Kirche von unten: Home - Archiv - Geschichte - Vorträge, Beiträge - Cyty - Glaube
 
[Kirche von unten]

Gott dem Herrn Dank sagen

Festschrift für Gerhard Heintze

Christel Kiel

Jesuiten und Deutsche Protestanten im 20. Jahrhundert

Als Sie, sehr verehrter Herr Alt-Landesbischof, mich 1976 in der Wicherngemeinde ordinierten, da war ich beeindruckt von dem guten Verhältnis, das Sie zu Ihren katholischen Kollegen aufgebaut hatten. Deshalb widme ich Ihnen nachfolgenden Artikel und hoffe, dass er Ihnen etwas Freude macht!

Als die Jesuiten und alle ihnen nahestehenden Organisationen während des Kulturkampfes 1872 verboten wurden, da sah man in dem damaligen, von einem protestantischen Kaiserhaus regierten Deutschland in den Jesuiten den Staatsfeind Nummer Eins. Noch 1913, als über eine Wiederzulassung des Ordens diskutiert wurde, gab es Hetzschriften gegen den Orden. Während des Ersten Weltkriegs wurde 1917 das Verbot des Ordens ohne große Beachtung durch die Öffentlichkeit wieder aufgehoben. 85 Jahre sind seit der Wiederzulassung vergangen. Wie werden Jesuiten und ihr Orden heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, von Protestanten in Deutschland wahrgenommen?

Wenn wir die protestantischen Veröffentlichungen betrachten, die im letzten Jahrhundert über die Jesuiten herausgegeben wurden, so steht an ihrem Beginn ein epochemachendes Ereignis: 1904 schrieb Heinrich Boehmer seine historisch kritische Darstellung des Jesuitenordens. Das Interesse an dieser ersten, sachlich nüchternen Darstellung war so groß, dass sie vor dem Ersten Weltkrieg noch ins Französische und Russische übersetzt wurde. 1905 folgte die Untersuchung von Karl Holl über die Ignatianischen Exerzitien. Es war die erste emotionslose Auseinandersetzung mit einem der grundlegenden Merkmale des Ordens. Beide Werke haben auch die Katholiken – und nicht zuletzt die Angehörigen des Jesuitenordens – dazu angeregt, die glorifizierenden Darstellungen der frühen Ordensmitglieder und des Gründers durch historisch kritische Untersuchungen zu ersetzen.

Mit dem Pamphlet der Ludendorffs: "Das Geheimnis der Jesuitenmacht und ihr Ende" folgte 1937 eine politisch motivierte Darstellung, die wieder in die Polemik des 19.Jahrhunderts zurückfiel und die Jesuiten als jüdisch unterwanderte Staatsfeinde brandmarkte.

Bis zum Beginn des Zweiten Vatikanums erschienen Einzelluntersuchungen, vor allem der Exerzitien und der in ihnen benutzten Methoden für geistliche Übungen, die H.Boehmers Versuch einer objektiven Würdigung aufnahmen, allerdings aus Mangel an persönlicher Erfahrung mit den Exerzitien ihnen nicht ganz gerecht werden konnten.

In der Zwischenzeit hatten politische und daraus resultierende gesellschaftliche Faktoren auf das Miteinander von Protestanten und Katholiken in Deutschland eingewirkt und das gegenseitige Verhältnis verbessert. Der Protestantismus hatte mit dem Kaiserreich auch seine politische Dominanz verloren. Die Verfolgungen unter dem Naziregime machten deutlich, dass die Kirchenmitglieder aller Konfessionen einer antikirchlichen Regierung verhältnismäßig machtlos gegenüber standen. Die Vertreibungen aus den Ostgebieten veränderten die konfessionellen Proporze vollständig. Katholiken und Protestanten mussten wohl oder übel versuchen, auf engem Raum miteinander zu leben und sich gegenseitig zu tolerieren. Dieser Prozess des Umdenkens wurde von protestantischer Seite aus weltweit durch die nach dem Zweiten Weltkrieg erstarkende oekumenische Bewegung gefördert.

