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Skizze der Geschichte des Braunschweiger PfarrervereinsDietrich Kuessner Kirche von Unten 19/20, Dezember 1986/ Januar 1987, S. 45-531992 wird der Braunschweiger Pfarrerverein (BPV) sein Hundertjähriges Bestehen feiern können. Das ist ein schöner Anlaß, die Quellen zu ordnen und die emeriti nach ihren Erinnerungen zu befragen. Diese erste Skizze mag Anlaß sein für Gesprächsstoff, Korrekturen, Ergänzungen. Im Landeskirchlichen Archiv befindet sich eine unvollständige Sammlung der "Amtsbrüderlichen Mitteilungen" von 1892-1965. Die Geschichte des Pfarrervereins läßt sich in drei Abschnitte einteilen. 1. 30 Jahre lang kämpferischer Reformkurs (1892-1922)Die Gründerzeit ist eine kämpferische Zeit. Als der 1. Vorsitzende des damaligen Landespredigervereins (LVP) Wilhelm Pillmann, Pastor in Uehrde, überraschend nach 19 Jahre währender Leitung des LPV im Sommer 1911 stirbt, ruft ihm das Vorstandsmitglied Hermann Lagershausen zu, er habe den Verein "geleitet durch viel Anfechtung, durch manchen Kampf und Sturm, aber von einem Sieg zum andern." |
Seite 46 jahr bei sommerlichem Gewittersturm begraben wird und mehr als 50 Jahre lang die Geschichte des Landespredigervereins selbst miterlebt und im erweiterten Vorstand mitgearbeitet hat, nennt drei weitere Gründe: In omnibus caritas soll nun die neue Devise heißen. 1896 hat der LPV bereits 180 Mitglieder und nimmt sich tatkräftig der offenliegenden Probleme an. Er greift die Frage der Kandidatenschwemme 1898 auf, richtet eine Vakanzenvermittlungsstelle für Hauslehrer ein und empfiehlt Aufnahme ins Predigerseminar allerdings ohne Bezahlung. Eine Gesangbuchreform wird 1894 gefordert, und als sich in der Landessynode 1901 die Parteien nicht einigen können, vermittelt der LPV erfolgreich. Zur Reform des Pfründensystems wird eine ausführliche Denkschrift verfaßt, und 1902 hat sich der LPV mit seinen Vorstellungen gegen die des Konsistoriums in der Landessynode durchgesetzt. Die Einrichtung einer Landeskirchenkasse ist ein anderes dringliches Thema. |
Seite 47 des Staatskirchentums".Als sich 1918 die politischen Verhältnisse anfänglich grundlegend ändern, trauert der LPV den alten Verhältnissen nicht nach, sondern fördert die Bestrebungen von Amtsgerichtsrat a.D. Kulemann, der eine förderliche, wegweisende Denkschrift über die Trennung von Staat und Kirche verfaßt, in der er dieselbe auf dem Gebiet der Schule, der Finanzen, der Organisationen empfiehlt. Im März 1922 muß Hermann Struve das Amt aus gesundheitlichen Gründen niederlegen, und sein Nachfolger Hermann Lagershausen, bereits seit 1908 2. Vorsitzender, übernimmt ein schweres Erbe, denn das Konsistorium steht dem Reformkurs der LPV frontal entgegen. 2. Annäherung und Distanz zur völkischen Bewegung (1923-1945)Als Alexander Bernewitz am 16. September zum 1. Bischof der Braunschweigischen Landeskirche eingeführt wird, entbietet auch der 1. Vorsitzende des LPV Pfarrer Lagershausen ein herzliches Grußwort. |
