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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche


Vaterlandsliebe und Frömmigkeit, Patriotismus und Pietismus,
im Braunschweiger Land

von Dietrich Kuessner

(Download des gesamten Textes als pdf hier)


Nach dem zweiten Weltkrieg


Erst mit dem Ende des zweiten Weltkrieges zerbrach endgültig die Glaubwürdigkeit jener Verbindung von Patriotismus und Pietismus. Die Ausstellung im Landesmuseum legt für die Zeit nach dem 2. Weltkrieg den Gedanken einer nationalen Pause nahe. Patriotismus war tatsächlich ein verfemtes Wort. Aber die ev. Kirche behielt sich, wie schon nach dem 1. Weltkrieg, zwei Optionen offen: Weitermachen wie bisher oder neu anfangen.

Die eine wurde bei zahlreichen Gedenkfeiern am Volkstrauertag aufgefrischt, als dieser Tag noch nicht vom Regierungspräsident Thiele zu einer Gedenkfeier für den Frieden gekennzeichnet worden war. Was die gemischten Chöre in Stadt und Land damals gelegentlich beklagten, waren die für das deutsche Vaterland gefallenen Opfer. Neben die Kriegerdenkmäler von 1914/18 traten weitere Tafeln in den Kirchen für die deutschen Opfer von 1939/45, oft mit Fotos.
Als die vom Bombenkrieg gründlich zerstörten Kirchen wieder aufgebaut wurden, wurden auch jene alten Namen, die Glauben und Patriotismus geradezu in Stein meißelten, beibehalten. Der von Bischof Dibelius wieder verwendete Name „Kaiser-Wilhelm Gedächtniskirche“, störte niemenden. Eigentlich sind die Kirchen Aposteln und Propheten gewidmet, und ein neuer Name für den phantastischen Neubau vom Architekten Egon Eiermann neben der Kaiser Wilhelm Gedächtnisruine hätte einen Anstoß zum Nachdenken geben können. Stattdessen wurde sogar die neu erbaute Kirche im Hansaviertel Kaiser Friedrich-Gedächtniskirche genannt, und in der Luisenkirche in Berlin trifft sich das junge kirchenmusikalische Berlin, ohne über die Auffälligkeit ihres Kirchennamens nachzudenken.
Reste jener Mischung von Vaterlandsliebe und Frömmigkeit erleben wir noch heute zu feierlichen staatlichen Anlässen, bei Beerdigungen oder Verabschiedungen und Gelöbnissen, wenn die Soldaten den feierlichen Zapfenstreich zelebrieren. Zu seinem Zeremoniell gehört auf den Ruf „Helm ab zum Gebet“ ein Choral, dessen getragene Melodie wir alle noch kennen. Ich weiß nicht, ob den Soldaten der Text gegenwärtig ist, vielleicht nur die erste Zeile „Ich bete an die Macht der Liebe“. Welcher Soldat besänge derlei nicht gerne, zumal der dritte Vers lautet: „Ich geb mich hin dem freien Triebe.“ Braunschweiger Regimenter konnten den Text im Braunschweiger Gesangbuch bis 1994 noch nachlesen: „Ich bete an die Macht der Liebe/ die sich in Jesus offenbart/ ich geb mich hin dem freien Triebe/ mit dem ich Wurm geliebet war“. Es ist also von dem Trieb Gottes zu den Menschen die Rede und von seiner Liebe, die sich in Jesus zeigt. Das Lied stammte von dem rheinischen Pietisten Tersteegen. Es wurde 1950 aus dem Stammteil des Ev. Kirchengesangbuches getilgt und lediglich für den niedersächsischen Anhang vorgeschlagen. Aber die lutherischen Hymnologen in Hannover verweigerten seine Aufnahme auch in den Anhang. Das nahm der Wolfenbüttler OLKR Wilhelm Röpke derart krumm, dass er einen Braunschweigischen Sonderanhang durchsetzte, in den dieses Lied aufgenommen wurde. Auf dem Liederzettel finden wir die erste und die letzte Strophe.

6) Ich bete an die Macht der Liebe/ die sich in Jesus offenbart/ in geb mich hin dem freien Triebe/ mit dem auch ich geliebet war/ ich will anstatt an mich zu denken/ ins Meer der Liebe mich versenken.

O Jesu daß dein Name bliebe/ im Grunde tief gedrücket ein/ Möcht deine süße Jesusliebe/ in Herz und Sinn gepräget sein/ Im Wort und Werk und allem Wesen/ sei Jesus und sonst nichts zu lesen.
Gerhard Tersteegen 1697-1769


Die andere Möglichkeit wurde von Gustav Heinemann angedeutet, seit 1969 ein rheinischer Pietist auf dem Stuhl des Bundespräsidenten und Mitunterzeichner des Stuttgarter Schuldbekenntnisses vom Oktober 1945. „Es gibt schwierige Vaterländer“, bekannte er in seiner ersten Rede als Präsident vor dem Bundestag. „Eines davon ist Deutschland“. Als eine dieser Schwierigkeiten empfand er die jahrhundertealte staatskirchliche Tradition von Thron und Altar in Deutschland. „Man war vaterländisch gesinnt“, (Heinemann vor der Görresgesellschaft im Oktober 1973), „und begleitete das, was der Staat im Frieden und im Krieg tat, mit Predigt und Gebet. Sehr treffend habe Hans Joachim Iwand eine Kirche, die sich so verhält, als Hallelujawagen bezeichnet, der an die Staatslokomotive angekoppelt auf deren Fahrrichtung und Geschwindigkeit ohne Einfluß bleibe.“
Da deutet sich eine Abkehr und Neubesinnung über das Thema Vaterlandsliebe und Frömmigkeit an.

Wer weiß, vielleicht hätten die verantwortlichen Veranstalter am Abend des 6. Mai auf dem Schloßfassadenplatzes es ganz gerne gehört, wenn der Braunschweiger Propsteiposaunenchor den dazu passenden Choral „Wir treten zum Beten“ angestimmt hätte, der seinerzeit am 9. April 1938 von vielen Tausenden Braunschweiger auf dem Platz der SS, ehemals Schloßplatz, mitgesungen wurde.
Er tat es nicht, sondern spielte statt dessen: „Hört ihr Herrn und laßt euch sagen“, vielleicht ein Hinweis, daß über Vaterlandsliebe und Frömmigkeit wieder ganz neu nachgedacht werden müßte.




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