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[Kirche von unten]

Gott dem Herrn Dank sagen

Festschrift für Gerhard Heintze

Rolf Wischnath

Auf dem Weg zu einer missionarischen Kirche

am Beispiel der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg

 

I Die missionarische Herausforderung

Die Wende vor zehn Jahren hat nicht nur im Osten Deutschlands, sondern auch im Westen zu einer veränderten Lage geführt, nicht nur politisch, sondern auch kirchlich. Diese Wende hat politische und gesellschaftliche Umbrüche verursacht, die zu hoffen wir vor fünfzehn Jahren uns kaum noch getrauten, geschweige denn dass wir mit ihnen gerechnet hätten. Sie hat aber zugleich, wenn auch mit einer gewissen Verzögerung, zur Ernüchterung in der Wahrnehmung der kirchlichen Lage beigetragen. Mitteleuropa geht immer noch durch eine Phase der Entkirchlichung, für die es in keinem anderen Kontinent eine Parallele gibt. Es zeigt sich in Deutschland und seinen Nachbarländern nicht etwa ein allgemeiner Trend der Säkularisierung, der früher oder später auch andere Weltgegenden erfasst. Es zeigt sich vielmehr eine geschichtlich analogielose Situation. Gebiete und Länder, die über Jahrhunderte als christianisiert galten, gehen durch eine Phase tiefer Entkirchlichung und Entchristlichung.

Bevor wir uns diese Situation vor Augen führen, müssen wir uns sogleich bewusst machen, dass die Diagnose nicht für die Christenheit "in aller Welt" gilt. Vielmehr hat im Jahr 2000 die Weltchristenheit die Zwei-Milliarden-Marke überschritten. Damit hat sich die Zahl der Christen im 20. Jahrhundert von 558 Millionen um mehr als das Dreieinhalbfache vervielfacht, wobei diese Zunahme vor allem auf das Bevölkerungswachstum zurückzuführen ist. Der Anteil der Christen an der Weltbevölkerung steigt leicht an auf 34,8 Prozent. Der Islam ist mit 1,179 Milliarden die zweitgrößte Weltreligion. Das heißt 19,9 Prozent der Weltbevölkerung sind Muslime. Ihnen folgen die Hindus mit 767,4 Millionen (= 12,9 Prozent). Knapp dahinter liegen die sog. "Nichtreligiösen". Sechs Prozent aller Menschen sind Buddhisten (356, 9 Millionen). 15 Millionen sind Juden (0,25 %). Ich erwähne diese Zahlen seriöser Missionsstatistiker, um der wohlfeilen Behauptung, die Kirchen befänden sich urbi et orbi am Beginn des 21. Jahrhunderts in einem unaufhaltsamen Verfall, entgegenzutreten. Vielmehr gilt: Blicken wir nicht nur auf die Kirchen in Mitteleuropa und in Nordamerika, so müssen wir vielmehr von einem stetigen Wachsen der Christenheit sprechen – auch und gerade in unserer Generation. In vielen Ländern der Erde nehmen die christlichen Kirchen stetig zu – zum Teil sogar ganz erheblich. In vielen Teilen Afrikas, in Korea und in China, aber auch in manchen Ländern Osteuropas finden Entwicklungen statt, die das gerade Gegenteil von Abnahme und Verfall sind.

Aber diese hoffnungsvolle Feststellung darf uns nun wiederum keinen Sand in die Augen streuen, die uns für die kritische Wahrnehmung unserer eigenen Situation im vereinigten Deutschland schläfrig macht:

Im Maß der Kirchlichkeit hat sich in Deutschland im letzten halben Jahrhundert ein Erdrutsch vollzogen, der in den herrschenden kirchlichen Mentalitäten noch längst nicht verarbeitet ist. Dieser Erdrutsch ist mit der Vereinigung Deutschlands noch deutlicher vor Augen getreten als zuvor; doch Konsequenzen werden nach wie vor nur zögernd ins Visier genommen. Noch immer zieht die Finanzkrise der Kirchen weit mehr Aufmerksamkeit auf sich als ihre Mitgliederkrise.

So vordergründig Veränderungen in der Kirchenmitgliedschaft auch sein mögen, so aufschlussreich sind sie doch zugleich. In der alten Bundesrepublik machten im Jahr 1950 die Kirchenmitglieder etwa 96 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Heute gehören in den alten Bundesländern etwa 80 Prozent der Bevölkerung einer der beiden großen Kirchen an, weitere 8 Prozent anderen Kirchen oder Religionsgemeinschaften. Der Anteil der Konfessionslosen hat sich innerhalb eines knappen halben Jahrhunderts von 4 auf 12 Prozent, also auf das Dreifache, erhöht. Im Bereich der DDR waren 1950 93 Prozent der Bevölkerung kirchlich gebunden, unter ihnen die überwältigende Mehrheit durch die Mitgliedschaft in der evangelischen Kirche. Heute sind in den neuen Bundesländern weniger als 30 Prozent der Bevölkerung Kirchenmitglieder. Knapp 25 Prozent gehören zur evangelischen Kirche, 3 Prozent zur katholischen Kirche. Andere Formen der Religionszugehörigkeit fallen statistisch kaum ins Gewicht. Der Anteil der Konfessionslosen beläuft sich auf fast 70 Prozent; dieser Anteil hat sich im Bereich der neuen Bundesländer also innerhalb eines knappen halben Jahrhunderts verzehnfacht.

