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[Kirche von unten]

Gott dem Herrn Dank sagen

Festschrift für Gerhard Heintze

Reinhart Staats

Zur politischen Wirkung von Luthers Lied "Ein feste Burg"

und eine mögliche Versumstellung

Als Göttinger Repetent meiner Braunschweigischen Landeskirche hatte ich 1964 eine der jährlichen Tagungen mit den Theologiestudenten auf dem "Hessenkopf" bei Goslar organisiert. Thema war "Das geistliche Amt" und Referenten waren drei eingeladene Theologen, die mit ihrer unterschiedlichen Auffassung dieses Themas unsere Tagung außerordentlich bereicherten: Gerhard Heintze, damals noch Hildesheimer Landessuperintendent, Pastor Helmut Lieberg von der Brüderkirche in Braunschweig und ein Liturgiewissenschaftler und Benediktinerpater aus der Abtei Scheyern in Bayern. Trotz harter Gegensätze war es doch Gerhard Heintzes feine Art des klaren und ohne sture Antithetik und Polemik auskommenden Argumentierens, dass wir alle irgendwie ebenso nachdenklich wie versöhnlich auseinander gingen. Bald danach wurde Gerhard Heintze zu unserem Bischof gewählt. Mich selbst aber hat seitdem die Sache einer noch heute zu vertretenden lutherischen Ekklesiologie nie mehr losgelassen, in meiner Pastorenzeit in Wieda/ Harz 1964-1969, danach in meiner akademischen Lehrtätigkeit an den Universitäten Heidelberg und Kiel.

Zweimal bin ich in den neunziger Jahren wieder auf dem "Hessenkopf" gewesen: einmal hielt ich einen Vortrag vor dem "Arbeitskreis für Braunschweigische Kirchengeschichte" über "Die vergessene Heiligkeit der Kirche" und ein andermal über die Entstehung von Luthers berühmtesten Lied "Ein feste Burg ist unser Gott". Dieses Lied war bekanntlich auch zum Standardlied in der Geschichte des deutschen Nationalprotestantismus geworden, aber es ist eigentlich ein unpolitisches Lied, welches exemplarisch ist für Luthers starke Begründung der Kirchenlehre in der Seelsorge, so wie ja auch der Ablassstreit und damit der Reformationstag am 31. Oktober 1517 zunächst durch ein Problem kirchlicher Seelsorge veranlasst worden war. Eine neue und nachträgliche Beobachtung zu "Ein feste Burg" sei hiermit Gerhard Heintze gewidmet, dankbar auch dafür, dass ich seinerzeit als junger Theologe und Pastor einen Bischof hatte, der sein kirchliches Amt vor allem als theologisches und seelsorgerliches Amt wahrnahm. Man muss ja heutzutage nicht selten feststellen, dass bei der Wahl in kirchenleitende Ämter theologische und seelsorgerliche Qualifikationen nur nachrangig gefragt sind. Doch die evangelische Kirche wird nur gute Zukunft haben, wenn sie als Kirche ihre Predigt und Seelsorge theologisch begründet und sich nicht in völlige Abhängigkeit von Psychologie, Soziologie und Politologie oder gar Tagespolitik und Medienherrschaft begibt. Denn sie kann solchen "Humanwissenschaften" und Konkurrenzunternehmungen der Kommunikation immer wieder ganz Eigenes kritisch mitteilen und sogar als Salz in der Suppe wirken.

