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[Kirche von unten]

Gott dem Herrn Dank sagen

Festschrift für Gerhard Heintze

Jürgen Naumann

"Ecclesia und Synagoga - Christen und Juden"

eine Initiative in der ev.-luth. Landeskirche in Braunschweig

Verehrter, lieber Bruder Heintze,

zum herausragenden, Ihrem 90. Geburtstag, möchte auch ich Ihnen von Herzen gratulieren und Ihnen weiter Gottes Segen wünschen, meine Frau schließt sich diesem Wunsch gern an.

Wenn ich zurückdenke, fallen mir eine Reihe von Begegnungen mit Ihnen ein, an die ich mich gern erinnere: Ihre Besuche bei uns im Pfarrhaus in Bettmar und in Braunschweig, die gemeinsamen Fahrten mit Br. Block zu den polnischen Brüdern und in die altehrwürdigen, geschundenen Städte und nach Masuren (Gespräche auch in den Pausen, wenn der Fahrer wechselte oder ein Ersatzteil beschafft werden mußte), Ihre mit Jerzy Gryniakow gemeinsame Überzeugung, die Begegnungen mit gut durchdachten Beiträgen zu würzen, die wieder Grund unter die Füße der Brüder dort und hier für den gemeindlichen Alltag gaben. Wenn ich recht erinnere, haben Sie uns allen in diesem Zusammenhang Luthers Großen Katechismus sehr lebendig vor Augen gestellt!

Ob die mich seit einiger Zeit sehr bewegende Frage nach der Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden auch Ihnen naheliegt, weiß ich nicht. Diese Frage ist mir, vielleicht auch als Kind jener Zeit, das früh die Bilder des grausamen Verbrechens an den Juden zu sehen bekam, und der dann als Theologe immer deutlicher die Anteile christlicher Schriftauslegung und Theologie an der Ausgrenzung und Verurteilung der Juden wahrnahm, immer wichtiger geworden. Die leider oft geringe Sensibilität für diese Thematik bei älteren und jüngeren Kollegen ist mir auch nicht verborgen geblieben. So ist mir die damit verbundene Aufgabe zugefallen. Ich nehme sie nach Kräften wahr und vernehme Resonanz.

Ihnen herzlich verbunden Ihr Jürgen Naumann

 

"Ecclesia und Synagoga - Christen und Juden"

eine Initiative in der ev.-luth. Landeskirche in Braunschweig

1.) Am Anfang: die Ausstellung "Ecclesia und Synagoga", Braunschweig, Mai/Juni 2000

"Ecclesia und Synagoga", so der Titel einer Ausstellung, die der katholische Religionspädagoge Professor Herbert Jochum bereits vor einigen Jahren zusammengestellt hat. Auf diese Ausstellung aufmerksam geworden waren Direktor und Studieninspektor des Predigerseminars, Helmut Liersch und Jürgen Naumann. Sie kamen nach eingehender Erörterung beide zu der Überzeugung, diese Ausstellung als wichtigen Denkanstoß nach Braunschweig und - mit Zustimmung der Gemeinde - in die Kirche St. Ulrici-Brüdern zu holen. Von Anfang an war der Studienleitung deutlich, daß für den Erfolg eines solchen Projektes eine möglichst breite, interessierte Trägerschaft wichtig wäre, umso mehr, wenn zur Ausstellung noch ein einladendes Beiprogramm erstellt werden sollte. Einer Einladung zur Projektteilhabe folgten die Jüdische Gemeinde, die "Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit", die katholische Propstei, die Reformierte Gemeinde, Stadt- und Landeskirche, dazu Katholische und Evangelische Erwachsenenbildung, sowie beide Studierenden-Gemeinden. So bekam das Beiprogramm zur Ausstellung ein vielfältiges, interessantes Profil: Vorträge namhafter jüdischer und christlicher Professorinnen und Professoren, die sich um den Dialog von Christen und Juden bereits verdient gemacht hatten, eine jüdische Bibelexegese, Gespräch über die Bedeutung des jüdischen bzw. christlichen Festes, "Shawuot und Pfingsten", mit der Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde, eine Bildbetrachtung über Jan van Lievens "Isaaks Opferung" in kunsthistorischer und theologischer Sicht. Dazu eine Aufführung der "Chichester-Psalms" von L. Bernstein. Zur Mitarbeit bereit war auch die Jüdische Abteilung des Braunschweiger Landesmuseums mit deren Leiter und Mitarbeiter Dr. H. J. Derda und P. Former. Sie ergänzten die zentrale Ausstellung noch um Bildtafeln: "Jüdisches Leben in Braunschweig". Ein Vortrag zum gleichen Thema und ein "Historischer Stadtspaziergang" vertieften das Gezeigte. Modelle der Synagogen von Hornburg, Wolfenbüttel und Braunschweig waren der Beitrag des Lehrstuhls für Baugeschichte an der TU Braunschweig, Leitung Professor H. Thies (sie waren zugleich ein Hinweis auf die anstehende Ausstellung in der TU Braunschweig, gewidmet der - häufig nur virtuellen - Rekonstruktion von "Synagogen in ganz Deutschland").- Die "Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit" in Niedersachsen gab einen Überblick über die Arbeit in den 50 Jahren ihres Bestehens.