Zwei Interpretationen dieses einfachen Befunds verbieten sich. Die eine Fehlinterpretation sagt: Was wir im Osten erleben, nimmt nur vorweg, was sich auch im Westen Deutschlands vollziehen wird. Eine derartige Deutung verharmlost die Differenz. Die andere Fehlinterpretation sagt: Es handelt sich nur um ein Problem im Osten. Dort haben wir eine Missionssituation, im Westen Deutschlands dagegen haben wir noch intakte kirchliche Verhältnisse. Bei jedem, der ein bisschen kirchengeschichtliche Kenntnisse hat, läuten schon alle Alarmglocken, wenn eine kirchliche Situation als "intakt" bezeichnet wird. Vor allem aber verkennt eine solche Deutung, dass wir in ganz Deutschland Kirche in missionarischer Situation geworden sind.

In der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg treffen die unterschiedlichen Ausprägungen von Kirchlichkeit und Entkirchlichung, die sich im Osten und im Westen Deutschlands entwickelt haben, unmittelbar zusammen. Denn unter den deutschen evangelischen Kirchen ist die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg die einzige, die zu vergleichbar großen Teilen aus einer ehemaligen Ostregion und einer ehemaligen Westregion besteht. Alle Freuden und alle Schmerzen des Zusammenwachsens erlebt sie am eigenen Leib.

Noch vor einem halben Jahrhundert war die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg die größte evangelische Kirche in ganz Deutschland. Sie umfasste über 80 % der Wohnbevölkerung dieses Gebiets. Nach den Auswirkungen der nationalsozialistischen Herrschaft, der SED-Herrschaft und der westdeutschen Variante des Materialismus stellen sich die Resultate folgendermaßen dar: Im Westen Berlins sind statt damals 80 % noch 37 % der Bevölkerung evangelisch. In Brandenburg gehören insgesamt knapp 23 % der Bevölkerung der evangelischen Kirche an. Dabei ist ein starkes Stadt-Land-Gefälle zu verzeichnen. Während in den ländlichen Gebieten der Anteil der Evangelischen im Durchschnitt 30 % beträgt, wobei er in einzelnen Orten auch weit darüber hinaus reicht, liegt er in den städtischen Gebieten erheblich unter dem Durchschnitt. In Städten wie Potsdam oder Frankfurt/Oder kommt man nirgendwo über 10 %; und in typisch "sozialistischen" Neubausiedlungen im Osten Berlins weisen die Zahlen bisweilen auf 4 % der Wohnbevölkerung, die evangelisch sind. Nur wenige Prozent der Bevölkerung gehören der katholischen Kirche oder anderen Religionsgemeinschaften an. Die überwältigende Mehrheit versteht sich als a-religiös "konfessionslos".

Die an solchen äußeren Daten ablesbaren Veränderungen sind beträchtlich. Sie dürfen allerdings nicht den Blick dafür verstellen, dass die evangelische Kirche auch nach diesen Prozessen einer tiefgreifenden Entkirchlichung mit insgesamt 1,4 Millionen Mitgliedern sowohl in Berlin als auch in Brandenburg den größten nichtstaatlichen Personenverband bildet. Sieht man die christlichen Kirchen im ökumenischen Verbund, gilt diese Feststellung erst recht.

Die Landessynode der berlin-brandenburgischen Kirche hat sich im Januar 1997 auf ein Rahmenthema festgelegt, das ihre Arbeit in der gesamten sechsjährigen, bis zum Jahr 2003 dauernden Synodalperiode bestimmen soll: "Leitlinien kirchlichen Handelns in missionarischer Situation."

Sie will damit einen Wandel begleiten und ihm Richtung weisen, der an vielen Stellen zu spüren ist. Innerkirchlich kommt ein Aufbruch in Gang. Neue Modelle des missionarischen Gemeindeaufbaus werden erprobt. Die Bereitschaft wird erkennbar, ungewohnte Wege zu gehen. Es wird wahrgenommen, dass der christliche Glaube in der veränderten Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland keinen selbstverständlich anerkannten Ort mehr hat. Er muss seinen Ort erst wieder finden und wahrnehmen. Und öffentliche Resonanz erwirbt der christliche Glaube nur, wenn er die einzelnen Menschen erreicht. Die Menschen haben - nach einem Wort von Wolf Krötke - die Kirche massenhaft verlassen, sie sind aber nur als einzelne zurückzugewinnen. Die Zuwendung zu den einzelnen und die Beteiligung am öffentlichen Zeitgespräch bilden keine Alternative, sondern gehören zusammen.