Doch nun zu einer kleinen und sehr speziell erscheinenden hymnologischen These, die zumindest anregen soll, Martin Luthers großen Hymnus wieder ernster zu nehmen als in den letzten Jahrzehnten geschehen. Dieses Verdrängen, das fast schon zu einem Vergessen geworden ist, hat natürlich historische Gründe. Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts gehört "Ein feste Burg" zum Proprium des Reformationstages. Doch vorher wurde es meist am Anfang der Passionszeit gesungen, so wie "Ein feste Burg" in letzter Zeit auch wieder richtig als Wochenlied für den Sonntag Invokavit empfohlen wird. Zweifellos hat das Wartburg-Fest der Urburschenschaftler am 18. und 19. Oktober 1817 entscheidend dazu beigetragen, dass Martin Luthers "Trutz-Lied" gewissermaßen politisiert wurde und, wie Peter Rühmkorf in der FAZ spottete, sogar zur "protestantischen Nationalhymne" und angeblich in Hitler-Deutschland zur "eindrucksvollsten Glaubensruine des evangelischen Kirchengesangs" wurde (vgl. M. Reich-Ranicki, Hg., Frankfurter Anthologie 8, 1984, 27-30). Solch politische Rezeption müsste dann aber auch für die politische Linke gelten, die ja im 19. Jahrhundert, vor Aufkommen des Marxismus, alles andere als antinational war. Heinrich Heine meinte 1834 in seiner Schrift "Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland": "Jenes Lied, die Marseiller Hymne der Reformation, hat bis auf unsere Tage seine begeisternde Kraft bewahrt". "Ein feste Burg" war in der Tat die Hymne schlechthin junger nationaler Demokratie schon auf der Wartburg gewesen, als die Studenten die Erinnerung an die dreihundert Jahrfeier von Luthers Reformation mit der Hoffnung auf ein politisch geeintes und freies deutsches Vaterland verbanden. Das Lied wurde dann in den letzten zweihundert Jahren immer wieder anlässlich politischer und nationaler Ereignisse angestimmt, die wegen ihrer Bedeutung für das Leben des deutschen Volkes als epochal und somit religiöser und christlicher Erklärung bedürftig empfunden wurden. Der älteren Generation ist noch bestens erinnerlich, wie 1933 und in den Jahren danach "Ein feste Burg" auch zum Erkennungslied der "Deutschen Christen" geworden war, weshalb schon damals das Lied in Kreisen der "Bekennenden Kirche" auch weniger gesungen wurde. Doch seine Beliebtheit war bei den Rechten und den Linken ungebrochen, sobald es darum ging politische "Betroffenheit" zu demonstrieren. Auch die musikgeschichtliche Rezeption war inspiriert von politischen Ereignissen. Dafür seien als hervorragende Beispiele genannt: Mendelssohns 5. Symphonie, die "Reformationssymphonie" von 1832, dem Jubiläumsjahr von Lützen und Gustav Adolfs Tod. 1836 erscheint des Protestanten Giacomo Meyerbeer Oper "Die Hugenotten", auch mit der Verarbeitung des Luther-Liedes, und Richard Wagners "Kaisermarsch" von 1871 ist als politisches Beispiel so bemerkenswert, weil Wagner mit mehrmaligem pompösen Zitat des Hauptmotivs von "Ein feste Burg" den Stolz darüber bekräftigt, dass das neue, 1870 entstandene deutsche Reich im Kern ein protestantisches Reich sein sollte. Andererseits gab es auch immer noch eine eher linke Einstimmung auf das Reformationslied. Wie mir ein Kenner der Berliner Sozialgeschichte (Christian Homrichhausen) mitteilte, wurde die erste und die zweite Strophe am 4. Februar 1898 einleitend gesungen auf der Gründungsversammlung des so genannten großen Berliner Arbeitervereins, unter Beteiligung allerdings von Adolf Stöcker, der alles andere als ein Sozialdemokrat war. Am 24. November 1918 rief der amtierende Leiter eines Berliner Verbandes alle sozial-aktiven christlichen Vereine dazu auf, den Sozialdemokraten Friedrich Ebert zu unterstützen, und er schloss seine Grußadresse mit den Worten: "Mit Gott wollen wir Taten tun! Ein feste Burg ist unser Gott". Etwas entlegener und dennoch unüberhörbar klingt die erste Zeile an im Niedersachsenlied des Braunschweigers Hermann Grote, 1929: " ... stehen Niedersachsens Söhne, eine feste Burg und Wehr ...".

