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[Kirche von unten]

Gott dem Herrn Dank sagen

Festschrift für Gerhard Heintze

Michael Künne

Verheißener Friede

Im Rahmen einer medial wahrgenommenen friedlosen Welt hat das Thema des verheißenen Friedens Dauerkonjunktur. Sowohl vom Alltagsbewußtsein wie von den Richtlinien der verschiedenen Schulformen und Schulstufen her gehört das Thema Frieden in den Religionsunterricht beider Konfessionen. Verlorenes Paradies und der damit erinnerte verheißene Frieden haben auch in den Medien ihre Spuren hinterlassen. Und das auf unterschiedlichste Art.

Der Spielfilm, besonders bestimmte Arten des Kastastrophenfilms, bieten ein breites Spektrum dieser Thematik, ebenso ein großer Teil der Actionfilme. Ausgangspunkt ist häufig jeweils die heile Welt der mehr oder minder großen Kleinstadt und die traute Familienidylle einer mehr oder minder gut kleinbürgerlichen Gesellschaft. Inmitten des Friedens, der sich in der Regel als nur scheinbarer Frieden herausstellt, geschieht es dann: einer oder mehrere Morde - eine rassistische Verfolgung - ein unerhörter Diebstahl - eine Kindesentführung - ein Ehebruch - eine Verschwörung - ein Massaker - eventuell die Begegnung mit Außerirdischen - ein chemisches oder biologisches Unglück - der Ausbruch eines Krieges - oder auch nur die Eheschließung in der falschen sozialen Schicht - kurz: das Unglück tritt ein, das Unglück, das den paradiesischen Frieden durchbricht und den Zuschauer in die Spannung, formal gesehen, hineinnimmt oder die ihn inhaltlich ins vorübergehende Leid führt, um dann am Ende zumindest das positive Ausgehen der Geschichte ahnen zu lassen. Wenn es nicht gar zum berühmten Happy-End führt, von dem der Betrachter natürlich ahnt, daß es ein solches wahrscheinlich gerade nicht ist, "denn beim Happy End wird", wie Tucholsky schon bemerkte, "jewöhnlich abjeblendt".

Dieses Muster erzeugt Wahrnehmungen, die dazu führen, daß wir, den Mittelteil eines solchen Filmes betrachtend oder erlebend, sagen können, erfüllt von Spannung und Engagement: "So ist das Leben"! Hinter uns das konstruierte Paradies der Kindheit oder Jugend, auf das wehmütig zurückgeblickt wird, und vor uns der erhoffte bessere Zustand unseres Selbst und der Welt. Beschäftigt man sich unter medialen Aspekten mit diesem Thema, dann erhält der angesprochene Rückblick den vom Markt und von den Medien geforderten typologischen Charakter: Geschichten, Bilder und Szenen der guten alten Zeit werden heraufbeschworen und da die Wirklichkeit dieses Gut doch nicht bereit stellt, außer in den Medien, so sucht man für Zwecke des Unterrichts den Weg in eben diese, in die Kunstgeschichte und in die künstlerische Darstellung von Mythen, die eben das Paradies und seine wenigstens imaginäre, wenn nicht gar reale Existenz, zu verbürgen scheinen. Blickt man auf bessere Zukunft, so ist sie schwer vorstellbar, besteht sie doch aus der Hochrechnung bestimmter Strömungen der Gegenwart, und hier zeigt sich die Welt sehr häufig wohl als Hölle. Positiv wird das Bild erst dort, wo wir die Mythen oder die mythischen Bilder der Vergangenheit entnehmen und in den Horizont der Zukunft, gleichsam als noch uneingelöstes Versprechen, stellen: N E U E S Jerusalem ,
E W I G E R Friede, etc.

Auf die Planung von Unterricht und damit auf die Mediensuche angewendet heißt das: Wollen wir vom erhofften und damit zugleich vom verlorenen Paradies reden, dann gibt es nur den Griff in die Tradition, in die Geschichte der Mythen und Bilder, also hin zu Dias aller Art. Und das bedeutet: wir arbeiten religionspädagogisch gesehen von der Konzeption einer Theologie der Kultur her im Rahmen eines problemorientierten Unterrichts.

