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[Kirche von unten]

Gott dem Herrn Dank sagen

Festschrift für Gerhard Heintze

Meine erste Pfarrstelle - Erinnerungen an Heckenbeck

Hartmut Padel

Vorweg:

Die "Erinnerungen an Heckenbeck", aus denen in dieser Festschrift einige Abschnitte abgedruckt werden, waren von mir keineswegs zur Veröffentlichung gedacht. Ich habe sie, veranlaßt durch ein Gespräch mit einem jungen Amtsbruder niedergeschrieben. Wenn ich sie nun für diese Festschrift zur Verfügung stelle, so tue ich das einmal dem von meiner Frau und mir hoch geschätzten und uns freundlich zugetanen Bischof Heintze zuliebe, und zum anderen mit der leisen Hoffnung, daß sich andere ältere Kollegen anregen lassen, auch ihre Erinnerungen zugänglich zumachen.

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Vorspiel: Vikariat in Königslutter und Bad Gandersheim

In unserer Landeskirche war die zweite Phase der Ausbildung der Theologen durch die Kriegswirren völlig zum Erliegen gekommen, und eine Neuordnung des Vikariats kam nur sehr langsam in Gang. Dem Personalreferenten, Oberlandeskirchenrat Röpke, kam dieser Umstand anscheinend sehr gelegen. Der Pfarrermangel der Nachkriegszeit war groß. So war es ihm sehr willkommen, daß er über die aus dem Krieg heimkehrenden Theologen, kaum daß sie ihr erstes Examen bestanden hatten, zur Besetzung vakanter Pfarrstellen verfügen konnte, ohne daß diese noch ein zeitraubendes Vikariat hätten absolvieren müssen. Die Lehrzeit in einem Vikariat schien Röpke für die durch die Kriegszeit ohnehin etwas älter gewordenen Pfarramtsanwärtern überflüssig zu sein. Ihnen traute er es durchaus zu, daß sie die an sie gestellten Anforderungen auch ohne Ausbildung würden bewältigen können.

Als ich im März 1950 mein erstes Examen machte, war das neue Predigerseminar zwar noch nicht eröffnet worden, aber man war dabei die Vikarsausbildung neu zu regeln. Das aber bedeutete noch lange nicht, daß von nun an jeder Vikar einen geregelten Ausbildungsgang absolvieren mußte. Röpke war nicht geneigt, die von ihm bis dato geübte Praxis, mit der er wohl auch keine schlechten Erfahrungen gemacht hatte, ohne weiteres aufzugeben. Außerdem hatte er gewisse Vorurteile gegenüber dem neu zu bildenden Predigerseminar. So schickte nach wie vor besonders die älteren unter uns Vikaren ohne lange Ausbildung gleich in zumeist kleine Pfarrstellen. Das hatte er offensichtlich auch mit mir vor. Aber ehe es dazu kam gab es noch ein Zwischenspiel.

Adelheide

Während des Studiums hatte ich mich, angeregt durch den Göttinger Pädagogen Herman Nohl, ein wenig mit der Jugendsozialarbeit beschäftigt, die Semesterferien dazu benutzt praktische Erfahrungen in der Fürsorgeerziehung zu sammeln. Dadurch bekam ich Kontakt mit dem von der Hannoverschen Landeskirche betriebenen Jugenddorf Adelheide. Das erweckte in mir den Wunsch, diese Arbeit an den durch die Kriegswirren aus der Bahn geworfenen Jugendlichen näher kennenzulernen. Erfreulicherweise war Röpke bereit, mich für ein halbes Jahr nach Adelheide zu beurlauben. ...........................

Eigentlich wäre es ja nur folgerichtig gewesen, wenn ich nach der Zeit in Adelheide in dieser oder einen ähnlichen Arbeit meinen beruflichen Schwerpunkt gewählt hätte. Aber es kam dann anders. Das hing rein äußerlich damit zusammen, daß Röpke mich, als ich im September aus Adelheide zurückkehrte, nach Königslutter an die Stadtkirchengemeinde schickte. Dort sollte ich den schwer erkrankten Pfarrer Lehnecke vertreten. So wie allen anderen Kriegsteilnehmer, traute er auch mir zu, daß ich ohne jegliche praktische Ausbildung für die Gemeindearbeit mit der mir übertragenen Aufgabe zurechtkommen würde.

Da war ich nun mit einem Schlage für ein dreiviertel Jahr zum Pfarrer an der Stadtkirchengemeinde in Königslutter geworden, wenn ich auch dem Status nach Vikar war. Propst Diestelmann war zwar, wie man damals sagte, mein Vikarsvater und als solcher für meine weitere Ausbildung zuständig. Er hat mich aber im wesentlichen mir selbst überlassen. Das hat mir offenbar wenig Kopfzerbrechen bereitet. Ich bin einfach ins kalte Wasser gesprungen, und siehe da, es trug und erwies sich als überhaupt nicht kalt. Nun hatte ich von meinem Elternhaus her, von der Zugehörigkeit zu kirchlichen Jugendgruppen und durch Veranstaltungen der Studentengemeinde schon ziemlich genaue – vielleicht zu genaue - Vorstellungen von der Arbeit eines Gemeindepfarrers. Diese habe ich nun in der Stadtkirchengemeinde nach besten Kräften zu verwirklichen versucht.

Ich habe einfach das getan, was meiner Meinung nach getan werden mußte: Ich habe jeden Sonntag einen Gottesdienst gehalten, was mir erstaunlicherweise nicht schwer gefallen ist. Das Predigen, wie überhaupt die ganze Arbeit, hat mir von Anfang an Spaß gemacht. Auch der Konfirmandenunterricht bereitete mir – soweit ich mich erinnern kann - keine großen Schwierigkeiten, was nicht heißen soll, daß der Unterricht nicht mit viel gründlicher Vor- und Nachbereitung verbunden war. Predigen, Unterrichten und Gespräche führen. Das waren Schwerpunkte meiner Arbeit. Mit Amtshandlungen hatte ich noch nichts zu tun, außer mit Beerdigungen. Und daran denke ich ungern zurück. Nach der ersten war mir – darauf besinne ich mich noch sehr deutlich - nach einem Schnaps zumute. Taufen und Trauungen durfte ich noch nicht halten, denn ich war ja noch nicht ordiniert. Ebenso durfte ich das Abendmahl nicht zelebrieren. Ich habe deswegen damals an Bischof Erdmann geschrieben und ihn gefragt, wieso ich als Vikar jeden Sonntag predigen dürfe, ohne daß sich jemand darum kümmere, ob ich nicht vielleicht Irrlehre verbreitete. Aber eine liturgisch festgelegte Handlung wie das Abendmahl dürfe ich nicht vollziehen. Ich glaube, ich habe dem Bischof gegenüber geäußert, daß mir in dieser Vorgehensweise eine unlutherische Überbewertung des Sakraments gegenüber dem Wort vorläge. Auf dieses Schreiben habe ich nie eine Antwort bekommen.