Seite 48 "es würde ein Fehler sein, wenn die Diener der Kirche die völkische Bewegung schlechthin ablehnen und sich selbst überlassen würden".Es entspricht dem Sog der schon seit 1919 einsetzenden Parteipolitisierung der Pfarrerschaft, daß bei der Jahresversamiiilung 1930 Pfarrer Meyer aus Herford, Mitglied des Preußischen Landtages, über das Thema "Pfarrer und Politik" referiert und bei der Jahresversammlung 1931 lic. Künneth über "Nationalsolzialismus und Evangelium" und eine sehr lebhafte Debatte auslöst. Keineswegs läßt sich der LPV von der völkischen Bewegung vereinnahmen, aber er pendelt zwischen Annäherung und Distanz. 1. Vorsitzender ist seit 1929 Pfarrer Hans Ernesti, Mitglied der DVP wie Steigerthal, in seiner Gemeinde Gr.Brunsrode auch kurze Zeit Ortsvereinsvorsitzender der Partei und 1927 Parteiredner und Landtagskandidat. Der 30. Januar 1933 wird ohne Zeichen innerer Erregung verlebt. "Unser Protokollbuch verriet zunächst noch keine Auswirkung auf die kirchliche Lage". Die ändert sich gründlich auf der Generalversammlung am 5. Mai 1933, als der gesamte Vorstand zurücktritt, der Gleichschaltungsparole jener Monate folgt und den Platz freimacht für Mitglieder oder Sympathisanten der Deutschen Christen. |
Seite 49 Kalberlah gelingt es, den alten Vorstand für die Arbeit zurückzugewinnen.Ernesti wird 1935 Propst und bleibt von 1935 bis 1953 Vorsitzender des Landespredigervereins, der sich jetzt Pfarrerverein nennt. Kalberlah wird sein Stellvertreter, Ernesti führt den Pfarrerverein auf Distanz zur Staatspartei, wo diese das Ansehen und die Rechte der Kirche schmälert. Er findet deutliche Worte zur kirchlichen Situation beim 50. Jahrestag des Pfarrervereins 1942, beklagt, daß man dem Pfarrerstand den Makel der Minderwertigkeit aufdrücken wolle und den "Angriff auf die Substanz der Kirche selbst, lehrmäßig durch Diskreditierung ihrer gesamten Botschaft und gliedmäßig durch das Bemühen, die Kirche von ihrer Zukunft abzudrängen, wie es in dieser Form in ihrer Geschichte noch nie gemacht ist." Zweimal holt Ernesti den neuen Pfarrer des Vereins für Innere Mission, Reinhard Herdieckerhoff, zu Grundsatzreferaten. Ernesti meldet energischen Protest gegen die sog. lex Goetze an, die Kirchenverordnung Nr. 5339 vom 19.12.1939, die der Kirchenleitung die Möglichkeit bietet, ihr mißhellige Pfarrer in den Ruhestand zu versetzen. Dieses Gesetz ist mitunterzeichnet vom Wilhelm Rauls, der dem erweiterten Vorstand des Pfarrervereins seit 1938 angehört. |
Seite 50 Ernesti sehr großzügig interpretiert werden. Darüber gibt es - erstaunlich zu diesem Zeitpunkt der ns. Herrschaft - eine offene schriftliche Abstimmung.Von den befragten 151 Amtsbrüdern stimmen 91 mit Ja, 3 mit Nein, 8 treten aus Protest aus dem Pfarrerverein aus, 49 Amtsbrüder antworten gar nicht. Dieses Braunschweiger Ergebnis liegt im Trend des Abstimmungsergebnisses in den anderen Landeskirchen: reichsweit stimmen 67 % zu, 4 % stimmen dagegen, 29 % enthalten sich der Stimme. Dieses nach 1945 nicht mehr beachtete Abstimmungsergebnis widerspricht drastisch der aufgestellten Behauptung vom grundsätzlichen Widerstand der ev. Pfarrerschaft gegen den Nationalsozialismus. 3. Der Pfarrerverein in der Nachkriegszeit (1946-1965)Es erweist sich für den Pfarrerverein als Segen, daß sein Vorstand wie schon in der Nachkriegszeit des 1. Weltkrieges intakt bleibt. Die langjährigen Vorstandsmitglieder Ernesti, Kalberlah, Kramer, Ehlers, Rauls amtieren weiter. Am 31.Juli 1946 tagt erstmals wieder eine Hauptversammlung im Magnigemeindesaal. Von den 167 Mitgliedern kann trotz der enormen Reisebeschränkungen fast die Hälfte teilnehmen. |
