskirchengemeinde haben. Die Zusammenarbeit der katholischen und evangelischen Kirchengemeinde vor Ort wird von allen Altersgruppen, aber gerade auch von den Älteren als ein guter Beitrag für unser Dorf empfunden.

Die Grenze zwischen den Konfessionen haben wir alle zusammen nachhaltig durchbrochen, ein Erbstück, das der weiteren Pflege bedarf, wenn dieses Gemeindeprofil erhalten werden soll.

Ökumene wächst von unten

So erlebten wir Ökumene bei uns: Ökumene oben und Ökumene unten. Ökumene auf der Ebene Vatikan - Genf und auf der Strecke Kirchstraße 3 und Alversdorferstraße. Die einen entwerfen den Rahmen, in dem das Verhältnis zwischen evangelisch und katholisch abzulaufen hat und ablaufen darf. Die andern füllen es in der Praxis aus. Dieses Nebeneinander statt Miteinander finde ich nicht sehr gut. Der Ökumene der "oberen Brüder" fehlt doch wohl die anhaltende örtliche Praxis mit dem Experimentieren, was möglich und was nicht möglich ist. Auch in der Ökumene der praktischen Gemeindearbeit wird theologisch darüber nachgedacht, was im Hinblick auf die lange trennende Tradition statthaft und vereinbar ist und was nicht.

Beim Abendmahl z.B. passiert in der katholischen Kirche doch etwas so grundsätzlich anderes (der Priester opfert) als in der evangelischen Kirche (Gemeinschaft zum Gedächtnis von Tod und Leben Jesu), daß man sich gemeinsam überlegen muß: geht das beides zusammen? Können wir gemeinsam Abendmahl feiern?

Die Frage ist in der Praxis längst beantwortet. So weiß ich, daß bei konfessionsverschiedenen Ehepaaren der evangelische Partner etwa beim Besuch des katholischen Weihnachtsgottesdienstes auch mit zum Abendmahl gegangen ist. Auch bei Familienfesten, beispielsweise einer Firmung oder Konfirmation, die mit einem Besuch des Abendmahls verbunden sind, kam es vor, daß ohne Aufsehen das jeweilig "andere" Abendmahl besucht wurde. Es muß bei einem solchen Anlaß die konfessionelle Unterschiedlichkeit nicht besonders demonstriert werden.

Bei den jährlichen gemeinsamen Marienandachten im Mai hatte ich bei den von katholischen wie evangelischen Gemeindemitglieder inbrünstig gesungenen Marienliedern ein theologisch schlechtes Gewissen, denn dort wurde die Miterlöserschaft Marias längst besungen, was dem Gedanken: Erlösung "allein durch Christus" massiv widerstreitet. Aber sollte ich mit diesem gewiß "richtigen" kontrovers-theologischen Argument die gewachsene Gemeinsamkeit und das gegenseitige Kennenlernen und Akzeptieren mindern?

Andrerseits sind die Impulse aus der Ökumene von oben im interkonfessionellen Alltag gering. Die sogenannte Einigung in den Grundwahrheiten der Rechtsfertigungslehre, die in Augsburg 1999 feierlich unterzeichnet worden ist, hat das ökumenischen Miteinander an der Basis weder vertieft, wie die folgende Erklärung Ratzingers "Dominus Jesus" sie gestört hat. Man geht inzwischen längst getrennte Wege. So wirft die sogenannte Einigung in der Rechtfertigungslehre ja einige Fragen auf, die bisher unbeantwortet sind, z.B.: gibt es nach katholischer Lehre eine Rechtfertigung des Gottlosen oder nur eine Rechtfertigung des Sünders? Wird die Rechtfertigung vor allem durch das Sakrament der Buße durch den Priester vermittelt und gibt es dann logischerweise auch nur eine rechtfertigende Kirche? Aber auch die Antwort auf diese Fragen würden keinen Einfluß auf das ökumenische Miteinander etwa in Offleben haben.

Die heiß diskutierte Frage nach einem gemeinsamen Abendmahl beim Kirchentag in Berlin 2003 wird nicht durch Lehrentscheidungen herbeigeführt, sondern allein dadurch, ob ein solches gemeinsames Abendmahl von den Berliner Kirchengemeinden angeboten wird. Und ich bin sicher: es werden sich solche Gemeinden finden. Die Schwierigkeit dabei ist nicht die Überwindung eines theologischen Dissenses, sondern die Öffentlichkeit. Je unspektakulärer sich langsam die gastweise Zulassung einbürgert, um so eher werden sich auch gemeinsame liturgische Formen entwickeln, in denen katholische und evangelische Pfarrer gemeinsam mit einer konfessionsgemischten Gemeinde Abendmahl feiern. Danach wird den Theologen schon das passende Argument einfallen. Ökumene wächst von unten.

Predigt in der katholischen Kirche in Offleben bei der Maiandacht am 6. Mai 1997

Liebe Gemeinde, das ist die Geschichte von zwei selbstbewußten Frauen, die ihr Gegenüber finden. Mit ganz wenigen Strichen zeichnet uns der Arzt und Evangelist Lukas dieses Bild:

Jesus ist mit seinen Jüngern wieder unterwegs. Eben noch hat er einem Schriftgelehrten das Gleichnis vom Barmherzigen Samariter erzählt und ihm anschaulich beschrieben, wie er ewiges Leben nicht später, nach dem Tod, sondern bei sich zu Hause oder auf der Strecke zwischen Jerusalem und Jericho finden kann, wenn er den unter die Räuber Gefallenen wahrnimmt, hingeht, Öl und Wein auf seine Wunden träufelt, ihn aufhebt und in die nächste Krankenstation und Herberge bringt.