Auch im evangelischen Ausland wurde die Hymne in Augenblicken größter politischer Betroffenheit spontan gesungen; es wäre daher ganz verfehlt, im Politischen nur einen Missbrauch des Liedes erkennen zu wollen: Meinem finnischen Freund und Kollegen Hans-Olov Kvist verdanke ich folgende Nachrichten: Februar 1899 drohte in Finnland eine panslavistische Vereinnahmung durch Zar Nikolaus II. Großes Volk versammelte sich auf dem "Senatstorget" in Helsinki in Trauerbekleidung. Blumen wurden vor dem Denkmal des "edlen" Zaren Alexander II. niedergelegt, der ja ein Garant weitreichender finnischer und baltischer Autonomie gewesen war. (Sein Denkmal auf dem Hauptplatz der finnischen Hauptstadt sollte dann auch das einzige Monument eines russischen Zaren sein, das bis heute allen Katastrophen des Zwanzigsten Jahrhunderts standhielt). Spontan sang die Menge auf Finnisch und Schwedisch "Ein feste Burg ist unser Gott", danach die finnische Nationalhymne. Vierzig Jahre später kam es zu einer ähnlichen Situation. Denn Finnland stand im Herbst 1939 unter der Bedrohung einer Okkupation durch die Sowjetunion, wie solche für das Baltikum eine zwischen Hitler und Stalin schon ausgemachte Sache war. Am 9. Oktober 1939 reiste eine Delegation unter Führung des Staatsrates Paasiviki nach Moskau, um den drohenden Beistandspakt auf Gegenseitigkeit zu verhindern. Bei der Abfahrt des Eisenbahnzuges sang die Volksmenge auf Finnisch und Schwedisch "Ein feste Burg". In Åbo (Turku) wird bis heute bei der Ausrufung eines "Weihnachtsfriedens" vom Balkon des Rathauses aus an einer Jahrhunderte alten Sitte festgehalten, einleitend das Reformationslied und zum Schluss der Veranstaltung die finnische Nationalhymne zu singen. Der schwedische Propst Olof Andrén schrieb mir, er erinnere sich noch heute daran, wie im finnischen Krieg die zahlreichen schwedischen Freiwilligen auf den schwedischen Bahnhöfen unter dem Gesang von "Vår Gud är oss en väldig borg" nach Finnland verabschiedet wurden. Auch in Estland und Lettland wurde Luthers Text zu einem Widerstandslied gegen die kommunistische Diktatur und in Korea gegen die japanische Besetzung. Ja, in Norwegen wurde das Lied gegen Rassismus und Nationalsozialismus eingesetzt, so 1942 in Trondheim unter Führung des Domprobsten Fjellbu bei der Besetzung des Domes durch kirchliche Nazis und Anhänger des Quisling-Regimes. Sehr sprechend ist ein in Norwegen noch heute verbreitetes Taschenbuch zur Widerstandsbewegung, welches die Worte des letzten Verses im Titel führt: "Nehmen sie den Leib" (Per Hansson, Hg., Ok tok de enn vårt liv, Oslo 1965, danach fünf Auflagen!).

