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[Kirche von unten]

Gott dem Herrn Dank sagen

Festschrift für Gerhard Heintze

Christoph Demke

Aus welcher Zukunft kommt die Gegenwart?

Wie wird der Protestantismus politik- bzw. friedensfähig?

Die folgenden Gedanken habe ich zum ersten Mal für einen Festvortrag bei der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für die Betreuung von Kriegsdienstverweigerern und Zivildienstleistende in der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Bayerns am 25.7.2000 konzipiert. Anlaß war die Verabschiedung von Siggi Laugsch aus der Arbeit der EAK und das 25jährige Jubiläum des EAK-Vorsitzes von Hansjörg Meyer. Ich habe sie seitdem in vielen Variationen und mit der einen oder anderen "seitlichen Arabeske" wiederholt. Hier bleiben sie auf den einen Sachverhalt konzentriert, den Zusammenhang von Moral und Gewalt, weil ich denke, daß in dieser Sache die Kirchen sich deutlicher in der Öffentlichkeit zeigen müssen.

Ich grüße damit Landesbischof i.R. Dr. Heintze zu seinem 90. Geburtstag, besonders in der Erinnerung an die Gespräche in der Konsultationsgruppe von EKD und Kirchenbund in der DDR, die gerade vor dem Ausscheiden von Landesbischof Heintze in den Ruhestand besonders intensiv sich auf die Frage der Friedensverantwortung der Kirchen in den beiden deutschen Staaten konzentrierten.

Aus welcher Zukunft kommt die Gegenwart? Ja, wer das wüßte! Ist der Kosovo-Krieg das Signal einer neuen Ära des "militärischen Humanismus", in der Militär nicht mehr der Durchsetzung nationaler Machtinteressen, sondern dem Schutz der Menschenrechte dient und der Soldat sich ganz als "miles protector" verstehen kann, dessen Mission "Schützen, Helfen, Retten" heißt? Ist der Kosovo-Krieg der Präzedenzfall der neuen NATO-Strategie, durch die mühsam geübte internationale Rechtsregeln den Interessen der Gemeinschaft der hochentwickelten Industriestaaten geopfert werden? Oder was kündigt sich in diesem Kriege an? Was können wir hoffen, was müssen wir fürchten? Angesichts solcher Ungewißheiten gerät die - zugegebenermaßen gekünstelte - Fragestellung des Themas in den Verdacht der Spekulation. Wären nicht Analysen der Ursachen der gegenwärtigen Situation, aus denen sich Prognosen ableiten lassen und Lehren für die Zukunft?.

Das schwer zu handhabende Thema soll auch zuerst einmal einladen, Abstand zu nehmen von der Aufregung aktueller Diskussionen, und uns erinnern, wie es einer solchen Stunde des Dankes und des Abschiedes unter Christenleuten angemessen ist, nämlich erinnern an den Grund unseres Glaubens, Jesus, den Gott aus Nazareth, und seine Zeit, die Zeit des Herrn, dem wir folgen wollen. Er hat einmal seine Zuhörer in Galiläa provoziert mit den Worten: "Wenn ihr eine Wolke aufsteigen seht im Westen, dann sagt ihr gleich: Regen kommt, und das passiert dann auch; und wenn der Südwind weht, sagt ihr: es wird heiß, und so kommt es. Heuchler! Das Aussehen von Erde und Himmel versteht ihr zu prüfen, aber diese Zeit, was jetzt dran ist, wieso prüft ihr sie nicht?" (Luk 12,54-56). Und Jesus hat mit Wort und Tat darum geworben, zu sehen und zu verstehen, wie seine Zeit aus der heilsamen Nähe Gottes kommt, da der Himmel über allen aufgehen wird, und sich darauf jetzt schon einzulassen. Er hat in den Seligpreisungen seine Anhänger auf die Menschen hingewiesen, denen zuerst die heilsame Nähe Gottes zuteil werden wird, um ihnen zu zeigen, bei wem sie stehen müssen, an wessen Seite sie gehören, wenn sie seiner Hoffnung trauen. Bei den Befindlichkeiten und Situationen, die er da aufzählt, ist klar: dazu kann man sich nicht machen, auch nicht durch angestrengte moralische Verrenkungen. Man ist so dran oder man ist nicht so dran. In einer Sache allerdings kann man mittun, - es ist das einzige Mal in den Seligpreisungen, daß Jesus von regelrechten Tätern spricht - : beim Friedenmachen. Daß das harte Arbeit und ein nicht ungefährlicher Einsatz ist, war auch damals schon bekannt und wird deutlich daran, daß unmittelbar die Seligpreisung derjenigen folgt, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden. Darauf muß man beim Friedenmachen gefaßt sein.

