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[Kirche von unten]

Gott dem Herrn Dank sagen

Festschrift für Gerhard Heintze

Hans Jürgen Kalberlah

Zwischen dem offiziellen Bischofsbesuch in Bremen vor der Goslarer Propstwahl und unserer privaten Kaffeestunde in Stuttgart liegt eine lange Zeit mit vielen Begegnungen, Gesprächen und Briefen , durch die Sie, verehrter Herr Landesbischof, mein Leben wesentlich mitbestimmt haben. Ein Zeichen meiner unverbrüchlichen Dankbarkeit mag diese Auslegung des Liedes "Morgenglanz der Ewigkeit" sein, das eines der Lieblingslieder meines Vaters war und nun für mich immer gewichtiger geworden ist. Ihr Hans Jürgen Kalberlah

 

Morgenglanz der Ewigkeit

Eine Liedpredigt mit Weisheit 7 24-26

"Morgenstunde hat Gold im Munde", wer kennt sie nicht, diese Redensart? In jungen Jahren hat man sie uns als Mahnung vorgehalten, um uns frühzeitig auf Trab zu bringen. Später haben wir erkannt, dass der Ton in diesem Satz weniger auf der Morgenstunde als vielmehr auf dem Wort "Gold" liegt; denn "nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles."

Mehr denn je trifft das in unseren Tagen zu; das erleben wir überall: auf der einen Seite ist man bemüht, sein Kapitel zu vermehren, andrerseits wird erwartet, dass sich alle abrackern bis zum Geht-nicht-mehr. "Ich rackere und raffe, also bin ich", das ist die Lebensphilosophie vieler Zeitgenossen.

Der Morgenglanz, von dem in unserem Liede die Rede ist, meint etwas ganz anderes. Es will uns auf ein anderes Lebensgefühl einstimmen. Damit unterscheidet es sich auch von den meisten Morgenliedern, die wir in unserm Gesangbuch finden. Diese sehen in der Regel auf den Werktag und seine Herausforderungen. Von ihnen wird uns z.B. in den Mund gelegt: "Lass unser Werk geraten wohl, was ein jeder ausrichten soll, dass unsre Arbeit, Müh und Fleiss gereich zu deim Lob, Ehr und Preis." (EG 437 4)

Unser Lied sagt nichts von Arbeit und Fleiss: es ist ein Lied für die arbeitsfreie Zeit. Wenn wir es anstimmen, umfängt uns eine sonntägliche Atmosphäre. Hier kommt einen andere Weisheit zu Wort, als uns die klugen Redensarten der Welt weismachen wollen. Es wird uns nicht eingehämmert, was wir noch alles tun und leisten müssen, um besser da zu stehn. Es geht allein darum, dass wir uns ergreifen lassen von dem, was längst vor uns schon da ist und auf uns wartet.

Es ist das "Licht vom unerschaffnen Lichte." Mit dem Aufgang der Sonne, also "bei entstandner Morgenröte" ist uns ein Zeichen gegeben für den "Morgenglanz der Ewigkeit". Das hat der Dichter sich nicht aus den Fingern gesogen. Auf diesen Zusammenhang ist er bei dem Studium der Heiligen Schrift gestossen, Wir können es nachlesen. Im 7. Kapitel der Weisheit Salomos heißt es über die göttliche Weisheit:

"Die Weisheit ist regsamer als alles, was sich regt, sie geht und dringt durch alles – so rein ist sie. Denn sie ist ein Hauch der göttlichen Kraft und ein reiner Strahl der Herrlichkeit des Allmächtigen. Denn sie ist ein Abglanz des ewigen Lichtes und ein fleckenloser Spiegel des göttlichen Wirkens und ein Bild seiner Güte." (7,24-26)

Ein Strahl vom Glanz unseres Gottes soll uns treffen und erleuchten, wenn wir an einem Sonntagmorgen einen Gottesdienst feiern. Wir würden aber den Dichter gründlich missverstehen, wenn wir daraus einen reines Sonntagschristentum ableiten wollten. Das Innehalten am Feiertag, der Ausblick auf die Ewigkeit und das Atemholen der Seele sind für ihn die Voraussetzung für das Tätigwerden am Werktag,. Die Feier des Sonntags ist der Ausgangspunkt für die Arbeit am Alltag. Eins wirkt auf das andere ein. Wir schaden uns selber, wenn wir den durch die Schöpfung gesetzten Rhythmus von schaffen und ruhen durcheinanderbringen oder gar nicht mehr beachten.

Ein Blick in die Lebensgeschichte von Christian Knorr vermittelt uns das Bild eines frommen und zugleich sehr tatkräftigen Mannes: Er wusste um das Wechselverhältnis von Glaube und Werk, wie es der Apostel Paulus im Römerbrief nachhaltig beschrieben hat und auch im Jakobusbrief nachzulesen ist. Christian Knorr ist aufgewachsen in einem schlesischen Pfarrhaus. 1636 ist sein Geburtsjahr. So hat er auch das Elend des 30jährigen Krieges noch zu spüren bekommen. Als er 6 Jahre alt war, wurde seine Familie von Haus und Kirche vertrieben. Studieren konnte Christian Knorr in Schlesien nicht. Dazu musste er in dass evangelische Sachsen gehen. Staatswissenschaften waren die Gebiete, denen er sich zuwandte; daneben nahm er sich auch Zeit für philosophische und theologische Studien. Nach den Jahren in Leipzig begab er sich dann auf Reisen nach Frankreich, England und in die Niederlande.

