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[Kirche von unten]

Gott dem Herrn Dank sagen

Festschrift für Gerhard Heintze

Eberhard Fincke

Jesus, das Gesetz und wir

Wenn ich an Bischof Dr. Gerhard Heintze denke, bin ich schnell bei den beiden Kernfragen der christlichen Theologie: Wer war Jesus und welches Verhältnis haben wir zum Gesetz?

Zu der ersten Frage habe ich seinerzeit (1971) einen Eklat wie lange nicht in der Landeskirche angezettelt. Der hat die regionale Presse eine ganze Weile beschäftigt und Bischof Heintze einiges Krisenmanagement abverlangt. Das Thema "Gesetz und Evangelium" hat ihm immer sehr am Herzen gelegen. Er stand als Bischof dafür, daß theologisch nüchtern und ehrlich Klarheit geschaffen wird. Davon sind wir heute weit entfernt.

Was Jesus angeht, so wird immer wieder einmal behauptet, historisch wisse man so gut wie nichts über Jesus. Die historisch-kritische Bibelwissenschaft habe erwiesen, daß alle seine Worte und die Berichte über ihn erst Jahrzehnte später aus dem Hörensagen aufgeschrieben sind. Man zitiert dann gern Rudolf Bultmann und seine Schüler, z.B. Ernst Käsemann, doch das ist irreführend. Gerade Bultmann und seine Schüler haben bis zu ihrem Lebensende mit großer Leidenschaft das Neue Testament studiert, um immer besser verstehen zu können, worum es Jesus eigentlich ging.

Wenn es auch nichts Schriftliches von ihm selbst oder von Augenzeugen gibt, ist doch hinter der Überlieferung ein Mensch sichtbar, der sich so markant verhält und so unverwechselbar äußert, daß es unsinnig ist zu sagen, wir wüßten nichts Gesichertes über ihn. Wir sehen einen Juden, der die eigene religiöse Überlieferung, die wir heute Altes Testament nennen, originell und mit Witz mit klarem Profil auslegt und kritisiert. Vor allem viele überlieferte Gleichnisse lassen einen Urheber erkennen, der mit dem, was er sagte und tat, seine Umgebung so wirksam provoziert hat, daß Zustimmung und Ablehnung bis heute anhalten. Für ihn als Juden stand damals wie heute die Tora im Mittelpunkt, also die Frage, wie mit dem Gesetz umzugehen sei. Denn ein Gesetz ist beides, Schutz des Schwachen und eine Waffe in der Hand des Mächtigen. Mit seiner Antwort auf diese Frage hat sich Jesus die damaligen Juristen, die religiösen Behörden, offenbar zum Feind gemacht, denn sie haben ihn hinrichten lassen. Seine Einstellung zum Gesetz ist auch heute brisant.

Das alles ist eine ganze Menge Material. Allerdings ist es verwoben mit den späteren Berichten und Deutungen zu seiner Person. Die wurden in dem Glauben weitergegeben, sie gingen auf ihn selbst zurück. So gibt es viel zu tun für historisch-kritisches Unterscheidungsvermögen.

Woher stammt dann aber das Interesse zu behaupten, man könne Jesus selbst unter diesen Deutungen und Übermalungen nicht mehr erkennen? Nun, je sicherer man sich dessen ist, um so freier kann man sich seinen eigenen Christus malen. Der kritische Geist der Aufklärung, dem wir uns seit ca. 300 Jahren verdanken, kehrt sich hier gewissermaßen um. Einerseits hat er uns dazu verholfen, die biblische Überlieferung kritisch zu hinterfragen, Übermalungen zu erkennen und so Jesus genauer zu verstehen. Andererseits wurde die Religion zur Privatsache erklärt, d.h., was einer glaubt, geht die Obrigkeit nichts an.

Dies hat den Christen Freiheit verschafft von der staatlichen und kirchlichen Obrigkeit; jedoch es hat umgekehrt auch die Obrigkeit befreit; denn seitdem kann der Christ sagen: Läßt du mich in Ruhe beten, laß ich dich in Ruhe regieren. Damit entfernt er sich ziemlich weit von Jesus, denn ihn hatte die Obrigkeit vor Gericht gestellt. Die Basis ihres Handelns sah sie gefährdet. wenn er das Gesetz der Gerechtigkeit Gottes unterordnete. Alle Obrigkeit verlangt damals wie heute, daß das Gesetz die oberste Instanz ist; denn im Gesetz ist festgelegt, daß und warum Zwang und Gewalt berechtigt sind. Dieses Recht auf Gewalt hinge in der Luft, gäbe es noch eine höhere oder bessere Gerechtigkeit als die des Gesetzes. Die Macht der Mächtigen käme ins Rutschen.