II Die missionarische Voraussetzung (im Blick auf das Verständnis des Glaubens)

Nicht nur im Osten wird der Ausdruck "Mission" in der Regel als unzeitgemäß empfunden wird. Machen wir uns klar: Mission und missionarisch – das sind Worte, die in der weiteren Öffentlichkeit überhaupt nicht gut gelitten sind. Es verbinden sich damit Erfahrungen, zum Teil auch Ängste, zum Teil auch bewusst oder unbewusst wachgehaltene Versatzstücke einer antikirchlichen Propaganda, die Mission als üble Vereinnahmung und Indoktrination von Menschen und Institutionen darstellen. Mission, so sagt man bis in die verfasste Kirche hinein, war in der Geschichte der letzten Jahrhunderte immer Gewalt, Zwang, und aufgedrängte koloniale Herrschaft des Westens über die Völker, die sich nicht zu wehren verstanden; und weiterhin war Mission doch stets die aus unbegründetem Überlegenheitsbewusstsein motivierte bornierte, wo nicht fanatische, Zerstörung anderer Religionen und Kulturen, die man im Gegenteil hätte erhalten sollen. Manche sehen selbst die im Dritten Reich von Deutschland ausgegangene Vernichtung der Juden als eine der verhängnisvollen Folgen christlichen Missionsdranges an.

Von daher ist es wohl nötig, den Begriff Mission vor seinen Missverständnissen und Fehlinterpretationen zu bewahren und zu schützen. Aufzuzeigen ist, dass für uns als Kirche mehr ist als ein Wort und mehr als ihr imperfektischer Missbrauch und als ein unzeitgemäßer Vereinnahmungsanspruch. Mission ist eine Existenz- und Lebensart, die in ihrer Tiefe und Weite nur aus dem biblischen Wort von der Sendung der Kirche verstanden werden kann. Gewissermaßen ist "Mission" identisch mit "Öffentlichkeitsbewusstsein". Ich verstehe auch die Adjektive "öffentlich" und "missionarisch" durchaus synonym. Der Grund für diesen synonymen Gebrauch liegt im letzten Wort des seinen Jüngern sichtbar vor Augen getretenen Auferstandenen; es ist als "Missionsbefehl" aus der Abschlußperikope des Matthäusevangeliums (28 16-20) wohl bekannt.

Das Matthäus-Evangelium endet mit diesem Wort - für uns als Kirche ist es der Anfang. Die Kirche wird damit auf den Weg gebracht. Sie braucht Menschen, die hingehen, und sie sucht Menschen, die sich erreichen lassen. Und von daher ist es nun dran, es klar zu sagen: Mission ist eine unverzichtbare Lebensäußerung der Kirche Jesu Christi. Denn wenn die Kirche ein Herz hätte, dann müsste es zu "schweren Herzrhythmusstörungen" kommen, wenn sie ihre missionarischen Aufgaben nicht wahrnehme und die missionarischen Veränderungen in unseren Gemeinden verweigert würden.

Die Einsicht, dass wir hier in Deutschland Ost und West missionarisch werden müssen, findet sich heute in vielen Landeskirchen. Die Frage lautet heute vor allem: Wie werden wir eine missionarische Kirche? So sehr ich diese Debatte und die Erneuerung der missionarischen Aufgabe, die Wiedergewinnung der missionarischen Handlungsebene unserer Kirchen begrüße, so sehe ich doch zugleich darin eine Gefahr, deren theologisches Hauptproblem ich knapp zu formulieren versuche:

Unsere öffentlichen Beiträge zum Thema "Mission und Evangelisation" werden auch von wohlmeinenden Zuhörern oft so verstanden, als kümmere sich die Kirche - nach mancherlei Umwegen (vor allem den politischen) - nun endlich wieder um ihren Laden, um ihr eigenes Geschäft, um ihr ureigenes Angebot, um die Attraktivierung der von ihr auf dem Markt der Weltanschauungen anzubietenden Möglichkeiten, denen sich zuzuwenden und die zu konsumieren auch der säkularisierte Mensch guten Grund hat. "Es lohnt sich zu glauben", heißt es gern - und "kulturvoll". In dieses ekklesiale Markt- und Warendenken - man könnte auch durchaus von einer "klerikalen Marktwirtschaft" sprechen – ist ein kritischer Ton einzubringen:

Wir stehen in der Gefahr, ein Glaubensverständnis unter uns grassieren zu lassen, das sich unbewusst oder auch bewusst immer mehr verabschiedet von dem, was jedenfalls im Neuen Testament und in der Reformationszeit unter "Glauben" verstanden worden ist - nämlich nun wirklich alles andere als eine vom Menschen anzubietende und anzunehmende attraktive religiöse Weltanschauung auf irgendeinem Markt kultureller, weltanschaulicher Möglichkeiten.

"Glauben" heißt - geradezu dagegen! - in den Gründungs- und Reformationsurkunden der Kirche: Gott Recht geben, indem ich mir selber Unrecht gebe, und darum um-denken; ja "Glauben" bedeutet eine neue Geburt, ein Sterben und Auferstehen, das überhaupt nicht mein eigenes Werk ist, das mir vielmehr widerfährt. Das entscheidende Bild für den Glauben ist im Neuen Testament die Auferstehung von den Toten. Tertullian konnte darum präzise definieren: "Der Glaube ist die Auferstehung von den Toten!" Und das heißt, der religiöse oder areligiöse Mensch hat von sich aus überhaupt keine Möglichkeit zu glauben, so wie ich mich bekanntlich nicht selber aus dem Tod erwecken kann. Aber gewiss ist auch: die Menschen glauben d.h. sie selbst sind Subjekte ihres Glaubens. Nicht: Der Heilige Geist glaubt an ihrer Stelle, eben so wie ich selbst – höchstselbst! - in der Auferstehung von den Toten aufstehe, auferstehe.