In meiner Erinnerung an die Zeit in Königslutter spielen irgendwelche Gemeindekreise kaum eine Rolle. Bis auf den sehr lebendigen Kreis junger Männer, die sich dem CVJM verbunden fühlten. Sie luden mich zu sich ein, und das führte zu einem regen Austausch und einem freundschaftlichen Verhältnis mit diesen jungen Leuten. Wichtig waren mir die vielen Begegnungen mit an der Kirche und an Glaubensfragen interessierten Menschen. Ich habe in diesem dreiviertel Jahr durch unendlich viele Gespräche mit Gemeindemitgliedern viel Gewinn für meine Arbeit gehabt. Sehr gerne denke ich z. B. an die vielen Gespräche mit dem Leiter der Jugendarrestanstalt in K. Er kam von der bündischen Jugend her und war Mitglied der "Gilde sozialer Arbeit", die ich ein wenig während meines Studiums in Göttingen und des Praktikums in Adelheide kennen gelernt hatte. Mit ihm konnte ich wunderbar – und wenn es drauf ankam - nächtelang diskutieren.

Es gab natürlich unter den weiblichen Gemeindemitgliedern auch solche, für die das Gespräch nur ein Vorwand war, um mit dem jungen Herrn Vikar eine engere Beziehung anzuknüpfen. Von einem solchen Versuch will ich noch erzählen. Frau St. mag um die 40 gewesen sein und suchte sehr intensiv das Gespräch mit mir. Ich merkte jedoch sehr bald, daß sie eigentlich mehr suchte. Daraufhin habe ich diese Gespräche so weit wie möglich gemieden und nach einem früher einmal empfangenen Rat eines älteren Amtsbruders darauf geachtet, daß zwischen uns immer ein Tisch stand. "Herr Vikar, Sie sind so unnahbar!" Da wußte ich, daß ich richtig gewittert hatte.

In der Erinnerung an die Zeit in Königslutter kann ich nur staunen, wie unbekümmert ich die Arbeit getan habe. Ich war – um ein Beispiel zu nennen - kaum vier Monate dort, da habe ich es gewagt, eine Bibelwoche durchzuführen. Die Anregung dazu bekam ich durch einen kleinen Kreis befreundeter Pfarrer, die sich in einem benachbarten Dorf wöchentlich einmal trafen, um die nächste Predigt vorzubereiten. Sie haben mich freundlich in ihrer Runde aufgenommen, und sind mir damit eine wichtige Hilfe für meine Zeit in Königslutter gewesen. Durch diese Pfarrer, die Mitglieder des Bereler Kreises, einer Nachfolge-Organisation des Pfarrernotbundes, waren, habe ich auch enge Kontakte mit diesem Kreis bekommen, und diesem bis zu seiner Auflösung Anfang der sechziger Jahre angehört.

Diese Bibelwoche war so gut besucht, daß die Stühle des kleinen Gemeindesaales nicht ausreichten. Ich empfand es als einen Mangel und eine Behinderung der Arbeit, wenn man bei jeder Veranstaltung befürchten müßte, für die Besucher nicht genügend Sitzplätze zu haben. Da für neue Stühle kein Geld da war, bin ich zum Geschäftsführer der Königslutterschen Stuhlfabrik gezogen und habe ihn um Stühle angebettelt – mit Erfolg. So kam die Gemeinde zu 50 Klappstühlen, die zwar nicht sehr komfortabel waren, aber ihren Dienst durchaus taten. Diese und andere Erfahrungen gaben mir das Gefühl, daß meine Arbeit anerkannt und dankbar angenommen wurde.

Von meinem Vikarsvater habe ich nicht viel gemerkt. Einmal in der Woche war ich bei Diestelmanns zu Tisch. Da wurde auch über dienstliche Dinge gesprochen, aber meiner Erinnerung nach mehr am Rande. Da ich niemanden hatte, der meine Predigten nach fachlichen Gesichtspunkten kritisch hörte, habe ich Propst Diestelmann einmal eine schriftliche Predigt gegeben mit der Bitte, sie zu beurteilen. Er gab sie mir wenige Tage später mit der Bemerkung zurück: "Man merkt, daß sie aus einem Pfarrhaus kommen". Das war alles, was er dazu zu sagen wußte. Ich muß gestehen, daß ich letztendlich nicht böse war, daß Diestelmann mich machen ließ.

Im Mai 1951 wurde die Pfarre an der Stadtkirche neu besetzt, und damit ging die schöne Zeit in Königslutter für mich zu Ende. Eigentlich sollte ich nun irgendwo im Bereich der Landeskirche eine kleine Dorfpfarre übernehmen, so jedenfalls hatte es mir Röpke zu Beginn der Zeit in Königslutter zugesagt. Entgegen dieser Zusage wurde ich aber zu meiner Überraschung erst noch einmal für ein Jahr in ein richtiges Lehrvikariat gesteckt. Das hatte seinen Grund wohl darin, wie mir der damalige Predigerseminarsdirektor R. Brinckmeier sagte, daß ich während der Zeit in Königslutter nicht ganz brav gewesen war. Ich hatte mich nämlich auf Bitte eines mir aus der Helmstedter Schulzeit bekannten Jugendlichen darauf eingelassen, ihm im benachbarten Beienrode bei einer Jugendgruppe zu helfen. Darüber geriet ich mit dem für Beienrode zuständigen Pfarrer von Oxendorf in eine scharfe Auseinandersetzung, die zu einer Beschwerde seinerseits über mich führte. Diese landete natürlich auf dem Schreibtisch von Röpke, dem das gar nicht gefiel. Das war vermutlich der Anlaß, daß ich die zugesagte Pfarre nicht bekam, sondern nun doch noch einmal eine richtige Lehre bei einem "Vikarsvater", und zwar bei dem als streng bekannten Propst Lepsien in Bad Gandersheim, absolvieren mußte. Wie es mir bei diesem strengen Lehrherrn erging, erzähle ich gleich.

