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[Kirche von unten]

Gott dem Herrn Dank sagen

Festschrift für Gerhard Heintze

Hans-Jürgen Brüser

Polizei und Kirche - Gottesdienst mit der Polizei

Es gibt eine jahrelange Tradition eines Gottesdienstes in der Adventszeit im Braunschweiger Dom. Der Domprediger dankt regelmäßig den anwesenden Führungskräften der Polizei für den geleisteten Einsatz in Stadt und Land, der Polizeichor singt, der Polizeipfarrer beschließt mit Gebet und Segen.

Es fällt dabei auf, dass relativ wenige Beamte aus den Dienstschichten an diesem Gottesdienst teilnehmen, eher Bürgerinnen und Bürger und Angehörige der Polizeibeamten.

Ein Gottesdienst, der die Sorgen, Nöte, ganz allgemein die dienstlichen und privaten Belange der Menschen in der Polizei im Blick hat, fehlte.

Der neue Polizeipfarrer, zuständig auch für zwei Landgemeinden, nahm schon bald wahr, dass eine große Bereitschaft bei einigen Beamten da war, sich auf einen gemeinsam vorbereiteten und gemeinsam durchzuführenden Gottesdienst einzulassen. Ein sechsköpfiges Team kam zusammen: zwei Beamte der Bereitschaftspolizei, ein Hauptkommissar der Kriminalfachinspektion, eine Beamtin des Einzeldienstes, der Leiter des Polizeichores und der Polizeiseelsorger. Als Grundidee wurde verabredet:

- der Gottesdienst soll in einer Kirche (Veltheim/Ohe) stattfinden;

- es soll ein Abendmahlsgottesdienst sein verbunden mit einer echten (Abendbrot-)Mahlzeit ebenfalls in der Kirche;

- der Polizeichor soll singen;

- aus Sicherheitsgründen soll nur intern (Polizei und Kirchengemeinde) eingeladen werden;

- es soll an im Dienst verunglückte und getötete Polizistinnen und

Polizisten gedacht werden.

Als inneres Leitmotiv wurde zur Überraschung des Seelsorgers das Thema "Angst" gewählt.

Und so sahen dann die Vorbereitungen im Kirchenraum aus: einige Beamte der Bereitschaftspolizei brachten lange Tische, sämtliche Stühle (die Kirche in Veltheim ist ohne Bänke, was hier ein Vorteil war) wurden so gedreht, dass drei lange Reihen entstanden, an denen jeweils 40 Personen sich gegenübersitzen konnten, der Altarbereich jeweils links bzw. rechts. Die Beamten deckten die Tischreihen mit zum Farbton der Kirche passenden Tischdecken und selbst gestalteten Blumendekorationen und Kerzen, im Altarraum selbst wurde eine große grüne Kerze mit dem Symbol der Polizeiseelsorge (Gott der Herr ist Sonne und Schild) versehen und aufgestellt.

Zum Abendmahl wurde Wein und Fladenbrot bereitgehalten, das eigentliche Essen bereiteten die Männer und Frauen vor, die innerhalb eines Projektes der Diakonie sonst Essen für Bedürftige der Stadt bereiten; der Koch hatte das Kochen im Gefängnis gelernt.

Es gab kalte Platten und Salate, sodass nur Schälchen, Gabeln und Servietten benötigt wurden.

Der Kirchenvorstand hatte allen Plänen zugestimmt, war eingeladen, dazu Interessierte aus den Gemeinden, die Konfirmanden fanden sich gern bereit, beim Essen mit zu helfen und die Gäste zu bedienen.

Dann kam die Zeit des Gottesdienstes. Gegen 19 Uhr war die Kirche bereits voll. Bis auf einige Plätze, die wir bewusst freihielten und so daran erinnerten, dass auch zur Zeit des Gottesdienstes Männer und Frauen der Polizei ihren Dienst versahen. Zwei Hundertschaften der Bereitschaftspolizei, darunter auch diejenigen Kollegen, die mit vorbereitet hatten, mußten noch wenige Stunden vor dem Gottesdienst zu einer Demonstration von Neonazis nach Hamburg. Das alles in der Begrüßung bewusst zu machen brachte die besondere Dramatik eines Polizeigottesdienstes zum Ausdruck.

Aus allen Bereichen der Polizei nahmen Beamte aller Dienstgrade, an der Spitze der Polizeipräsident mit Frau, am Gottesdienst teil. Nach Begrüßung, Gebet und Lied sang zur Lesung (Bergpredigt: Selig seid ihr) der Polizeichor das entsprechende Lied zum Text. Hauptkommissar S. entfaltete danach seine Gedanken zum Thema "Angst" in zehn Sätzen.