Im Mittelpunkt aber stand die Ausstellung "Ecclesia und Synagoga". Herbert Jochum hat Darstellungen der beiden allegorischen Frauengestalten "Ecclesia" und "Synagoga" unter dem Kreuz Jesu aus verschiedenen Jahrhunderten zusammengetragen. Er hat sie aus den Bereichen Architektur, Skulptur, Glasbildkunst, Buch- und Tafelmalerei ausgesucht. Auf den mehr als 50 großformatigen Fotos mit verbindenden Texttafeln wird die Entwicklung des Verhältnisses von Christen und Juden aus der Perspektive christlicher Theologie gezeigt. Diese wird anschaulich in Haltung, Kleidung, Gesten und Attributen der beiden Frauengestalten. Kein Zweifel, die herrschaftliche Frau im königlichen Gewand mit einer Krone, die das Blut des Gekreuzigten im Kelch auffängt und das Fähnlein des Auferstandenen mit rotem Kreuz auf weißem Grunde schwenkt, ist Ecclesia, die Christliche Kirche. Dagegen steht die Synagoga auf der anderen Seite halb abgewandt vom Gekreuzigten, oft mit einer Binde vor den Augen, so daß sie im Dunkeln tappt, den Kopf beschämt nach unten geneigt. Zersplittert ist der Schaft ihres Wimpels, und die beiden Tafeln mit den Geboten fallen ihr fast aus den Händen und zu Boden.

In diesen Darstellungen zeigt sich die Christliche Kirche als diejenige, die die Jüdische Synagoge in ihrer heilsgeschichtlichen Bedeutung abgelöst, als Gottes auserwähltes Volk beerbt hat. Sie ist Spenderin des Heils, jene hat ausgedient, ist nicht mehr von Bedeutung, denn sie hat sich von Jesus Christus abgewandt. Diese Aussage wird auf anderen Darstellungen aber noch überboten. Dort werden Haartracht und Farbe der Kleidung der "Synagoga" denen der damaligen Huren nachgestaltet und die Jüdische Synagoge so weiter in Verruf gebracht. Auf wieder anderen Darstellungen sitzt ihr sogar der Teufel im Nacken und reitet sie - die "Synagoga" wird den "Teufelsdienerinnen", den Hexen zugerechnet. Damit nicht genug, da ist eine andere Darstellung: aus den Enden des Kreuzes ragt - gleichsam ein von Gott geführtes - Schwert hervor, das der "Synagoga" die Krone vom Haupte stößt. Den traurigen Höhepunkt dieser Entwicklung bildet folgende Darstellung: "Synagoga" liegt hingestreckt im Sarg, "Ecclesia" hat den Fuß zusammen mit der Lanzenspitze der besiegten Feindin auf die Brust gesetzt, bereit, sie zu durchbohren und zu töten!

Nicht nur Ablösung, Beerbung, Substitution der Jüdischen Synagoge durch die Christliche Kirche wird so anschaulich gemacht, sondern mehr: Verunglimpfung, Ausgrenzung, Verächtlichmachung, sogar Tötungswünsche. All diese so vorgestellten Verhaltensweisen ließen sich natürlich nicht nur als theologische Bewertung verstehen, sondern wurden unter der Hand zum Urteil über die jüdischen Nachbarn und zum Rechtfertigungsgrund für Pogrome gegen sie. Viele der ca. 1600 Braunschweiger, darunter viele Schülerinnen und Schüler, die die Ausstellung besuchten und der ca. 700 Interessierten, die zu den begleitenden Veranstaltungen gekommen waren, zeigten sich tief erschrocken, in welcher Weise und wie sehr die Christliche Kirche hier die Einstellung zu Juden negativ geprägt hat. Solches Verhalten sei doch mit dem Selbstverständnis einer Christlichen Kirche absolut unvereinbar!

Wenige der gezeigten Darstellungen betonen einen anderen Zusammenhang. Die zwölf Apostel werden gezeigt auf den Schultern der zwölf Propheten aus der Hebräischen Bibel. Der Betrachter versteht: die christlichen Apostel bauen gleichsam auf dem von den Propheten bereits bezeugten Glauben auf, sie führen ihn fort, Erster und Zweiter Bund gehören zueinander!

2.) Anläßlich der Ausstellung:

Vorträge, Begegnungen und Denkanstöße zum Dialog zwischen Christen und Juden

"Der Antijudaismus in der Kirche und seine Überwindung", zu diesem Thema sprach Professor Dr. Ludwig Ehrlich, Basel, anläßlich der Eröffnung der Ausstellung am 14. Mai 2000. Nach dem Aufweis geschichtlicher Zusammenhänge, war ihm wichtig: "Nachdem als Folge der Schoa eine tiefgreifende Neubesinnung in (christlicher) Theologie und Liturgie dokumentiert ist, stehen die Multiplikatoren der Verkündigung vor der schwierigen Aufgabe, dieses Umdenken so umzusetzen, daß daraus ein neues Bewußtsein und neues Handeln erwächst als Grundlage für eine partnerschaftliche Weggemeinschaft von Juden und Christen auf das gemeinsame Ziel hin". (L. Ehrlich war Mitglied der EKD-Studienkommission für den Dialog zwischen Christen und Juden, verließ diese jedoch als sich bei der Erarbeitung der 3. Studie abzeichnete, daß die Kommissionsmehrheit für eine, wenn auch an Bedingungen geknüpfte "Judenmission" stimmen würde.) Er selbst beschrieb einen partnerschaftlichen Umgang zwischen Christen und Juden in zehn Punkten, deren erster lautet: "..dass das Judentum (sc. von den Christen) als eigenständige, durch die Jahrhunderte bis in die Gegenwart lebendige und vom Christentum unabhängige Religionsgemeinschaft in Theorie und Praxis anerkannt und geachtet wird". Dieser Schritt erscheint auch mir für einen echten Dialog unerläßlich; so wird die Erfüllung dieses Punktes zum Prüfstein für die Lauterkeit des Wunsches nach Dialog. Christliche Theologie und Kirche wird sich fragen müssen, ob sie die Mission an Juden aufzugeben bereit ist, wie z. B. die Kirche von Berlin-Brandenburg, oder ob sie diese für unabdingbar hält, was einem wahren Dialog unmöglich machen dürfte.