Bad Gandersheim

Als ich im Mai 1951 in Gandersheim auftauchte, wurde mir eröffnet, daß ich in Heckenbeck im teilweise leerstehenden Pfarrhaus wohnen sollte. Daß ein Vikar sich selber ein Zimmer gesucht hätte, lag damals noch nicht im Bereich des Denkbaren. Warum aber mußte es das 4 km entfernte Heckenbeck sein, und warum konnte ich nicht in Gandersheim wohnen? Vermutlich hatten die Herren Röpke und Lepsien längst abgesprochen, daß ich nach Ablauf des Vikarsjahres die dortige, derzeit vakante Pfarrstelle übernehmen sollte. Wenn man nun den Vikar jetzt schon im Pfarrhaus unterbrachte, erreichte man zweierlei: Man beseitigte erstens das Ärgernis, das die leerstehende Pfarrwohnung in Heckenbeck erregt hatte. "Die Flüchtlinge haben kaum Raum zu leben, und im Pfarrhaus stehen Zimmer leer." So oder ähnlich las man im Gandersheimer Kreisblatt. Nach meinem Einzug gab es im Pfarrhaus keine leerstehende Wohnung mehr. Zweitens zeigte man den Heckenbeckern, daß man es ernst meinte mit dem Versprechen, die Pfarrstelle baldmöglichst wieder zu besetzen. So wurde ich ohne mein Wissen zu einem Mittel im kirchenpolitischen Kalkül. Ich jedoch war bei den 90 DM monatlich, die uns vom Kirchenamt zugestanden wurden, froh, daß ich eine kostenlose Bleibe hatte. In die leeren Zimmer wurden ein paar alte Möbel gestellt: ein wackeliger Tisch, ein Stuhl und ein Bett. An die Fenster hängte man ein paar Gardinenfetzen, und fertig war die Vikarswohnung. Das alles war von der Familie Pferdmenges, den Gutsbesitzersleuten im nahen Hilprechtshausen, zur Verfügung gestellt worden. Da aber diese komfortable Wohnung am Tage meines Kommens – aus welchen Gründen immer – noch nicht bezugsfertig war, wurde ich kurzerhand bei selbigen Pferdmenges einquartiert und verlebte bei den beiden älteren, gastfreien Damen, Mutter und Tochter, eine angeregte Woche.

Eine Wohnung hatte ich ja nun in Heckenbeck gefunden. Aber da der Ort meiner Tätigkeit in Bad Gandersheim lag, brauchte ich dort wohl oder übel einen Platz zum Arbeiten, so etwas wie ein Studierzimmer. Wie aber sah dieses aus? Es bestand lediglich aus einem Schreibtisch, den man in einer Ecke des Vorratsraumes des Hilfswerkes aufstellte. So habe ich ein Jahr lang meine Arbeit einschließlich der Predigtvorbereitungen und der schriftlichen Arbeiten zum zweiten Examen zwischen Milchpulvertonnen und mit Kleidungstücken gefüllten Regalen verrichten dürfen. Bei all diesen Entscheidungen über Unterkunft und Arbeitsplatz wurde ich nicht gefragt, ob ich damit auch einverstanden sei. Das setzte man voraus und teilte es mir als vollendete Tatsachen mit. Ich besinne mich nicht, daß sich in mir auch nur der leiseste Widerstand dagegen geregt hätte. Das war sicher ein Überbleibsel aus der Militärzeit. Damals hatte ich gelernt zu gehorchen. Ein Fahrrad besaß ich, so waren die vier Kilometer zwischen Heckenbeck und Bad Gandersheim kein Problem. Morgens um 9.00 Uhr hatte ich beim Propst zu erscheinen und abends, meist sehr spät, weil es ja häufig abendliche Veranstaltungen gab, strampelte ich zurück nach Heckenbeck, immer leicht bergan – und das ein ganzes Jahr lang von Mai 1951 bis Juni 1952.

Dankenswerter Weise fand sich in Bad Gandersheim eine freundliche und hifsbereite Familie, die ein Erbarmen mit mir hatte, und mir bei schlechtem Wetter für die Nacht ein Bett anbot und ganz selbstverständlich morgens auch ein Frühstück gewährten. Das kam in den Wintermonaten verhältnismäßig häufig vor. Ich bin dieser Familie dafür heute noch dankbar. Ich glaube, mir ist damals nicht bewußt gewesen, wie sehr ich besonders der Frau des Hauses damit zur Last gefallen bin. Sie hat niemals darüber ein Wort verloren.

Das Gandersheimer Vikariat war ja in gewisser Weise ein Rückschritt gegenüber meiner Stellung in Königslutter. Dort war ich der fast selbständige Pfarrstelleninhaber gewesen, und hier war ich nur Lehrvikar. Das hat mir merkwürdigerweise nichts ausgemacht. Nach der recht anstrengenden Zeit in Königslutter, habe ich meine Stellung als Lehrvikar sehr genossen. Ich war noch nicht in der vollen Verantwortung eines Pfarramtes, hatte einen verständnisvollen Mentor, viele freundschaftliche Beziehungen und viel Zeit für mich. Lepsien zeigte mir gegenüber nichts von der ihm nachgesagten Strenge. Im Gegenteil, ich fand in ihm nicht nur einen sehr großzügigen Menschen und verständnisvollen Lehrherren, der mir viel Freiheit für meinen Betätigungsdrang ließ, sondern auch einen wichtigen Gesprächspartner. Die morgendlichen Dienstbesprechungen in seinem Dienstzimmer, das mehr einem Wohnzimmer als einen nüchternen Amtszimmer glich, waren jedesmal ein schöner Auftakt des Tages. Ich hatte da nicht zum Rapport zu erscheinen. Wir sprachen zwar über meine Arbeit, aber auch über die Probleme der Gemeindearbeit im Allgemeinen. Wir führten häufig sehr tiefgehende theologische Gespräche. Daß Lepsien einen leichtem Schlag nach links hatte, machte ihn mir noch sympathischer. Man nannte ihn in Gandersheim den "Roten Dekan". Das alles, die vielen netten Menschen, die sehr lebendige Jugendarbeit, das gute Arbeitsklima, trug dazu bei. daß ich die Gandersheimer Zeit in denkbar guter Erinnerung habe.
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Zum Verständnis des folgenden Ausschnittes sei erwähnt, daß zur Pfarrer Heckenbeck, die mir nach einem Jahr Hilfspredigerzeit anvertraut wurde damals drei Kirch- bzw. Kapellengemeinden und noch drei weitere kleine Ansiedlungen gehörten. Das machte die Arbeit in dieser Pfarrer nicht gerade leichter.

