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[Kirche von unten]

Gott dem Herrn Dank sagen

Festschrift für Gerhard Heintze

Anna-Dorothea Biersack

"Schöner als Urlaub!"

"Schöner als Urlaub!", sagt eine Frau in einer Abschiedsrunde einer Januartagung der Evangelischen Frauenhilfe in Bad Harzburg. Seit Jahrzehnten sind wir Frauen miteinander unterwegs. Manche freuen sich schon lange im Voraus auf diese gemeinsamen Tage. Mit mehr als 250 Leitungsfrauen sind sie eigentlich jedes Jahr eine mehrtätige Vollversammlung der Frauenhilfe. Aus 100 Orten unserer Landeskirche kommen Delegierte. Sie arbeiten zu Hause in der Tankstelle, der Zementfabrik, als Aushilfe beim Fleischer oder meistens als Familienfrauen. Drei Tage können wir miteinander leben, miteinander lachen, miteinander beten, miteinander diskutieren, miteinander tanzen und auch weinen. Wir sind Frauen, die miteinander glauben, hoffen, fragen und suchen.

Manche machen sich von weither auf den Weg. Selbst aus Bayern, aus der Schweiz, aus Sachsen-Anhalt und Hannover werden Frauen mitgebracht. Ganz besonders freuen wir uns über die starke ökumenische Truppe aus Nienburg an der Saale. Katholikinnen sind dabei und nehmen wie selbstverständlich am Abendmahl teil, Frauen aus der Freikirche, die uns das freie Beten zeigen, orthodoxe und reformierte Frauen, Frauen aus anderen Herkunftsländern, die ihre japanische, koreanische, arabische oder madagassische Bibel aufschlagen. Es ist jeweils eine große Bereicherung, wenn so ganz verschiedene Lebenswege sich kreuzen. Mittlerweile sind es schon sechs Tagungen. Mehr schaffen wir leider nicht.

Die Schwelle ist niedrig. Auch das Schwere, was man im letzten Jahr erlebt hat, kann man mitbringen: Da ist die Krankheit, der Verlust des Ehepartners, das Problem in der Ehe, die Anstrengungen mit der Pflege der Eltern, die schwierige Schwiegertochter, der behinderte Enkel, die Kinder, die eigene Wege gehen. Frauen unterstützen und trösten einander. Wir teilen Freud und Leid. "Ich wäre fast nicht gekommen, weil ich solche Depressionen hatte. Aber jetzt habe ich wieder Mut", sagt eine Frau uns zum Abschied. Wer nur trockene Infos sucht und sich persönlich ganz raushalten möchte, der kommt vielleicht nicht ganz auf seine Kosten.

Ursprünglich war der Weltgebetstag nur ein Anhängsel. In den letzten Jahren stellte sich aber heraus, dass es uns gut tut, uns ganz auf den Weltgebetstag zu konzentrieren. Allein schon die jeweiligen Themen, z.B. "Gottes zärtliche Berührung", "Wachsen wie ein Samenkorn zum Baum", "In Weisheit mit der Schöpfung leben"... waren existentielle Herausforderungen. Ehrenamtliche und Hauptamtliche haben schon lange im Voraus ihre Fühler ausgestreckt. So reisen in diesem Jahr drei Frauenhilfsschwestern in den Libanon, um im nächsten Jahr kompetent zu sein.