Der didaktischen Auswertung dessen, was die Ausstellung so anschaulich vermittelt, widmete Professor H. Jochum seine Einführung und führte dieses Thema auch in einem vom ARP veranstalteten "workshop" für Lehrer aller Schularten weiter.

Jüdische Schriftauslegung mit Bea Wyler, Rabbiner für die Jüdischen Gemeinden in Braunschweig und Oldenburg, dazu hatte die Evangelische gemeinsam mit der Katholischen Studierenden-Gemeinde eingeladen. Spannend war es, mitzuerleben, wie solch eine Auslegung vor sich geht über eine intensive Befragung der eigenen Auslegungstradition. Juden haben bekanntlich eine sehr hohe Achtung vor dem Schrift gewordenen Wort Gottes, es darf in keiner Weise angetastet bzw. in seiner Entstehung geschichtlich hinterfragt werden. Aber durch die Befragung der Tradition mit ihren durchaus unterschiedlichen Auslegungen ergibt sich der für das heutige Verständnis einer Perikope notwendige Entscheidungsraum.

Professor Dr. Eva Engel-Holland, im Ruhestand noch aktiv, forschend an der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel, ausgewiesene Kennerin und Mitherausgeberin der Werke von Moses Mendelssohn, hatte sich zum Thema gewählt "Der Brief an den Erbprinzen zu Braunschweig - Mendelssohns Antwort auf Lavaters Herausforderung". Was auf den ersten Blick als sehr spezielles wissenschaftliches Thema erscheint, entpuppte sich als hautnahes Thema, indem Moses Mendelssohn seine veritablen Gründe für die Nichtaufgabe seiner Jüdischen Religion darlegt. Dies aber hatte ihm, unter Berufung auf Lavater, der Erbprinz zu Braunschweig in einem Brief nahegelegt, die Übernahme des christlichen Glaubens. Moses Mendelssohn argumentiert hier persönlich und zugleich mit Gründen der Vernunft; seine Argumentation wirkt glaubwürdig wie überzeugend!

Nicht alle der insgesamt 16 Veranstaltungen im Beiprogramm zur Ausstellung können hier zur Sprache kommen, ich muß auswählen. "Wer sind wir als Kirche Jesu Christi im Angesicht Israels. Revisionen im christlichen Selbstverständnis gegenüber den Juden?" Professor Dr. Klaus Wengst, Bochum, ließ schon in der Themenformulierung seine Zielrichtung anklingen. Er setzte sich insbesondere mit der Frage auseinander, ob jede Christologie apriori antijudaistisch sein müsse. Dabei sah er hinreichend biblische, insbesondere neutestamentliche Anknüpfungspunkte dafür, Jesus Christus zentral als Zeugen und Verkünder des Lobes und der Ehre des Allerhöchsten, des Gottes Israels und zugleich seines himmlischen Vaters zu sehen, der so auch seine Jüngerinnen und Jünger gelehrt habe. Eine so verstandene Christologie sei nicht antijudaistisch, könne stattdessen eine Brückenfunktion im Verhältnis Christen und Juden erfüllen. Zugleich ließe sie Raum, Jesus Christus als den zu verstehen, in dem Gott zu Wort kam.

"Juden in Braunschweig zwischen Bürgertum und Nationalsozialisten", mit diesem Vortrag steuerte Prof. Dr. Ernst-August Roloff wichtiges Braunschweiger Lokalkolorit bei. Hatte er doch die Zeit des beginnenden "Dritten Reiches" als Heranwachsender in Braunschweig miterlebt und, wie eindrücklich deutlich wurde, noch sehr gut im Gedächtnis. Deutlich war einmal mehr, wie sehr sich auch die in Braunschweig lebenden Juden assimiliert und somit als Deutsche gefühlt hatten. Sie hatten z. B. im 1. Weltkrieg tapfer mitgekämpft und hatten erwartet, daß diese Tatsache auch anerkannt und ins Gewicht fallen würde. Viele hätten daher die existenzielle Bedrohung durch die Nationalsozialisten erst zu spät erkannt und ihr so nicht mehr entrinnen können, falls sie überhaupt die Kontakte und materiellen Voraussetzungen hierfür gehabt hätten. Den wachen und skeptischen unter ihnen sei dies jedoch bald bewußt geworden, und ihnen sei noch rechtzeitig ihre Flucht gelungen, sofern eben die Voraussetzungen hierfür gegeben waren; andere hätten verzweifelt ihrem Leben selbst ein Ende gesetzt.

"Erinnerung und Gedächtnis in Judentum und Christentum nach dem Holocaust - die Frage nach dem allmächtigen und barmherzigen Gott". Dr. Christoph Münz, Mainz, war auf Einladung der Studierenden-Gemeinden gekommen. Seine provozierende These: Die christliche Theologie sei heute nicht in der Lage, aus dem Holocaust wirklich Lehren zu ziehen. Denn ihre Lehre sei in den wesentlichen Grundzügen spätestens mit dem 5. Jahrhundert n. Chr. abgeschlossen. Trotz der erkannten Verflechtung zwischen dem von der christlichen Kirche durch die Jahrhunderte gelehrten Antijudaismus, der auch die Grundlegung der rassistischen Ideologie im 3. Reich begünstigt hätte, habe sich in der christlichen Theologie hernach im Grunde nichts bewegt. Denn dem Christentum sei mit seiner zunehmenden Abgrenzung gegenüber Jüdischer Theologie überhaupt auch eine dort durch alle Jahrhunderte wichtige Betrachtungsweise abhanden gekommen, nämlich die, was geschichtliche Ereignisse für eine theologische Bedeutung hätten, ob sie beispielsweise zu Umkehr und Buße Anlaß gäben, oder zu einer Korrektur vorheriger Lehre und Praxis. Sei denn die Kategorie von Erinnerung und Gedächtnis mit der entsprechenden theologischen Reflexion für die Christliche Theologie überhaupt noch von Belang, so fragte er. Ob das Christentum zu diesen Kategorien, die er gleichwohl für lebenswichtig halte, doch wieder einen Zugang gewinnen könnte?