Aus der Arbeit (in Heckenbeck)

"Hinter dem Walde wohnen auch Christen"

Die schon erwähnte räumliche Zerrissenheit des Pfarrverbandes hat uns, meiner Frau und mir, keine Ruhe gelassen. Wir haben auf verschiedene Weise versucht, die Gemeinden besser miteinander bekannt zu machen, z.B. durch gegenseitige Besuche der Frauenkreise, durch gemeinsame Waldfeste und anderes mehr. Ob es uns gelungen ist, bewußt zu machen, daß, wie ich oft gesagt habe, hinter dem Walde auch Christen wohnen, vermag ich nicht zu sagen. Erreicht haben wir auf jeden Fall, daß die Gemeinden sich näher gekommen sind.

Ich will das an den Waldfesten verdeutlichen, die wir in der zweiten Hälfte unserer Heckenbecker Zeit abgehalten haben, zweimal auf dem Clusberg zwischen Heckenbeck und Dankelsheim und einmal in der Nähe von Hilprechtshausen, zum Leinetal hin. Wir haben die bewaldeten Höhenzüge, die zwischen den Gemeinden lagen, ausgesucht, weil das die geeignetsten Plätze waren, die Gemeindemitglieder zusammenzuführen. Diese Feste auszurichten, bedeutete eine ganze Menge Arbeit. Das ging von Überlegungen zur inhaltlichen Gestaltung aus, bis hin zu den ganz praktischen Dingen wie das Ausstatten des Festplatzes mit Bänken und Tischen, um nur eines zu nennen. Und gerade bei diesen praktischen Arbeiten konnte man die Männer, die sonst in der Kirche immer ein wenig zu kurz kommen, sehr gut gebrauchen. Ich sehe uns noch, den Nachbarn und mich, an einem verregneten Sonntagvormittag mit dem mit Tischen und Bänken vollgeladenen Wagen auf dem Pfarrhof stehen und uns fragen: Fahren wir nun auf den Clusberg oder nicht. Und dann habe ich mir einen Ruck gegeben: "Wir fahren los!" Und kaum waren wir oben angekommen, verzogen sich die Wolken, und es wurde ein wunderschöner Sonntagnachmittag mit einem Gottesdienst, einem gemeinsamen Mittagessen, mit Kasperletheater von zwei jungen Freunden aus Bad Gandersheim, mit gemeinsamem Singen und einem Vortrag, ich weiß nicht mehr worüber. Diese Waldfeste waren gelungene Unternehmungen und die Erinnerung daran hat sich bei den Gemeindemitgliedern tief eingeprägt.

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Die Gottesdienste

Natürlich sah ich - wie alle meine Amtsbrüder damals und heute auch - das Abhalten der Gottesdienste und besonders das Predigen als meine Hauptaufgabe an. Das war für mich aber nicht nur eine Pflicht, sondern der Gottesdienst war eben einfach der Höhepunkt der Woche. Der Sonnabend war in der Regel der Ausarbeitung der Predigt und der Vorbereitung des Gottesdienstes vorbehalten. In den knapp 10 Jahren im Heckenbecker Pfarramt habe ich es auf rund 1000 Gottesdienste gebracht. Ich war baß erstaunt, als mir das später einmal bewußt wurde. Ob meine Predigten gut waren und wie weit sie den Gemeindemitgliedern wirklich gerecht geworden sind, vermag ich nicht zu sagen. Leider habe ich kaum eine der Niederschriften der damals gehaltenen Predigten aufbewahrt. Dabei wäre das gar nicht so schwer gewesen; denn schriftlich konzipiert waren meine Predigten alle. Gehalten habe ich sie jedoch frei, lediglich nach einem Zettel mit der Gliederung und einigen Stichworten darauf. In der freien Rede konnte ich einfach besser Kontakt zu den Hörern gewinnen als mit einer abgelesenen Predigt. Diese Gepflogenheit habe ich meinem Vater abgeguckt, der meines Erachtens ein guter Prediger und Redner war.

Die Amtsbrüder pflegten gerne zu betonen, daß sie nicht über einen Text sondern den Text selber predigten. Abgesehen von der grammatisch unschönen Formulierung "den Text predigen" besagt diese, daß nicht die Exegese oder wissenschaftliche Analyse eines Textes auf die Kanzel gehört, sondern das, was der Text uns zu sagen hat, was gewissermaßen seine Botschaft ist. Damals sprachen wir vom Skopus eines Textes und meinten damit, daß der Text einen Kerngedanken habe, den es herauszustellen gelte. Natürlich war es für mich selbstverständlich Textpredigten und nicht vom biblischen Text abgelöste Themapredigten zu halten. Textpredigten jedoch waren für mich keineswegs themenlose Predigten. Das Thema ergab sich in der Regel aus der gründlichen Exegese und Meditation des Textes. Für meine Predigtarbeit hat mir ein Rat von Otto Weber, dem damaligen Professor für reformierte Theologie in Göttingen, sehr geholfen. Weber riet uns, bei der Predigtarbeit an einem Text nicht eher aufzuhören, bevor wir nicht an diesem etwas Neues entdeckt hätten. Wenn ich mich daran gehalten hatte, dann konnte ich getrost auf die Kanzel steigen und der Gemeinde das, was ich entdeckt hatte, weitersagen. Eine darüber hinausgehende, eigens für meine Predigtarbeit entwickelte, Theorie hatte ich nicht. Sehr viel später habe ich, von meinen pädagogischen Erkenntnissen ausgehend, gelernt, meine Predigt unter didaktischen Gesichtspunkten anzufertigen. Ich gestehe, daß damit die Gefahr einer gewissen Verschulung gegeben war, aber das hat dazu geholfen, daß man, wie mir manche Predigthörer gesagt haben, meinen Predigten gut folgen konnte.

In der Gestaltung der Gottesdienste war ich ziemlich konventionell. In der Zeit, in der ich meinen Dienst in Heckenbeck antrat, wurde im Zuge der allgemeinen Agendenreform auch in unserer Landeskirche anstelle der alten Braunschweigischen Gottesdienstordnung eine neue eingeführt. Eigentlich war das keine neue, sondern die Wiederherstellung der alten auf die Reformatoren zurückgehenden Gottesdienstordnung. Sie hieß bei uns Pfarrern kurz "Agende I". In manchen Gemeinden gab es gegen ihre Einführung heftigen Widerstand. Das war in unserem Pfarrverband ganz anders. Ich hatte mir zur Aufgabe gesetzt, diese neue Agende alsbald einzuführen und die Kirchenvorstände hatten sich damit einverstanden erklärt. Damit die nach der neuen Agende gesungene Liturgie nun von der Gemeinde auch beherrscht wurde, lud ich zu besonderen Übungsabenden ein. In Heckenbeck fand das eine mäßige Resonanz, ganz anders aber in dem eigentlich recht traditionellen Dankelsheim. Als ich an dem angesetzten Übungsabend in den Schulraum kam, den ich vom Lehrer erbeten hatte, saßen die Dankelsheimer dicht an dicht. Sie wollten die neue Ordnung gleich richtig lernen. Und so sangen sie diese Liturgie vom Tage der Einführung an mit der gleichen Inbrunst, mit der sie schon immer in der Kirche gesungen hatten.

