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[Kirche von unten]

Gott dem Herrn Dank sagen

Festschrift für Gerhard Heintze

Johann P. Boendermaker

Luther über das primum praeceptum

Als wir uns vor Jahren im interkonfessionellen "Lutherseminar" in Amsterdam erstmals den vielen Seiten der alttestamentlichen Predigten Luthers zuwendeten, da half uns das bekannte Buch von Gerhard Heintze, Luthers Predigt von Gesetz und Evangelium (München, 1958) sehr. Gerade dieses Buch gab uns ein Instrument in die Hand, um auch diesen viel zu wenig beachteten Stoff einigermassen zu bewältigen.

Solche Hilfe ermutigte uns auch zu Publikationen darüber und zu einigen Amsterdamer Promotionen, wie neuerdings die Arbeit von Sabine Hiebsch über Lea und Rachel in Luthers Genesispredigten und das Buch von Andreas Wöhle, einem geborenen Braunschweiger, über Luthers Gesetzesverständnis in diesen Predigten, eine Arbeit auf den Spuren des Lutherforschers Heintze, der dann später Landesbischof im selben Braunschweig war.

Ich selbst war und bin immer am meisten betroffen von dem meisterhaften Kapitel in Heintzes Buch über Luthers Predigt des ersten Gebotes. Wer, wie ich selbst auch, den Kleinen Katechismus noch auswendig gelernt hat und dann später den grossartigen Anfang der Auslegung des ersten Gebotes im Grossen las, mit den äusserst praktischen und unvergesslichen Exempeln des Widerspiels, der bleibt immer fasziniert von diesem Thema.

Heintze zeigt, dass für Luther das erste Gebot von Anfang an auch schon die evangelische Wahrheit in sich hat: "In der Kurzen Erklärung der 10 Gebote von 1518 wird zwar Christus nicht so ausdrücklich genannt wie in den Decem Praecepta, aber was zur Erklärung des ersten Gebots wie zu seiner Übertretung und Erfüllung gesagt wird, geht doch auch weit über die allgemeine Bestimmung des natürlichen Gesetzes des "Deus Colendus" hinaus und setzt indirekt die Offenbarung Jesu Christi voraus. (S.116). Das lässt sich auch weiter begründen, sicher auch für die Predigten aus 1528, aus denen die Katechismen entstanden. Heintze verteidigt seine These überzeugend in Diskussion mit anderen Auffassungen.

Diese These von Gerhard Heintze wird auch deutlich unterstützt von den Ergebnissen einer genauen Textlesung der genannten alttestamentlichen Predigten, die für diese Thematik um so wichtiger sind, als sie gehalten wurden in den selben Jahren und zum selben liturgischen Zeitpunkt, meistens am Sonntag in der Vesper, wie auch die Katechismuspredigten in 1528. Diese Predigten unterbrachen die lange Reihe Auslegungen der Bücher Mose in lectio continua, die 1523 in der Stadtkirche angefangen hatten. In Mai 1528 hatte Luther sich noch mit 4. Mose 16 beschäftigt und nach den Katechismuspredigten über die Zehn Gebote fährt er mit 4. Mose 17 fort, bis Kap. 22. Die zweite Folge, in September und wieder über die Zehn Gebote, unterbricht 4. Mose 22 bis 30, und dann folgt nochmals eine Zehn Gebote - Reihe. Diese schließt Luther am 7. Dezember ab, um dann eine Woche später 4. Mose 31 auszulegen und in 1529 mit 5. Mose weiter zu gehen. Deutlich also am Nachmittag ein hin und her zwischen AT und Katechismus; so ist es auch kein Wunder, dass die Auslegung der Zehn Gebote soviel Seiten im Grossen Katechismus umfasst.

Mit diesem merkwürdigen Tatbestand sollte man bei der Beurteilung der Katechismuspredigten also doch sicher auch rechnen. Ich kann in diesem kurzen Beitrag in dieser Hinsicht nur auf einige Aspekte in diesen Predigten aufmerksam machen, Aspekte, die die Argumentation Heintzes klar unterstützen.

Schon Raeder hat festgestellt, wie entscheidend Luthers Wortbegriff vom Hebräischen dabar bestimmt ist. Das fängt schon früh an und bleibt eine Grundlinie auch in allen Auslegungen der Bücher Mose. Gottes Wort ist immer Verheißung und Tatwort. Das Wort Gottes ist kreativ, die Schöpfung wäre verloren ohne die fortwährende Kraft des wirkenden Gotteswortes: Wir sollen nicht denken, dass Gott die Creaturen alsohin geschaffen habe, und sei hernach davon gegangen, und lass sie forthin selbs handeln, sondern dass er sie gemacht habe, und noch immer mache und erhalte durch das Wort – so lange die Erde trägt oder vermag zu tragen, so gehet immer das sprechen ohn aufhören. Die Sintflut zeigt wie leicht es Gott fiele die ganze Erde zu ersäufen, aber Gottes Wort und Befehl haben sie erhalten.

