Kirche von unten: Home - Archiv - Geschichte - Vorträge, Beiträge - Cyty - Glaube

[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von unten Nr. 33, August 1988, Seite 21-24
(Download als pdf hier)


Wegstecken – Abhaken
Zum Landeskirchentag 3.-5. Juni 1988 in Lebenstedt

von Dietrich Kuessner

Ein Landeskirchentag ist nicht irgendeine Veranstaltung in der Geschichte einer Landeskirche. Er ist selten. Der letzte war 1982, der davor 1968. Weil sie selten sind, werden sie mit viel Mühe vorbereitet. Das war auch diesmal so. Die Hauptlast trug viele Monate Frau Hartmann, eine von außen kommende ABM-Kraft. Ab Mitte Februar waren dann die Diakone Schumann und Mohrenstein die Ansprechpartner. Endstation für ungeklärte Fragen war Landeskirchenrat Hampel, der sich aber lange Zeit für nicht zuständig erklärte und auf Frau Hartmann oder die Diakone verwies. Das war schon kein glücklicher Anfang.
Alle sollten mitmachen und unter einen Hut gebracht werden. Das Jahresfest der Frauenhilfe und der Landesjugendtag wurden deshalb auf einen Termin gelegt: eine richtige Idee, Möglichkeit für gegenseitige Begegnung oder wenigstens Wahrnehmung. Die Brüder von Brüdern krochen mit unter das Dach des Landeskirchentages - auch gut, und eine prickelnde Gelegenheit zu gegenseitigem Austausch, zu theologischer Kontroverse, die Chöre käme, eine Propstei machte mobil, Landgemeinden sollten Stadtgemeinden begegnen: in unserer austauscharmen Landeskirche auch eine gute Idee - und dann kam doch alles ganz anders.