Professor Dr. Micha Brumlik, Mainz, eingeladen von der Reformierten Gemeinde und dem Fachbereich Ev. Theologie an der TU Braunschweig zu "Geschichte, Aktualität und Unmöglichkeit christlicher Judenmission", mußte leider aus Gesundheitsgründen absagen. Sein Thema war aber aus sich selbst heraus beredt von ihm provokativ zugespitzt. Diese Thematik wurde derzeit auch innerhalb einer Kontroverse in der Wochenzeitschrift "Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt" zwischen ihm und dem damaligen Leitenden Bischof der VELKD, Christian Knuth, ausgetragen. Micha Brumlik formulierte: "Judenmission ist die Fortsetzung des Holocaust mit anderen Mitteln!" Mag man dies sachlich auch für überzogen halten, so wird doch darin seine Resignation und Erbitterung deutlich, bei Fortführung der Judenmission als religiöser Jude weiterhin deklassiert, weil nicht des Heiles teilhaftig erklärt zu werden.

 

3.) "Am Thema dranbleiben, es gibt viel zu tun!"

Daher die Gründung des Arbeitskreises "Ecclesia und Synagoga -

für ein neues Verhältnis zwischen Christen und Juden!"

Mit der Koordination der Ausstellung, des Beigrogramms sowie der Erstellung der Publikation "Denkanstöße zum Dialog zwischen Christen und Juden" betraut, nutzte ich den durch die Absage Professor Brumliks freigewordenen Termin und lud kurzfristig Besucher der vergangenen Veranstaltungen zu einer "Bilanz" von Ausstellung und Begleitprogramm ein. "Das Verhältnis von Christen und Juden in Vergangenheit und Gegenwart", bzw. ein Plädoyer für dessen Bearbeitung und Verbesserung, das war in der Ausstellung, wie in den Begleitveranstaltungen als inneres Thema deutlich vernommen worden. Die Vorträge, Veranstaltungen und Begegnungen zwischen Christen und Juden wurden durchweg positiv bewertet. So entstand der dringende Wunsch, es mit diesen Veranstaltungen am Ende der sechs Wochen nicht sein Bewenden haben zu lassen. Vielmehr hielt man für wichtig, am Thema dranzubleiben und noch weit mehr Menschen mit dieser wichtigen Thematik zu befassen, dazu weitere Schritte auf dem Wege zu gehen für "Ein neues Verhältnis zwischen Christen und Juden" und die gegenseitige Kenntnis voneinander zu vertiefen.

Ein solches Bündel von Vorhaben schien nur in einer Gruppe, die regelmäßig zu thematischer Arbeit zusammenkam, zu verwirklichen. Es brauchte Menschen, die sich dieser Thematik aus persönlichem Interesse und auch mit Einsatz und Ausdauer anzunehmen bereit waren. Wie könnte sonst das Ziel erreicht werden, das Ludwig Ehrlich benannt hatte und das uns wichtig geworden war: "zu einer partnerschaftlichen Weggemeinschaft zwischen Juden und Christen auf das gemeinsame Ziel hin" zu kommen?

Man wurde sich schnell einig, daß die Teilnehmer dieser Zusammenkunft doch der Anfang eines solchen Arbeitskreises "Ecclesia und Synagoga - "für ein neues Verhältnis von Christen und Juden" sein könnte; die Koordination des Kreises wurde mir übertragen.

Die Arbeit sollte in zwei Richtungen erfolgen, einmal im Sinne der Verbreiterung der Basis. Die Teilnehmer gingen davon aus, daß in vielen Gemeinden der Landeskirche eine Sensibilität und ein Interesse für diese Thematik nicht einfach vorhanden sei, sondern vielmehr erst geweckt werden müsse. Das setze geduldiges und beharrliches Werben in der Synode und im Landeskirchenamt voraus, wie das Werben bei den Pröpsten und Pröpstinnen, damit diese Thematik in den Gemeinden ein Arbeitsschwerpunkt werden könnte. Im Rahmen ihrer - auch noch zu erweiternden - Kenntnisse wollten einzelne Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus dem Kreise sich gern mit Vorträgen und Bibelarbeiten in den Gemeinden an solcher Arbeit beteiligen. Dabei müsse es gehen um die Vermittlung von bereits in den EKD-Studien "Christen und Juden, I - III" veröffentlichten neuen Erkenntnissen und Einstellungen, sowie den Ergebnissen der neueren Forschung zum Verständnis der einschlägigen Stellen in den biblischer Schriften zu diesen Fragen. Überhaupt handelt es sich um geschichtliche Aufklärung, um den Aufweis der Verflechtung von kirchlicher antijudaistischer Propaganda in der Vergangenheit und die sich darauf gründende Jahrhunderte lange Ausgrenzung, Diffamierung und Vertreibung von Juden. Deutlich gemacht und offengelegt werden muß, wie die christliche Theologie und Kirche in der Verbreitung von Fehl- und Vorurteilen gegen Juden die Grundlagen bereitet hat für Pogrome gegen sie wie für den später neu aufkommenden Antisemitismus und auch die entsetzlichen Verbrechen der Schoa, an dem sie eine Mitschuld trifft . Das sei sicher kein bequemes Thema, im Gegenteil! Diese Tatsache könnte mit zur Erklärung dafür dienen, daß es in der ev.-luth. Landeskirche in Braunschweig zu einem eigenem Wort der Synode bislang nicht gekommen ist, geschweige denn zu einigen grundsätzlichen Sätzen in der Verfassung der Landeskirche. Dies, obwohl durch die Jahrzehnte immer wieder von Mitgliedern der Landessynode - zuletzt von einer Reihe von Synodalen auf Initiative des Pfarrers Dietrich Kuessner, zuvor vom langjährigen Vorsitzenden der "Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit", Professor Dr. Wolfgang Pöhlmann und nicht zuletzt auch durch lnitiative unseres ehemaligen Landesbischofs Chr. Krause Vorstöße in dieser Richtung wiederholt unternommen worden sind. In der vergangenen Legislaturperiode der Landessynode plädierte der damalige Landesbischof Christian Krause 2001 für eine synodale Erklärung zu dieser Thematik; die Synode beauftragte die Theologische Kammer unter der Leitung von Dr. Wilfried Theilemann, zugleich Leiter des Amtes für Fortbildung, die hierfür notwendigen Vorarbeiten leisten.