Die Obrigkeiten sind später noch Vielen an den Hals gegangen, die Jesus nachfolgen wollten. Auch Luther hat noch Kopf und Kragen riskiert; denn er hat besonders klar unter Berufung auf Jesus und Paulus den Begriff des Gesetzes in den Mittelpunkt gerückt, dem Gesetz das Evangelium entgegengestellt. Danach aber ist es um die Christen immer stiller geworden.

Liegt es daran, daß der Staat seitdem christlich geworden ist und seine Gesetze nicht mehr als Waffe dienen? Das wird niemand sagen wollen. Die demokratischen Verfassungen mit der Verpflichtung auf die allgemeinen Menschenrechte mußten sogar eher gegen den Einfluß der christlichen Kirchen durchgesetzt werden. Immerhin enthalten sie vieles, was so nur auf dem Boden des Christentums formuliert werden konnte.

Die Christen sind vielmehr verbürgerlicht. Bürger können seit dem Einzug der Demokratie das Gesetz selbst als Waffe benutzen, was früher nur den Mächtigen gelang. Eigentumsfreiheit, Vertragsfreiheit und Gleichheitsgrundsatz machen es möglich, daß jeder Zwang gegen den anderen ausübt, wie es das Gesetz erlaubt und rechtfertigt. Es geht alles nach Gesetz und Recht zu, aber eben nicht gerecht. Wieviel Gewalt da in der geltenden Wirtschaftsordnung im Spiel ist, zeigt sich heute deutlicher als zuvor, am Sterben der vielen Kinder in den armen Ländern und der Bäume in unseren Wäldern. Zwar ist man deswegen, wegen des Klimas und vieler anderer Gefahren besorgt, fordert auch Schuldenerlaß für die armen Länder und Abbau der Arbeitslosigkeit, aber bei möglichst hohen Zinsgewinnen und möglichst niedrigen Benzinpreisen soll es doch bleiben. "Die Gesetze der Marktwirtschaft sind eben so, da kann man nichts machen".

So nimmt es die westliche Welt und in ihr die Christenheit mehr und mehr hin, daß der Markt und seine Gesetze das Leben bestimmen. Eine größere oder bessere Gerechtigkeit darüber oder jenseits davon scheint auch die Christenheit nicht mehr zu sehen, zumal seit dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems.

Der Glaube richtet sich unter dem Dach jener fast naturgesetzlich wirksamen Gesetzmäßigkeiten ein. Das Gesetz rückt unversehens an die oberste Stelle. Das System wird vom Evangelium her nicht mehr in Frage gestellt, weder von den esoterischen noch von den evangelikalen Christen. Ganz im Sinne der politisch konservativen Parteien (CDU, FDP) beschränkt sich das christliche Engagement darauf, das sich globalisierende Wirtschaftsgeschehen sozial abzufedern. Die Kirchen werden vom Staat gelobt, weil sie ihren Beitrag leisten, in Politik, Wirtschaft und neuerdings Wissenschaft die bedenkliche Entwicklung ethisch zu unterfüttern.

Diese Neigung, sich dem Gesetz zu fügen, könnte sehr gestört werden, wäre allen klar, daß Jesus da nicht mitgemacht hätte. Weil sich jedoch vorgeblich gar nichts Gesichertes über ihn ausmachen läßt, kann er leicht rein auf Religion zurückgeschnitten werden, und die ist, wie gesagt, Privatsache, Glaube und Politik sind zu trennen.

Glücklicherweise werden aber neuerdings gerade im christlichen Raum angesichts der massiven sozialen und ökologischen Bedrohungen die Fragen wieder mehr gestellt, ob an der ganzen Ordnung, in der wir leben, etwas nicht stimmt. Es sind nicht zuletzt christliche Gruppen, die in Bewegungen gegen den Krieg oder die sog. Globalisierung aktiv werden. Und wir sollten auch nicht übersehen, daß das Christentum sich von Anfang an der Wiederentdeckung verdankt. Jesus selbst fand das, was er neu zur Geltung brachte, in seiner Bibel vor, und immer, wenn es in der Christenheit zu einem neuen Aufbruch kam, geschah dies, weil man ihn unter den Verzeichnungen wiederentdeckte. Das wird auch in Zukunft so sein.

 


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