Das Amt für Landesjugendarbeit hatte sich viel Mühe gegeben, ein Liderheft gedruckt, das dann auch die Frauenhilfesschwestern mit nach Hause brachten, aus dem wir bei einem Treffen mit dem Landeskirchenmusikdirektor kräftig geprobt haben (wir: nämlich die Pfarrer der Propstei Helmstedt), die Wege in der Stadt waren zum Schulzentrum Fredenberg ausgeschildert, es wurden auch keine Kosten gescheut - und trotzdem: es kamen weniger Jugendliche als zu den Landesjugendtagen in Braunschweig, Goslar und Wolfenbüttel. Das Gelände war sehr weitläufig und die Wege zu den anderen Veranstaltungen zu weit. Die Wenigen schmorten im eigenen Saft. Tatsächlich gingen auch einige zur Nachmittagsveranstaltung der Frauenhilfe , aber sie verließen auch spätestens nach Pause die Eisporthalle. Das Stück "der letzte Tag" begeisterte die Jugendlichen, der Drive-in Gottesdienst war mit höchstens 2o Beteiligten ein Reinfall. Die Atmosphäre in den Turnhallen und der Kontakt zu den Hausmeistern war gut, aber die 1000 Schüler(innen) vom Schulzentrum, die für den Landeskirchentag freibekommen hatten, waren ausgeflogen und ließen sich nicht sehen. Hatte Herr Feige nicht seinerzeit eine ergreifende Analyse von der religiösen Einstellung der Braunschweiger Jugendlichen geliefert, die nur die Schlußfolgerung erlaubte, man müsse kirchlicherseits die jungen Leute nur richtig ansprechen? Was ist verkehrt gelaufen? Wie wurde das Kollegium angesprochen und eingeplant? Gab es Widerstände? Von diesem Teil des Landeskirchentages hat man in der Presse nichts vernommen? Warum nicht? Ist alles bereits wieder verpackt, die Liederbücher, Stirnbänder, Buttons, Papiere und Programme verstaut und das Ganze "abgehakt" ? Auch in das andere Großtreffen, der Frauenhilfe, wurde monatelange Mühe und Arbeit gesteckt: die Eissporthalle war voll und phantasiereich dekoriert, aber es hatten sich bereits weniger angemeldet als erwartet, und die Grundidee: Begegnung eben nicht nur von Frauenhilfe untereinander sondern mit anderen kirchlichen Gruppen erwies sich als Flop. Die Frauenhilfsgruppen nahmen - wie erwartet - gar nicht am Landeskirchentag teil: weder an der Bibelarbeit, noch an den Foren, sondern sie kamen in Bussen zu "ihrer" Veranstaltung angefahren. Nicht mal für den Markt der Möglichkeiten ließen sich die Frauen Zeit. Schon aus der allbekannten Angst, keinen Platz in der Halle zu bekommen, stürmten sie an den Ständen vorbei. In der Pause stürzten sie sich auf den wohlverdienten Kuchen, der lecker und reichlich war, und viele fuhren dann erschöpft vom ersten Teil der Darbietungen nach Hause, ohne den 2. Teil, den Hauptteil abzuwarten. Der erste Teil bis zur Pause war als Vorstellung aller kirchlichen Gruppen der Landeskirche gedacht( der jedoch viel zu lang geriet, weil sich einige Redner, z.B. Amtsbruder v. Bülow nicht an die vorgeschriebene Zeit hielt). Es folgte eine Entspannungsübung mit Heidemarie Lange; die jedoch kam zur Unzeit. Das Sitzvermögen der meist älteren Frauen war nach diesen 9o Minuten in der zugigen Eisporthalle erschöpft. Den eigentlichen historischen Hauptteil haben sich sehr viele geschenkt. Kennen die Vorstandsmitglieder unsere Frauenhilfen so wenig? Sind sie organisatorisch überfordert? Liegt das daran, daß wie schon bei früheren Veranstaltungen die Beziehung zur Frauenhilfsbasis fehlt und die herangekarrten Frauenhilfsgruppen als Zuhörermassen mißbraucht werden? Die Frauenhilfe ist eine "Gründung von oben", von Kaiserin Gnaden, und sie setzte sich in Braunschweig nur schwer durch, obwohl gerade die Pfarrer in zahlreichen Konferenzen um 1912/13 die Arbeit der Frauenhilfen besprachen und förderten. Der 1. Weltkrieg hat die Frauen der Kirche entfremdet, in der folgenden Inflationszeit - als die Frauenhilfe sehr wichtig gewesne wäre - brach sie zusammen, und erst Agnes v. Grone brachte sie, als es wieder aufwärts ging, ab 1924/25, in Form. "Gründung von Oben" - ein Symptom, das heute noch in der Frauenhilfe grassiert? Oder lieber doch nicht darüber nachdenken - wegstecken - abhaken - und den nächsten Mißgriff gründlich vorbereiten....
Daß der Landeskirchentag weit hinter den gesteckten Erwartungen zurückbleiben würde, zeigte sich schon im Vorfeld. Die geplante große Begegnung "Stadtgemeinden "Landgemeinden" kam in 4 - 5 Gemeinden zustande, aber auch nicht immer beglückend. Schließlich hatten schon vor Beginn des Landeskirchentages einige Salzgitter-Amtsbrüder die Flügel hängen gelassen. Es sprach sich herum, daß ganze Propsteien sich am Landeskirchentag nicht beteiligen würden. Das wirkte sich auf die Bibelarbeit aus, die einzige, die stattfand: die Aula wies große Lücken auf. Das Echo auf die folgenden Foren war unterschiedlich. Forum 2 "Ethik der Technik" mit Zimmerli war gut besucht, Forum 4 mit "Jonny" Kraus schlecht. Die Friedensinitiative ( über 3oo Mitglieder) hat ihre Sympathisanten dazu nicht auf die Beine gebracht. Zum Forum 14 der Brüdernleute war Bischof Heubach angesagt, statt dessen kam Propst Hauschildt. Alle redeten nebeneinander her. Ein Dialog zwischen den unterschiedlichen Gruppen in der Landeskirche kam nicht zustande. Ansonsten wurde von den Foren inhaltlich nichts berichtet. Ob der Kurier das noch nachhält ? Oder gibt es von der Pressestelle der Landeskirche noch eine Information? Oder lohnt sich das nicht?
Die Pressestelle hatte in der EZ die Teilnahme von 5ooo Gemeindemitgliedern angekündigt. Das klingt viel, ist aber bei einer Gesamtzahl von etwa 53o.ooo Gemeindegliedern innerhalb der Landeskirche weniger als 1 %, weniger als sonntäglich in die Kirche zum Gottesdienst kommen. Es ist realistisch anzunehmen, daß es insgesamt wenige waren und sehr viel weniger, wenn man fairerweise die zahl der Veranstalter abrechnet. Über Zahlen wurde dann nach dem Landeskirchentag auch nichts mehr berichtet. Erst im Juliheft der Ev. Kommentare taucht auf Seite 424 die Meldung auf, daß "mehr als 8000 Menschen " am Landeskirchentag teilgenommen hätten, weniger ein Rechengeheimnis von Bruder Hempel sondern mehr ein Indiz, wie er das Amt für Öffentlichkeit und Presse im LKA versteht: ein Mogelamt, um den Verkaufswert der Landeskirche zu erhöhen. Es wäre für die Zukunft gut, wenn die Veranstalter sich vom Wort "Kirchentag" trennen würden. Es assoziiert eine Kirchlichkeit, die wir im Braunschweigischen nicht organisieren können. Gemeindetage auf Propsteiebene wären ein erster Schritt, der auch hier und da schon erprobt ist, aber sich längst nicht eingebürgert hat.
Wie bei den mißglückten Kirchenvorstandswahlen soll jedoch auch hier nach der Sommerpause nicht nachgedacht und aus Fehlern gelernt werden. Wegstecken - abhaken und rasch andre Schlagzeilen produzieren, z.B. "Landesbischof gratuliert Eintracht Braunschweig." Das ist eigentlich eine nette Geste, und wenn der Bischof der Mannschaft zum Aufstieg in die 2. Liga beglückwünscht, ist das völlig in Ordnung. Aber daß aus dieser persönlichen Geste eine Meldung der EZ, auch noch auf Seite 1 und dazu noch rosa hervorgehoben, gemacht wird, ist mehr als traurig. Mit Hosea gesprochen: die Kirche betreibt Unzucht und wirft sich einer lüsternen, heruntergekommenen Öffentlichkeit in die Arme in der schalen Hoffnung, daß sich dieses Image bezahlt macht. Und so ertragen auch sie ihr trauriges Schicksal: wegstecken – abhaken - und die nächste Nummer bitte.




[Zurück] [Glaube] [Helfen]
Impressum und Datenschutzerklärung  http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/kvu033/Landeskirchentag1988.htm, Stand: August 1988, dk