Die Teilnehmer des Arbeitskreises wollen aber auch ihr eigenes Wissen über das Judentum, wie über den christlichen Glauben vertiefen, mehr über die gemeinsamen Wurzeln und Auffassungen erfahren, mehr wissen über das geschichtliche Auseinandergehen beider Religionen voneinander, ferner die Begegnung mit der jüdischen Gemeinde suchen und pflegen.

Seit Juni 2000 treffen sich zweimonatlich Interessierte - der Kreis ist offen und wird neben persönlicher Einladung auch immer mit dem Thema des Abends in der Braunschweiger Zeitung angekündigt. Die Teilnehmer dieses Kreises besuchen zwischenzeitlich Gruppen, die an ähnlicher Thematik arbeiten, und berichten auf den Treffen davon.

Als erstes beriet und verständigte sich der Kreis - in enger Anlehnung an die Resolution der KLAK vom Deutschen Evangelischen Kirchentag 1999 - auf eine Resolution mit dem Titel "Nein zu Judenmission", die weiterhin von interessierten und engagierten Teilnehmern unterzeichnet wurde. Diese Resolution basiert auf Erkenntnissen, die bereits in der EKD Studie "Christen und Juden II" veröffentlicht worden sind, insbesondere auf der Auslegung der Stellen im Römerbrief, in welchen Paulus daran festhält, daß die Verheißungen Gottes, die an Israel ergangen sind, von Gott nicht aufgekündigt worden sind und daß sein Bund mit Israel auch heute gilt. Die Resolution erinnert daran, daß die Christliche Kirche in der Vergangenheit Bekehrungen und nachfolgende Taufen oft grausam und mit Gewalt durchgesetzt habe. Da die christliche Kirche schließlich durch die antijudaistische Prägung ihrer Mitglieder bis in den rassistischen Antisemitismus des 3. Reiches und in die Verbrechen der Schoa schuldhaft verflochten sei, könne sie nicht mehr als glaubwürdige Zeugin "Mission an Juden" betreiben. Die Unterzeichner der Resolution teilten diese theologischen Gründe und sahen die Resolution zugleich als wichtige Voraussetzung für den Dialog zwischen Juden und Christen. Die Nacharbeit an dem - inzwischen uns als Manuskript vorliegenden - Vortrag von L. Ehrlich "Der Antijudaismus in der christlichen Kirche und seine Überwindung!" bestätigte uns in dieser Auffassung.

Weitere herausragende Themen für den sich stetig erweiternden Kreis waren: "Matthäi am Letzten - kein Missionsbefehl!" Hierzu legte Dr. Kristlieb Adloff, Wolfenbüttel, lange Jahre Dozent für Neues Testament und Judaistik am Hermannsburger Missionsseminar, seine sorgfältige Auslegung von Mt 28, 18 - 20 in 13 Thesen vor. Knapp zusammengefasst: hier werden die Linien des Evangeliums nach Mt gebündelt. Christen sind danach Menschen, die in eine Lerngemeinschaft mit dem Juden Jesus aus Nazareth hineingenommen worden sind und ihn dabei als den Messias erkannt haben. Ihn, Gott, den Schöpfer Himmels und der Erden und den Herrn der Scharen zu lieben "mit all deinem Herzen, mit all deiner Seele, mit all deiner Macht" und ihm darum zu dienen in der Erfüllung der Tora, das ist Jesu, wie auch seiner Jünger Auftrag und Sendung, und damit rücken die Christen an die Seite Israels, das schon früher zu solchem Auftrag und solcher Sendung gerufen worden war. Menschen in diese Lerngemeinschaft gern hineinzunehmen, gehört für die Jünger nun zu ihrem Auftrag. Es bleibt aber, wie auch grammatikalisch belegt, die Entscheidung des Einzelnen, sich dieser Lerngemeinschaft anzuschließen und dabei den Schritt der Abwendung von anderen Göttern und der Hinwendung zum Gott Israels durch die Taufe zu bekräftigen. Es handelt sich noch keinesfalls um die spätere christliche Taufe auf den dreieinigen Gott nach erfolgtem Katechumenenunterricht. Jünger werden auch nicht "gemacht", sondern entscheiden sich hierzu einzeln nach sorgfältiger Überlegung und Prüfung. Die trostvolle Verheißung Jesu Christi "Siehe ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende!" ist nicht pauschal gemeint, sondern gilt denen, die diesen Auftrag angenommen haben und leben. "Ta ethne" (griech.) - darunter seien wie bei "gojim" (hebr.) alle Völker, jedoch mit Ausnahme Israels zu verstehen. Also gelte, was Martin Buber so ausgedrückt hat: "Man muß nicht die zum Vater rufen, die bereits beim Vater sind!"- Den Teilnehmern des Arbeitskreises erschien diese Auslegung als wohlbegründet, zugleich als erneute Bestätigung ihrer Überlegungen bei der Abfassung und Unterzeichnung der Resolution "Nein zur Judenmission".

