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[Kirche von unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von unten Nr. 32, Juni 1988, Seite 37-43
(Download als pdf hier)


Zugehörigkeit Braunschweiger Pfarrer zur NSDAP

von Dietrich Kuessner

Diesen Artikel beginnt der Leser am besten von hinten mit der Lektüre der Namen. Die meisten werden unbekannt sein. Nach dem ersten „Oh“ und „Ah“ und „ach, das hätte ich nicht gedacht“ und „was - der auch?“ sind einige sachliche Anmerkungen unerläßlich.

1) Alle kirchlichen Gruppen haben ihre Parteimitglieder gehabt. Zur NSDAP gehörten Mitglieder der BK (Brinckmeier, Barg, v. Schwartz), Mitglieder der DG (Bechler, Faust, Schlott) und die vielen, vielen in der Mitte. Die Mitgliedschaft in der Partei war in allen kirchlichen Gruppen möglich. Gewiß, die Deutschen Christen haben sich manchmal geärgert, daß auch Leute der Mitte und der BK aufgenommen worden sind, weil sie gerne, als die alleinigen Musterschüler der Partei auftreten wollten.

2) Es ist doch ein besonderes Faktum in der Braunschweiger Kirchengeschichte, daß so viele Pfarrer Parteimitglieder waren und bis 1945 blieben: 83 von insgesamt 104 Namen. Trotz der hohen Zahl war die Mehrheit der Br. Pfarrer nicht Parteimitglieder. Es sind insgesamt 379 Namen überprüft worden. Allerdings ist die Tatsache, daß so viele Pfarrer einer Partei angehörten, für Braunschweig jedenfalls nicht einzigartig. Nach dem 1. Weltkrieg traten mehr als 70 Pfarrer der DVP (Deutsche Volkspartei) bei.

3) Es fällt das Eintrittsdatum des 1. Mai 1933 auf. Das ist ein künstliches Datum. Wann genau die Anmeldung erfolgte, ist aus der Mitgliedskarte nicht zu entnehmen, aber doch im Frühjahr 1933: 71 Anmeldungen und Aufnahmen. Damals war eine enthusiastische völkische Aufbruchstimmung bei einem großen Teil der Bevölkerung ausgebrochen. Diese Sympathiewelle erreichte auch die Braunschweiger Pfarrerschaft. Die Kirchen füllten sich und die Eintrittswelle war enorm.
Brinckmeier erzählte mir einmal, wie er in die Partei gekommen ist. Er war Pfarrer in der Gemeinde Vorwohle. Dort überlegt er sich im Frühjahr 1933 mit dem Förster der Ortschaft, was man tun solle. Sie kommen zum Entschluß, der Parteieintritt werde nicht viel schaden. Für einen Akt besonderer Klugheit oder besonderer Schuld hat Brinckmeier den Eintritt nicht betrachtet.
Berndt ist im Sommersemester 1933 in Greifswald. Er erhält eine Parteikarte und eine Parteinummer in der Parteizentrale. Er ist Student. Er habe als Pfarrer nie einen Pfennig Beitrag bezahlt, keine Karte erhalten und sei zwar Anwärter, aber nicht Mitglied der Partei gewesen. Es sei gut möglich, daß auch bei anderen als Mitglieder geführten Pfarrern es sich tatsächlich um eine Anwärterschaft gehandelt habe, sagt Berndt.

4) Es ist auffällig, daß entschiedene Befürworter des Nationalsozialismus und Deutsche Christen wie Nümann, Schwaab, Telenmann, Hennerberger) nicht Parteimitglieder geworden sind.