In der Nachfolge Jesu sind wir verlockt, unsere Zeit als Zeit des Herrn, als Zeit aus der heilsamen Nähe Gottes zu nehmen und zu sehen. Anno domini meint ja nicht einfach eine Zahlenangabe, sondern eine inhaltliche Bestimmung.

Darum hat christliches Verstehen der Welt und christliches Verhalten immer einen nicht zu knappen Anhauch von Schwärmerei. Wenn wir Christenleute nicht dem Verdacht ausgesetzt sind, Schwärmer zu sein, dann scheint mit uns irgendetwas nicht in Ordnung zu sein. In der lutherischen Tradition ist das manchmal in Vergessenheit geraten. Gegen die Gefahr des Schwärmertums wurde dann gern der bitter ernste Realismus der Erkenntnis der Sünde angeführt, wie sehr wir in den Trug, die Logik und die Konsequenzen der Sünde verstrickt sind. Solche bitter ernste Erkenntnis wird ja auch mitunter für das Proprium der Protestanten gehalten. Den Friedensbewegten wird dann vorgehalten, daß sie eben die Macht und Gewalt des Bösen nicht ernst genug nähmen . Da mag Richtiges daran sein. Aber der Realismus, der ohne Zweifel zu christlicher Weltsicht und Leben gehört, singt nicht das Lied der "Sprache der Tatsachen", auf die sogenannte Realisten mit ihren Statistiken so stolz sind. Dieser Realismus hat einen anderen Ursprung. Er hat seinen Grund in dem Pragmatismus, der zur Liebe gehört, die ganz von dem Übel und Bösen mitleidend bewegt ist, was Menschen um uns herum erleiden, und die nichts anderes will, als das Gute, das ihnen zuteil werden soll. Deswegen spielt in der christlichen Ethik die nüchterne und schonungslose Frage nach den Effekt, also nach dem, was aus unserem Verhalten folgt, oder - mit Helmut Kohl zu reden - "was hinten herauskommt", eine so große Rolle, daß dahinter die Frage nach der Reinheit unserer Motivationen und ähnliches verblasst.

Beides gehört im christlichen Leben unlöslich zusammen: das Zeugnis von der Zeit des Herrn in der heilsamen Nähe Gottes und der Dienst für die Nächsten, der von dieser Nähe Gottes Gebrauch macht. Beides gehört zusammen und erläutet sich gegenseitig, darf sich möglichst nicht widersprechen. Aber im Leben deckt sich beides selten und ist selten beides zu gleicher Zeit gefordert. Einmal steht das eine im Vordergrund, ein ander Mal das andere.

Beim Zeugnis geht es zuerst darum, daß es klar ist und deutlich, beim Dienst geht es darum, daß er zugutekommt und also dienlich ist. Wenn in den evangelischen Kirchen in der DDR - allerdings nicht immer einhellig - von der Verweigerung des Militärdienstes mit der Waffe als dem "deutlicheren Zeichen" gesprochen wurde, so ist der Komperativ vieldeutig und dann auch ärgerlich. Ärgerlich hat er gewirkt, weil er zum Vergleichen einlädt und so Qualitätsabstufungen im Christsein nahelegt und deswegen als Diskriminierung des Christen in Uniform empfunden wurde. Unklar ist er, weil er scheinbar voraussetzt, daß der Militärdienst mit der Waffe als deutliches Zeichen für die Friedensverheißung Jesu Christi zu verstehen sei. Das wird in der Regel kaum jemand behaupten wollen. Wie immer es mit dem Unklaren und Ärgerlichen dieser Formulierung stehen mag : in der Sache wird man nicht umhin können, einzugestehen, daß in der Mehrzahl der Fälle - also in der Regel - nur die Verweigerung ein Zeugnis für die Zeit des Herrn sein kann. Ist sie aber auch ein Friedensdienst, in erfahrbarer Weise dienlich denjenigen, die durch den Einsatz militärischer Gewalt geschützt werden sollen? Könnte die Verweigerung nicht auch ein Verrat an den bedrohten Nächsten sein? Auch wenn solche Fragen oft mit aggressiver Polemik gestellt werden, lassen sie sich nicht polemisch erschlagen. Wir dürfen nicht vergessen: Wir haben uns nicht selbst befreit vom Nationalsozialismus, andere haben für uns gekämpft unter Einsatz ihres Lebens.