Weitere Themen bei den Treffen waren die folgenden: "Triumphalistisches Christentum - Die Erklärung "Dominus Jesus" und das jüdisch-christliche Gespräch". Dieser Vortrag von Professor Dr. Micha Brumlick vor der Katholischen Akademie in München lag dem Kreis im Manuskript vor und war sowohl im Hinblick auf den Dialog zwischen Christen und Juden wichtig, als auch im Hinblick auf die eigene Position als Protestant gegenüber der offiziellen römisch-katholischen Kirche. Da entsprach sich manches. - Streng genommen richte sich das jüdische Interesse auf Jesus als historische Gestalt, als herausragenden Juden, "eben als Rabbi oder als einen Chassid". Die Verlautbarung "Dominus Jesus" schließe sogar den kleinsten gemeinsamen Nenner aus, die gemeinsame Berufung auf den heiligen Geist...wobei der natürlich im Judentum nicht im gleichen Sinne trinitarisch personalisiert ist..". Die Gegenüberstellung Gesetz und Gnade, verteilt auf Judentum und Christentum sei einfach falsch und diene nur zur lichten Darstellung der eigenen und zur Verdunkelung der anderen Position. "Wie würde sich dieses Papier auf den Umstand beziehen, dass jeden Samstag in der Synagoge vor dem Verlesen der Tora-Abschnitte Jüdinnen und Juden eine Segensformel sprechen, wonach sie Gott für die Gabe der Tora als einen Baum des Lebens danken?" Stattdessen "der triumphalistische Satz am Ende jenes Papiers: "Die christliche Offenbarung wird in der Geschichte der wahre Leitstern für die ganze Menschheit bleiben."

Dies zeige angesichts einer pluralistischen Welt eine nicht nur unbescheidene Position, sondern auch ein erstaunliches Vertrauen auf die Abgeschlossenheit der Geschichte - "..da kann ich mich nur noch einmal auf Johann Baptist Metz beziehen - die durch Ereignisse, die wir als Holocaust bezeichnen, in einer Art und Weise erschüttert worden ist, die ohne Beispiel ist. Diese Erkenntnis aber finde sich im "Gottvertrauen" dieser Erklärung nicht wieder. Der Referent bezieht sich dann auf die "sehr weitreichende Bußerklärung des Papstes" und führt aus: "Das Problem liegt offen auf der Hand. Die dort getroffene Unterscheidung zwischen einzelnen Mitgliedern der katholischen Kirche hier und der ansonsten unbefleckt und unerschüttert dastehenden Institution zeugt von diesem triumphalistischen Vertrauen, das offensichtlich durch historische Erfahrungen in nichts zu erschüttern ist."

Dieser Einschätzung machte die Teilnehmer an diesem Gesprächsabend betroffen.

Zwei Abende lang war im Arbeitskreis "Dabru emet" ("Redet Wahrheit"), erstmals "Eine Jüdische Stellungnahme zu Christen und Christentum", Thema des Gesprächs. Ich hatte im Sommer 2001 Gelegenheit (im Rahmen der Sommeruniversität am "Institut für Kirche und Judentum" der Kirche von Berlin-Brandenburg, Leitung Professor Peter von der Osten-Sacken, im Audimax der Humboldt-Universität), die Vorstellung dieser in der Geschichte bislang einmaligen Jüdischen Stellungnahme durch einen der vier Autoren, Professor und Rabbi Michael Signer, mitzuerleben. Das hat mich tief beeindruckt. Waren Erklärungen zum Verhältnis beider Religionen bisher doch stets nur von christlichen Theologen, allenfalls nach der Schoa gelegentlich unter Hinzuziehung solcher von jüdischer Seite, erstellt und verlautbart worden. Hier nun gab es einen Perspektivenwechsel, wie er für einen Dialog freilich auch unabdingbar ist. Aber ungewohnt war das schon, es ließ aufhorchen. Professor und Rabbi Signer ging auf die Umstände der Entstehung ein. Er hatte von Anfang an der - nun zum 14.Male in Berlin stattfindenden - "Sommeruniversität für Christen und Juden" als Referent angehört. So hatte er den Dialog beider Seiten auch immer wieder mit angestoßen und gefördert. Dabei wurde ihm deutlich, daß nicht nur die Sicht von Christen auf Juden durch tiefe Vorprägungen und Vorurteile gekennzeichnet war, sondern, daß es solche verfestigten Einstellungen und Vorurteile ebenso auf jüdischer Seite gab. Die Autorin und die Autoren von "Dabru emet" verfaßten deshalb zuerst ein Kompendium mit dem - von mir frei übersetzten - Titel "Was Juden vom Christentum wissen sollten." Im Zuge dieser Arbeit kamen sie dazu, nun auch eine "Jüdische Stellungnahme zu Christen und Christentum" zu erarbeiten. Michael Signer, Rabbi und Professor am Department of Theology der bedeutenden katholischen "University of Notre Dame" in West Bend nahe Chicago, USA, gibt den Ursprung hierfür als "spontane, persönliche Initiative" an. Da es bekanntlich unter den Rabbinen kein Lehramt gibt, wurde diese Stellungnahme an 300 von ihnen übersandt und von beinahe 200 letztlich positiv bewertet und unterschrieben, und das von Rabbinen, die unterschiedlichen Richtungen zugehörten - sogar zwei orthodoxe Rabbinen aus Jerusalem waren darunter, so berichtete er nicht ohne Stolz. Der Titel sei spontan für die Erstveröffentlichung der Stellungnahme in der New York Times kreiert worden: "Dabru emet", d.i. "Redet die den Dialog zwischen Juden und Christen inspirierende Wahrheit!"