5) Die Personen, die vor dem gängigen Datum, dem 1.5.33 eingetreten sind, teilen sich in zwei Gruppen: es sind entweder begeisterte junge Leute (z.B. Rohé) oder fanatische Parteileute (Beye, Ziegenmeyer), die dann in der Partei auch Funktionen übernahmen (Ortsgruppenleiter, politischer Leiter). Insgesamt sind es immerhin 21 Personen. Von ihnen leben noch u.a. Frühling, Hobohm, Rohé,. Hillebrecht.
Hillebrecht war im Wintersemester 1931 in Göttingen, erlebt dort eine Wahlversammlung, die in eine Saalschlacht ausartet. Die erste Begeisterung ist groß. Er wird Mitglied der SA und der NSDAP. Bald aber findet er „ein Haar in der Suppe“. Hitler ist nicht das, was er verspricht. Er setzt sich ab, zahlt keine Beiträge, meldet keinen Ortwechsel und erhält auf dem Ausweis den Vermerk rausgetreten. 1932/33 ist das erste Examen. Auf dem Predigerseminar wird er zusammen mit Wicke, Kammerer, die als Vikare der BK angehörten, in die SA gesteckt. Der Bischofskandidat Beye hatte das verfügt. Es wurde auch in der SA Dienst gemacht. 1936 schließlich wurde Hillebrecht aus der SA rausgeschmissen} als er in der Gemeinde Waggum Pfarrer war.
6) Nicht jeder, der einen Antrag auf Parteizugehörigkeit stellt, wird genommen. Z.B. wird der verdienstvolle Braunschweiger Stadtkirchenfürst Kirchenrat Runte abgelehnt. War er mit seinen 73 Jahren schon zu alt ? Will die Partei nur blonde, junge, knackige Pfarrer? Erich Tacke, Kirchenrat in Gandersheim, der schon früh den Nationalsozialismus bejahte, war auch schon 68 Jahre. Brandmeyer (34 Jahre) und Dosse (39 Jahre) waren jüngere Leute und wurden trotzdem abgelehnt. Über die Gründe kann man nur Vermutungen anstellen: Schlott hatte in der Stadt Braunschweig Einfluß auf die Partei. Brandmeyer war im Frühjahr 1934 Bischofskandidat nach dem Rücktritt von Beye. Wollte Schlott über die Partei seinen Einfluß gegen Brandmeyer geltend machen?

7) Es heißt immer, man habe nicht aus der Partei austreten können. Die Aufstellung beweist das Gegenteil. Pfarrer konnten austreten. Die Zahl der Ausgetretenen beträgt immerhin 12. Das auffälligste Beispiel ist Martin Erdmann. Erdmann ist Dorfpfarrer in Lelm und Räbke und hat im Ort einen fanatischen Ortsgruppenleiter. Auf einem Höhepunkt des Kampfes gegen die Juden, als in manchen Braunschweiger Dorf- und Stadteingängen Schilder mit der Aufschrift: „Juden betreten den Ort auf eigene Gefahr“ aufgestellt werden, im Sommer 1935, tritt Erdmann aus der Partei aus. Erdmann hätte Grund gehabt, zur Tarnung nicht aus der Partei auszutreten, weil seine Frau jüdische Vorfahren hatte.

8) 3 Pfarrer sind aus der Partei entlassen worden. Beispiel Waldemar Hille, Jahrgang 1907, mit 17 Jahren im Jungdeutschen Orden, mit 25 Jahren in die Partei, mit 26 Jahren in die SA, Vikar in Beddingen, ab 1934 in Calvörde. Hille nervt die politischen Leiter seiner Gemeinde, indem er ihnen unentwegt den Parteiparagraphen mit dem „positiven Christentum“ unter die Nase reibt. „Ohne Christentum kein drittes Reich“ schreibt er seinem Ortsgruppenleiter als Motto über einen Brief. Als Hille bei einer Konfirmationsfeier einen Witz über „den Führer“ erzählt, bekommt er ein Verfahren wegen heimtückischer Angriffe auf den Staat, das Braunschweiger Sondergericht aber stellt das Verfahren mit einer eindringlichen Verwarnung ein. Die Partei bittet Hille 1937, aus der Partei auszutreten. Hille denkt nicht daran. „Ich trete nicht freiwillig aus der NSDAP aus“, schreibt er an das Gaugericht Süd Hannover-Braunschweig zurück. 1939 berichtet Hille in einer Predigt, daß sich ein PG in der Kirche unmöglich verhalten habe. Hille wird vor dem Sondergericht in Braunschweig wegen Kanzelmißbrauchs angeklagt, aber am 18.6.1941 freigesprochen. Er ist inzwischen an der Front. Jetzt, 1941 bittet Hille, aus der Partei austreten zu dürfen. In den Akten des Gaugerichtsverfahrens findet sich der Vermerk: „17.7.41 erlischt die Mitgliedschaft“.
Dieses Datum wiederum paßt nicht zum Vermerk auf der Mitgliedskarte in der Parteizentrale, wonach Hille bereits 1938 aus der Partei ausgeschlossen worden sei. Es ist also erforderlich, die Angaben auf den Parteikarten kritisch zu lesen und möglichst viele andere Angaben zur Vervollständigung hinzuzunehmen.