Daraus ergeben sich zwei logische Schwierigkeiten: 1. Wenn ich von mir aus keine Möglichkeit zum Glauben habe, bin ich dann nicht lediglich Objekt des Handelns Gottes, heißt das nicht, einen "Automatismus der Gnade" zu vertreten? 2. Wenn der Mensch Subjekt des Glaubens ist, muss ich dann nicht an irgendeiner Stelle der Glaubensaneignung für das Zustandekommen des Glaubens verantwortlich sein? Und ist das dann nicht die sublimste Form der Rechtfertigung aus mir selbst?

Diese Alternative geht fehl, weil sie absieht vom Inhalt des Glaubens. Der Inhalt des Glaubens aber hebt an mit dem bittenden Bekenntnis: "Herr, ich glaube - hilf meinem Unglauben!" Oder lutherisch gesagt: "Ich glaube, dass ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus, meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann ....." (Luthers Erklärung zum Dritten Artikel).

Diese womöglich etwas zu dogmatischen Belehrungen haben lebhafte und kritische Konsequenzen für die Praxis einer offenen und öffentlichen Kirche, für das Verständnis der Praxis der Evangelisation und Mission. Sie könnten uns nämlich davor bewahren, den religiösen Managern auf den Leim zu gehen, die uns weismachen wollen, wir brauchten in der Evangelischen Kirche nur ein besseres Outfit, ein Logo, einige Öffentlichkeitskampagnen (mit Wahlkästchen) und einige im Turbokapitalismus abgekupferte Managementkniffe, um uns wieder ins Geschäft und auf die Straße der Gewinner zu bringen und die Aktien steigen zu lassen. Wer darauf seine Erwartungen setzt, der wird noch manchen schwarzen Freitag erleben, der allerdings alles andere ist als der alleinseligmachende Karfreitag.

Ein Symptom für die Gefahr, in der wir stehen, ist, dass wir uns in der ganzen Diskussion um Evangelisation und Mission bislang von der biblischen Erwählungslehre, präzise von der in ihr auf vielen Seiten der Bibel bezeugten doppelten Prädestinationslehre im Blick auf das Zum-Glauben-Kommen durchaus nicht mehr beunruhigen lassen. "Gott hat uns selig gemacht und berufen mit einer heiligen Berufung, nicht auf Grund unserer Werke (oder dem von uns in Gang gesetzten Glauben), sondern auf Grund seiner eigenen, zuvor getroffenen Entscheidung (Prädestination!) und nach der Gnade, die uns verliehen worden ist in Christus Jesus vor der Zeit der Welt" - d.h. vor ewigen Zeiten, von Ewigkeit her (1. Timotheus 1, 9). Das weist uns alle daraufhin, dass niemand von uns bei sich selber und bei anderen den Glauben machen, konstruieren und erwecken kann. Dass Du und ich glauben, das ist nicht unser Verdienst, das ist das Geschenk der Gnade Gottes, der in seiner Erwählung uns dazu bestimmt hat, im Glauben Zeuge seines Sohnes Jesus Christus und darin seiner einen und ganzen Wahrheit zu sein. Dass andere Menschen zum Glauben kommen – und wir begegnen niemandem, von dem wir nicht glauben dürften, dass nicht auch er oder sie zum Glauben bestimmt und erwählt wäre – das ist auch im letzten Grund Werk und Sache der freien Gnade Gottes in der Kraft des Heiligen Geistes, der in der Macht der Auferstehung auch heute noch ungehindert wirkt. Das ist unsere entscheidende Entlastung, die wir in allem Treiben einer "missionarischen Kirche" erfahren und wahrnehmen dürfen. Wir machen es nicht. Und so gilt eben auch von uns – und von den anderen auch, das wir über unseren Glauben sagen und preisen dürfen, was der niederländische Prediger Hermann Friedrich Kohlbrügge im vergangenen Jahrhundert so gesagt und gepriesen hat: "Glauben heißt: Ja sagen mit einem Schrei des Bangens, der Not und der Freude - Amen darauf sagen: dass Gott unsere Seligkeit außer uns und ohne uns in Christo dargestellt."

III. Der missionarische Inhalt - oder: Was ist unsere Botschaft? Woran sind wir erkennbar?

"Wir müssten es doch fertig bringen, einem gebildeten Heiden von heute in längstens einer Stunde sagen zu können, was wir Christen eigentlich glauben. Und zwar so, dass ihm dies nicht einfach unverständlich und unassimilierbar vorkommt wie eine Darlegung tibetischer Medizin." Das forderte vor dreißig Jahren der katholische Theologe Karl Rahner. Damals konnte Rahner vermutlich noch nicht voraussehen, was heute fast Tatsache geworden ist. Unzählige "gebildete Heiden von heute" empfinden die tibetische Medizin verständlicher und assimilierbarer als den christlichen Glauben.