Seite 51 rers Geburtstag" im April 1938, auf die oben erwähnte schriftliche Zustimmung der Mehrheit der Pfarrerschaft in Braunschweig und im Reich zu einem Einbau der ev. Kirche in den 1939 mit sichtlich verbrecherischen Merkmalen ausgestatteten NS-Staat, auf das Glückwunschtelegramm der Braunschweiger Kirchenleitung zur gnädigen Bewahrung Hitlers vor den Folgen des Attentats am 20. Juli 1944 und auf die Tatsache, daß für viele Braunschweiger Pfarrer die ns. Parteizugehörigkeit erst mit der Niederlage der deutschen Wehrmacht endet.Es hat gewiß viel Widerspruch gegen die Schmälerung der Rechte der Kirche gegeben und auch Widerstand von einzelnen Gemeindegliedern und kirchlichen Mitarbeitern, aber zu einer vertieften Einsicht in die eigene Schuld war es 1946 noch nicht gekommen. Das Stuttgarter Schuldbekenntnis spielt keine Rolle und findet keine Erwähnung. So ist es nicht untypisch, daß ausgerechnet der unrühmliche Nachfolger Karl Barths auf dem Bonner Lehrstuhl für systematische Theologie, Schmidt-Japing, der 1945 in der Braunschweiger Landeskirche wie auch andere Unterschlupf finden kann, den Hauptvortrag auf dieser Jahresversanmilung über "Schuld und Schicksal" halten kann und für seine "tiefschürfenden Ausführungen" gelobt wird. Die Mitgliederzahlten steigen in den nächsten Jahren stetig an. 1946: 167; 1947: 192; 1951: 222; 1952: 240; 1953: 252 Mitglieder. Einmal im Jahr gibt es mit der Spitze des Landeskirchenamtes ein Gespräch über dienstrechtliche, versorgungstechnische und andere Fragen. Ein besonderes Problem je doch ist die Vereinsamung der Pfarrer, auf die die Vor- |
Seite 52 sitzenden immer wieder hinweisen. Kalberlah regt 1957 an, "das Band der Aussprache möchte wieder belebt werden. Wir Pfarrer brauchen wie kein andrer Stand die Pflege der brüderlichen Gemeinschaft untereinander."Max Wedemeyer sieht die Wichtigkeit seines Amtes als Vorsitzenden darin, "daß unsere Vereinigung einem Jeden in seiner Vereinsamung eine Hilfe sein soll". Als Alfred Cieslar den Vorsitz übernimmt, nennt er den Pfarrerverein eine "Kontaktstelle, gerade in der Einsamkeit, in der sich heute weithin der Einzelne befindet". Aber Cieslar muß beim 70jährigen Bestehen des Pfarrervereins 1962 doch betrübt feststellen, daß "in der Gegenwart immer wieder die Frage nach der Daseinsberechtigung des Vereins gestellt" werde. Seit Anfang der 70iger Jahre wird zu gesonderten Treffen der Emeriti eingeladen, die sich bewährt haben. Den bedeutendsten Einschnitt erfährt der Pfarrerverein 1974 durch die Einführung des Pfarrerausschusses, der eine Gesamtvertretung der Pfarrerschaft darstellen soll und von den Amtskonferenzen der Propsteien gewählt wird. Nach 1976 wird die Versendung der Jahresberichte des Vorsitzenden an die Mitglieder eingestellt, es werden keine Mitgliederzahlen, geschweige denn einmal eine Namensliste der Mitglieder, wie in früheren Zeiten veröffentlicht, die Berichterstattung wird vernachläßigt, und so nimmt |
Seite 53 das Interesse an den Hauptversammlungen besonders bei den aktiven Pfarrern ständig ab. Ihre Beteiligung an den Hauptversammlungen schrumpft auf die Zahl zwischen 20 und 30 Teilnehmern. Ein Rückblick auf die Geschichte des Pfarrervereins zeigt, daß sein Gewicht auch ganz anders sein könnte. |