Innerhalb der Katholischen Kirche vollzogen sich im 20. Jahrhundert entscheidende Veränderungen, die einer Annäherung von Protestanten und Katholiken zunehmend den Weg bahnten. Das Zweite Vatikanische Konzil schien von dem Alleinvertretungsanspruch der Katholischen Kirche abzurücken. In die Zeit nach dem Konzil, die von einem abwartenden Schweigen der Protestanten über den Jesuitenorden gekennzeichnet war, fiel eine Aussage über Jesuiten, die nicht rein wissenschaftlicher Natur ist, in ihrer Beiläufigkeit jedoch etwas über die Umschichtungen im Orden und das sich verändernde Bild von Protestanten über die Ordensmitglieder deutlich macht. Ernst Lange stellte 1971 bei einer Tagung von "Glauben und Kirchenverfassung" in Löwen fest, dass ihm manche Jesuiten in ihren Anschauungen und ihrem Engagement näher standen als gewisse Gruppierungen in der eigenen Kirche.

In der Gesellschaft Jesu wurde die Öffnung zu anderen Konfessionen und zur Welt mit Enthusiasmus begrüßt und vor allem unter General Petro Arrupe in ein Programm für Gerechtigkeit und Solidarität mit den Armen umgesetzt. Dieses radikale Engagement beunruhigte schon Papst Paul VI. Als General Arrupe 1981 schwer erkrankte und der von ihm designierte Nachfolger an seine Stelle treten sollte, griff Papst Johannes Paul II erstmalig in der Geschichte des Ordens in dessen innere Angelegenheiten ein und bestimmte einen anderen Stellvertreter, um die Jesuiten wieder deutlicher an die allgemeine katholische Richtung und das Papsttum zu binden.

Schwerer zu beurteilen als die geschichtliche Entwicklung ist die Frage, wie unter der Oberfläche dieser Annäherung sich die ursprünglich stark antijesuitischen Gefühle der Protestanten in Deutschland entwickelten? Geht man dieser Frage nach, stellt man erstaunt fest, dass bei denen, die vor oder während des Zweiten Weltkriegs geboren sind, gewisse Vorurteile über Mitglieder des Ordens angeboren scheinen: Jesuiten sind "verschlagen, hinterhältig und fanatisch. Sie können jede Wahrheit nach Belieben und zu ihren Gunsten verdrehen. Sie schrecken auch vor Verbrechen nicht zurück, wenn sie ihnen im Dienst der Kirche von Vorteil zu sein scheinen." Die Generation derer, die während oder nach dem Zweiten Vatikanum geboren ist, scheint diese Vorurteile nicht zu kennen und tritt den Mitgliedern des Ordens ganz unbefangen gegenüber. Ein Beispiel dafür sind protestantische Theologen, die mit Zustimmung ihrer Kirchenleitungen an der Jesuitenhochschule St.Georgen in Frankfurt studieren und dort auch promovieren.

Einen nicht unerheblichen Anteil an dieser Veränderung der Meinungen scheinen Jesuiten zu haben, die auch Protestanten bekannt und von ihnen geschätzt sind wie der im Dritten Reich getötete Albrecht Delp, der katholische Vorkämpfer und Verfechter der oekumenischen Annäherung Karl Rahner und der Paläontologe und kosmische Theologe Pierre Teilhard de Chardin.

Betrachten wir die Veröffentlichungen über Jesuiten, die nach dem Zweiten Vatikanum geschrieben wurden, so sind sie von großer Vorsicht und vor allem von dem Bemühen um Verständnis geprägt, in das sich keine Polemik hineinmischt. Ein hervorragender Vertreter dieser Richtung ist der Kieler Kirchengeschichtler und der beste lebende protestantische Ignatiuskenner Gottfried Maron. Carl Ratschow schrieb eine kurze, aber aufschlussreiche und faire Darstellung des Lebens von P. Teilhard de Chardin.

Darüber hinaus gibt es eine weitere Beobachtung: Ein Teil der protestantischen Christen nutzt, was eines der Spezifika des Jesuitenordens ist, nämlich die Exerzitien. In aller Stille, ohne dass es sich zunächst in Publikationen niederschlug, führten Karin Johne in der Sächsischen und Wolfgang Dietzfelbinger in der Bayerischen Landeskirche kirchliche MitarbeiterInnen an dieses Instrument zur geistlichen Erneuerung und Weiterentwicklung heran. Einzelne Jesuiten waren bis zur Jahrtausendwende immer wieder bereit, auch Nicht-Katholiken an diesem ihrem spirituellen Erbe teilhaben zu lassen und sie während der zehn Tage dauernden "Geistlichen Übungen" zu beraten.