Jedes Jahr aufs Neue öffnet uns der Weltgebetstag das Fenster zur Welt. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, die weltumspannende Einheit, in die wir mit eintreten dürfen. Wir empfinden große Dankbarkeit, wenn wir am Weltgebetstag in den Chor der Völker mit einstimmen. Das weitet das Herz für fremde, für weit entfernte, andere Kulturen. Ein Land stellt sich vor und lädt weltweit ein mitzubeten. Am ersten Freitag im März wird 24 Stunden lang rund um die ganze Erdkugel herum gebetet. Stunde für Stunde wandert dann das Gebet weiter. Aber der Weltgebetstag ist schon lange nicht mehr nur dieser einzelne Tag. Er wurde zu einer großen ökumenischen Lern- und Feierbewegung. Jedes Jahr führt uns der Weltgebetstag in ein neues Land. Wir lernen die Lebenssituationen von Frauen in anderen Ländern kennen und verstehen. Wir nehmen die Belastungen anderer Menschen wahr und beten mit ihnen und für sie. Der Weltgebetstag ist eine Bewegung, die Frauen verschiedener Hautfarben, Kulturen und Traditionen näher zusammenbringt. In 170 Ländern der Welt hat er mittlerweile Fuß gefasst. Es tut uns gut, nicht nur isoliert in unserem "Braunschweiger Land" zu leben, sondern uns durch Glaubenserfahrungen von Christinnen in anderen Ländern bereichern zu lassen.

Wenn dann später in der Zeitung von Chavez die Rede ist, von Wahid oder von der Megawati, wenn der Diktator Ratsiraka in Antanarivo abgewählt wird, wenn wir lesen, dass in Madagaskar, im zehntärmsten Land der Erde, Kinder in der Schule wegen Hunger ohnmächtig werden, wenn die neue Sonnenscheinpolitik in Süd- und Nordkorea bedroht ist, dann sind wir viel mehr beteiligt.

In vielen Ländern gibt es Menschenrechtsverletzungen und unzumutbare Arbeitsbedingungen. Sie erinnern sich an den Weltgebetstag aus Kenia damals? Wir lernten, dass die Blumen, die wir kaufen, oft von Frauen aus Kenia stammen. Wir wissen jetzt von den Arbeiterinnen und schuftenden Kinder in der dritten Welt, die täglich 12 Stunden im Akkord arbeiten zwischen Blumen und Gift, ohne Schutzmaske und Handschuhe, um uns ganzjährig Rosen zu liefern und um das Überleben ihrer Familien zu ermöglichen. Auf Kenias Farmen z.B. wachsen die schönsten Rosen Afrikas. Vor allem in Deutschland sind sie beliebt, weil ihre Stiele besonders lang sind und die Farben besonders prächtig, weil sie auch nach Tagen noch so frisch aussehen, als seien sie gerade geschnitten worden. Die meisten der 30 0000 Blumenarbeiterinnen sind nur als Tagelöhnerinnen angestellt. Oftmals verdienen sie weniger als einen Euro am Tag. Um die Familien ernähern zu können, werden deshalb auch noch die Kinder in die Gewächshäuser geschickt, wo sie sich die Hände an den Dornen zerstechen, weil sie keine Handschuhe bekommen, wo sie sich die Haut und die Lungen verätzen, weil sie hochgiftige Pestizide ohne Schutzmaske versprühen müssen.

Wir informierten uns anlässlich der in der Kleidungsproduktion arbeitenden Frauen in Indonesien über den Weg der Herstellung einer Jeans um die Erdkugel herum und unserer Möglichkeiten, die wir als Frauen zur Politik mit dem Einkaufskorb haben.

Und wenn wir Vanille in unseren Kuchenteig tun, dann denken wir jetzt an das Vanilledreieck in Madagaskar und wie mühevoll die Vanille per Hand bestäubt wird.

Hinzu kommt: Wir werden jeweils aufmerksamer dafür, wie viele Menschen aus dem Weltgebetstagslang hier ganz in der Nachbarschaft wohnen: So kam die Palästinenserin Viola Raheb zu uns, die Madagassinnen Paul und Riebau, die uns regelmäßig auf dem Laufenden halten. Die koreanische Gemeinde gab uns faszinierende Einblicke. Im letzten Jahr kamen nicht nur Siebenbürgerinnen aus unserer Region. Es war es sogar möglich, zwei Mitautorinnen der Weltgebetstagsordnung aus Sibiu bei zu Gast zu haben. So konnten wir direkt fragen: Wie war denn die Verständigung mit den orthodoxen Frauen? Wie war die Aufarbeitung der Geschichte, die in Rumänien von den verschiedenen Volksgruppen so unterschiedlich erlebt wird? Warum habt ihr euch gerade den Text von Abigail gewählt? ... Nur einmal gelang uns kein Kontakt: Abgesehen von der Expo kam uns kein Mensch aus Samoa zu Gesicht.