Die Stellungnahme umschließt neben einer Praeambel und einer Schlußbemerkung 8 knapp gefaßte Punkte. Eingangs wird die Begründung für die Erarbeitung einer solchen Stellungnahme angegeben: "In den vergangenen Jahren hat sich ein dramatischer und beispielloser Wandel in den christlich-jüdischen Beziehungen vollzogen...Wir sind davon überzeugt, daß diese Veränderungen eine wohlbedachte jüdische Antwort verdienen". Im Folgenden wird festgehalten, was es an Gemeinsamkeiten gibt: Juden und Christen beten den gleichen Gott an (1), stützen sich auf die Autorität ein und desselben Buches, das sie freilich unterschiedlich benennen und interpretieren (2), und sie anerkennen beide die moralischen Prinzipien der Tora (4). "Christen können den Anspruch des jüdischen Volkes auf das Land Israel respektieren" (3). In Punkt 5 wird festgestellt: "Nazismus war kein christliches Phänomen".. : "..viele Christen waren an den Grausamkeiten der Nazis gegen Juden beteiligt oder billigten sie. Andere Christen wiederum protestierten nicht genügend gegen diese Grausamkeiten. Dennoch war der Nationalsozialismus kein zwangsläufiges Produkt des Christen-tums." Anerkannt werden die Taten von Christen, die zur Rettung von Juden ihr Leben einsetzten, und dann kommt ein wichtiger Satz:. (Wir).."(wir) unterstützen...die jüngsten Anstrengungen der christlichen Theologie, die Verachtung des Judentums und des jüdischen Volkes eindeutig zurückzuweisen". Mit diesem Satz wird deutlich Bezug genommen auf die Ergeb-nisse der EKD-Studie "Christen und Juden II" von 1991. Einen weiteren Höhepunkt in der Stellungnahme stellt m. E. Punkt 6 dar mit dem Titel: "Der nach menschlichem Ermessen unüberwindbare Unterschied zwischen Juden und Christen wird nicht eher ausgeräumt werden, bis Gott die gesamte Welt erlösen wird, wie es die Schrift prophezeit." Tora und Jesus Christus als unterschiedliche Wege für Juden und Christen zu dem einen Gott werden parallel einander gegenübergestellt, ebenso die bei Juden und Christen unterschiedliche Schriftauslegung. Der programmatische Schlußsatz lautet: "Weder Jude noch Christ sollte dazu genötigt werden, die Lehre der jeweils anderen Gemeinschaft anzunehmen." Hier wird die vorbehaltlose Anerkennung der selbständigen, nicht ergänzungsbedürftigen Jüdischen Religion seitens der Christlichen Theologie eingefordert. Das setzt allerdings ein weitergehendes Umdenken innerhalb der christlichen Theologie voraus, als es bisher geleistet worden ist. Der vorletzte Punkt (7) sucht eventuell aufkommenden Ängsten auf jüdischer Seite zu begegnen: "Ein neues Verhältnis zwischen Juden und Christen wird die jüdische Praxis nicht schwächen. Zum Schluß (8) wird noch einmal an den für Juden und Christen gemeinsamen göttlichen Auftrag erinnert, sich für Gerechtigkeit und Frieden in der Welt einzusetzen. Das kann je für sich oder auch vereint geschehen. In jedem Fall gilt: "..in dieser Bemühung leitet uns die Vision der Propheten Israels: Auf, laßt uns hinaufziehen zum Berg des Herrn, zum Hause des Gottes Jakobs! Er lehre uns seine Wege, und wir wollen auf seinen Pfaden wandeln." Die Gesprächsteilnehmer fanden die angreifbaren Punkte dieser Stellungnahme schnell heraus. Sie konnten und mochten diesem Dokument andererseits ihren Respekt nicht versagen. Diese, bisher erste, substanzielle jüdische Stellungnahme schien ihnen eine wichtige, gute Grundlage für einen weiteren Schritt im Dialog von Juden und Christen. Sie waren einhellig der Meinung, diese Stellungnahme sollte in den christlichen Gemeinden allgemein bekannt gemacht und diskutiert werden!

Zu den im Arbeitskreis besprochenen Themen gehörten u. a. noch "Luthers Stellung zu den Juden" (mit der Anfrage der Gesprächsteilnehmer, ob sich eine evangelisch-lutherische Landeskirche nicht von bestimmten Äußerungen des Reformators öffentlich distanzieren müsse, weil sie so viel Unheil ausgelöst und selbst noch den Nationalsozialisten als Rechtfertigung ihres Handeln hatten dienen können). Weitere Themen: Die jüdischen Ursprünge von Leidenskelch, Abendmahl und Osternacht u.a.m..

Der Arbeitskreis bemüht sich um die Herstellung einer Dia-Serie, die im Schulunterricht und bei Gemeindevorträgen eingesetzt werden könnte, leider bisher ohne Erfolg. Das Ziel soll weiter verfolgt werden. Im Verlauf der Gespräche wurde deutlich, daß das bisherige Ausbleiben einer Theologischen Erklärung in unserer Landeskirche, eine Chance bietet, die Gemeinden mit einzubeziehen.