9) Erst nach 1945 wird aus der Parteizugehörigkeit etwas Besonderes gemacht und zwar von Seiten der Besatzungsmächte wie von Seiten der Kirche. Pfarrer Hans-Joachim Apel z.B., vermerkt auf seinem Entnazifizierungspapier korrekt, daß er am 1.5.1932 in die NSDAP eingetreten sei, was jedoch einen ganz falschen Eindruck von seiner Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus wiedergibt. Völlig zu Unrecht wird H.J. Apel abgesetzt, dann aber in seine alte Gemeinde Beddingen wieder eingesetzt.
Die Landeskirche diskutiert weder ihr Verhältnis zum Nationalsozialismus noch trägt sie durch eine Offenlegung der Parteizugehörigkeit ihrer Mitglieder zu einer differenzierten Beurteilung dieser Tatsache der Mitgliedschaft bei. Stattdessen wird das Wissen über die Zugehörigkeit zur NSDAP zum Mittel der Diskriminierung. „Der soll doch lieber stille sein, der war ja auch einer von denen“. Es ist mir eine ernsthafte Frage, ob der jahrzehntelange Verschluß der Entnazifizierungsakten wirklich dem Schutz der erfaßten Pfarrer dienen sollte. Er war für einige in den 50iger und 60iger Jahren gewiß auch ein Mittel der Erpressung. Das war nur möglich, weil über die Mitgliedschaft nicht offen gesprochen wurde.

10) Die Zugehörigkeit zur NSDAP gehört der Historie an. Die Zugehörigkeit der deutschen Pfarrerschaft zur Partei sollte von den Landeskirchen aufgearbeitet werden. Wer die Zugehörigkeit zur Partei mit Schuldgefühlen verbindet, kann auch diese Schuld in die Vergebung Gottes hineinstellen.
Das kann aber nicht bedeuten: Schwamm drüber, reden wir nicht mehr davon, sondern: wer wirklich von der Vergebung lebt, kann auch von seiner Schuld reden. Die Sprache ist geradezu ein Kennzeichen dafür, ob die Kirche wirklich von der Vergebung lebt, wie sie sonntäglich beteuert.

11) Es folgt nun die Liste von Pfarrern, die einen Antrag auf Mitgliedschaft in der NSDAP gestellt haben.


Name

Parteinr.

Beruf

Eintrittsdatum Bemerkungen
Heinz Apel

2375845

Stud.

01.05.1933

 
Hans Joachim Apel

1174923

Stud.

01.05.1933

 
Paul Barg

2613425

P.

01.05.1933

 
Gerhard Barkow

3182158

P.

01.05.1933

 
Hermann Bechler

3550765

P.

01.05.1933

 
Walter Benndorf

2802302

P.

01.05.1933

 
Werner Berndt

3186867

Stud.

01.05.1933

 
Wilhelm Beye

352065

P.

01.11.1930

 
Helmut Block

4788977

P.

01.05.1937

 
Kurt Bodschwinna

607038

Stud.

01.08.1931

 
Emil Bosse

2609424

P.

01.05.1933

 
Walter Brackhahn

1248550

P.

01.08.1932

 
Adolf Brandmeyer

2800882

P.

01.05.1933

Aufnahme abgelehnt 07.1934
Rudolf Brinckmeier

2375724

P.

01.05.1933

 
Ernst Brutzer

3551853

P.

01.05.1933

 
Bruno Denecke

3186179

P.

01.05.1933

 
Robert Deppe

2372235

P.

01.05.1933

 
Rudolf Detering

2906659

P.

01.05.1933

Ausschluß
Richard Diestelmann

3122650

P.

01.05.1933

 
Friedrich Dosse

2802478

P.

01.05.1933

Aufnahme abgelehnt
Otto Dosse

2612296

P.

01.05.1933

 
Heimbert Drude

2612323

P.

01.05.1933

ausgetreten
Ulrich Eisenberg

1095191

Stud.

01.05.1932

ausgetreten (Karte durchgestrichen)
Georg Eißfeldt

1901078

KR

01.05.1933

 
Martin Erdmann

3187603

P.

01.05.1933

ausgetreten 06.1935
Ernst Evers

3122574

P.

01.05.1933

 
Otto Faust

3118641

P.

01.05.1933

Freimaurer
Friedrich Fehling

477607

Stud.

01.05.1931

 
Gerhard Frühling

1167010

Stud.

01.06.1932

 
Otto Gebensleben

3167787

P.

01.05.1933

 
Friedrich Gebensleben

1285501

Cand.

01.09.1932

 
Hermann Gennrich

3675516

P.

01.08.1935

 
Gerhard Göbel

2955111

Stud.

01.05.1933

 
Otto Gropp

3122982

P.

01.05.1933

 
Gustav Gropp

3122981

P.

01.05.1933

 
Hermann Grüner

3137680

P.

01.05.1933

 
Hans Harborth

379448

Stud.

01.12.1930

 
Karl Hartmann

1227107

P.

01.08.1932

 
Hans Heidrich

1042732

Stud.