Freilich ist es an der Zeit, den theologischen und insbesondere seelsorgerlichen Gehalt des Liedes wieder zu entdecken. Dieser konnte auch niemals ganz verloren gegangen sein, weil das Lied in allen vier Strophen von der älteren Generation noch auswendig gelernt worden war und daher auch inwendig so tief saß, dass sich im Singen gerade dieses Liedes auch den der Kirche längst Entfremdeten plötzlich ein Gefühl neu erschließen konnte, immer noch zur evangelischen und lutherischen Kirche zu gehören. Luthers Seelsorge zeigt sich schon in der Entstehungsgeschichte des Liedes. Ich hatte meinen Vortrag auf dem "Hessenkopf", der sich mit dieser Entstehungsgeschichte befasste, in der "Theologischen Literaturzeitung" veröffentlichen können (ThLZ 122, 1998, 115-126), und ich meine nachgewiesen zu haben, dass Luther das Lied im Streit um das Abendmahl mit Ökolampad und Zwingli im Frühjahr 1527 gedichtet hatte. Auch wenn es an sich kein Abendmahlslied ist, so ist es doch der poetische Ausdruck bösester Anfechtungen, die Luther im Laufe dieses innerevangelischen Streites persönlich erleiden musste, und es ist ein Zeugnis für die Überwindung des Bösen im Bekenntnis zu dem Gott, der uns in Jesus Christus ("und ist kein andrer Gott") tröstet und der den christlichen Glauben groß und stark macht. Meine ausführliche Darlegung fußt auf etwa zwanzig wörtlichen und inhaltlichen Parallelen, die sich in Luthers Abendmahlsschrift "Daß diese Worte Christi (Das ist mein Leib) noch feststehen wider die Schwarmgeister". Mit der Arbeit an diesem Traktat - in der handschriftlichen Überlieferung ist kein anderes Manuskript Luthers so unordentlich und derartig massiv und eruptiv hingeworfen und immer wieder korrigiert worden – war Luther im März 1527 fertig geworden. Man kann sich gut vorstellen, wie das Lied mit Text und Melodie gleichsam als eine Arbeit nebenbei und als ein Kirchengebet, so dürfen wir heute sagen, entstanden ist. Denn "wir", die Gemeinde, sollen es wie im Gebet singen. Dieses ‚Parergon’ zu Luthers Abendmahlsschrift "Daß diese Worte..." ist auch nicht im strengen Sinn ein Psalmlied zu Psalm 46, obwohl es schon im ältesten Druck von 1529 mit der Überschrift erschien: "Der XLVI. Psalm, Deus noster refugium et virtus". Denn Psalm 46 steht nicht allein im Hintergrund, auch andere neutestamentliche Motive wie besonders Eph 6,11 ("Ziehet an den Harnisch Gottes, daß ihr bestehen könnt die listigen Anläufe des Teufels") und Johannesapk. 12,9 ("Die alte Schlange, die da heißt der Teufel und Satanas, der die ganze Welt verführt") und Joh. 12,31 ("Fürst dieser Welt" ; vgl. 14,30; 16,11; Eph 2,2) sind im Lied angelegt. Freilich konnten meine Beobachtungen nur eine ausführliche Bestätigung und Weiterführung von Erkenntnissen sein, die schon Wilhelm Stapel (1954), Klaus Burba (1956), Martin Brecht (1976 und 1986) und besonders Guido Fuchs (1992) hatten.

Mit diesem Beitrag sei nun die theologische Diskussion um "Ein feste Burg" weiter geführt, indem ich einmal ausprobiere, ob die Verse 2 und 3 nicht vertauscht werden sollten. Denn dann würde eine theologische Systematik im Lied noch besser erkennbar sein, nämlich eine trinitätstheologische Gliederung und eine Gliederung, die nacheinander das dreifache "Allein" reformatorischer Theologie treffend verdichtet hätte, nämlich "allein Christus", "allein der Glaube" und "allein das Wort". Es sei meinem verehrten Bischof Heintze und jedem Leser nachfolgender Zeilen gestattet, wenn er sich von meinen Überlegungen nicht überzeugen lässt. Sie sollen allerdings auch nur vordergründig der Form gelten, hintergründig und eigentlich aber dem Inhalt des Liedes, damit der Text vielleicht wieder mehr im Gemeindeleben präsent wird. Ich habe verschiedentlich diese Versumstellung singender Weise mit Studenten und auch in einem Gemeindevortag in der deutschen Gemeinde Tondern (Nordschleswig) erprobt und hatte jedes Mal das Gespür eines Aha-Erlebnisses: "Es geht auch so".