Dias und Bilder aus der Kunst kennen wir zur Genüge. Eines der mächtigsten Bilder zur Friedensthematik, biblisch inspiriert, ist das vom Garten Eden, das unbiblisch zum schlichten Garten wird, der dann, säkular betrachtet, eine durchaus eigene Logik entwickelt. Der Garten selbst wird dann zu Heilsinstanz, indem er auf Natur verweist, die ihrerseits wegen fehlender Letztbegründungsmöglichkeiten das Heil zu garantieren scheint. Die Ökoszene lebt davon. Heile Natur garantiert heile Zukunft und damit dann auch Frieden.So wie der biblische Garten Eden, das Paradies, einst Kunst und Literatur befügelte, so zeigt das Medium Film die Hoffnung auf Gesundung durch den wieder geheilten und dann auch heilenden Topos des Gartens. Da die anfangs angesprochenen Katastrophen- und Actionfilme für den unterrichtlichen Gebrauch zu lang und damit wohl auch zu komplex sind, soll hier nur auf einige Kurzfilme verwiesen werden, an denen sich vor der Folie biblischer Tradition das Verhältnis vom verlorenen Paradies und vom verheißenen Frieden gut thematisieren läßt. Dabei soll es bei knappen Inhaltsangaben bleiben, denn die methodisch-didaktischen Überlegungen gehören vor allem in den unmittelbaren schulischen Kontext und in den Themenzusammenhang, den es im Ganzen jeweils zu bearbeiten gilt.

Wichtige und inzwischen kaum überbotene Kurzfilme der letzten zehn Jahre sind: "MisterTao", "Drop", "Adam", "Balance" und "Der Kreis".

Mister Tao

Zeichentrickfilm, 3 Min., 1989

Fragen nach der Art und Weise und nach dem Ziel menschlicher Existenz werden in eine einfache Story gekleidet: Ein Mensch klettert einen Berg hinauf. Oben angekommen, setzt er nach einem Picknick seinen Weg ins Weltall fort. Die Begegnung mit der klischeehaft dargestellten Gestalt des "lieben Gottes" läßt ihn zwar innehalten, ist jedoch nicht sein Ziel. Er schreitet weiter ins Universum fort.

Drop

Animationsfilm, 3 Min., 1993

Ein Mann läßt sich anfänglich durch Probleme in seiner nächsten Umgebung zum Handeln bewegen. Zusehends aber wird er unwirscher, wenn er in seiner Feierabendruhe gestört wird, und ist nicht mehr bereit einzugreifen. Erst als sich eine globale Katastrophe abzeichnet, siegt die Einsicht der Verantwortung des einzelnen für seinen kleinen Bereich. Aber hat der Mensch alle Krisensituationen alleine im Griff?

Der Kreis

Trickfilm, 3 Min., 1988/89

Animationsfilm in Kollagetechnik über Sinn und Unsinn von Produktion und Konsum. Die eifrig produzierende Fabrik am Ort hat die Umwelt soweit verschmutzt, daß Menschen und Tiere Schutzmasken tragen müssen. Mit der letzten Filmszene schließt sich der Kreis: Die Fabrik produziert Schutzmasken.

Adam

Trickfilm, 6 Min., 1991

Die Welt ist eine Kugel, und der erste Mensch heißt Adam. Da steht er nun und droht herunterzufallen. Der Schöpfer haut ihn einfach ein bißchen fester in den Boden. Auch die weiteren Erfahrungen des jungen Erdenbürgers sind überwiegend schmerzlich: Versuch und Irrtum zeichnen Adams einsamen Weg, doch dann, als er schon vieles kann, winkt die Aussicht auf bessere Zeiten. Eva...? Eine witzige und humorvolle Darstellung der Menschwerdung in Anlehnung an die biblische Genesis.

Balance

Puppentrickfilm, 8 Min., 1990

Fünf Figuren auf einer schwebenden Plattform. Jede von ihnen weiß: Nur wenn sich alle gleichmäßig verteilen, bleibt das Gleichgewicht gewahrt. Es beginnt ein Spiel, bei dem mit jedem Schritt die Balance mehr in Gefahr gerät. Bis eine Kiste auftaucht und die fatale Abhängigkeit der Personen offensichtlich wird.

Soll jedoch die Gegenüberstellung vom verlorenen Paradies und von zu gewinnender Zukunft nicht an der Oberfläche bleiben, dann muß tiefer gegraben werden und im unterrichtlichen Kontext biblische Tradition und säkulares Derivat als sein Ergebnis und als Konsequenz betrachtet werden.