Wenn im Kosovokrieg die Kriegsdienstverweigerung unter den deutschen Soldaten nicht erkennbar zugenommen hat, dann vermutlich auch deswegen, weil dieser Einsatz vielen als Friedensdienst einleuchtete und zumal nach dem Ende der Bombardements praktisch zu ihrer Befriedigung erfahrbar ist: "Ich bin froh, mich für den Einsatz entschieden zu haben; so kann ich etwas konkret für den Schutz (von Serben) tun und bin nicht geplagt von dem Gedanken, durch bloßes Zusehen schuldig geworden zu sein. Da hatte das Dilemma, mit dem ich mich vorher herumgeschlagen habe, ein gutes Ende", sagte ein Offizier nach einem Vierteljahr im Kosovo. Ohne ein solches Urteil des Einzelnen in Frage zu stellen, muß doch die Frage nach dem Beitrag des deutschen Protestantismus in dieser Sache der Friedensverantwortung angesichts der konkreten Situation gestellt werden. Das ist einmal notwendig, weil der Eindruck nicht einfach zu bestreiten ist, daß die römisch-katholische Kirche zwar leiser , aber doch entschiedener gesprochen hat, und weil die kirchenleitenden Äußerungen auf protestantischer Seite ziemlich undeutlich und kaum dienlich waren; sie folgten - wie der Ratsvorsitzende der EKD bei seinem Bericht an die Synode in Leipzig kritisch und selbstkritisch offen feststellte - im wesentlichen dem mainstream der sich wandelnden veröffentlichten Meinung.

Dabei geht es jetzt nicht um besserwisserische Feststellung, was man alles hätte anders machen sollen. Da ist nur festzuhalten, daß das Versäumnis rechtzeitigen vorbeugenden Handelns, an dem auch die Kirchen schuldig sind, uns an die Aufgabe erinnert, Gottvertrauen von Trägheit (die ja zu den Todsünden gehörte) wohl zu unterscheiden, was nicht einfach ist..

Ich will aus den Aufgaben, die der Kosovokrieg christlicher Friedensverantwortung stellt, nur hervorheben:

Friedensgefährdung geht heute nicht nur und wahrscheinlich nicht einmal in erster Linie von einer Militarisierung der Gesellschaft und des Denken aus, als vielmehr von der moralisierenden Legitimierung militärischer Gewalt. Moralisierung und damit verbundene Emotionalisierung haben die Äußerungen des Bundesverteidigungsministers vor allem, aber auch des Bundesaußenministers gekennzeichnet. Das hat ihnen eine breite Zustimmung gebracht: "Wir können doch nicht einfach zusehen...";" wir dürfen doch kein neues Auschwitz zulassen".

Kant hat sich im Anhang seines Traktates "Zum ewigen Frieden" auch über den Zusammenhang von Moral und Politik geäußert und dabei den moralischen Politiker vom politischen Moralisten unterschieden, "der sich eine Moral so schmiedet, wie es der Vorteil des Staatsmanns sich zuträglich findet". Angesichts des ungleichen politischen Verhaltens im Blick auf die Kurden in der Türkei - um von fernerliegenden Gebieten zu schweigen, deren es wahrlich genug auf der Welt gibt - setzt sich in der Tat die moralische Legitimation des Krieges im Kosovo dem Verdacht der Heuchelei und der Instrumentalisierung von Moral aus.

Aber das Problem reicht weiter und es muß ein Thema vor allem des Protestantismus bleiben, weil er ja durch das Evangelium von der Rechtfertigung des Gottlosen besonders um den raffinierten Selbstbetrug des Sünders und der Gefahr der Moral wissen sollte.