Ich habe mich im Wesentlichen an diese Agende gehalten, ohne mich jedoch sklavisch daran zu binden. Bei den Kollektengebeten z. B. habe ich nur einige wenige aus der Reihe der für jeden Sonntag vorgegebenen Gebete genommen. Das waren die, die mir wegen ihrer einfachen Sprache und der Ehrlichkeit ihrer Aussagen zusagten. Ganz frei formulierte Gebete oder solche aus dem Stegreif habe ich selten gehalten. Mir lag daran, Gebete zu gebrauchen, die einen gewissen Bekanntheitsgrad hatten. Eigene, für den jeweiligen Gottesdienst verfaßte Gebete können, selbst wenn sie sprachlich gut sind, vom Gottesdienstbesucher viel schwerer – wenn überhaupt – mitgebetet werden.

Die Amtshandlungen

Die Konfirmationen waren immer kleine Volksfeste. Da fast jeder mit jedem verwandt war, war auch fast jeder bei irgend einer Konfirmation zu Gast. Und es wurde gefeiert, was das Zeug hielt. Es war für die Erwachsenen und die Konfirmanden selber das Fest des Erwachsenwerdens. Das wurde dadurch dokumentiert, daß die Konfirmierten schon beim häuslichen Festessen zum Anstoßen aufgefordert wurden, und daß sie sich am Nachmittag zusammenrotteten und von einem Konfirmationshaus zum anderen zogen und überall zu einer Runde Schnaps eingeladen wurden, bis sie dann irgendwo total betrunken landeten. Es ist mir nicht gelungen, diese Unsitte abzustellen. - Selbstverständlich wurde von den Feiernden ein Besuch des Pastorenehepaares am Tage der Konfirmation erwartet. So zogen wir tapfer von Feierhaus zu Feierhaus, bis wir spät abends todmüde und erschöpft in unsere Betten sanken.

Was die Feier in der Kirche anlangte, so hatten die in der Regel ihren Höhepunkt in dem von den Konfirmanden gesungenen Choral "Mein Schöpfer steh mir bei...", dem Versprechen der Konfirmanden, sich immer treu zur Kirche zu halten und der darauf folgenden Einsegnung. - Ich kann mich leider nicht mehr darauf besinnen, wann sich bei mir der Widerstand gegen das von den Konfirmanden abzulegende Gelübde so verdichtet hatte, daß ich es ehrlichen Herzens von ihnen nicht mehr verlangen konnte. Ganz sicher begann das mit der Diskussion um die Agende II "Die Amtshandlungen der Kirche". Obwohl die Liturgiker, allen voran Christhard Mahrenholz, sich einig waren, daß das Einfordern und Ablegen von Gelübden unbiblisch sei, konnten sie sich nicht dazu entschließen, dieses heuchlerische Gelübde einfach abzuschaffen.

Die Amtshandlungen

Die Konfirmationen waren immer kleine Volksfeste. Da fast jeder mit jedem verwandt war, war auch fast jeder bei irgend einer Konfirmation zu Gast. Und es wurde gefeiert, was das Zeug hielt. Es war für die Erwachsenen und die Konfirmanden selber das Fest des Erwachsenwerdens. Das wurde dadurch dokumentiert, daß die Konfirmierten schon beim häuslichen Festessen zum Anstoßen aufgefordert wurden, und daß sie sich am Nachmittag zusammenrotteten und von einem Konfirmationshaus zum anderen zogen und überall zu einer Runde Schnaps eingeladen wurden, bis sie dann irgendwo total betrunken landeten. Es ist mir nicht gelungen, diese Unsitte abzustellen. - Selbstverständlich wurde von den Feiernden ein Besuch des Pastorenehepaares am Tage der Konfirmation erwartet. So zogen wir tapfer von Feierhaus zu Feierhaus, bis wir spät abends todmüde und erschöpft in unsere Betten sanken.

Was die Feier in der Kirche anlangte, so hatten die in der Regel ihren Höhepunkt in dem von den Konfirmanden gesungenen Choral "Mein Schöpfer steh mir bei...", dem Versprechen der Konfirmanden, sich immer treu zur Kirche zu halten und der darauf folgenden Einsegnung. - Ich kann mich leider nicht mehr darauf besinnen, wann sich bei mir der Widerstand gegen das von den Konfirmanden abzulegende Gelübde so verdichtet hatte, daß ich es ehrlichen Herzens von ihnen nicht mehr verlangen konnte. Ganz sicher begann das mit der Diskussion um die Agende II "Die Amtshandlungen der Kirche". Obwohl die Liturgiker, allen voran Christhard Mahrenholz, sich einig waren, daß das Einfordern und Ablegen von Gelübden unbiblisch sei, konnten sie sich nicht dazu entschließen, dieses heuchlerische Gelübde einfach abzuschaffen.

An den Hochzeiten und Beerdigungen nahm wie bei den Konfirmationen die ganze Gemeinde Anteil. Bei einer Hochzeit zog der feierliche Zug mit den Brautleuten voran vom Hochzeitshaus in die Kirche, und dort saßen dann vor allem die Frauen der Gemeinde. - Bei den Beerdigungen ging die Feier vom Hause des Verstorbenen aus; denn dort war der Tote aufgebahrt. Nach einer Aussegnungsfeier wurde der Sarg von den Nachbarn auf den Leichenwagen gehoben und zum Friedhof geleitet. Eine Friedhofskapelle gab es zu unserer Zeit noch in keinem der Dörfer. So mußte man die Begräbnispredigt im Freien halten. Diese Predigten haben mir mehr Mühe gemacht als die sonntäglichen Predigten im Gottesdienst. Die Verbindung der Verkündigung der frohen Botschaft am Grabe mit der Würdigung des Lebens des Verstorbenen war für mich ein bleibendes Problem. Zu den anschließenden Trauermahlen bin ich nie gegangen.

Mit den Taufen war das anders. Diese wurden früher meist außerhalb des Gottesdienstes im engsten Kreise der Familie gehalten. Ich wollte gern die Taufen in den Gottesdienst mit hinein nehmen. Dazu brauchte ich die Zustimmung des Kirchenvorstandes. In Heckenbeck ging das deswegen völlig problemlos, weil der nächste Täufling ein Enkelkind des stellvertretenden Vorsitzenden war. "Dann wird mein Enkelkind ja im Gottesdienst getauft", freute er sich, und die Sache war beschlossen. Aber auch in Dankelsheim machte diese Neuerung keine Schwierigkeiten.