Die Säkularisierung der Paradiesvorstellung und die entsprechende Planung heilsorientierter Zukunft läßt sich dabei vor allem vor dem Hintergrund einer die wissenschaftliche Welt beherrschenden Ratio am besten am Beispiel der französischen Revolution zeigen. Die dort zu beobachtende Ablehnung christlicher Tradition bei gleichzeitiger Neuschöpfung einer Religion der Vernunft trieb ihre eigenen Blüten. Wenn auch in extenso nur für kurze Zeit, so doch immerhin mit Langzeitfolgen. Bis in die Geggenwart herrscht, wenn auch häufig unausgesprochen, der "Kult der Vernunft", der anderes ist als wissenschaftlicher Gebrauch der Ratio. Kult der Vernunft bedeutete im Umfeld der französischen Revolution vor allem eine Wertschätzung, wenn eben nicht gar einen Kult der Natur, einer Natur,der die Regeln der Vernunft als eingeschrieben galten.

Natur, Vernunft und Ethik fielen gleichsam in eins und irrlichtern noch gegenwärtig durch den nun wohl auch so zu nennenden Kult der Ganzheitlichkeit. Deswegen kann es wichtig sein, ideologiekritisch Wege und Irrwege der Tradition unter der Thematik des verheißenen Friedens bewußt zu machen.

Wo die Zustände es halbwegs zulassen, da wird vom verlorenen Paradies und vom verheißenen Frieden in jeder Gesellschaft gedacht, geredet, gesungen, da werden Bilder gemacht und Bücher geschrieben, da dominiert dieses Thema mit den entsprechenden Rückwirkungen und Traditionsbildungen jedoch gleichsam virtuell. Ganz anders gestaltet sich dieses Sehnen in gesellschaftlichen Umbruchsituationen, die von totalitärer Radikalität sind, z. B. in Revolutionen, und zwar dann, wenn ihr radikaler Bruch mit der Vergangenheit so tief ist, daß er die Geschichte gleichsam zu vernichten scheint und ein quasi eschatologisches Zeitbewußtsein freisetzt: Das Bewußtsein, in einer Zeit zu leben, in der alles als möglich erscheint, in der die Gesellschaft von Grund auf als ideales Gemeinwesen neu konstituiert und gestaltet werden kann. Solche Umbruchsprozesse wurden in der französischen Revolution deutlich, in der russischen Oktoberrevolution realisiert, und in großen Teilen auch in der nationalsozialistischen Machtergreifung beobachtbar. Während die französische Revolution versucht, vor allem die Natur zu inthronisieren und zwar als Grundkategorie eines neuen Existensverständnissses, dominiert in der russischen Revolution die "Reinthronisierung" der klassenlosen Gesellschaft als eines Musters nahezu paradiesischer Zustände. Das Dritte Reich wiederum will die Negativa der Gegenwart letztendlich durch Weltbeherrschung und durch eine neue, allerdings an der Vergangenheit orientierte, aber modifizierte menschliche Rasse erreichen. Hier wird durch Kampf und Züchtung der "neue Mensch" geschaffen und propagiert. Die Funktion neuer, an der Vergangenheit orientierter Leitbilder einschließlich ihrer jeweiligen Folgen, lassen sich hier zur Genüge medial belegen. Aus der Fülle der Möglichkeiten will ich, weil die Konsequenzen für schulisches Leben und die gegenwärtige Ideologie von "Natur" am deutlichsten zu belegen sind, ein Element herausgreifen, in dessen Kontext wir eben auch schulisch noch immer leben und wo die entsprechenden Rückgriffe auf christlich-jüdische Tradition auch noch sichtbar werden. Das sind die Elemente des Gartens, des heiligen Baumes, der zu diesem Garten gehört, und des heiligen Berges. Der Garten ist dabei das jeweils Umfassende. Dabei geht es hier um eine Erhellung der Sache, weniger um methodische Schritte der konkreten Unterrichtsplanung.