Aus den Begegnungen wuchsen immer wieder dauerhafte Freundschaften (so rief gestern Pastor Pak an, der inzwischen Professor in Seoul ist). Wir merken, dass wir mit wenig oft viel tun können: Wir rüsteten eine kleine Dorfschule aus. Wir sorgten für einen Dorfbrunnen. Kinder wurden für wenig Geld am Star operiert und können auf einmal sehen. Wir sammelten für Straßenkinder. Wir zahlten die Reisfeldpacht für Frauen....

Ja, der Weltgebetstag ist ein Hoffnungszeichen. Im Gebet gibt es keine Grenzen. Und Beten heißt nicht nur Ja und Amen sagen. Das weltweite Gebet ist für uns eine Kraftquelle. Und Beten und Handeln sind untrennbar.

Gelacht wird übrigens auch viel. Märchen werden am Kamin erzählt oder gespielt. Fremde Gerichte werden gegessen. Viel getanzt wird.. Und wer vergisst je das rumänische Schafsschurfest im letzten Jahr mit dem Wettstricken, bei dem wir Jüngeren total versagten und lernten, dass man ja orthodox anders strickt als evangelisch.

Aber Herzstück und Zentrum sind doch vormittags die mehrstündigen Bibelarbeiten mit den jeweils vom Weltgebetstagsland vorgeschlagenen Bibeltexten. Wir lassen die Texte in uns einsickern. Wir versuchen uns in die alten Geschichten einzuleben. Wir sprechen unsere Gedanken zu den einzelnen Sätzen in den Raum. Wir teilen einander mit, was uns berührt. Wir versuchen auf die anderen zu hören und das von anderen Eingebrachte gelten zu lassen. Manchmal gestalten wir das, was uns berührt hat, in Ton oder malen ein Dia dazu.

Jede Frau ist uns wichtig. Wir selbst sind kein unbeschriebenes Blatt. Wir setzen unsere eigenen Lebensgeschichten mit den biblischen Glaubensgeschichten in Beziehung. Die eigenen Erfahrungen sind ganz wichtig, die Erfahrungen der Bäuerinnen unter uns, der pflegenden Frauen, der verletzten Frau, der Mütter, der Töchter. Wir entdecken viele eigene Lebensthemen. In den alten Glaubensgeschichten finden wir uns wieder, wenn Wege durch Schluchten führen und kaum gangbar sind, wenn Verletzungen zugefügt werden, wenn du krank bist und nur noch ein halber Mensch, wenn du links liegen gelassen wirst, wenn andere dich fertig machen, wenn dein Kind stirbt, wenn die kranke Tochter dich vor Sorgen umbringt, wenn du nach deinem verlorenen Groschen suchst. Wir versuchen, biblische Texte durch Gespräche, Bewegung, Spiel, Malen neu erfahrbar zu machen. Im Spiel erschließen sich die unterschiedlichsten Lebenssituationen auf dem Hintergrund der jeweiligen Bibelstelle.

Die Tagungen münden in einen gemeinsam vorbereiteten Gottesdienst. Alle tragen dazu bei. Jede ist beteiligt. Die neuen Lieder bleiben noch wochenlang im Ohr. Der Tanz ist uns wichtig. Wir lernen ganz nebenbei viel für andere Gottesdienste. Und dann gehen die Frauen zurück, beginnen engagiert mit der Arbeit im eigenen Bereich. Am Ende werden 200 Weltgebetstagsgottesdienste in unserer Region gefeiert, jeweils ein Festtag, bei dem wir informiert beten. Und wenn alles vorbei ist, treffen wir uns dann noch einmal zum Gottesdienst im Dom. Wir erleben dabei weltweite Ökumene vor Ort. Der liebe Gott spricht nicht nur deutsch.

 

 


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