Zu den Amtshandlungen gehörten natürlich auch die Gespräche, die diese Handlungen vorbereiten. Die Traugespräche fanden im Pfarrhaus statt. Natürlich versuchte ich, mit den Brautleuten über den Sinn und die Bedeutung der kirchlichen Trauung im Unterschied zur standesamtlichen Eheschließung zu sprechen. Aber nach meiner Erinnerung waren diese Gespräche meist sehr mühsam. Anfänglich habe ich es mit der Frage an die Brautleute versucht, warum sie sich denn kirchlich trauen lassen wollten, wo doch die rechtsgültige Handlung im Standesamt vollzogen würde. Doch mit dieser Frage konnten sie nichts anfangen. Für sie gehörte die Trauung in der Kirche einfach dazu. Nein, mehr noch: Sie war für sie die eigentliche Handlung, neben der die standesamtliche Trauung nebensächlich war. Auch die Versuche, mit den Brautleuten anhand des Traugelübdes über Probleme des Ehelebens zu reden, waren meist Monologe meinerseits, die ich später aufgegeben habe. Lockerer wurde es bei der Besprechung des Ablaufs der Handlung im einzelnen; wie das mit dem Ringwechsel vor sich gehen sollte, welche Lieder gesungen werden sollten und anderes mehr.

Einen ganz anderen Charakter hatten naturgemäß die Gespräche anläßlich einer Beerdigung. Die Angehörigen des Verstorbenen hatten vor allem das Bedürfnis über die Umstände seines Sterbens zu sprechen. Über dem Reden über das Leben des Verstorbenen ist es je und dann gelungen ein Wort des Trostes und einen Hinweis auf unsere über den Tod hinausgehenden Hoffnungen zu sagen. Je länger je mehr habe ich gelernt bei diesen Gesprächen herauszufinden, was dieser Tod bei den Angehörigen ausgelöst hat. Darüber ergaben sich dann weiterführende und in die Tiefe gehende Gespräche.

Die Seelsorge

Zu den wesentlichen Aufgaben eines Pfarrers gehört die Seelsorge. Ich muß gestehen, daß ich mit dieser Aufgabe gewisse Schwierigkeiten hatte. Damals war es noch üblich, die Seelsorge von Psychologie und Psychotherapie scharf zu unterscheiden. Seelsorge, so stand in den Lehrbüchern zu lesen, hätte es mit dem Menschen vor Gott, mit seiner Schuld und dem Zuspruch der Vergebung zu tun, Psychologie dagegen sei rein innerweltlich zu verstehen und habe es nur mit dem Menschen in seiner Umwelt und seinem Verhältnis zu sich selber zu tun. Diese Unterscheidung kam mir irgendwie gekünstelt vor, abgesehen davon, daß sie von einem falschen Gottesverständnis ausging. Für mich bedeutete Seelsorge, daß ich mich um persönliche Fragen und Probleme, sofern sie an mich heran getragen wurden oder mir zu Ohren kamen, kümmerte. Wie weit mir das gelungen ist, dabei Menschen wirklich zu helfen, vermag ich nicht zu sagen. Als Beispiel für diesen Bereich meiner pfarramtlichen Tätigkeit fallen mir die Gespräche mit einer jungen Frau aus einer tief christlichen pommerschen Bauernfamilie ein, die in Heckenbeck gelandet waren. Die junge Frau und der Erbe eines der größten Höfe verliebten sich ineinander und hielten ganz fest zusammen. Die Mutter des jungen Mannes war, wiewohl eine ganz kirchliche Frau, strikt gegen diese Verbindung, vor allem weil die junge Frau nichts einzubringen hatte. Menschliche Qualitäten reichten nicht aus. Die beiden haben trotz aller Widerstände geheiratet. Doch die junge Frau hatte es sehr schwer. Natürlich habe ich dieser Frau, die sehr tapfer war, beizustehen versucht.

Gemeindekreise

Von den Bemühungen, über die Gemeindegrenzen hinweg die Gemeinschaft zu fördern, habe ich berichtet und dabei von den Waldfesten erzählt. Genau so wichtig war uns natürlich auch die Förderung der Gemeinschaft innerhalb der einzelnen Gemeinden. Da ist für Heckenbeck in erster Linie die Frauenhilfe zu nennen, die für das ganze Dorfleben eine große Bedeutung hatte. Ihr gehörten Frauen aller Alters- und Bevölkerungsschichten an. Die Vorsitzende war die Frau eines der größten Bauern aus dem Dorf, der – Zufall oder nicht – der stellvertretende Vorsitzende des Kirchenvorstandes war. Die monatlichen Zusammenkünfte liefen in der Regel etwa so ab: Nachdem sich die Frauen eingefunden, sich gegenseitig begrüßt und ihre Plätze rund um den Tisch eingenommen hatten, erhob sich die Vorsitzende, eröffnete die Frauenhilfsversammlung und erteilte dem Herrn Pastor das Wort. Der hielt zunächst eine Andacht und gestaltete dann zusammen mit seiner Frau den weiteren Abend. Wir sprachen entweder über ein Thema, lasen etwas vor, sangen den Geburtstagskindern ein Lied, und waren vergnügt miteinander. Das Kaffeetrinken spielte bei uns eine untergeordnete Rolle. Das geschah nur bei besonderen Anlässen. Daß die Frauenhilfe unabhängig von uns Pfarrersleuten ein Eigenleben führte, mag das folgende Beispiel belegen: Eines Tages als wir anregen wollten, daß Frauenhilfsmitglieder älteren Dorfbewohnern zum Geburtstag gratulieren könnten, sagte uns die Vorsitzende; "Herr Pastor, das tun wir doch schon lange, und wir nehmen immer ein Glas Honig mit" Daß man bei Krankheiten mit Kochen und Putzen half, ist sicher nicht nur auf die Existenz der Frauenhilfe zurückzuführen, sondern gehörte zum Dorf dazu. Die Frauenhilfe war dabei allerdings wesentlich mit beteiligt. - In Dankelsheim gab es keine Frauenhilfe. Als ich später eine vierzehntägige Bibelstunde einführte, wurde diese von einem ganz festen Kreis von Frauen regelmäßig besucht. Das war für sie so etwas wie ein Frauenhilfs-Ersatz.