Die Utopie der französischen Revolution war das "natürliche Gemeinwesen", beruhend auf den naturrechtlich begründeten Menschenrechten in der Trias von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Das Individuum sollte keinem anderen Herren dienen und niemanden über sich dulden als die Natur allein. Das Individuum sollte nur noch der Stimme Gottes und seines Gewissens folgen, beides vermittelt durch ein unmittelbares Verhältnis zur Natur. Dabei wird die Natur nicht als historische Größe verstanden, sondern sie ist Ausdruck und Inbegriff eines von Gott geschaffenen, rational geordneten Ganzen, in dem der Mensch seinen Platz findet und an dessen Gesetze er gebunden bleibt. Insofern ist die Revolution antiklerikal, aber nicht antitheistisch. Diese Utopie enthält den Mythos der guten objektiven Natur (siehe Bild 1 Bilderseite), die zwar wieder hergestellt werden muß, aber aus der schönen und geordneten Natur spricht das "höchste Wesen" und nimmt damit den Menschen die Aufgabe ab, selbst eine Ordnung hervorzubringen. Folglich entwirft die Revolution Ideen, Vorstellungen und Bilder, um diese Natur zur Wirkung kommen zu lassen. Ein Programm sind die Entwürfe ihrer Gärten: Die Revolution entwirft landwirtschaftliche Nutzgärten (die in der Folge bis hin zur Kleingartenkolonie führen), sie entwirft botanische und naturkundliche Gärten (die schon damals den Sinn des Erwerbes von naturkundlichem Wissen hatten und deren letzte Konsequenz der Schulgarten ist), sie entwirft also pädagogische Gärten, die über den Sachkundeaspekt hinaus vor allem der Erziehung zur Tugend dienen. Im Rahmen der Konzeption der französischen Gärten in der Revolutionszeit werden diese selbst zu Kult- und Gedenkgärten, zu Erholungsparks und selbst zu Friedhofsgärten die dann als Gärten der unterschiedlichsten Lebensalter konzipiert werden. Bestimmte Bäume in diesen Gärten wurden mit den unterschiedlichen Lebensaltern identifiziert oder schienen geeignet, moralische oder politische Ideen zu veranschaulichen. Ein wesentliches Element in diesem gedanklichen Gebäude und der damit verwirklichten Praxis ist der Freiheitsbaum oder besser gesagt, die Eiche als Freiheitsbaum. Ihr knorriges Wachstum und ihr unbeugsamer Freiheitswille schienen sie dafür zu prädestinieren. Ebenso wie die Eiche gilt die Pappel, auf Grund ihrer Makellosigkeit und angenommenen Unschuld, als möglicher Freiheitsbaum. (siehe Bild 2 Bilderseite).

Es sind vor allem die Ideen Rousseaus und Bernadin St. Pierres, die uns die Natur so zeigen, daß sie uns zum Inbild natürlicher Moral wird. Der Garten wird deshalb zum Medium allgemeiner natürlicher Sozialisation und Erziehung. Deswegen gehört auch die Schule auf Grund der Bedeutung dieser Gärten in eine gartenähnliche ideale Naturlandschaft, denn Natur bietet nach St. Pierre die Gewähr für reine Sitten gegenüber der "Sittenlosigkeit" der Städte. So wird die Natur zum Kultgegenstand, der die Aufgabe des Diskurses ersetzt, denn von ihr, der Natur wird die Lösung des Widerspruchs und der Gegensätze erwartet, die die Revolution freisetzte, und die in Bürgerkrieg und Terror ihren deutlichen Ausdruck fanden. Der Garten wird so zum Zielgebiet einer unerhörten Sehnsucht nach Harmonie aus unmittelbaren Bedrohungen heraus. Und er findet seinen Ausdruck in Gartenkonzeptionen, vor allem eben im kultischen Aspekt des Revolutionsgartens, der auf die Sicherung der neu errungenen Freiheit zielt: auf die zum Verständnis der Freiheit notwendige Bildung, auf die den Freien zustehende Erziehung, die der politischen Repräsentation dient und die nicht zuletzt dem ganzen Lande von Nutzen sein soll. Dieser Revolutionsgarten umschließt nun einige besonders wichtige Punkte und diese Punkte bestehen idealiter im Heiligen Baum, dem Freiheitsbaum auf dem Heiligen Berg, in dem sich häufig die Quelle der Wiedergeburt oder ein Brunnen der Wiedergeburt findet und der jeweils Ort der Anbetung ist. Die Bedeutung dieser Topoi wird ebenso wie ihre Funktion am leichtesten verständlich und deutlich in den Schilderungen der Zeitgenossen die hier als Belegbilder nur beigefügt werden. Ein unterrichtlicher Einsatz sollte diese einzelnen Elemente berücksichtigen an je der Stelle, an der sie sinnvoll erscheinen. Ein eigenes und spezielles für den Gartenbaubereich vorgestelltes Konzept wird hier nicht erörtert.