01.04.1932

 
Kurt Hempel

2848205

P.

01.05.1933

 
Hans Herbst

3122221

P.

01.05.1933

 
Waldemar Hille

1357983

Cand.

01.10.1932

entlassen 1938
Erich Hillebrecht

769768

Stud.

01.12.1931

ausgetreten n.A.
Wilhelm Hobohm

583668

Stud.

01.07.1931

ausgetreten n.A.
Walter Jeep

2637430

P.

01.05.1933

 
Helmut Johnsen

2810603

P.

01.05.1933

 
Walter Joschek

3186362

Stud.

01.05.1933

ausgetreten 04.1934
Otto Jürgens

2801675

P.

01.05.1933

 
Adolf Jung

433360

Stud.

01.01.1931

 
Gerhard Kalberlah

2801700

P.

01.05.1933

 
Walter Kappe

2053243

P.

01.05.1933

ausgetreten
Karl-Heinz Kasten

3218412

P.

01.05.1933

 
Adolf Kellner

3183556

P.

01.05.1933

 
Wilhelm Kiel

3166721

P.

01.05.1933

ausgetreten
Joachim Kiel

2149767

Stud.

01.05.1933

 
Wilhelm Klinzmann

3188971

P.

01.05.1933

 
Karl Knackstedt

3696606

P.

01.08.1935

 
Johannes König

2799402

P.

01.05.1933

 
Theodor Köppen-Schomerus

379454

Stud.

01.12.1930

ausgetreten n.A.
Willi Kramer

3124407

P.

01.05.1933

Ausschluß 05.1934
Heinrich Krumwiede

324759

Stud.

01.08.1930

ausgetreten 01.12.1930 n.A.
Wolfgang Kühner

990774

Stud.

01.03.1932

 
Friedrich Länger

2611026

P.

01.05.1933

 
Carl Lang

3181458

P.

01.05.1933

 
Otto Lang

2801958

P.

01.05.1933

 
Johannes Lehnecke

3185730

P.

01.05.1933

 
Wolfgang Leonhardt

522617

Stud.

01.04.1931

 
Rudolf Lerche

3186645

P.

01.05.1933

 
Adolf Lindemann

3551084

P.

01.05.1933

 
Ewald Lüddecke

2373973

P.

01.05.1933

 
Konrad Minkner

2080655

P.

01.05.1933

 
Friedrich Müller

3182008

P.

01.05.1933

 
Werner Neumann

2850873

P.

01.05.1933

 
Victor Oelze

3556804

P.

01.05.1933

 
Wilhelm Rauls

3120161

P.

01.05.1933

 
Wilhelm Röpke

2150553

KR

01.05.1933

 
Jörg-Heinrich Rohé

830620

Stud.

01.12.1931

 
Heinrich Runte

2798679

KR

01.05.1933

Aufnahme abgelehnt 08.1934
Johannes Schlott

945434

P.

01.02.1932

 
Carl Schlutter

3184973

P.

01.05.1933

ausgetreten
Paul Schmidt

1249143

P.

01.08.1932

 
Hans Joachim Schmidt

2586871

Stud.

01.05.1933

 
Wilhelm Schrader

809910

Schüler

01.12.1931

 
Heinz Schütte

344556

Stud.

01.10.1930

 
Hermann Schulze

3555735

P.

01.05.1933

 
Karl Adolf v. Schwartz

2803216

P.

01.05.1933

 
Alfred Schwarz

3114004

Abit.

01.05.1933

 
Rudolf Schwarze

2803212

P.

01.05.1933

 
Horst Sommer

1159670

Stud.

01.05.1933

 
Walter Staats

2803234

P.

01.05.1933

 
Wolfgang Steinblinck

3554415

P.

01.05.1933

 
Werner Strothmann

2371292

P.

01.05.1933

 
Erich Tacke

2150843

KR

01.05.1933

 
Werner Timpe

1902008

K

01.05.1933

 
Herbert Tönnies

1822413

Cand.

01.07.1933

 
Alfred Treptow

769733

Stud.

01.12.1931

 
Fritz Ulbrich

389216

Stud.

01.01.1931

 
Alfred Wagner

2859112

P.

01.05.1933

ausgetreten n.A.
Johannes Wandersleb

3553329

Stud.

01.05.1933

 
Richard Wandersleb

3118052

P.

01.05.1933

 
Max Witte

176669

Stud.

01.12.1929

ab März 1933 nicht geführt
Ernst Wolter

2371354

P.

01.05.1933

 
Helmut Wrede

595850

Schüler

01.08.1931

 
Wilhelm Ziegenmeyer

1248753

P.

01.08.1932

 


 




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