Zwei Gegenargumente seien von vornherein in Frage gestellt. Erstens: Die ältesten Drucke haben die uns geläufige Reihenfolge der Verse. Das ist zwar richtig, aber die ältesten Drucke stammen aus dem Jahr 1529, sind also erst zwei Jahre nach Niederschrift des Textes durch Luther herausgekommen. Und die erste Auflage des wichtigen Gesangbuches von Joseph Klug 1529 ist sogar verschollen. Hier ist man auf die zweite Auflage von 1533 angewiesen, man vermutet allerdings, dass es schon vor diesem Klugschen Gesangbuch ein ebenfalls verlorenes "Wittenbergisches Gesangbuch" von 1528 mit "Ein feste Burg" gegeben hat. Zwischen 1527 und 1529 kann also viel passiert sein (vgl. WA 35, 26f.). Ein handschriftliches Original Luthers existiert nicht. Luther scheint auch nach 1527 niemals mehr auf sein eigenes Lied zurückgekommen zu sein, das doch spätestens seit 1528 in aller christlichen Munde war, wie nicht zuletzt Hans Sachs bezeugt. Das Lied machte also seinen eigenen Weg, und Luther hatte zu viel anderes zu produzieren und war zu wenig eitel. Er hatte es nicht nötig, sich selbst zu zitieren. So ist nicht auszuschließen, dass eine Vertauschung von Vers 2 und 3 schon in der ältesten Druckgeschichte passierte oder dass sogar eine Blattvertauschung gleich beim ersten Druck geschah. Dann hätte der Setzer der Druckerei die auf je eigenen Bögen von Luther geschriebenen Verse 2 und 3 vertauscht. – Zweitens: Luther war kein systematischer Theologe, dem bei seinen Liedern an einer dogmatischen Gliederung viel gelegen hätte. Das stimmt so nicht. Er hat nicht nur in eigenen Psalmliedern und in seinen Übersetzungen lateinischer Hymnen auf eine trinitarische Ordnung und Doxologie geachtet, so in "Ach Gott vom Himmel zieh darein" (EG 273,6); "Es wolle Gott uns gnädig sein" (280,3); "Nun komm, der Heiden Heiland" (4,5); "Komm Gott, Schöpfer, Heiliger Geist" (126, 6-7); "Gott der Vater steh uns bei" (138); "Wir glauben all an einen Gott" (183); "Der du bist drei in Ewigkeit" (470). Luther konnte ja auch im eigenen, ganz selbständigen Liedschaffen auf eine trinitätstheologische Ordnung Wert legen. So im Abendmahlslied "Gott sei gelobet und gebenedeiet", darin der bekanntere dritte Vers "Gott geb uns allen seiner Gnade Segen" (214,3); "Erhalt uns Herr bei deinem Wort" (193) und "Christ, unser Herr, zum Jordan kam" (202,1-4).

Die hymnologische Forschung hatte aufgrund einer sprachlichen Härte und Unlogik zwischen Vers 3 und 4 (nach üblicher Reihenfolge) schon längst die Frage aufgeworfen, ob das ganze Lied überhaupt einheitlich entstanden sei und ob nicht der vierte Vers nachträglich entstanden sei. Auch hier meinte man schon einmal die ältesten Drucke korrigieren zu müssen. Denn in der Tat muss man fragen, was Luther mit dem "einen Wörtlein" gemeint hat: "Ein Wörtlein kann ihn fällen", zumal es dann in Vers 4 weitergeht "Das Wort sie sollen lassen stahn". Zwischen "Ein Wörtlein" und "das Wort" liegt doch ein erheblicher und scheinbar hier nicht erklärter Unterschied. Urs Jenny hatte vorgeschlagen, die vierte letzte Strophe vom Lied abzutrennen, gerade auch wegen des Fehlens jeden Bezuges zu Psalm 46. Damit hätte man freilich auch einen für die bürgerliche Moral anstößigen Vers abgestoßen: "Nehmen sie den Leib, Gut, Ehr, Kind und Weib". Jenny meinte, dieser Vers sei "eine Zumutung an den Sänger in der Kirche". Und der sonst doch gar nicht seine Bürgerlichkeit herausstellende Literat Walter Jens hatte seine Interpretation in der "Frankfurter Anthologie" (hg. von Reich-Ranicki, 1984, 15-18) sogar betitelt: "Die verflixte vierte Strophe". Die Härte zwischen "ein Wörtlein" und "das Wort" kann aber aufgelöst werden, wenn auf Vers 3 nun Vers 2 folgt: "Ein Wörtlein kann ihn fällen. Mit unserer Macht ist nichts getan ...".