Der Freiheitsbaum

Wichtigster Kultgegenstand der Revolution war der Freiheitsbaum. Vor ihm fanden die meisten Feste und Zeremonien statt. Mit seiner Aufstellung wird der Boden der Freiheit geweiht. Der Freiheitsbaum breitete sich ab 11790/91 rasch über ganz Frankreich aus, er beherrschte während der Revolutionszeit den offenen Kultraum. In ihm verbindet sich die Symbolik der Erneuerung, die der traditionelle Maibaum trug, mit der der Freiheit. Zeichen einer Erhebung zur Freiheit und Gleichheit, ist der Baum zugleich Symbol einer Erneuerung, die aus der Kraft natürlichen Wachstums kommt; aufrecht stehend und fest in der Erde verankert, drückt er das Revolutionsverständnis von 1789 aus: Verwandlung der Gesellschaft, Ende der Gewalt, stetiges Wachstum der Freiheit (und des Eigentums), eingebunden in die zyklische Zeit der Natur.

Der Freiheitsbaum wird sogleich zu einem besonders verehrten Zeichen der Revolution: Er gilt als sakrosankt, ein Anschlag auf den Baum wird als Frevel betrachtet, als Anschlag auf die Revolution und die Republik selbst, auf den Willen und die Kraft zur Erneuerung und zum natürlichen Wachstum. Eine ganze Gesetzgebungsgeschichte rankt sich um ihn. Im September 1791 werden bereits in einem Gesetz Strafen für Beschädigungen geregelt, im Januar 1794 wird dekretiert, daß jeder eingegangene oder beschädigte Baum neu zu pflanzen sei. Die Strafen werden im Lauf der Jahre verschärft, 1798 schließlich wird die Beschädigung eines Freiheitsbaumes mit bis zu vier Jahren Freiheitsstrafe belegt. Häufig war der Freiheitsbaum Gegenstand "konterrevolutionärer" Anschläge, und gelegentlich mußte man ihn durch ein Gitter schützen, wie im April 1799 in Rueil im Departement Seine-et-Oise: "Um ihn gegen jeden frevelhaften Anschlag zu sichern, haben sie ihn mit einem Zaun umgeben; sie haben um den Baumstamm eine Art Trennwand errichtet und sie mit Pfählen und Eisendraht gesichert." Ein Schrei der Entrüstung und des Schmerzes ging durch die Festgemeinde, als bei der Neupflanzung noch einmal das Schicksal, das der alte Freiheitsbaum erleiden mußte, in Erinnerung gerufen wurde.

Bisweilen fiel die Ahndung eines Anschlages auf den Freiheitsbaum furchtbar aus: In Bresles wurde in der Nacht vom 20. zum 21. Pluviôse II (31. Januar/1. Februar 1794) ein Freiheitsbaum abgesägt; nachdem man der Schuldigen habhaft geworden war, wurden sie drei Wochen später guillotiniert. An der Stelle, wo der Frevel begangen worden war, brachte man unmittelbar nach Aufdeckung der Tat folgenden Anschlag an: "Am 21. Pluviôse hat hier eine schändliche und verbrecherische Hand den heiligen Baum der Freiheit abgeschlagen. Die guten Republikaner sollen durch dieses Attentat lernen, stets darüber zu wachen, daß die Feinde des Volkes niemals mehr seine Souveränität angreifen können. Sobald die Schuldigen bestraft sind, wird der Baum der Einheit und Freiheit neu gepflanzt, der von nun an gewiß von wahren Republikanern erhalten wird. Er wird ihnen den Schatten seines Laubwerks spenden, und zu seinen Füßen werden sie lernen, die Gesetze der Natur und der Republik zu lieben und zu befolgen ..."