In der moralischen Legitimation des Krieges sind sich manche Grüne und Herr und Frau Omnes von der Straße oder auf dem Kirchentag (wie in Stuttgart zu erleben war), Vaclav Havel und Ulrich Beck (provozierend: "Und Krieg wird zur Fortsetzung der Moral mit anderen Mitteln") einig.

Um das Problem auf einem ganz anderen Feld anzusprechen: Bei der Frage, ob Gewaltdarstellungen im Fernsehen den Zuschauer zu größerer Gewaltbereitschaft bewegen, kommt eine sehr differenzierte Studie der Universität Mannheim u.a. zu dem Ergebnis, daß die Zuschauer, die sich eigentlich immer mit den Opfern einer Geschichte identifizieren bzw. deren Partei ergreifen, sich dann "moralisch berechtigt" sehen, "ihre Gewaltbereitschaft zu steigern", wenn den Opfern nicht Gerechtigkeit widerfährt (Robbespiere-Effekt). Ganz allgemein läßt sich sagen: moralische Empörung steigert die Gewaltbereitschaft und gibt ihr Legitimation. Entsprechende Feindbilder lassen sich leicht zeichnen. (Milosevic, Hussein usw). Die Sprache wird dafür eingesetzt ("Schurkenstaaten"). Die Plausibilität des Falles der territorialen Selbstverteidigung wird durch die Plausibilität der moralischen Empörung ersetzt. Informationen werden entsprechend selektiert. Entsprechend werden Maßnahmen z.T. pädagogisch (Isolierung, Luftschläge usw.) motiviert. Für einen Friedensschluß fehlt bei solcher Interpretation des Konfliktes dann das Gegenüber (mit Milosevic darf man nicht reden).

Die Kirchen, gerade weil sie im Widerspruch zu ihrem eigenen Selbstverständnis von der Gesellschaft als moralische Anstalten angesehen werden, müssen die friedensgefährdende Wirkung solcher Denk- und Sprachmuster, die eine leichte Resonanz in der Bevölkerung finden, deutlich zum Bewußtsein bringen und darauf bestehen, daß die jeweiligen Interessen, die bei einem Konflikt im Spiele sind, nüchtern und ehrlich - freilich auch ohne haltlose Unterstellungen - für alle Seiten analysiert werden und alles auf einen Ausgleich der Interessen angelegt wird. Da gibt es dann viele Abstufungen von Grautönen und nicht eine ständige Verschärfung der Schwarz-Weiß-Zeichnung, wie bei einer moralischen Interpretation.

Ich übergehe, was alles noch vor allem auf kirchleitender Ebene als Folgerung für die Friedensverantwortung der Kirchen zu bedenken ist

-Hoffnungsvolle Stärkung von UNO und OSZE statt in der "Sprache der Tatsachen" deren Unfähigkeit zu begeifern;

-Neubedenken der Abschreckung, die hier, wie in anderen regionalen Konflikten, versagt hat;

- Stärkung der Mittel der prima ratio durch Ausbau der Mittel der offiziellen Diplomatie, aber auch der inoffiziellen Diplomatie sowie der Friedendienste mit Friedensfachkräften;

- Beharrlicher Widerspruch gegen die falschen Eindrücke, die sich einnisten und zu falschen "Lehren" führen (so gegen den Mythos von den zielsicheren Waffen, gegen den Mythos von der geschlagenen serbischen Armee; gegen den Mythos von dem Schlimmeren, was verhindert werden konnte, usw.).

Nur eine Aufgabe der Kirchen besonders in Deutschland möchte ich noch hervorheben. Wir sollten alles dazu tun, die Verbindungen nach Serbien zu verstärken, und zwar vor allem auf ziviler Ebene und zwischen Kirchen und Gemeinden. Wir Deutschen werden bei so großen Verbrechen gegen die Menschenrechte, Völkermord und Vertreibung behaftet und haben doch Aufnahme in die Gemeinschaft der Völker und Staaten gefunden, daß wir für die Situation Serbiens nicht nur besonderes Verständnis haben können, sondern auch allen Grund haben, der Aufforderung des Apostels Paulus zu folgen: "Einer trage des anderen Last ( und das meint in erster Linie die Last der Schuld), so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen" (Gal 6,2). Auch das "Stuttgarter Schuldbekenntnis" wäre ohne das Mitdenken und Mittragen der Geschwister aus der Ökumene kaum zustande gekommen.


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