Wenn unsere Kirche sich auf den Weg zu einer missionarischen Kirche machen will, dann darf sie nicht länger die Frage nach dem Inhalt und der Verständlichkeit der Mission dem Selbstverständnis oder der Beliebigkeit überlassen, sondern sie muss – bevor sie Leitlinien kirchlichen Handelns entwickelt – die Frage beantworten, was sie denn eigentlich öffentlich missionieren und kommunizieren will. Die Frage der Auskunftsfähigkeit stellt sich, bevor die Antworten auf die Fragen der missionarischen Vermittlung gegeben werden. Auskunftsfähig werden wir allerdings nicht durch immer neue Kommunikationskampagnen und erst recht nicht durch eine neue Flut theologischer Dissertationen oder Forschungsberichte. Auskunftsfähig werden wir, wenn die Theologie uns hilft zum Elementaren und zur Elementarisierung, wenn sie uns hilft elementar zu sagen, woran Christen sich halten und was sie trägt, wenn wir in die Lage kommen und ausgerüstet werden, mit Gewissheit weiterzusagen, was für alle Menschen heilsam ist. Dies ist die gegenwärtig so dringliche Aufgabe. Und theologischer Streit darüber wäre dann hilfreich, wenn er uns für die Wahrnehmung dieser Aufgabe qualifiziert.

Ich will aber hier die Notwendigkeit von Elementarisierung und Auskunftsfähigkeit nicht nur postulieren, sondern einmal das Ergebnis einer solchen Elementarisierung vorstellen, die ausgeht von der Überzeugung, dass in missionarischer Situation, wie wir sie in Berlin-Brandenburg erleben, unvermeidbar die Veränderung unser binnenkirchlichen Sprachformen ist. Das heißt: Wir müssen zu einer Rede zu gelangen, in der elementar zum Ausdruck gebracht wird, was unser christlicher Glaube ist und was die Hoffnung, die uns trägt, und wes Sinn unser Herz ist. Unser aller Auskunftsfähigkeit ist herausgefordert angesichts der Frage: Was ist das Evangelium? Worin besteht das Christ-sein am Anfang des neuen Jahrhundert.

Ich versuche es in zwei und zehn elementaren Sätzen, an denen wir in Berlin-Brandenburg im Konvent der Generalsuperintendenten mit unserem Propst und dem Bischof ein ganzes Jahr lang gearbeitet haben, die aber nur dann gelungen sind, wenn man ihnen zwar die Tiefe, nicht aber die Mühe abspürt, mit der sie entstanden sind. Zwei Sätze schicke ich voraus, die sich befassen mit dem Christ-werden und dann folgen die zehn gemeinsamen Sätze, die sich mit dem Christ-sein befassen.

  1. Der ewige Gott ist in Jesus Christus selber Mensch geworden. Das ist vor zweitausend Jahren geschehen: in der konkreten Lebensgeschichte des jüdischen Menschen Jesus von Nazareth. In seinem Tod am Kreuz am Karfreitag auf Golgatha und in seiner Auferstehung am Ostermorgen aus dem Grab des Joseph von Arimathia hat Gott den verlorenen Menschen angenommen und gerettet. Auch Dich und mich hat Gott dadurch angenommen und gerettet. Annahme und Rettung Gottes gehen uns auch im Tod nicht verloren. Sie führen uns vielmehr in Gottes neuer Welt zur Auferstehung und zum ewigen Leben.

Der Mensch kann seine Annahme und Rettung bei Gott weder schaffen, noch sich verdienen. Vielmehr dürfen, können und sollen wir akzeptieren, dass Gott selber in Jesus Christus unser Lebensfundament gelegt hat. Diese Akzeptanz ist der Glaube. Er wird mir geschenkt. Und in diesem Geschenk wird das neue Leben wahrgenommen. Aber das neue Leben, die Konsequenzen und Taten, die aus dem Geschenk folgen, sind nicht Bedingung der Annahme Gottes. So ist die Freiheit des Menschen begründet. Indem ein Mensch diese Freiheit wahrnimmt, ist er Christ geworden.

2. Und nun folgen die zehn Sätze über das Christ-Sein an der Schwelle zum 21. Jahrhundert: gleichsam zehn Folgerungen aus den zwei Voraussetzungen:

  1. Christen vertrauen auf Gott, den Schöpfer allen Lebens. Bei ihm suchen sie Wahrheit und erfülltes Leben. Ihr Glaube befähigt zu einem Leben, in dem die Hoffnung größer ist als die Angst.
  2. Christen halten sich zu Jesus Christus. Sein Leben, sein Tod und seine Auferstehung sind Gottes Liebeserklärung an die Welt. Auch angesichts von Bedrohungen vielfältiger Art ist der christliche Glaube lebensbejahend und menschenfreundlich.
  3. Christen hoffen auf Gottes lebendigen Geist. Er bewegt und erneuert. Er macht frei. Darum treten Christen dafür ein, dass nichts Menschliches vergöttert wird - weder Rasse noch Nation, weder Fortschritt noch Erfolg, weder Leistung noch Macht noch Gewinn.
  4. Christen halten daran fest, dass alle Menschen als unverwechselbare Geschöpfe Gottes geachtet werden. Kein Mensch ist mit seinen Taten oder Untaten, mit seiner Leistung oder seinen Fehlleistungen gleichzusetzen. Das ist der Kern aller Menschlichkeit in der Gesellschaft.
  5. Christen können Schuld bekennen und um Vergebung bitten. Darin gründet ihre Freiheit. Aus dieser Freiheit fließt die Bereitschaft, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen.
  6. Christen vertrauen darauf, dass Gottes Liebe sie über den Tod hinaus trägt und ihrem Leben Sinn gibt, auch wenn ihr Weg durch Krisen und Leiden führt. Sie erwarten die neue Welt Gottes und mit ihr die Antwort auf ungelöste Fragen.
  7. Christen wollen zur Achtung unter den Menschen, zur Gerechtigkeit und zum Frieden beitragen. Sie setzen sich für ein gerechtes Miteinander von Frauen und Männern, von Jungen und Alten ein. Sie widersetzen sich der wachsenden Ungleichheit in der einen Welt.
  8. Christen leben vom Erbarmen Gottes. Darum treten sie für Rücksicht gegenüber Schwächeren und das Recht von Fremden ein. Sie unterstützen Chancen eines Neuanfangs für die, die schuldig geworden sind oder sich verrannt haben.
  9. Christen wissen sich als Teil von Gottes Schöpfung. Sie bemühen sich, pfleglich mit ihrer natürlichen Umwelt umzugehen. Sie tragen Sorge für die Umwelt der nachfolgenden Generationen.
  10. Christen sind angewiesen auf die Gemeinschaft in der Kirche. In der Begegnung mit der christlichen Botschaft finden sie Rückhalt und Orientierung im Leben und im Sterben. Diese Botschaft weiterzusagen, sind sie beauftragt. Die Kirche bietet allen Menschen Raum für die Bezeugung von Gottes Wort, für Stille und Besinnung, für Feier und Aktion, Begegnung und Dialog.

Das sind die zehn Sätze. Ob sie taugen? Das lässt sich nur in der Kommunikation ausprobieren, d.h. im Dialog mit Menschen, in dem diese nachfragen und wir in unserem Gespräch bessere Formen finden, Ihnen das Evangelium zu sagen, als es diese zehn Sätze vermögen. Auf dem Weg zu einer missionarischen Kirche soll es jedenfalls kommen zur Wahrnehmung des Evangeliums und seiner Kommunikation - in der bewussten Elementarisierung und Dialogisierung unseres Glaubens mit dem Ziel, Kommunikation mit denen zu ermöglichen, die das Evangelium noch nie gehört oder nie so gehört haben, so dass sie wahrnehmen können: das ist der einzige hilfreiche und verlässliche Trost im Leben und im Sterben.

IV Leitlinien kirchlichen Handelns in missionarischer Situation –

An dieser Stelle komme ich nun dazu, direkt auf die zwölf Leitsätze zum kirchlichen Handeln in missionarischer Situation hinzuweisen, die von unserer Landessynode nach einer dreijährigen Erarbeitungszeit angenommen und verabschiedet worden sind. Unter den von mir genannten Voraussetzungen der theologischen Klarstellung über den Grund und Anhalt des Glaubens versuchen wir in Berlin-Brandenburg mit diesen Sätzen und ihren Erläuterungen eine Antwort zu geben auf die Frage, wie unsere Kirche wieder zu einer ihren Hauptauftrag erfüllenden Kirche werden kann, welchen Weg sie beschreiten sollte, um zu einer missionarischen, zu einer ausstrahlenden Kirche zu werden.

Dafür haben diese Leitlinien drei klare Schwerpunkte: sie betonen die Auskunftsfähigkeit aller Gemeindeglieder über den Glauben, sie setzen an bei den missionarischen Möglichkeiten im Normalen des Gemeindealltags und sie vermeiden zusätzliche Belastungen, sie bauen auf Entlastung durch verbesserte Strukturen und Kommunikationswege. Bischof Wolfgang Huber hat in einem Bericht an die Synode festgehalten: "Das Ziel besteht .. darin, ein Umdenken einzuleiten und eine klare Orientierung an der missionarischen Aufgabe anzuregen. ... Wir sind an einer inhaltlichen Präzisierung des Missionsauftrags der Kirche interessiert und an der Suche nach dafür geeigneten Handlungsformen. Wir wollen dazu ermutigen, den Glauben als Beziehungsbegriff zu verstehen und deshalb auch unseren Glauben in den alltäglichen Beziehungen, in denen sich unser Leben vollzieht, erkennbar zu machen."