Der Freiheitsbaum war also eine politische Umformung des traditionellen Maibaums. Im Mai 1792 wurden in Frankreich, wie Grégoire schreibt, rund 60 000 solcher transformierten, jetzt der Freiheit gewidmeten Bäume in Dörfern und Gemeinden aufgerichtet. Weil man möglichst große Bäume haben wollte, wurden sie oft gefällt - wie dies bei den Maibäumen üblich gewesen war - oder mit der Wurzel ausgehoben und auf einem Platz aufgestellt. Viele Bäume wurden so zerstört oder gingen wieder ein. Ein wichtiger Unterschied zwischen Mai- und Freiheitsbaum war, daß der Freiheitsbaum auf Dauer an seinem Ort stehen und daher Wurzeln schlagen sollte, der Maibaum hingegen wurde nur für eine bestimmte Zeit benötigt. Die revolutionären Verwaltungen achteten deshalb bald streng auf diesen Unterschied.

Bäume verbessern nicht nur die Luft, sondern bieten dem Menschen vielfältige Ressourcen - von ihren Früchten, die als Nahrungsmittel dienen, bis hin zu ihrem Holz, das als Baumaterial Verwendung findet. Sie liefern der Industrie Rohstoffe und nicht zuletzt das unentbehrliche Heizmaterial für das Überleben im Winter. Diese Ressourcen gilt es langfristig zu sichern. Grégoire verknüpft ökologische Gesichtspunkte mit solchen des ökonomischen Nutzens und der republikanischen Moral: Der Freiheitsbaum wäre Garantie für einen pfleglichen Umgang mit der Natur sowie für ihre stete Erneuerung und zugleich das überall gegenwärtige Symbol politischer Freiheit. Die Gemeinden sollen sich einzelnen Baumarten und Pflanzengattungen mit besonderer Liebe widmen, eine Art regionaler Patenschaft für sie übernehmen; jede Sektion einer Stadt solle einen Baum wählen und kultivieren, dessen Namen sie tragen würde, die Eiche gäbe dann den Freiheitsbaum für die ganze Stadt ab.

Grégoires Ideen werden von Hell weiterentwickelt, der den Baum des republikanischen Kultes gleichfalls als ein Mittel der Aufforstung betrachtet. In jeder Gemeinde soll es eine Place de la Liberté (Platz der Freiheit), eine Place de l'égalité (Platz der Gleichheit) und eine Place de la Fraternité (Platz der Brüderlichkeit) geben; auf jedem dieser Plätze soll jeweils ein der Freiheit, der Gleichheit und der Brüderlichkeit gewidmeter "heiliger Baum" stehen, eingefügt in kleine Haine. Weitere Plätze, so Hell, können mit anderen, republikanischen Prinzipien zugeordneten Bäumen und Hainen bepflanzt werden. Hell möchte zur Entwicklung der Forstwirtschaft eine möglichst vielfältige Baumkultur schaffen. So soll zwar die Eiche als Freiheitsbaum dienen, Bäume der Gleichheit können aber einheimische Bäume aller Arten sein, während die Bäume der Brüderlichkeit exotischer Herkunft sein sollen, um fremdländische Gewächse in Frankreich heimisch zu machen und zugleich die universelle Verbundenheit aller Völker zum Ausdruck zu bringen. Die Departements und Kommunen wurden zu diesem Zweck mit entsprechenden Pflanzen und Samen versorgt werden, ebenso mit Anleitungen zur Kultivierung sowie mit Instruktionen für Festzeremonien.

Diese "heiligen Bäume" können auch auf privatem Grund und Boden gepflanzt werden; aber nur Bürger, die "Beweise ihrer Aufrichtigkeit" gegeben haben, sollen dazu die Erlaubnis erhalten. Bürger und Gruppen mit antirepublikanischen Gesinnungen werden von der Teilnahme an den Sä- und Pflanzzeremonien ausgeschlossen sein. "Verteidiger des Vaterlands" bekommen von den Gemeinden einen besonderen Platz zugewiesen, auf dem sie eigene "heilige Bäume" aufziehen dürfen. Sind sie bei der Pflege der Bäume erfolgreich, dann sollen ihnen öffentliche Ehrungen und Auszeichnungen zuteil werden.

Als wahre Gärten der Revolution wurden die "heiligen Berge" gestaltet, mit denen die Republik des Jahres II ihre aufwendigsten und erstaunlichsten Kult- und Festplätze schuf. (siehe Bild 3 Bilderseite).

Oft beschränkte man sich darauf, einen künstlichen Berg vor dem Tempel der Vernunft oder des Höchsten Wesens zu errichten und darauf den Freiheitsbaum zu pflanzen; oft war der Berg aber auch das Zentrum eines reich gestalteten Gartens oder einer säkularisierten und damit völlig umgestalteten Kirche, die so ein neues, wesentlich anders geartetes Zentrum erhielt..