Was in Heckenbeck für die Frauen die Frauenhilfe war, war für die Kinder der Kindergottesdienst. Da Heckenbeck fast so etwas wie eine große Familie war, war es so gut wie selbstverständlich, daß alle Kinder Sonntags zum Kindergottesdienst kamen. Das kann man sich heute kaum noch vorstellen. Es gelang während unserer Zeit immer wieder junge Mädchen zu gewinnen, die für kürzere oder längere Zeit als Helferinnen tätig waren. Diese waren für den Kindergottesdienst von unschätzbarem Wert, denn sie waren die Vertrauenspersonen für die Kinder. Der Zufall wollte es, daß über einen längeren Zeitraum hinweg eine der beiden Helferinnen im unteren und die andere im oberen Dorf wohnte. Wenn nun die Glocke zum Kindergottesdienst läutete, kamen die beiden je mit einem Schwarm Kindern an der Hand, die Dorfstraße entlang zur Kirche. Aus zeitlichen Gründen habe ich nur in Heckenbeck Kindergottesdienst gehalten.

Eine stark gemeinschaftsbildende Funktion hatte auch unsere Jugendarbeit. Natürlich betrieben wir diese – wie es damals üblich war - nach Geschlechtern getrennt. Die Abende für die Mädchen hielten meine Frau und ich gemeinsam. An diesen Abenden haben wir vorgelesen, Fragen des täglichen Lebens besprochen und viel gesungen. Die Ab ende mit Jungen bestritt ich alleine Was ich an diesen Abenden gemacht habe, weiß ich nicht mehr. Zwei Dinge sind mir in Erinnerung. Das eine ist die Gründung eines Posaunenchores, in dem ca. sechs Jungen eifrig mittaten. Das andere ist ein Rad-Ausflug von ca. einer Woche Dauer an der Weser aufwärts bis nach Kassel. Wir hatten Zelte mit, haben unterwegs abgekocht und viel Spaß miteinander gehabt. Meine Frau hat, damit die Mädchen nicht zurückstehen mußten, mit ihnen eine Radtour nach Dassel gemacht, wo sie in einem Evg. Jugendheim Unterkunft fanden. Im Mädchenkreis war eine ganz Anzahl älterer Mädchen, mit denen wir gut zusammen arbeiten konnte. Die Jungen und Mädchen beider Kreise taten sich gelegentlich zusammen, um ein Laienspiel aufzuführen. Dabei half uns beim Einstudieren und beim Beschaffen der Requisiten eine Frau aus der Gemeinde, die mit den Jugendlichen gut umgehen konnte. Die Aufführungen fanden unter großer Beteiligung der Gemeinde im Saal einer der beiden Gastwirtschaften statt.

Natürlich hielt ich zunächst in Heckenbeck und, wie schon erwähnt, später auch in Dankelsheim Bibelstunden ab, in Heckenbeck im vierzehntägigen und in Dankelsheim im monatlichen Rhythmus. Diese Bibelstunden wurden ausschließlich von Frauen besucht, in Heckenbeck nur von einem sehr kleinen, konstanten Kreis vor allem vertriebener Frauen. Die Frauen kamen sehr treu, auch wenn es in diesen Stunden ein wenig akademisch zuging. Nach meiner Erinnerung habe ich dort meine exegetischen Erkenntnisse aus dem Studium weitergegeben und versucht, die Bibel vom historisch-kritischen Ansatz her verständlich zu machen. Was die Frauen davon wirklich verstanden haben, und was dazu beigetragen hat, die Bibel mit anderen Augen zu lesen, vermag ich nicht zu sagen.

Während die Bibelstunden nur von einem ganz kleinen Kreis von Frauen besucht wurden, lief das mit den Bibelwochen, die ich alljährlich im November in Heckenbeck, entweder allein oder zusammen mit Kollegen aus der Nachbarschaft, abhielt, ganz anders. Da saß der kleine Gemeindesaal immer voll, und es waren auch viele Männer dabei. Diskutiert wurde meiner Erinnerung nach an diesen Abenden nicht. Das lag den Dorfbewohnern nicht. Bei diesen Bibelwochen hielt ich mich an die von einem volksmissionarischen Arbeitskreis der EKD herausgegebenen Handreichungen. In den anderen Gemeinden habe ich keine Bibelwochen gehalten. Das wäre zeitlich einfach nicht machbar gewesen.

Der Konfirmandenunterricht

Während der ganzen Heckenbecker Zeit war mein Konfirmandenunterricht reiner Katechismusunterricht, so wie es damals gang und gäbe war. Der Unterricht bestand im wesentlichen darin, daß ich den Katechismus Stück für Stück durchgenommen und erklärt habe. Dabei habe ich entsprechende biblische Geschichten zur Verlebendigung und Vertiefung herangezogen. Natürlich versuchte ich, mich auf die Konfirmanden einzustellen und meine Erklärungen so verständlich wie möglich zu machen. Aber es gelang mir nicht, den Katechismus den Konfirmanden wirklich nahezubringen. Dazu hat sicher die Tatsache, daß ich selber kein besonders inniges Verhältnis zum lutherischen Katechismus hatte, ihr Teil beigetragen. Darüber hinaus wirkte es sich negativ auf den Unterricht aus, daß Luthers Kleiner Katechismus im Leben der Erwachsenen kaum noch vorkam. Ähnlich war das mit dem Gesangbuch. Zwar hatte die Generation der Großeltern unserer Konfirmanden noch ein gewisses Verhältnis zum Gesangbuch. Sie konnten noch viele Choräle auswendig und bewahrten sie wie einen Schatz. Aber die jüngeren Leute hatten weder zur Bibel noch zum Gesangbuch ein lebendiges Verhältnis. Das konnte natürlich nicht ohne Folgen für den Unterricht und die Aneignung von Bibelsprüchen und Choralstrophen bleiben. Darum, daß die Konfirmanden einen gewissen Fundus an Katechismustücken und Liedversen auswendig konnten, habe mich zwar bemüht, aber viel hängen geblieben ist nicht. Was sollten die Jugendlichen mit diesen Dingen anfangen, die trotz ständig wiederholter gegenteiliger Behauptungen aus Kollgenkreisen im Leben der Erwachsenen kaum noch vorkamen. Darum spielte das Auswendiglernen und das Abfragen in meinem Konfirmandenunterricht eine untergeordnete Rolle. Es wurde ja auch im Schulunterricht kaum noch gepflegt. Sehr viel mehr Wert habe ich auf ein lebendiges Unterrichtsgespräch gelegt, und ich glaube mich zu besinnen, daß mir das auch gelungen ist. Das folgere ich auch daraus, daß mir besonders die Konfirmandengruppen, in denen partout kein Gespräch zustande kam, in leidvoller Erinnerung sind. Das war besonders bei der ersten Gruppe in Heckenbeck so: Vier ganz liebe Jungen und Mädchen. Sie lauschten dem, was ich ihnen vortrug, aufmerksam, aber sie waren stumm wie die Fische. Das war mühsam. Mit den späteren Gruppen, die zahlenmäßig größer und geistig reger waren, ging das besser.