Schon zieht Jesus weiter. "Und es begab sich, da sie weiterzogen, kam er in ein Dorf". Da stehen einige Häuser, da leben einige Menschen. "Da war eine Frau mit Namen Martha, die nahm ihn auf in ihr Haus". Hatte Jesus geklingelt? Hatte er Durst? Wollte er was? Umgekehrt: die Frau ist die aktive. Sie will was. "Die nahm ihn auf". Die geht auf Jesus zu. "Komm in mein Haus". Komm und folge mir nach, Jesus. Das kennen wir eigentlich nur von Jesus, daß Menschen ihm folgen. Hier ist es umgekehrt. Hier folgt Jesus dieser selbstbewußten, ihn einladenden Frau. Die weiß, was Jesus jetzt nötig hat. Der braucht jetzt mal Ruhe, der braucht was zu trinken, es erfrischt, wenn er nach guter palästinensischer Sitte am Eingang die Füße wäscht und den Staub der Straße los wird. Eine selbstbewußte Frau, die ohne groß zu fragen und ohne groß dazu aufgefordert zu werden, tut, was sie für richtig hält und was Jesus gut tut.

Sie gibt sich Mühe, sie ist eine gekonnte Gastgeberin. Sie lebt nicht allein, sondern mit ihrer Schwester. "Und sie hatte eine Schwester, die hieß Maria; die setzte sich zu Jesus und hörte seiner Rede zu". "Zu Jesu Füßen" - heißt es näher, ist ja klar: Jesus hat sich hingesetzt, auf den Fußboden, Maria hat sich hingesetzt, ihm gegenüber "Zu Jesu Füßen..." das ist nicht etwa die hingebungsvolle, anschmiegsame, rasche Bereitschaft signalisierende Frau, die Magd des Herrn, sondern Maria sitzt Jesus gegenüber, um ihm zuzuhören, abzuwarten, was er zu sagen hat, etwa zu dieser Situation. Es ist ja schon ein bißchen ungewöhnlich: ihre Schwester holt sich Jesus ins Haus, Jesus folgt ihr nach, folgt ihrer Aufforderung, und jetzt - ?

Jesus redet. Vielleicht von seinen Jüngern, vielleicht von dem Gespräch mit den Schriftgelehrten. Nur das ist jetzt wichtig: Maria sitzt Jesus gegenüber "und hörte seiner Rede zu". Zustimmend? Begeistert? "Ja ich folge dir nach?" Nichts davon. "...und hörte seiner Rede zu". Genauso selbstbewußt wie Martha und in ihrem schweigenden Zuhören von einer fast überlegenen Ausstrahlung.

Martha stört dieses Gegenüber. "Und sie trat hinzu und sprach: Herr, fragst du nicht danach, daß mich meine Schwester läßt alleine dienen? Sage ihr doch, daß sie es auch angreife". Die kann sich doch auch bißchen beteiligen, ein bißchen mitmachen. Muß man denn alles sagen?

Maria ist stark genug, nicht dazwischenzufunken, etwa so: "Eben war es noch so schön mit Jesus und jetzt kommst du und quatschst. Du störst, Schwesternherz." Maria läßt das Jesus machen. Komisch, die selbstbewußte Martha, - warum sagt sie das nicht ihrer Schwester direkt selbst, was sie ärgert. Warum über Jesus? Und Jesus weist sie nicht ab. "Martha, du hast viel Sorge und Mühe eben mit mir, und sonst mit dem Haus, vielleicht auch mal mit deiner Schwester". Da steckt viel Anerkennung drin. Aber eines will Jesus nicht. Er will sich nicht zum Pascha machen lassen. Er will nicht, daß Martha um ihn herwuselt. Jesus will das Gegenüber. Hier Jesus - da Maria. Hier Jesus - da Martha. Das ist not.

Zwei selbstbewußte Frauen, die ihr Gegenüber finden. Und darauf allein läuft die Geschichte zu. "Da sie

weiterzogen, kam er

in ein Dorf". Wo sind die Jünger geblieben? Vor dem Dorf? Im Dorf sind viele Häuser und Menschen. Aber jetzt geht er in das eine Haus. Da sind zwei Frauen, aber jetzt hat die eine ihn als Gegenüber, und die andere wird es lernen...

Und wir auch. Daß wir wie Martha Jesus ins Haus holen und uns Jesus zum Gegenüber machen. "Was hat Jesus dazu zu sagen?" Zu unserm Alltag, zu unserm Europatag, von dem man den Eindruck haben kann, er besteht nur aus Würstchen und Bier, zu unserer Dorfgemeinschaft, zu unserem kirchlichen Leben, zu unserem persönlichen Leben.

Zwei selbstbewußte Frauen, die sich auf Jesus einlassen - Menschen in Offleben und Reinsdorf, die sich auf Jesus einlassen, nicht verschwommen und irgendwie, sondern richtig gegenüber. Das ist eine kräftigende Geschichte, diese Begegnung mit Martha und Maria. Amen.

(aus Gemeindebrief April-Mai-Juni 1997)


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