Beginnen wir mit einem der eindrucksvollsten Bilder: der Einweihung des Tempels der Vernunft am 20. Frimaire II (10. Dezember 1793) in Cognac. Der Innenraum der Kirche, so liest man im Festprotokoll, war in eine einzige Grünanlage verwandelt und bot ein "wahrhaft ländliches Bild". Der Boden war mit Rasen ausgelegt, in den Seitenkapellen hatten die Heiligen ihren Platz den Bäumen abgetreten: efeuumrankten Ulmen, Weißdornsträuchern und Eichen. Im Chor der Kirche war ein über 40 Fuß hoher Berg aufgeschüttet worden, gestaltet von einem Architekten, einem Gärtner und einem Uhrmacher aus Cognac.

Der Bericht enthält eine detaillierte Beschreibung dieses Monuments der Natur während einer Festzeremonie: "Auf dem Gipfel befand sich eine abgeschiedene Grotte, über der die Trikolore wehte. Auf ihrer Frontseite stand geschrieben: 'Dem Wesen aller Wesen'. (Bild 4 siehe Bilderseite) Gegenüber der Grotte erhob sich ein grasbewachsener kleiner Erdhügel, auf dem ein Becken mit glühenden Kohlen stand. Ein abschüssiger, von Büschen begleiteter Weg führte vom Hügel zur Grotte, die die Zeit wohl selbst in den Fels gehöhlt hatte. Teilweise war sie von Moos und Efeu überwachsen, Brombeersträucher und wilde Rosen verwehrten den Zugang; in der Umgebung wuchsen wohlriechende Pflanzen. Mehrere Bäume schienen an den jeweiligen Stellen gewachsen zu sein, die einen noch jung, die anderen alt und von Efeu umrankt, in einige hatte der Blitz eingeschlagen. An den verschlungenen Pfaden des Berges saßen Familienmütter im Moos und stillten ihre Kinder. Auf den Sträuchern in ihrer Umgebung war zu lesen: 'Natur, Mutterschaft'. An der Flanke des Berges entsprang eine Quelle, deren Wasser mehrere Kaskaden bildete und in den Brunnen der Wiedergeburt floß. Am Brunnen stand ein mit seiner Keule bewaffneter Herkules. Er stellte das französische Volk dar und hielt mit der Keule den Despotismus nieder, der aus den Höhlen im Unterbau des Berges ins Freie drängte. In den Pausen zwischen den Gesängen und Zeremonien rief er: 'Souveränes Volk, stoße die Throne um, stürze die Könige, vernichte die Tyrannen!' Zu den Füßen des Berges, auf herabgestürzten Felsbrocken, die auf dem Rasen verstreut lagen, machten einige kleine Sansculotten, die Freiheitsmütze auf dem Kopf, Feuer und verbrannten Weihrauch."

Während des Festes bestieg die Göttin der Vernunft den Berg und verkündete von dort den Anbruch einer neuen Ära - das goldene Zeitalter der Liebe und des universellen Friedens: "Sterbliche! In der Liebe füreinander, am häuslichen Herd, durch Sitte und Tugend und nicht durch Glaubensüberzeugungen, die die Vernunft beleidigen, werdet ihr dem Höchsten Wesen die Verehrung darbringen, die ihr ihm schuldet ... Die Tage des Aberglaubens, des Zaubers und der Vorurteile sind vorbei; das goldene Zeitalter, das bisher nur in den Köpfen einiger Philanthropen existierte, wird bald Wirklichkeit werden: die Stunde des Glücks ist angebrochen ... Bald werden sich alle Völker die Hände reichen; die Freiheit und der ewige Friede werden die Anstrengungen der tugendhaften Franzosen belohnen."Und so verwandelt sich das Bild vom biblischen Paradies, das als Geschenk und Erstlingsgabe Gottes in der weiteren Traditionsbildung das Grundbild auch zukünftigen verheißenen Friedens bildete in ein von Menschen mittels der eigenen Vernunft und Tatkraft zu schaffendes biologisches Utopia, dem dann mehr als Angeldcharakter eigen ist, nämlich: tatsächliche Gegenwart als fast vollendete oder jedenfalls zu erreichende Zukunft.