Allerdings gibt es keine Zweifel an der Zusammengehörigkeit aller Verse bei doch verschiedener Reihenfolge, wenn die wörtlichen Parallelen in Luthers Abendmahlstraktat "Daß diese Worte ..." beachtet werden. Schon im Titel und einleitend klingt auch der Eingang des Liedes "Ein feste Burg ist unser Gott" an. Denn es soll gelten, "daß diese Worte Christi ‚Das ist mein Leib’ etc. noch fest stehen". Es geht also um die feste Stellung der Heiligen Schrift, es geht sozusagen um die richtige christliche Hermeneutik der Bibel. Dagegen, so Luther, berufe sich zu seiner Zeit jede Rotte auf die Heilige Schrift: "Also konnte der Teufel den Christen ihre Waffen, Wehre und Burg (das ist die Schrift) ablaufen, daß sie nicht allein matt und untüchtig wider ihn wurde, sondern auch wider die Christen selbst streiten musste und sie bei den Christen so verdächtig macht, als wäre sie eitel Gift ... sage mir, ist das nicht ein Kunststücklein des Teufel gewesen?" Zum "Wörtlein" schreibt Luther u. a.: "Das Wörtlein ‚Ist’ soll so viel gelten als das Wort ‚Bedeutet’, wie Zwingli schreibet ...". Man dürfe die Abendmahlsworte "Das ist mein Leib" nicht pressen und quälen: "Wohl an, da ist nichts mehr zu martern an dem Text, denn das Wörtlein ‚Mein’, das will ich durch der Schwärmer Hechel ziehen, auf dass ja kein Bein an dem Text ganz ungemartert bleibe ...". Und zur Märtyrertheologie des letzten Verses, die dem modernen westlichen Christen weithin fremd geworden ist, schreibt Luther im Traktat: "Da mußte wohl aufhören Zwietracht und Hader in der Schrift, welches ist ein göttlicher Hader, das ist, da Gott mit dem Teufel hadert, wie St. Paulus sagt Eph 6,12: ’wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern mit der geistlichen Bosheit in der Luft etc’. Aber dafür ist eingerissen menschliche Zwietracht um Ehre und Gut auf Erden". Und "Wer Vater und Mutter, Weib und Kind, Haus und Hof, dazu seine Seele mehr liebt denn mich, der ist mein nicht wert (Mt 10,37) ... Denn christliche Einigkeit stehet im Geist, da wir eines Glaubens, eines Sinnes, eines Mutes sind ..." Schließlich: "Wen solche (teuflische) Stücklein nicht entsetzt noch warnet, den laß fahren, er will verloren sein. Der heilige Geist redet und gibt solch Stücklein nicht vor durch seine armen Sünder, wie der Teufel tut durch seine Heiligen".

Abschließend sei das herrliche Lied, nun aber in der womöglich ursprünglichen Reihenfolge seiner Verse, in Erinnerung gerufen und dazu nur einige wenige der Vergegenwärtigung dienende Anmerkungen nachgetragen:

"Ein feste Burg ist unser Gott,

ein gute Wehr und Waffen.

Er hilft uns frei aus aller Not,

die uns jetzt hat betroffen.

Der alt böse Feind

mit Ernst er´s jetzt meint;

groß Macht und viel List

sein grausam Rüstung ist,

auf Erd ist nicht seinsgleichen."

Der Bezug zum Eingang von Psalm 46 ist klar: "Gott ist unsere Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben". Merkwürdig ist, dass Luthers Psalmenübersetzung von "getroffen", doch das Lied von "betroffen" spricht. Wohl möglich ist, dass die früher gewaltige Popularität des Liedes zur Aufwertung der Worte "betroffen" und "Betroffenheit" geführt haben. Klingt nicht eine kleine Reminiszenz an Luthers Lied an, wenn Leute heutzutage ihre politische Entrüstung auch seelisch begreifen und äußere Not auch innerlich verarbeiten wollen: "das macht mich/ uns betroffen"?

"Und wenn die Welt voll Teufel wär,

und wollt uns gar verschlingen,

so fürchten wir uns nicht so sehr,

es soll uns doch gelingen.