Diese Horizonterweiterung hat schließlich sein Denken und Handeln bestimmt. Das Verbindende zwischen den Religionen und Kulturen aufzuspüren, hat seinen Lebensweg bestimmt. Genau bei diesem Bemühen traf er sich mit dem Pfalzgrafen in Sulzbach, dessen Kanzler er wurde. Als dieser zum katholischen Glauben übertrat, hielt er seinem evangelischen Staatsdiener die Treue. Er erwirkte sogar für ihn beim Kaiser in Wien den Titel eines Freiherrn: Christian Knorr von Rosenroth.

Es kommt also nicht von ungefähr, dass unser Morgenlied einen so weitgreifenden Geist atmet. Er spricht in vertrauten biblischen Bildern, spiegelt aber zugleich das Empfinden all der Menschen, die auch in anderen Religionen von einem gläubigen Staunen über das Naturgeschehen und der Sehnsucht nach Licht und Wärme, nach Liebe und Heil erfüllt sind: "Deiner Güte Morgentau fall auf unser matt Gewissen, laß die dürre Lebensau lauter süßen Trost genießen und erquick uns deine Schar, immerdar."

In diesem Vers klingt etwas an von dem, was das ganz persönliche Leben Knorr von Rosenroths durchzogen hat. Hier spricht er offen von der ihn bedrückenden Dunkelheit. Er verschweigt auch nicht seine Unfähigkeit, immer gerecht zu handeln. Die "kalten Werke" zeigen, wie matt und abgestumpft sein Gewissen geworden ist, wenn er in seiner hohen Position politische Entscheidungen treffen musste. Was ihn umgibt, ist ja immer noch ein "Tränenfeld". Die schlimmen Wunden durch das Plündern und Morden und Brennen in den 30 Kriegsjahren waren längst nicht verheilt. Die Türken standen zum zweiten Mal vor Wien, der König von Frankreich hatte Straßburg besetzt. Im Tiroler Defreggental wurden evangelische Christen um ihres Glaubens willen vertrieben. Die mußten in Nürnberg nur 50 km von Sulzbach entfernt, angesiedelt werden.

Wir müssen uns jedoch nicht lange bei der Aufzählung historischer Ereignisse von damals aufhalten. Viele bei uns können aus eigenem Erleben berichten. Wir wissen auch alle nur zu gut, wie wenig wir dann fertig bringen, wenn es einmal wirklich hart auf hart kommt.

Doch es geht nicht nur darum, dass wir uns in diese "Morgenandacht", wie der Dichter sein Lied nennt, mit unseren heutigen Problemen als persönlich Betroffene einbringen. Wir können uns auch helfen lassen, wenn wir von ihm lernen, nicht in Selbstanklagen oder Resignation zu verfallen. Knorr von Rosenroth erwartet in heillosen Situationen alles von der Macht der Liebe und der sanften Kraft der Güte. Gefühlskälte oder gar brutale Gewalt sind seine Sache nicht. Doch eine solche Eigenart ist niemals fester Besitz einer starken Persönlichkeit. Man muß sie sich erbitten. Das ist klar an der sprachlichen Grundstruktur des ganzen Liedes herauszulesen. Jeder Satz hat die Form einer Bitte: "schick uns, vertreib, fall auf uns, erquick uns, gib, erweck" und am Schluß: leuchte und führe uns."

Hier wird etwas deutlich von dem, was unsere christliche Existenz ganz wesentlich ausmacht: wir sind Leute, die bitten müssen und beten dürfen. Wir sind darauf angewiesen, dass "das aufgehende Licht aus der Höhe" uns erreicht, erleichtert und belebt.

Daß dieser "Aufgang aus der Höhe" uns durch die herzliche Barmherzigkeit unseres Gottes besuchen wird, hat der Dichter dem Lobgesang des Zacharias im 1. Kapitel des Lukasevangeliums entnommen. Damit zeigt er uns, dass hier nicht an einen physikalischen Lichtstrahl zu denken ist. Hier steht eine ganz bestimmte Person hell und klar in diesem Licht.

Obwohl in unsrem Lied kein Name genannt ist und für Menschen in anderen Religionen offen bleibt, wen sie hier einsetzen wollen, ist für den Christen der Ansprechpartner von Anfang an auszumachen: "Licht vom unerschaffen Lichte", so haben wir gesungen. Genauso sagt es das sog,. Nicänum, eines der Bekenntnisse unseres Glaubens. Der 2. Artikel lautet dort: "Wir glauben an den einen Herrn Jesus Christus, Gottes eingebornen Sohn, aus dem Vater geboren vor aller Zeit: Gott von Gott, Licht von Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen.." "Credo in unum Dominum Jesum Christum..Deum de Deo, lumen de lumine.. genitum noch factum.." so der lateinische Wortlaut, auf den sich über alle Konfessionsgrenzen hinweg die ganze Christenheit beruft.