Einen kaum minder eindrucksvollen Anblick als die in freier Landschaft plazierten Heiligen Berge bot das Straßburger Münster bei seiner Weihe zum Tempel der Vernunft am 30. Brumaire II (20. November 1794). Auch hier ein Berg im Chor, reich geschmückt mit allegorischem und symbolischem Beiwerk, das die Anhänger und die Priester der alten Religion das Fürchten lehrte: "Auf dem Gipfel des Berges erhoben sich einander zugewandt die Statuen der Natur und der Freiheit. Zu ihren Seiten erblickte man zwei Genien, der eine Genius trat zerbrochene Zepter mit den Füßen in den Staub, der andere stellte ein Liktorenbündel, das als Zeichen für die 85 Departements von einem Band in den Farben der Trikolore zusammengehalten wurde, auf den Kopf des Fanatismus, der ausgestreckt zu seinen Füßen lag. Der Berg war aus schroffem Felsgestein".

Der Berg in der Kirche, sicher extreme Form und Höhepunkt revolutionärer Ästhetik, symbolisiert augenfällig den Einzug der Rationalität eines neuen, demokratisch legitimierten politischen Systems in die Stätte des einstigen Kultes, das heißt ins kulturelle Alltagsleben und ?bewußtsein, wenn auch nur für kurze Zeit.

Diese Rationalität - der "Kult der Vernunft" - scheint fest in der Erde verankert, und insofern bedeutet der Berg die ästhetische Umsetzung der revolutionären Naturrechtstheorie und die Gegenwart eines Kunstwerkes, das neu war, innovativ, bewußt gestaltet und von eigener zeitgenössischer Ästhetik geprägt ?Kunst in der Kirche. Kunst in einer Kirche, die nun nicht länger "Kirche" im christlichen Sinne sein konnte, aber eben doch ihre neuen "Gläubigen" hatte. In ihrer umgestalteten Form könnte man sie als frühestes Bild zwar nicht einer "autonomen Kunst" begreifen,- schließlich war sie an die neue Ideologie der Natur gebunden ? wohl aber zeigt dieses Bild: wo eine ihrer eigenen Ideologie bewußte Kunst, die nicht mehr dem Diktat der Theologie unterliegt, in die Kirche Einzug hält, da verändert sich der Schwerpunkt eines ehemals kirchlichen Raumes zumindest partiell bis zur Unkenntlichkeit.

Die daraus sich ergebenden Folgerungen und Vergleiche für das Verhältnis von autonomer Kunst und spezifischem Kirchbauverständnis liegen auf der Hand und lassen sich im Bereich der Sekundarstufe II auch unterrichtlich in verschiedener Weise fruchtbar machen.

So zeigt der Prozeß der französischen Revolution und ihrer Naturrechtstheorie ebenso wie ein ausschließlich an der Natur orientierter Vernunfts- und Friedensbegriff, daß ein verheißener Friede, der vom Verheißenden, von Gott, getrennt und gelöst gedacht wird, in sich selbst rotiert und das Utopische, das wesentlich zur christlichen Tradition gehört, völlig negiert.

Zugleich kann im unterrichtlichen Kontext der eingangs zitierten Filme deutlich werden, daß für die Gestaltung zukünftigen Friedens der Rückgriff auf ein vermeintliches Paradies der eigenen konstruierten Erinnerung von heiler Welt und Natur nicht hält, was er zu versprechen scheint. Zudem kann deutlich werden, wie der Rückgriff auf einen ungeprüften Naturbegriff, der fälschlicherweise mit der biblischen Vorstellung vom Paradies identifiziert wird, besonders dort gefährlich wird, wo er so dogmatisch-verheißende Formen wie in den wenigen Jahren der französischen Revolution annimmt.

Wirkliche Hoffnung kann sich nur dort entfalten, wo die Paradiesvorstellungen und ihre biblischen Traditionsformen in all ihrer messianischen Offenheit zum Tragen kommen und wo diese Vorstellungen nicht von dem Gott getrennt werden, der sie ins Spiel brachte, wo also der Blick frei bleibt auf die Gebrochenheit des Menschen, auf den, der Sünder und Gerechter zugleich ist.

 

 

Wesentliche Literatur zur Ästhetik der französischen Revolution:

H. C. und E. Harten/Die Versöhnung mit der Natur; Gärten, Freiheitsbäume, republ. Wälder, Heiliger Berge und Tugend der französischen Revolution, Hamburg 1989


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