Der Fürst dieser Welt,

wie saur er sich stellt,

tut er uns doch nicht;

das macht, er ist gericht’:

ein Wörtlein kann ihn fällen."

Der Kampf zwischen Gott und Teufel ist doch entschieden und wird immer wieder entschieden, wenn wir die Heilige Schrift im Wesentlichen begreifen. Dann kann uns sogar eine ganze Welt voller Teufel nichts anhaben. Mit einem "Wörtlein" nur können die Erkenntnisse einer Bande von irrenden Exegeten zunichte gemacht werden. In dem einen "Wörtlein" liegt dann freilich die volle Wahrheit über Jesus Christus beschlossen.

"Mit unser Macht ist nichts getan,

wir sind gar bald verloren;

es streit’ für uns der rechte Mann,

den Gott hat selbst erkoren.

Fragst du, wer er ist?

Er heißt Jesus Christ,

der Herr Zebaoth,

und ist kein andrer Gott,

das Feld muß er behalten."

Der in den ersten beiden Versen vorbereitete Hinweis auf Christus, der im letzten Satz schon anklingt ("ein Wörtlein kann ihn fällen") wird in diesem dritten Vers ausgeführt, der ein volles Bekenntnis zum "Solus Christus" als unserem einzigen Erlöser und zum Glauben an ihn allein ist. Der Vers ist zugleich ein mutiges Bekenntnis zur Gottheit Jesu Christi im Sinne des altkirchlichen Glaubensbekenntnisses (Homousios: Gleichwesenheit Christi mit Gott). Luther wagt es, diese Christologie alttestamentlich zu bestimmen: Jesus Christus als der Herr Zebaoth. Das hatten nicht einmal die nizänischsten Orthodoxen der Alten Kirche zu behaupten gewagt. Darin liegt also viel mehr als eine bloße Übertragung des Kehrverses im 46. Psalm: "Der Herr Zebaoth ist mit uns; der Gott Jakobs ist unser Schutz" (46,8 u. 12). Der Vers ist eine harte Nuss im aktuellen jüdisch-christlichen Dialog. In der Diskussion auf dem "Hessenkopf" erklärte einer der Amtsbrüder, er könne diesen Vers um der Juden willen nicht mitsingen. Man kann es sich mit der Antwort leicht machen, indem man auf die Anstößigkeit dieses Verses gerade für Nazi-Theologen hinweist: Im Gesangbuch der "Deutschen Christen", das 1941 in Weimar erschien, musste dieser Vers geändert werden. Statt "der Herr Zebaoth" hieß es "der Retter in der Not". Doch im Letzten wird jede Christin und jeder Christ auch öffentlich, auch vor den anderen Religionen der Welt bekennen, dass uns allein in Jesus Christus Gott begegnet. Und solch Bekenntnis geschieht aus freiem Glauben, der niemals selbstgerecht, zwanghaft und voll Furcht ist. Denn "Gott hilft uns frei aus aller Not...so fürchten wir uns nicht so sehr." Das reformatorische Leitmotiv "allein der Glaube" wird in diesem Vers verdeutlicht mit dem Bild von Christus als "der rechte Mann", der alle Selbstgerechtigkeit, allen Zwang und alle Furcht "für uns" hinweggenommen und in sich aufgehoben hat: "Mit unsrer Macht ist nichts getan...das Feld muß er behalten".

"Das Wort sie sollen lassen stahn

und kein’ Dank dazu haben;

er ist bei uns wohl auf dem Plan

mit seinem Geist und Gaben.

Nehmen sie den Leib,

Gut, Ehr, Kind und Weib:

laß fahren dahin,

sie haben’s kein Gewinn,

das Reich muß uns doch bleiben."