Das führt uns zu einer weiteren Beobachtung. Unser Lied ist ein "Wir"-Lied. In den zehn Sätzen geht es immer nur um "uns", "unser", und "wir" als "deine Schar". Auch dies ist eine Kernaussage unseres Glaubens: wir sind Glieder einer weltumspannenden Gemeinde. Wir stehen nicht allein auf weiter Flur. Wir leben als Christen so, dass wir rechts und links von uns ebenso wie hinter und vor uns andere Menschen haben, die mit uns auf dem gleichen Wege sind. Wenn es notwendig ist, sind sie zur Stelle. Sicher machen sie uns gelegentlich auch not. Aber wo immer wir im Tränenfeld zu Fall kommen, sind wir nicht allein. Gott findet Mittel und Menschen, dass wir "eh wir gar vergehn, recht aufstehn". Er läßt unsere Wege zu Freudenbahnen werden.

Auch der äußeren Form nach ist unser Lied ein Wir-Lied. Im evangelischen Gottesdienst geht es nicht um die Wahrung von Besitzansprüchen. Hier ist man darauf bedacht, Gott so angemessen und so schön wie möglich zu loben. Wer dabei auf Vorgegebenes zurückgreift, und es neu zur Sprache bringt, handelt nicht verwerflich. So kann man Knorr von Rosenroth nicht vorwerfen, dass es in seinen Gedichten Gedanken und Bilder aufgenommen hat, die andere vor ihm niedergeschrieben hatten. Es ist unter Forschern umstritten, ob unser "Morgenglanz der Ewigkeit" nur ein Nachklang eines Morgenliedes von Martin Opitz, dem Begründer einer neuen Dichtkunst, ist. Gewiß ist jedoch, dass Knorr von Rosenroth stark von den seinerzeit weit verbreiteten vier Büchern "Vom wahren Christentum" beeinflußt gewesen ist, die Johann Arndt als Pastor in St. Martini in Braunschweig (1599-1608) verfaßt hatte.

Der Dichter hat später selber erfahren müssen, dass man mit seinem Dichtwerk sehr freizügig umgegangen ist. Von den ursprünglichen sieben Strophen seines Liedes sind nur fünf in die Gesangbücher aufgenommen. Die Strophe, in der "Adams Apfelbiß" als Ursache "unserer Nacht" genannt wird, mag heute niemand mehr singen.

Auch die Weise, die der Dichter selber komponiert und in seinem "neuen Helikon" veröffentlicht hatte, hat sich nicht eingebürgert. Bald nach seinem Erscheinen ist das Lied in fast alle deutschsprachigen Gesangbücher aufgenommen. Bisher ist es in über 450 Sprachen übersetzt und gesungen wird es nach der Melodie des thüringischen Kantors Johann Rudolf Ahle, von dem auch die Melodie zu dem Liede "Liebster Jesu, wir sind hier" stammt.

Zu guter Letzt aber müssen wir noch zur Kenntnis nehmen, dass unser "Morgenglanz der Ewigkeit" jetzt im katholischen "Gotteslob" von 1975 steht. Freilich etwas anders als in unserem Evangelischen Gesangbuch. Die erste Strophe ist die gleiche. Die drei folgenden hat die Tiroler Dichterin Marie Luise Thurmair im Jahre 1969 verfaßt. Wahrscheinlich wollte sie das ihr selber lieb gewordene Lied auf diese Weise ihren Zeitgenossen näher bringen. Für welche Fassung man sich entscheidet, bleibt nun Sache jedes oder jeder Einzelnen. In katholischen Kirche wird von der zweiten Strophe gesungen:

2. "Such uns heim mit deiner Kraft/ o du Aufgang aus der Höhe/ dass der Sünde bittre Haft/ und des Zweifel Not vergehe/ gib uns Trost uns Zuversicht/ durch die Licht.

3. Birg in deiner treuen Hut/ alle, die den Tag erleben;/ schenke den Verzagten Mut,/ dass sie sich gestärkt erheben/ deinem Licht entgegenschaun/ und vertrauen.

4. Licht, das keinen Abend kennt,/ leucht uns bis der Tag sich neiget/ Christus, wenn der Himmel brennt/ und dein Zeichen groß aufsteiget/ führ uns heim aus dem Gericht/ in dein Licht."

Wenn es uns nun darum zu tun ist, dass der "Morgenglanz der Ewigkeit" unser Leben hell und warm macht, sollten wir nicht zögern, allerorten mit dem Chor der Beter und Lobsänger zu singen:

"Licht, das keinen Abend kennt, leucht uns, bis der Tag sich neiget".

"Leucht uns selbst in jener Welt, du verklärte Gnadensonne.. .

da die Lust, die uns erhöht, nie vergeht."

Diese Morgenandacht wurde am 17. Oktober 2001 bei der Tagung für emeritierte Pfarrerinnen, Pfarrer und Ehepaare auf dem Hessenkopf gehalten.


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