Die Frage, die zu klären bleibt, nachdem sich eine Annäherung zwischen Jesuiten und einzelnen Kreisen im deutschen Protestantismus über die Exerzitien abzeichnet, ist, wie weit die Exerzitien mit den Grundprinzipien der Protestantismus, den Exclusivpartikeln z.B., zu vereinbaren sind und wo sie in Widerspruch zu ihnen stehen? Heike Radeck belegt mit ihrer Dissertation über den Stellenwert des Bibelwortes in den Exerzitien und im Bibliodrama, dass der Text im Bibliodrama ein Gegenüber bleibt, während er in den Exerzitien gewissermaßen in die Nachfolge hinein "verbraucht" wird. Die mangelnde Distanz der Meditationen in den Exerzitien zur "sola scriptura" schuf auf evangelischer Seite schon in früheren Zeiten Unbehagen. Sie wird von Claus Westermann in den Gebeten der Exerzitien und von Gottfried Maron in der unmittelbaren Beziehung des Exerzitanten zur Gestalt Christi bemerkt und als unbiblisch und damit unprotestantisch in Frage gestellt. Alle evangelischen Autoren des Buches: "Aufmerksame Wege" befassen sich mehr oder weniger ausführlich mit der Frage, wie weit die Exerzitien mit dem Protestantismus zu vereinbaren seien und kommen zu dem Ergebnis, dass sie durch die Teilnahme an den zehntägigen Exerzitien in ihrer protestantischen Identität gestärkt wurden und durch die Verlebendigung ihres Glaubens gerade die Schrift, protestantische Traditionen und deren dogmatische Loci wieder viel mehr zu schätzen und zu verstehen gelernt haben. Sie haben die Exerzitien als Gewinn für ihr geistliches Leben erfahren und wurden durch sie in ihrer protestantischen Identität gestärkt.

Auf protestantischer Seite besteht also am Ende des 20.Jahrhunderts ein erheblicher Widerspruch in der Beurteilung der Exerzitien, der etwas mit dem Unterschied von Theorie und Praxis zu tun haben könnte. Nach den Erfahrungen der TeilnehmerInnen an den zehntägigen Exerzitien schließen die existentielle Nähe zur Schrift und zu Jesus Christus die absolute Anerkennung und Autorität des Wortes Gottes nicht aus sondern ein.

Ziehen wir aus dem geschilderten geschichtlichen Überblick über 85 Jahre Geschichte des Miteinanders von Jesuiten und Protestanten im Deutschland des 20.Jahrhunderts ein Resumee, so kommen wir zu dem Ergebnis einer gegenseitigen Tolerierung und eines teilweisen aktiven Aufeinanderzugehens. Diese Annäherung vollzieht sich auf zwei Ebenen. Die eine ist die politische Geschichte, welche die beiden Konfessionen bunt durcheinander würfelte und dadurch zum Miteinander zwang. Die zweite Ebene ist die innere Entwicklung in den jeweiligen Kirchen: Im deutschen Protestantismus wurde - auch unter dem Einfluss der ökumenischen Bewegung - ein Fragen nach der Praxis des Glaubens und nach spirituellen Hilfen immer stärker. Die Jesuiten erlebten unter dem Schutz des Zweiten Vatikanums eine Phase der Zuwendung zur nicht-katholischen Welt und damit auch zum Protestantismus. Die weitere Entwicklung – vor allem unter einem neuen Papst - bleibt abzuwarten. Es ist aber nicht anzunehmen, dass es eine Rückkehr der Protestanten zu dem noch am Beginn des 20.Jahrhunderts bestehenden Feindbild von den Jesuiten jemals geben wird.

 

 


[Zurück] [Glaube]
Impressum und Datenschutzerklärung, http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/FS90Heintze/, Stand: 18. November 2002, dk