Das Wort der Bibel muss in theologischer Erkenntnis Priorität haben: Allein das Wort. Mit diesem letzten Vers wird aber auch eine trinitarische Linie im ganzen Lied (nach Verstausch) erkennbar: Gott, unsere feste Burg gegen den Teufel und alle kleinen Teufelchen (Vers 1 und 2). Jesus Christus, "kein andrer Gott" (Vers 3) und nun: Christi "Geist und Gaben". Luther hatte im Grunde kein großes Interesse an einer Wesensgleichheit des Heiligen Geistes mit Gott. Der Geist ist in Luthers Trinitätslehre dem Wort Gottes und Jesus Christus nachgeordnet. Dogmatisch gesagt: Die alte westliche Lehre des "Filioque", nämlich des Ausgangs des Geistes vom Vater "und dem Sohn" war ihm selbstverständlich. Zu sehr überwog bei Luther die Sorge vor spiritueller Geistschwärmerei. Gerade das Bekenntnis zu Jesus Christus und zum Kreuzestod Christi lässt das eigene Leiden und Sterben annehmen. Dieser Vers will uns daran gewöhnen, dass die Bereitschaft sogar zum Martyrium, jedenfalls sich führen zu lassen, wohin man nicht will (Joh 21,18), durch Christus als dem Heiland der Welt und durch seine Nachfolge möglich und zur Not nötig sein muss: "Nehmen sie den Leib ...". Helmut James Graf von Moltke, hingerichtet am 23. Januar 1945 in Berlin-Plötzensee, erkannte in seiner Todeszelle die volle Wahrheit des Reformationsliedes in diesem letzten Vers, wie Moltke auch gegenüber Roland Freisler, seinem nationalsozialistischen Gerichtsherrn, dieses richtig bekannte und gewissermaßen mit einer Gegenpredigt zu Moltke sagte: "Nur in einem sind das Christentum und wir gleich: wir fordern den ganzen Menschen". – Tatsächlich gab es und gibt es auch heute wieder eine zwanghafte und ganz und gar unchristliche Märtyrer-Ideologie. Die der Nazis setzte plump an die Stelle des Reiches Gottes das "Dritte Reich" deutscher Geschichte, wofür es zu sterben lohne. Selbst Pastoren machten da mit. Doch dagegen protestierten die Schwestern und Brüder einer "Bekennenden Kirche". "Das Reich muß uns doch bleiben" stand provokativ in fetter Schrift unter einem Flugblatt, November 1933, das scharf gegen die berüchtigte DC-Kundgebung im Berliner Sportpalast Stellung bezog: Das Reich Gottes ist von anderer Art als großdeutsche Reichs-Träumer meinten. Noch bis 1945 gestaltete einer meiner Vorgänger im Pfarramt zu Wieda, ein DC-Mann, seine Konfirmationen im Sinne des Zeitgeistes, indem Konfirmanden und Gemeinde während des ganzen Gottesdienstes mehrmals als Kehrvers singen mussten: "Das Reich muß uns doch bleiben". So las ich es auf einer Konfirmationsliturgie, die in der Wiedaer Pfarrchronik lag und dort hoffentlich zur theologischen Mahnung noch immer liegt. Freilich birgt die Gleichsetzung des Reiches Gottes mit irdischen Utopien eine Gefahr, die aus der deutschen Geistesgeschichte und besonders aus der Geschichte des deutschen Idealismus (Hegel) immer wieder auftaucht. In Luthers "Ein feste Burg" wird doch klar unterschieden zwischen dieser so streitsüchtigen und in vieler Hinsicht bösen Welt, wo dennoch gilt, wie es zum Schluss des vorletzten Verses heißt: "Jesus Christ ... das Feld wird er behalten" und andererseits dem Reich Gottes, wie es zum Schluss des letzten Verses so tröstlich heißt: "Das Reich muß uns doch bleiben". In Luthers poetischer Erklärung des Vaterunsers heißt es entsprechend: "Es komm dein Reich zu dieser Zeit und dort hernach in Ewigkeit. Der Heilig Geist uns wohne bei mit seinen Gaben mancherlei; des Satans Zorn und groß Gewalt zerbrich, vor ihm dein Kirch erhalt" (EG 344,3).

Mag sein, dass die von mir vorgeschlagene Versabfolge einmal durch den Fund von Luthers Autograph rasch widerlegt sein wird. Das Lied bleibt dennoch ein wunderbares und trostreiches Gut unserer evangelischen Kirche, in das sich immer wieder zu vertiefen lohnt.

 


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