Ich nenne noch einmal in sieben Punkten die wichtigsten Akzentsetzungen unserer Leitsätze:

Der erste Akzent betrifft die misssionarische Kompetenz aller Gemeindeglieder:

Mission hat das Ziel, Menschen in der Wahrnehmung des Glauben an Jesus Christus zu bestärken und zu ermutigen. Diese Mission richtet sich an alle Menschen auf Grund ihres Heils, das Gott ihnen in Christus bereitet hat. Alle Christinnen und Christen haben Teil an der Sendung (Mission) des Sohnes durch Gott, den Vater; sie werden dabei bewegt, geleitet und erneuert durch den heiligen Geist.

Der zweite Akzent betrifft die Auskunftsfähigkeit der Getauften über den Glauben:

Die wichtigste Form missionarischen Handelns ist die Präsenz und das Glaubenszeugnis der Gemeindeglieder in ihren alltäglichen Lebensbezügen. Sie stehen in lebendiger Auseinandersetzung mit dem, was sie glauben und was sie trägt. Das schließt ein, dass sie ihren Glauben zur Sprache bringen und anderen darüber Auskunft geben können.

Der dritte Akzent wird auf die Grundaktion der christlichen Gemeinde in ihrem Gottesdienst gesetzt:

Der sonntägliche Gottesdienst und die Gottesdienste zu besonderen Anlässen sind wie Taufe, Konfirmation,Trauung und Beerdigung wichtige missionarische Gelegenheiten.Hier können Menschen erfahren, dass sie im Alltag, zu herausgehobenen Zeiten und in besonderen Lebenssituationen angesprochen und begleitet werden. Diese Gelegenheiten sollen darum sorgfältig wahrgenommen und auch für Konfessionslose einladend und verständlich gestaltet werden.

Den vierten Akzent setzen wir auf die Verschränkung von. Gemeindealltag und Lebensalltag:

Alles, was im Gemeindealltag geschieht, kann ein missionarischer Impuls für die Gesellschaft werden, in der wir leben. Das setzt voraus, dass Gemeindeveranstaltungen nicht selbstgenügsam, sondern einladend als "Räume mit offenen Türen" und mit dem Blick nach draußen gestaltet werden.

Die normalen Gemeindeveranstaltungen bieten durch die vielfältigen Erfahrungen, die Kinder, Jugendliche und Erwachsene mitbringen, die Chance, immer wieder neu zu entdecken, wo sich die Sache des Glaubens mit den konkreten Lebensfragen und -freuden der Menschen heute verbindet. Diese Entdeckungen können im Alltag wirksam werden, wenn wir mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen verstärkt nach Formen suchen, wie der Glaube im privaten und öffentlichen Lebensalltag Gestalt gewinnen kann.

Den fünften Akzent setzen wir auf besondere missionarische Initiativen und Aktionen:

Die gewohnten Formen der Gemeindearbeit bieten einen begrenzten missionarisch-öffentlichen Rahmen, der durch die Mission in besonderer Form ergänzt wird. Durch diese Aktionen werden Zeichen des Glaubens gesetzt für Gemeinden, Interessierte, Distanzierte und Kirchenferne. Es kommt darauf an, dafür orts- und situationsgemäße Gestaltungsmöglichkeiten zu suchen.

Den sechsten Akzent setzen wir im Blick auf die unabdingbare missionarische Kompetenz als Ausbildungsziel:

Das wachsende Bewusstsein für Mission als unverzichtbare Lebensäußerung der Kirche Jesu Christi hat Konsequenzen für die Aus- und Fortbildung kirchlicher Mitarbeiter. Eine fundierte missionarische Haltung soll in allen Bildungszusammenhängen gefördert werden; denn sie ist in allen Bereichen der Kirche Voraussetzung des Dienstes.

Den siebten Akzent setzen wir, indem wir das missionarisches Zeugnis in den gesellschaftlichen Konflikten herausstellen:

Mission hat gesellschaftliche Aspekte. Kirche bezeugt öffentlich, dass sich die Sache des Glaubens mit den Lebenserfahrungen der Menschen berührt. Die Verkündigung der Lehre Jesu in der Welt bedeutet auch sozial-ethische Parteinahme und wahrgenommene Verantwortung für Menschen.

V Die Vision des nächsten Schrittes

"Wir brauchen eine Vision von der künftigen Gestalt unserer Kirche", so sagen heute viele angesichts der Unsicherheit über den künftigen Weg der Evangelischen Kirche in Deutschland. "Visionen und Utopien sind nichts anderes als Vorformen von Alkoholismus", hörte ich unlängst im Radio als Zentralsatz eines modernen Theaterstücks, das in Berlin dieser Tage seine Uraufführung hatte.

Was ist eine "Vision"? Unsere Leitsätze gehen an ihrem Schluss von einem biblischen Text aus, in dem das Wort Vision (griechisch horama, lateinisch visio) ausdrücklich vorkommt: In der Apostelgeschichte wird im 16. Kapitel von Schwierigkeiten berichtet, die sich bei Paulus auf seinen Missionsreisen in den Weg stellten. Mitten in diesen Schwierigkeiten über den weiteren Missionsweg hat Paulus eine Vision: "Und Paulus sah eine Erscheinung bei Nacht: Ein Mann aus Mazedonien stand da und bat ihn: Komm herüber nach Mazedonien und hilf uns." So kam der christliche Glaube nach Europa - durch eine Vision. Und zwar eine Vision des nächsten Schrittes. Paulus hat nicht eine Vision von der künftigen Gestalt der Kirche; auch keine Vision, die ihm Klarheit darüber schafft, was aus seinem Wirken werden wird, sondern ganz schlicht eine Vision, die ihm hilft, den nächsten Schritt zu tun.