In Dankelsheim allerdings bin ich des Unterrichts die ganzen Jahre über nicht recht froh geworden. Das lag sicher zu einem Teil daran, daß der Unterricht in der Schule stattfand. Das wirkte sich, was ich mir damals nicht klar machte, atmosphärisch negativ aus. Aber es gab noch einen anderen Grund. Die Dankelsheimer kamen mir geistig unbeweglicher vor als die Heckenbecker, ich hielt sie für strohdumm. Ich habe mir damals einfach nicht genug klargemacht, daß sie mit meiner mehr intellektuellen Art des Unterrichtens nicht zurechtkamen. Aus einer gewissen Hilflosigkeit heraus habe ich das Dümmste getan, was man in solcher Situation tun kann. Ich habe sie ausgeschimpft. Bewirkt hat das überhaupt nichts. Aber da es gutmütige Jungen und Mädchen waren, haben sie das mit Gleichmut ertragen.

An diesem Dankelsheimer Beispiel hätte ich damals schon lernen können, daß ein rein verbaler Unterricht allenfalls die Köpfe aber nicht die Herzen erreicht. Aber wir hatten in den katechetischen Seminaren der Universitäten ja nichts anderers gelernt, als zu lehren. Später in meiner Zeit im Katechetischen Amt habe ich gelernt, daß es auch ganz andere Möglichkeiten gibt Konfirmandenunterricht zu halten.

Zum Konfirmandenunterricht gehörte damals natürlich auch die öffentliche Prüfung der Konfirmanden, die am letzten Sonntag vor der Konfirmation in der Kirche stattfand. Ich habe mich von Anfang an darum bemüht, dieser Veranstaltung den Schrecken zu nehmen. Getürkt werden sollte allerdings auch nicht, wie das bei manchen Kollegen üblich war, nach der Weise: "Wer die Antwort weiß, hebt die rechte Hand, und wer sie nicht weiß, die linke". Ich hatte mich mit den Konfirmanden darauf verständigt, daß jeder je nach seinem Vermögen ein bis drei bestimmte Stücke, sei es ein Lied einen Psalm oder einen Abschnitt aus dem Katechismus, gründlich gelernt hat und damit auch dran kommt. Von dieser Übereinkunft habe ich selbstverständlich der Gemeinde in dem Prüfungsgottesdienst Kenntnis gegeben.

Eine zu dieser Zeit in der Landeskirche eingeführte Neuerung im Konfirmandenunterricht war die Ephoralprüfung. Die Ende der vierziger Jahre erlassene Verordnung besagte, daß der Propst im letzten Vierteljahr vor der Konfirmation die Konfirmandengruppen jeder Gemeinde zu besuchen und den Wissenstand der einzelnen Konfirmanden zu überprüfen habe. Eine schreckliche Verordnung, geboren aus einem rein formalistischen Verständnis des Auswendiglernens. Ich habe mich gegen die Handhabung dieser, gegen alle pädagogischen Erkenntnisse verstoßenden Verordnung gewehrt und beim Propst, der dafür Verständnis zeigte, erreicht, daß nicht er dieses Abfragespiel durchführte, sondern daß sein Besuch als eine Visitation des Unterrichts verstanden wurde, also das Prüfungsgespräch von mir geführt wurde. So war es nicht der einzelne Konfirmand, der dieser für ihn u. U. hochnotpeinlichen Befragung ausgeliefert wurde, sondern ich war derjenige, der hier überprüft werden sollte.

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Gute Freunde und getreue Nachbarn

Für unser Leben in Heckenbeck war es ganz wichtig, daß wir neben den vielen Menschen in den Gemeinden auch unter den Pastorenkollegen unsrer Propstei (unter den "Amtsbrüdern", wie man in Pastorenkreisen zu sagen pflegt) gute Freunde und getreue Nachbarn fanden. Es waren besonders drei Ehepaare etwa in unserm Alter, zu denen sich immer enger werdende freundschaftliche Beziehungen entwickelten. Wir besuchten uns gegenseitig, tauschten unsere Erfahrungen aus und halfen uns je und dann im persönlichen Bereich und in der Arbeit. Uns verband nicht nur das gleiche Alter, sondern auch eine große Übereinstimmung in Fragen der Theologie und der Lebenseinstellung. Dieses Freundschaften haben sich bis heute, weit in unseren Ruhestand hinein, als haltbar und stabil erwiesen.

Wichtig für die Zeit in Heckenbeck waren auch die monatlichen Zusammenkünfte der Pfarrer unserer Propstei im Pfarrkonvent. Wir hatten untereinander ein gutes kollegiales Verhältnis und in den beiden Pröpsten, die wir während unserer Heckenbecker Zeit erlebten, Menschen, die es verstanden, die Gemeinschaft unter uns zu pflegen. Die Konferenzen hatten einen familiären Charakter. Dazu trug wesentlich bei, daß sie reihum in den Pfarrhäusern stattfanden und die Pfarrfrauen nicht nur für das leibliche Wohl sorgten, sondern selbstverständlich an der Konferenz teilnahmen.

Wir haben nicht nur über dröge Verwaltungsdinge und landeskirchliche Verordnungen gesprochen, sondern haben vor allem Theologie getrieben; entweder mit Referaten aus den eigenen Reihen oder je und dann mit Gästen aus der Landeskirche und auch von auswärts. Sehr deutlich erinnere ich mich an einen Vortrag des damaligen Leiters des neu eingerichteten Katechetischen Amtes in Loccum, Professor Karl Witt, über das Memorieren im Konfirmandenunterricht. Er setzte dem rein formal gehandhabten Auswendiglernen das Memorieren entgegen. Darunter verstand er das stückweise Erarbeiten und Durchdringen eines Stückes aus dem Katechismus oder dem Gesangbuch bis es so weit beherrscht wurde, daß sich das ausdrucksvolle Sprechen durch einzelne oder die Gruppe fast wie von selber einstellte. Das war sehr eindrucksvoll, hat allerdings bei mir zu keiner wesentlichen Änderung meines Unterrichts geführt. Eines gab es allerdings in dem offiziellen Programm der Konferenzen nicht: Ein Austausch über unsere Arbeit, über unsere Erfahrungen, Erfolge und Mißerfolge oder gar über unsere Predigten. Das geschah, allenfalls unter Freunden.


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Impressum und Datenschutzerklärung, http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/FS90Heintze/, Stand: 18. November 2002, dk