Im Frühjahr 2001 konnte ich in der Ev. Akademie in Bad Segeberg an einer Tagung zu "Paulus - Trennungsgrund zwischen Juden und Christen" teilnehmen. Diese Tagung stellte einen Baustein innerhalb eines ganzen Netzwerkes von Veranstaltungen dar. Wie die Praesidentin der Landessynode, Frau Lingner in ihrem Grußwort ausführte, gehörte diese Tagung hinein in einen 2-jährigen Beratungsprozeß in den Gemeinden der Nordelbischen Kirche zur Thematik Christen und Juden, an dessen Ende eine synodale Erklärung verabschiedet werden sollte. Eine deutliche, vielseitige und sorgfältige Stellungnahme der Nordelbischen Kirche wurde im Herbst 2001 verabschiedet unter dem Titel: "Christen und Juden", Erklärung der Synode der Nordelbischen Evangelisch-lutherischen Kirche. Dieser Beratungsprozess, an dem die Menschen in den Gemeinden beteiligt wurden, hat tatsächlich einen Denkprozeß ausgelöst, das ist dieser Erklärung noch abzuspüren. Veranstaltungen wie Bibelarbeiten, Predigt- und Unterrichtsreihen bis hin zu Vorträgen und Akademietagungen waren mit einbezogen und übergemeindlich bekannt gemacht. Dieses Vorgehen schien uns besonders ergiebig in Bezug auf Aufklärung und Bewußtseinswandel, so daß wir es auch in der Braunschweiger Landeskirche für fruchtbar hielten und es daher noch anstreben. Wir halten die Ausrufung eines solchen 2-jährigen Beratungsprozesses für vorbildlich und fruchtbar!

Daher traten die Teilnehmer des Arbeitskreises im August des vergangenen Jahres mit diesem Anliegen an die Landessynode und auch an den - bereits seinen Abschied vorbereitenden Landesbischof Christian Krause heran. Es war leider ein bislang vergeblicher Vorstoß. Der Präsident der Synode ließ uns wissen, daß die Zeit auf de letzten der Tagung dieser Synode dafür nicht ausreichen werde. Zudem habe die Synode ja bereits die Theologische Kammer um die Vorbereitung einer Erklärung gebeten. Die Chance des zweijährigen Beratungsprozesses war offenbar, trotz eingehender Schilderung, nicht zu vermitteln gewesen. Nun, der Arbeitskreis wird für diese Vorgehensweise auch bei einer neuen Landessynode, wie bei dem neuen Landesbischof Dr. Friedrich Weber weiter werben.

So hat der Arbeitskreis alle Hände voll zu tun. Beim ersten und leider bislang einzigen "Symposion", zu dem die Landeskirche im November 2001 auf den Kirchencampus in Wolfenbüttel eingeladen hatte, war der Arbeitskreis auch vertreten. Neben einem sorgfältigen, kenntnisreichen Grundsatzreferat zum Diskussionsstand des Themas "Christen und Juden" in der Braunschweiger Landeskirche von Professor Dr. Wolfgang Pöhlmann, sprach die 1. Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Braunschweig, Frau Renate Wagner-Redding zum Thema des Dialogs. Sie schilderte die in jeder Hinsicht bedrängte Situation der Braunschweiger Jüdischen Gemeinde, die durch Zuzug von Juden aus der ehemaligen Sowjetunion auf nun ca. 150 Mitglieder stark gewachsen sei. Sie stünde damit aber vor der Aufgabe, diese Menschen erst einmal in jüdischer Religion zu unterrichten und sie mit den Sitten und Gebräuchen "ihrer" Religion vertraut zu machen. Sie seien dann immer noch wie auch sie selbst als theologische Laie nicht für einen Dialog gewappnet. So sei der Dialog miteinander eben nicht ihr vordringliches Problem. Ob die Landeskirche nun auch eine Erklärung - so wie andere Landeskirchen schon vor einiger Zeit - verabschieden wolle, sei deren Entscheidung allein. Wenn sie sich aber dazu entschlösse, solle sie es aufrichtig und sorgfältig tun.

In der anschließenden Diskussion bestand u.a. auch Gelegenheit, das Projekt eines Beratungsprozesses zum Thema in den Gemeinden vor- und die Vorzüge dieses Verfahrens herauszustellen - gerade für eine "sorgfältige und aufrichtige" Synodalerklärung m. E. die große Chance!

So ist mehr als genug Arbeit noch zu tun, um die eigenen Kenntnisse zu vertiefen, Kontakte zwischen Christen und Juden zu knüpfen und zu pflegen und andere ebenfalls dazu zu ermutigen, um ferner das wechselseitige Gespräch in Gang zu halten und das Ziel nicht aus dem Auge zu verlieren.

Die weitestgehende Perspektive eines solchen neuen partnerschaftlichen Verhältnisses zwischen Christen und Juden hat Friedrich G. Friedmann - für mich sehr anregend - beschrieben ("Heimkehr ins Exil, Jüdische Existenz in der Begegnung mit dem Christentum, Beck, München 2001, S.91): "Die Gemeinschaft von Juden und Christen, die heute, wie mir scheint, in der Entwicklung begriffen ist, ist kein Neben- oder Miteinander von Menschen, die eine "Konfession" wie ein Attribut besitzen. Es handelt sich vielmehr um Menschen, die in der Ganzheit ihrer Substanz erfaßt sind von dem göttlichen Paradox, dem sie den Ursprung ihrer Gemeinschaft verdanken: von Gottes Befehl an Abraham, seinen einzigen Sohn, den Sohn der Verheißung, zu opfern; von Gottes Selbstopfer im menschgewordenen Sohn. Ist es anmaßend, hier von (sc. Judentum und Christentum als) zwei Modi oder Stilen des Gedenkens an die Verheißung zu sprechen, wie wir gelegentlich von geistlichen Orden als Modi oder Stile der Frömmigkeit sprechen?"

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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