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[Kirche von unten]

Gott dem Herrn Dank sagen

Festschrift für Gerhard Heintze

Klaus Meyer

"Die Quellen von Taizé"

"Tief im Menschen regt sich ein geheimes Verlangen. Viele, die in den gesichtslosen Ablauf von Arbeitsprogrammen eingespannt sind, sehnen sich unausgesprochen nach etwas Wesentlichem, nach innerem Leben." Frère Roger, Prior von Taizé

Eine Dorfkirche im Südharz. Gut besucht an diesem Abend. Die Gemeinde sitzt eng zusammen - in ihrer Mitte das Ikonenkreuz aus Taizé: ein dunkelhäutiger Christus, neben ihm Maria und Johannes. "Bleibet hier und wachet mit mir" - leise beginnt der Chor der Gemeinde zu singen. Nach und nach stimmen die Gottesdienstbesucher in der noch wenig beleuchteten Kirche ein. "Bleibet hier und wachet mit mir - wachet und betet" - wieder und wieder werden die Worte gesungen, mit denen Jesus in Gethsemane seine Jünger um Nähe und Trost bittet.

Zweimal im Jahr feierten wir in den Jahren 1997-99 in Wieda und Neuhof Gottesdienste, die geprägt waren von den Gesängen aus Taizé, von meditativen Texten, von Stille, Kerzen und dem gemeinsamen Gebet. Gottesdienste, die auch von der Beteiligung vieler lebten: ein Chor, um die Gemeinde im Gesang zu unterstützen, Instrumentalisten, Jugendliche und Erwachsene, die die Texte lesen. Manchmal haben wir unsere Gebetsanliegen auf Zettel geschrieben, zum Kreuz getragen und dann zur Fürbitte gelesen.

Szenenwechsel: Ein Raum in der Nachbarschaft der Technischen Universität in Braunschweig. Wieder das Ikonenkreuz aus Taizé - es steht inmitten von Tonsteinen in denen Kerzen brennen. Eine kleine Gruppe von Studentinnen und Studenten kommt hier einmal in der Woche zusammen. Marcin, ein Doktorand aus Polen, begleitet den Gesang der Gruppe auf seiner Gitarre: "Bóg jest miloscia" - wem der polnische Text nur schwer über die Zunge kommt, singt das Lied einfach in deutsch: "Gott ist die Liebe". So geht es sprachlich durcheinander - und bildet doch einen zumeist harmonischen Gesang. Auch bei den Lesungen geht es international zu. Bibeln in französisch, englisch, polnisch und manchmal auch chinesisch werden benutzt.

Ganz einfach ist der Gottesdienst aufgebaut - wer schon länger dabei ist, kann ohne Schwierigkeiten durch die Andacht führen, Lieder vorschlagen, zum Gebet, zur Stille und zum Friedensgruß einladen. 1999 hatten Studierende die schon ältere Tradition der Taizégebete in der Studierendengemeinde wieder aufleben lassen - und als nun im selben Jahr der neue Pfarrer in der esg seinen Dienst aufnahm, war Taizé für ihn wie ein Brückenschlag von der Dorfgemeinde im Südharz zur Studierendengemeinde in Braunschweig.

Das, was hier beschrieben wird, ist nichts Originelles - Taizégebete, Taizégruppen kann man in vielen Gemeinden antreffen. Denn das, was 1940 in dem kleinen Dorf Taizé in Burgund begann, ist schon längst zu einer Bewegung geworden, die mittlerweile alle Erdteile berührt hat. Und wer in den Sommermonaten zum Internationalen Jugendtreffen nach Taizé kommt, trifft dort Jugendliche aus allen europäischen Staaten aber auch noch weit darüber hinaus.

Was ist das Geheimnis von Taizé? Was zieht vor allem junge aber auch ältere Menschen immer wieder in dieses kleine Dorf in Burgund?

Zunächst ein Blick auf die Anfänge. Roger Schutz-Marsauche, gebürtiger Schweizer und reformierter Theologe, kam 1940 mit 25 Jahren nach Taizé. Das auf einem Hügel gelegene Dorf liegt nur wenige Kilometer entfernt von Cluny, einer Stadt, aus der heraus im 10. Jahrhundert die gleichnamige Reformbewegung des benediktinischen Mönchtums

ihren Ausgangspunkt genommen hatte.

Taizé wurde schon bald eine gute Adresse für Menschen, die Zuflucht suchten vor den Auswirkungen des Krieges. Unter den Flüchtlingen, die Roger Schutz gemeinsam mit seiner Schwester Geneviève aufnahm, waren Deserteure und Juden. Die Arbeit der Geschwister Schutz war gefährlich, blieb der deutschen Besatzung auch nicht vorborgen. Roger Schutz wurde selbst zum Flüchtling und konnte erst 1944 nach Taizé zurückkehren. Nun ging er daran seine Idee einer klösterlichen Gemeinschaft in die Praxis umzusetzen. Gemeinsames Leben, Ehelosigkeit, ökumenische Offenheit und Einfachheit des Lebens zählen zu den Prinzipien der Communauté de Taizé, zu der heute etwa 100 Brüder gehören. Einige von ihnen leben in Elendsgebieten in Asien, Afrika und Südamerika, teilen dort das Leben der Armen. Die Gemeinschaft, die keine Spenden annimmt, finanziert sich aus der Arbeit der Brüder. Prior der Communauté ist bis heute ihr Gründer Frère Roger. Es ist kaum verwunderlich dass sich um diesen charismatischen Mann im Laufe der erfolgreichen Geschichte der Bruderschaft ein bedenklicher Personenkult entwickelt hat.