Diese Sätze standen gedruckt auf Klappkarten auf den Tischen, und als Predigt gab es nun 20 Minuten Zeit, sich an den Tischen über dieses Thema auszutauschen. Nach anfänglicher Unsicherheit begannen intensive Gespräche, wobei es auch möglich war, sich zwischendurch auch einmal zu einem anderen Gesprächsgegenüber zu setzen. Es war spannend. Die 20 Minuten waren schnell vergangen. Das Ende dieser ungewöhnlichen Predigt wurde durch eine akustische Eieruhr auf dem Altar angekündigt. (Das stand dann auch am übernächsten Tag in der Tageszeitung als Überschrift zum Bericht vom Polizeigottesdienst in Veltheim)

Hauptkommissar S. verlas als Abschluss aus der Bibel das Jesuswort: "In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden." Dem war nichts mehr hinzu zu fügen und nach der spannungsvollen Predigt entstand eine Stille, in die hinein jetzt das Gedenken an die im Dienst verunglückten und getöteten Kollegen und Kolleginnen folgte. Aus traurigem aktuellen Anlass wurde auch an jene Kollegin gedacht, die außerhalb des Landes im Dienst ihr Leben verloren hatte. Die Worte wurden in mehreren Abschnitten von verschiedenen Beamtinnen und Beamten gelesen, auch von solchen, die nicht im Vorbereitungsteam mitgewirkt hatten, der Polizeichor umrahmte diese Handlung, die mit dem Entzünden der grünen Kerze endete. Es entstand eine Stille, die anhielt und die alle aushielten.

Nach den Einsetzungsworten und gesungenem Vaterunser verteilten die Konfirmandinnen und Konfirmanden den Wein und das Fladenbrot an die Tischreihen, die Möglichkeit der Teilnahme oder Nichtteilnahme am Heiligen Abendmahl war so gegeben.

Der liturgische Teil des Gottesdienstes endete mit Fürbitten, gesprochen von mehreren Frauen und Männern aus Polizei und Kirchenvorstand, und dem Segenswunsch. Seit Beginn waren beinah zwei Stunden vergangen.

Die Kollekte war der Evangelischen Stiftung Neuerkerode, insbesondere der Seelsorge dort zugedacht.

Während des Orgelnachspiels wurden nun durch viele Hände die Speisen an die Tische gebracht, zum Trinken gab es Bier, Wein und Wasser, für die Konfirmandengruppe Saft. (Rauchen war natürlich nicht erlaubt, was aber nicht extra gesagt werden musste.)

Die Gespräche knüpften vielfach an die "Predigt" an, Kollegen bemerkten, wie wenig sie untereinander und voneinander wussten. Viele Polizeibeamte sind ganz bewusst Christen, manche Kirchenverordnete, sagen es aber nicht im Dienst. Einige Beamte bekannten dem Seelsorger gegenüber, dass sie von ihrer Dienststelle mit sanftem Druck zum Gottesdienst geschickt worden wären, dass sie es aber bestimmt bedauert hätten, diesen Gottesdienst nicht miterlebt zu haben und davon in ihrer Dienststelle nun ausführlich berichten würden. Es gab auch Applaus für die nichtanwesenden Kollegen der Bereitschaftspolizei. Sie hatten ja die Tische und Stühle usw. aufgebaut. Es zeigte sich, dass die Eltern eines der Beamten anwesend waren. Einige Ehepartner und Freunde von Kollegen waren ebenfalls gekommen. Der Polizeichor wurde auch mit Applaus bedacht.

Die Atmosphäre in der Kirche während des Gottesdienstes und während des Essens war für die Beteiligten etwas Neues: sich an diesem besonderen Ort als Mensch zu erleben, dem etwas zugesagt wird, nicht nur vom Pastor, sondern vom Nachbarn, von der Kollegin, und denen man selbst etwas sagen konnte von Angesicht zu Angesicht; die Themen Angst und Tod wurden beim Namen genannt und verloren so ihren Schrecken; Essen und Trinken im Abendmahl und darüber hinaus zu bekommen an den Tischen übrigens, an denen die Polizei sonst in ihrem Einsatz verpflegt wird; sein eigenes (Mit-) Gefühl, besonders beim Gedenken, zu erleben und eigene Ängste aufgehoben zu finden in solch einfachen Symbolen wie den Blumen auf den Tischen und der besonderen Kerze beim Altar. (Dort blieb sie stehen und brannte dort zu jedem Gottesdienst.)

Der Gottesdienst und das anschließende gemeinsame Essen in der Kirche war für die Teilnehmenden also eine geglückte Überraschung: damit hatte keiner gerechnet. Stimmen wurden laut, die nach einer Wiederholung mindestens einmal im Jahr verlangten. "Und dann müssen die anderen von der Dienstschicht aber auch mit!" so ein junger Polizist, aufgewachsen in den neuen Bundesländern: es war überhaupt dessen erster Gottesdienst.

 

 

 


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