Aber das konnte auch nicht das Ende sein, denn immer bleibt das erste Wort gelten, Gott hält sich an sein Wort, er ändert sein Versprechen nicht, er kann nicht ein Lügner/Leugner seines ersten Wortes sein. Man kann und muss also Gott vertrauen; wir haben keinen Gott, der sich ändert.

Diese Kraft gilt nicht nur dem Wort Gottes, sondern somit auch seiner iustitia, die auch kein in sich ruhender Begriff ist, sondern "gerechtet".

Wenn man in dieser Weise auch das zentrale Wort Ich bin der Herr, dein Gott hört, bedeutet das also auch nicht nur eine Feststellung, sondern ein Tatwort, ein Wort, das nicht nur auf unsere Antwort wartet, sondern gerade auch gnädig unsere Antwort auf diese Verheißung hervorruft durch die Kraft seines Wortes, seines Geistes.

Zeit

Bereits in der Hebräerbriefvorlesung kann Luther Abraham preisen als das summum exemplum evangelicae vitae. Wie konnte er das sagen vom Erzvater, der das Evangelium noch nicht kannte?

Für Luther war das kein Problem. Wir leben in der Zeit, im Zeitablauf, das gilt aber nicht für Ihn, der auch die Zeit geschaffen hat. Für Ihn ist alles und sind wir alle gleichzeitig da. Er steht da auf dem Boden einer langen Tradition, die sich u.a. stützt auf Psalm 90,4: "Für Gott ist der Anfang der Welt ja so nahe als das ende, tausend jar als ein tag. Und Adam, der am ersten geschaffen ist, als der letzte mensch, der da wird geboren werden. Denn er sihet die zeit also an, wie des menschen auge zwey ding, die weit von einander sind, ynn einem augenblick zusammen bringt. Das sage ich darum, dass nicht jemand einen nerrischen verstand fasse, dass er also von anfang rede, als were etwas vorhyn gewesen, sondern das da angegangen ist zeit und creatur, wilchs vorhyn nicht war."

Das bedeutet also, dass für Gott Abraham gleichzeitig ist mit uns, und also auch, dass das Wort, das Abraham hörte, die Verheißung im Keim schon alles umfasste was wir, die wir in der Historie, im Zeitablauf gefangen sind, dann später im inkarnierten lebendigen Wort empfangen haben. Nur wenn man das ernst nimmt; kann man auch solche Spitzensätze verstehen wie in der rührenden und faszinierenden Predigt über Gen.22: "und durch seinen samen sollen alle völker auf erden gesegnet werden, darum dass du meiner stimme gehorcht hast. Schlechte, geringe wort sind es, wie dus siehest; aber Got hat eine andere weise zu reden, denn die menschen... Wenn er das Maul aufthut und ein Wort lässet, so gilts... Also hat er mit diesen kurzen Worten das ganze Evangelion und Reich Christi gefasset, also, dass es niemand kann genug ausstreichen."

Im Folgenden betont er nochmals, wie wichtig es ist, dass Gott seine Verheißung, die frohe Botschaft gerade auch in solchen kurzen Worten fassen kann; es führt ihn zu einer der bemerkenswerten Aussagen aus der ganzen Predigt: "Wenn wir nicht mehr hätten, hätten wir genug daran (an Gen.22,18 also!), ich halt auch, die heiligen Väter haben an dem Spruch alle Bücher gehabt . Was die Schrift fassen will, das fasset sie alles auf einem Haufen, dass man nicht darf viele Auszüge, sondern mehr Einzüge machen." (WA 24, 390,27f)

Was Luther hier über dieses Wort sagt, kann und muss auch noch eher vom 1. Gebot gelten als umfassende Verheißung für Israel und für alle, die diesem Heilsweg folgen. Diese letzte tiefsinnige Aussage ist nicht einfach zu deuten, aber eins ist klar: inmitten aller theologischen Komplexitäten gilt es immer wieder zurück zu kehren zu dem einen selben und bleibend gültigen Gotteswort in den vielen Gestalten und dabei auch unter jedem Nein stets zum göttlichen Ja durch zu stoßen.

Was hier von Luther über dieses Gotteswort aus Gen. 22 gesagt wird, gilt - a minore ad maius - doch sicher vom 1. Gebot. Und von daher sind dann auch solche Aussagen darüber zu verstehen wie:

"Quia 1.praeceptum est fons et sapientiae, omnis fidei und verstands, weisheit, erkenntnis, gsetz und quicquid bonum est steht in 1.praecepto."

Oder (in der tentatio!):

"Doch hab ich den forteyl, das mir unser Herr Gott gibt, das ich das verbum wider ergreiff: da fasse ich, Gott lob, das primum praeceptum, quod dicit: Sum deus tuus; ich will dich nicht fressen, ich will dein Gift nicht sein."

Beide wunderbaren Aussagen Luthers habe ich dankbar wiedergefunden im herrlichen Buch von Gerhard Heintze aus 1958 und jene Aussagen, wie Gerhard Heintzes Buch, sind in diesem Sinne aktuell wie je.


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Impressum und Datenschutzerklärung, http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/FS90Heintze/, Stand: 18. November 2002, dk