Seit Ende der fünfziger Jahre waren zunehmend Jugendliche zu Gast in Taizé - sie kamen zunächst aus Westeuropa, später von allen Kontinenten und nach der Öffnung der Grenzen zunehmend auch aus Osteuropa. Heute nehmen an den wöchentlichen Jugendtreffen bis zu sechstausend Jugendliche teil. Eine enorme logistische Leistung ist von den Brüdern und weiteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu erbringen, um Woche für Woche eine solch große Zahl von Jugendlichen in Taizé willkommen heißen zu können. Ihr Tagesablauf ist geprägt von den Gebeten mit den Brüdern in der Kirche der Versöhnung, von Bibelarbeiten und Gesprächsrunden sowie der praktischen Arbeit irgendwo auf dem Klostergelände. Ein Zeltdorf und einfache Gruppenunterkünfte beherbergen die Besucher.

Bekannt gemacht haben Taizé die Gesänge, die zum Teil in und für die Gemeinschaft komponiert wurden, zum Teil aber auch aus den reichen liturgischen Traditionen ganz unterschiedlicher Kirchen zusammengetragen wurden. So finden sich im Liederheft von Taizé Lieder etwa von Johann Sebastian Bach und Michael Praetorius neben orthodoxen Hymnen und Gesängen aus der osteuropäischen katholischen Tradition. Auf Jacques Berthier, Joseph Gelineau sowie den Arzt Robert Giscard gehen viele der bekannten, eigens für die Communauté komponierten Lieder zurück. Diese Lieder mit ihren kurzen, zumeist mehrsprachigen Texten sind in den Gottesdiensten die Brücke zwischen den Brüdern und ihren Gästen. Alle Besucher des Gottesdienstes werden sehr schnell in die Liturgie hineingenommen, ohne dass es eine Rolle spielt, welcher Nationalität oder Tradition sie angehören. Durch die ständigen Wiederholungen der sehr einfach gehaltenen Verse entsteht die für Taizé typische meditative Stimmung.

Die täglichen Gebete am Morgen (verbunden mit einer Eucharistiefeier), am Mittag und am Abend werden neben den liturgischen Gesängen und einer Bibellesung in verschiedenen Sprachen vor allem durch die Stille geprägt. Eine Predigt gibt es nicht, was für das Zusammenwachsen einer so ganz unterschiedlich zusammengesetzten Gemeinde jedoch eher hilfreich ist.

Für Gespräche, für Auslegung bleibt während des Tages in den Arbeitsgruppen Zeit. Einige Brüder begleiten die Teilnehmer an den Jugendtreffen bei ihrem Nachdenken über das eigene Christsein. Die biblischen Quellen und ihre Auslegung spielen dabei eine wichtige Rolle. In Workshops kommen daneben auch immer wieder aktuelle politische Themen wie zum Beispiel die ungerechten und lebensfeindlichen Folgen der bestehenden Weltwirtschaftsordnung zur Sprache, weil für die Brüder Christsein und Weltverantwortung zusammen gehören. Dies liegt in den Wurzeln von Taizé begründet und erhält seine Glaubwürdigkeit nicht zuletzt von der Einfachheit und Schlichtheit des Lebens der Brüder und ihrer Gäste in Taizé.

Immer wieder während des einwöchigen Aufenthaltes in Taizé versuchen die Brüder den Blick ihrer Gäste nach vorn zu lenken: was können sie mitnehmen in ihre Heimatgemeinden, wie kann in lockerer Weise ein Netzwerk geknüpft werden, das gemeinsame Schritte auf dem "Pilgerweg des Vertauens" wagt ?

Es ist sicherlich eine Stärke von Taizé, dass sich mit relativ leichtem Aufwand in den Heimatgemeinden Taizégebete (auch ganz ohne professionellen Beistand) organisieren und durchführen lassen. Egal ob in einer international zusammengesetzten Gruppe von Studierenden oder einer eher traditionellen Dorfgemeinde - Taizégesänge, Stille und das Hören auf die biblische Botschaft können unter ganz unterschiedlichen Menschen ihre Kraft entwickeln.

Zusammenfassend lassen sich vielleicht folgende Gründe dafür finden, dass die Communauté de Taizé bis heute eine große Anziehungskraft und Ausstrahlung ausübt:

1. Die Gemeinschaft versteht es, Jugendliche (und Erwachsene) aus sämtlichen christlichen Kirchen zum Gebet zusammen zu bringen. Einflüsse aus allen großen christlichen Strömungen sind sicht- und spürbar. Diese Erfahrung ist bereichernd und entspricht den Hoffnungen, die viele auf eine ökumenische Annäherung der großen Kirchen setzen.

2. Die Internationalität der Jugendtreffen, das Zusammentreffen von Menschen aus ganz unterschiedlichen Kulturen, verschiedener Prägung und oftmals sehr verschiedenen Lebensumständen nährt die Hoffnungen auf Frieden und Versöhnung.

3. Die Eindrücklichkeit des spirituellen Erlebens in den Andachten mit Gesängen, Stille und Gebet, steht für Jugendliche oftmals in schmerzlichem Gegensatz zur Art und Weise, wie sie Gottesdienste in ihren Heimatgemeinden erleben. Die Schlichtheit der Form, die Internationalität, die Eindrücklichkeit der Gesänge sowie der sparsame Gebrauch des gesprochenen Wortes üben dabei eine starke Anziehungskraft aus.

4. Neben diesem spirituellen Erleben gehört es auch zu Taizé, für und in der Welt Verantwortung zu übernehmen. Die Glaubwürdigkeit eines einfachen und den Armen zugewandten Lebens ist für viele einfach überzeugend, auch wenn es sich im eigenen Leben vielleicht nur gebrochen umsetzen lässt.


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