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[Kirche von unten]

Gott dem Herrn Dank sagen

Festschrift für Gerhard Heintze

Arnold Kiel

Legt Rechenschaft ab von der Hoffnung, die in euch ist.

In einer Zeit, als die Landeskirche noch dringend Pfarrer brauchte (Theologinnen konnten damals noch nicht ordiniert werden!), fiel es Bischof Dr. Heintze nicht leicht, meine Frau und mich nach Tanzania zu entlassen. Das war im Herbst 1971. Weder er noch wir ahnten damals, dass wir über 14 Jahre in 3 verschiedenen Arbeitseinsätzen in der Lutherischen Kirche von Tanzania arbeiten würden und erst Ende 1999 endgültig zurückkehrten. Was rechtfertigt einen solch langen Dienst im Ausland und damit das Fernbleiben von den hiesigen pastoralen und missionarischen Aufgaben? Ein später Rechenschaftsbericht mit herzlichem Dank an den Jubilar für sein damaliges Verständnis! Einige Gründe seien genannt, die auch heute noch einen längeren Dienst in einer anderen Kirche rechtfertigen.

1) Horizonterweiterung, Kennenlernen anderer Kulturen und Religionen, Begegnung mit dem Fremden, oekumenisch-missionarisches Engagement, das alles läßt sich heute auf vielfältige Weise lernen. Schon Jugendliche reisen, sehen und erfahren heute mehr als wir es je geahnt hätten. Aber unser Einsatz war eben nicht nur eine Urlaubsreise, eine Chorreise, ein Partnerschaftsbesuch, ein work-camp, ein Schüleraustausch, ein Studiensemester, sondern jahrelanges Alltagsleben auf einem anderen Kontinent in einer fremden Kultur - vor allem auch bei den Maasai in Ostafrika!

Nach einem Jahr als Entwicklungshelfer in einem Kinderheim in Sri Lanka, damals noch Ceylon, hatte mich ursprünglich Indien viel mehr gereizt. Was hat gegenüber der buddhistisch - hinduistischen Kulturwelt Afrika schon zu bieten außer schöner Landschaft und Tieren? Über die Jahre habe ich ein neues Verständnis von Kultur gewonnen. Über Architektur und Musik, Literatur und Gastronomie hinaus ist Kultur die Fähigkeit von Menschen, sich unter harten Lebensbedingungen in einer feindlichen Umwelt zu behaupten, sie zu gestalten und zu verändern und Lebensmöglichkeiten für kommende Generationen zu entwickeln. Afrikanerinnen und Afrikaner schaffen es immer wieder - und das haben wir über viele Jahre miterlebt, wie trotz politischer Unruhen und Umwälzungen in fast allen Nachbarstaaten, trotz ständiger Bedrohungen, Katastrophen und Rückschlägen TanzanierInnen nicht aufgeben, Leben gestalten und feiern können. Vielleicht könnte weißer Rassismus und europäische Überheblichkeit überwunden werden, wenn wir anerkennen: Auch Überleben trotz schwerster Bedingungen ist eine Kulturleistung.

2) Wir wurden als Fremde angenommen und herzlich aufgenommen. Es wurde akzeptiert, dass wir anders waren, Europäer blieben mit eigenen Lebensgewohnheiten und manchmal anderen Ansichten. Unsere Arbeit mit den Evangelisten in den Ortsgemeinden, die Reisen zu weit verstreuten und entfernten Gruppen in der Steppe, der theologische Unterricht bei der PfarrerInnen-Ausbildung wurde gesucht und geschätzt. Natürlich, wir waren privilegiert, meistens gesund, motorisiert, finanziell abgesichert und darum für die meisten reich. Wir waren gut ausgebildet, hatten Zeit und viele Ideen, um uns ganz der gestellten Aufgabe widmen zu können. Trotzdem: Warum fällt es Deutschen im Unterschied zu Tanzaniern so schwer, Fremde und Anderslebende zu akzeptieren?

3) TanzanierInnen ist der Glaube an Gott lebenswichtig, und er wird nicht irgendwo im Privatleben versteckt. Mission als Zeigen und Bezeugen des eigenen Glaubens ist selbstverständlich. Darin sind sich fast alle einig, trotz großer Unterschiede zwischen Muslimen, Christen und Angehörigen traditioneller afrikanischer Religionen. Und sie leben, trauern und feiern gemeinsam, auch über Religionsgrenzen hinweg. Erst in den letzten Jahren kam es vor allem durch den Einfluss aus dem Ausland, durch Fundamentalisten aus Amerika und Radikale aus arabischen Ländern, zu Spannungen und Auseinandersetzungen.

Christen in der Minderheit, in Tanzania allerdings eine starke und viel beachtete, in ständiger Begegnung mit Menschen, die anders denken und glauben und das auch zeigen - das war, jedenfalls für Christen in den ersten Jahrhunderten nicht die Ausnahme, sondern der Normalzustand. Noch fällt es vielen in Deutschland schwer zu akzeptieren, daß wir in den Minderheitenzustand geraten. Es ist auch für uns nach der endgültigen Rückkehr nicht leicht, die Entfremdung von kirchlichen Regeln und christlichen Werten, nicht nur in den neuen Bundesländern, in ihrem ganzen Ausmaß zur Kenntnis zu nehmen. Oft ist es schwer, für Täuflinge Paten zu finden. Bei Trauungen ist oft einer oder eine nicht mehr Mitglied der Kirche. Das Angebot eines Hausbesuches löst Befremden aus: Ist es schon so weit, daß ich sterben muß? Auch bewusste Gemeindeglieder werden immer unsicherer in den Grundfragen christlichen Glaubens und Lebens. Mission ist aktueller denn je, aber in welcher Form soll sie geschehen? Nirgendwo, weder in Afrika noch in Deutschland geht es heute ohne geduldiges Zuhören und echte Anteilnahme am Alltagsleben der Mitmenschen. Deshalb ist es auch wichtig, den Hauptsatz der Mission zu befolgen. Und der heißt für mich nicht mehr: Gehet hin in alle Welt...., sondern: Legt Rechenschaft ab von der Hoffnung, die in euch ist.

Ich stelle betroffen fest, dass das unter dem Kilimandscharo oft leichter war als hier hinter dem Elm. Dort warten Gemeindeglieder auf den Besuch ihrer PfarrerInnen, der Gottesdienstbesuch ist den meisten Christen wichtig. Hier ist das anders. Ich wundere mich nicht mehr, warum in Deutschland so viele Pfarrer müde, resigniert und depressiv wirken. Viele flüchten und weichen auf Nebentätigkeiten aus. Auf der anderen Seite erlebe ich große Ehrlichkeit und erstaunliche Lebendigkeit gerade bei denen, die Gelegenheit hatten, über den eigenen Tellerrand und Kirchturm hinauszuschauen, z.B. im Kreis der Beauftragten für Mission und Oekumene. Unsere Landeskirche braucht die oekumenischen und missionarischen Impulse mehr denn je. Und sie sind nicht zu übersehen, wenn man an die vielfältigen Partnerschaftsbeziehungen denkt oder an die Stiftung "Oekumenisches Lernen". Gott sei Dank geht es weiter: Was wir Alten sungen, das zwitschern viele Jungen!

 


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