Eine solche Vision des nächsten Schritts brauchen wir auch heute. Darum muss man bitten. Darüber muss man reden - im Hören auf die Bibel und im Achten auf die konkreten Verhältnisse vor Ort. Und dann kann sich Klarheit über den nächsten Schritt einstellen. Das muss nicht gleich ein Schritt von so großer geschichtlicher Bedeutung sein, wie es der Schritt des Paulus über den Bosporus nach Europa war. Aber es kann ein Schritt sein, der weiterführt. Und dieser Schritt kann von Gemeinde zu Gemeinde auch sehr verschieden sein. Nicht alle müssen das gleiche tun, aber alle Gemeinden müssen sich um eine Vision des nächsten Schrittes bemühen, um Klarheit darüber: Was ist jetzt bei uns dran? Was wollen wir als nächstes in Angriff nehmen, um Menschen neu anzusprechen und für die Sache des christlichen Glaubens zu gewinnen (Apg 16,9f.)

Warum ist das nötig? So wichtig es ist, den Bestand zu pflegen, ein "Weiter so!" reicht nicht aus - heute weniger denn je. Alle, auch die einzelnen Christinnen und Christen, müssen sich der Frage nach dem nächsten Schritt stellen. Dazu muss man genau hinhören: Was ist bei uns nötig? Wo fordern uns die Menschen unserer Umgebung heraus? Was sagt die Bibel? Wo liegen unsere Möglichkeiten und Gaben? Darüber muss man miteinander reden, und darum muss man beten. Dann kann sich Klarheit über den nächsten Schritt einstellen. Noch einmal: Das muss kein so großer Schritt sein, wie es der Schritt des Paulus über den Bosporus nach Europa war. Aber es kann ein Schritt sein, der weiterführt auf dem Weg der Jüngerinnen und Jünger "in alle Welt". -

Ich schließe mit einigen Sätzen Karl Barths. Ich meine, er ist der Theologe, dem die Evangelische Kirche im letzten Jahrhundert am meisten zu verdanken hat und der sie zeitlebens – besonders aber in Phasen höchster Gefährdung und Selbstgefährdung – entschieden zu Jesus Christus und damit zur Zuversicht, zu ihrem Auftrag und zu ihrer Pflicht gerufen hat: Karl Barth schreibt vor einem halben Jahrhundert in seiner Kirchlichen Dogmatik [KD III, §55, S. 577f]:

"Jesus Christus ist wohl der Herr der Menschen, und was er getan hat, hat er für sie getan. Aber der Glaube an ihn ist nicht Jedermanns Ding. Die Gemeinde wird darum ruhig damit rechnen, immer eine kleine Minderheit zu sein. Sie wird auch damit rechnen, dass sie sich als diese Minderheit durch den Abfall von solchen, die nur scheinbar zu ihr hinzutraten, noch verkleinern kann. Sie wird sich heute nicht wundern, wenn es nach den scheinbaren Massenzuwanderungen vergangener Jahrhunderte in Zukunft zu den der Realität besser entsprechenden Massenabwanderungen kommen sollte. Wiederrum gibt es aber auch gar keinen Menschen, der unmöglich Christ werden könnte: unter den jetzt Unwissenden und Gleichgültigen nicht, und unter den ausgesprochenen Feinden des Evangeliums, unter den lauten, trotzigen Gottesleugnern erst recht nicht. Da ist Keiner, dem es nicht sehr wohl bestimmt sein könnte, in Jesus von Nazareth seinen Meister zu finden und ihm darum als das Menschengeschöpf, das nun gerade er ist, nachfolgen zu dürfen und zu müssen, ja Keiner, der in seinem Dienst nicht vielleicht zu Größtem bestimmt sein könnte. Weil diese Möglichkeit überall, unter Menschen jedes Volkes und jeder Art offen ist, muss die Gemeinde Mission treiben, das Netz auswerfen, Menschen zu fischen. Es könnte immer nur im Unverständnis ihres Auftrages, immer in dessen Vernachlässigungen geschehen, wenn sie das unterlassen, wenn sie sich mit ihrem bisherigen Bestand be-gnügen, sich nicht nach neuen Menschen zur weiteren Ausführung ihres Auftrages umsehen, wenn sie sich um deren Gewinnung nicht bemühen würde. Lebendig ist die Gemeinde da und nur da, wo sie als solche in der Rekrutierung begriffen ist, und wo sie sich um diese Rekrutierung gerade auch in den scheinbar dunkelsten Gegenden der Welt bemüht: gerade da, wo das Evangelium noch ganz abgelehnt ist, [...] Die Gemeinde ist als solche auch Missionsgemeinde oder sie ist nicht christliche Gemeinde." -

 

 


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