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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von unten Nr. 34, September 1988, Seite 25-30
(Download als pdf hier)


Ein kirchlicher Radikalen-Erlaß
Zum Urteil des Verfassungs- und Verwaltungsgerichts der VELKD in Sachen § 3 DVO

von Eberhard Fincke

Seit nunmehr schon 4 Jahren bestätigen alle kirchlichen Mitarbeiter von der Reinigungskraft bis zum Pädagogen, wenn sie ihren Dienstvertrag unterschreiben, den § 3 DVO der Dienstvertragsordnung. Die Kirchenvorsteher als Arbeitgeber tun es ebenso.

Mit diesem § 3 DVO werden das Bekenntnis und der "Auftrag des Herrn" zum Bestandteil einer gesetzlich bindenden Verpflichtung gemacht, ebenso die "Mäßigung und Zurückhaltung bei politischer Betätigung". Dieses lutherische Bekenntnis läuft nun aber darauf hinaus, daß der Auftrag des Herrn nicht gesetzlich verbindlich gemacht werden darf. Dem lutherischen Bekenntnis ist es besonders wichtig, daß die Verkündigung des Evangeliums nicht unversehens zu einem Zwang auf das Gewissen verwandelt wird.

Da wird also von den Beteiligten laufend etwas unterschrieben, was nach lutherischem Selbstverständnis gar nicht sein darf. Gemacht wird es trotzdem; aus Angst, um den Arbeitsplatz nicht zu verlieren; aus Naivität, weil es ja beim Staat auch nicht anders ist; aus Resignation, denn von der Kirche ist auch nicht mehr zu erwarten - eher weniger. Wie die Erfahrung zeigt, kann man mit der Unterschrift leben. Es ist noch nichts passiert.

Nur einige Gemeinden der Landeskirche wollten diese herrschende Gleichgültigkeit nicht mitmachen. Sie standen deswegen hinter dem Versuch, die kirchlichen Gerichte anzurufen. Der § 3 DVO sollte am lutherischen Bekenntnis überprüft werden. Dann würde er keinen Bestand haben.

Der Versuch ist gescheitert. Die erste Instanz, der Rechtshof der niedersächsischen Kirchen, hat 1986 gemeint, es sei kein Unterschied, ob man bei der Taufe verspricht, dem Auftrag des Herrn folgen zu wollen, oder ob man dies in einem Dienstvertrag unterschreibt. Doch eigentlich müßten die Juristen wissen, daß das Letztere vor Gericht einklagbar ist, das Erste aber nicht.

Die zweite Instanz, das Verfassungs- und Verwaltungsgericht der VELKD, die deswegen angerufen wurde, räumt in ihrem nun gerade erschienenen Urteil ein: "Die einzelne Kirchenrechtsnorm ist von Schrift und Bekenntnis her zu verstehen" Man kann also und muß die Dienstvertragsordnung juristisch vom lutherischen Bekenntnis her angreifen können unter Zuhilfenahme der Verfassung der VELKD oder der Verfassung einer ihrer Gliedkirchen, denen eine Kirchenrechtsnorm wie die Dienstvertragsordnung nicht widersprechen darf.

Wie zieht sich nun das Verwaltungs- und Verfassungsgericht trotzdem aus der Affäre? Mit einem Formaltrick. Es sagt: Eine Revision ist möglich, wenn in dem Urteil der ersten Instanz (des Rechtshofs) eine "Verletzung des von der VELKD gesetzten Rechts" vorliegen könnte. Nun sei aber ja die Verfassung der Braunschweiger Landeskirche nicht von der VELKD gesetztes Recht und das lutherische Bekenntnis ja erst recht nicht, Also sei auch keine Revision möglich. So einfach ist das. Damit nicht genug: Unser Argument, § 3 'VO sei nicht mit dem Bekenntnis in Einklang zu Bringen, weil das Bekenntnis darin zum Gesetz gemacht wird, drehen die Richter auf folgende Weise herum: Da das Bekenntnis nicht zum Gesetz gemacht werden darf, deswegen auch nicht Bestandteil der Gesetzgebung sein kann, haben wir als Gericht darüber auch nicht zu befinden (Urteil S. 9 f). Damit ist das Gericht die Sache los.

Mit anderen Worten: dem kleinen kirchlichen Mitarbeiter wird die Bindung an das Bekenntnis in den Arbeitsvertrag geschrieben, aber das oberste kirchliche Gericht übt vornehme Zurückhaltung, wenn die Bindung des kirchlichen Arbeitgebers und der kirchlichen Rechtsprechung an das Bekenntnis konkret nachgefragt wird. Da ist das Gericht angeblich nicht zuständig. Wer dann? Das sind ermutigende Aussichten für die kirchlichen Mitarbeiter. Rechtssicherheit schafft das Gericht so nicht. Kann es nicht oder will es nicht?

Es will wohl nicht, denn die Klage scheint überhaupt auf dem Weg von der ersten zur zweiten Instanz vom Regen in die Traufe gekommen zu sein. Das Verfassungs- und Verwaltungsgericht bestätigt nicht nur ausdrücklich die Meinungen des Rechtshofes in allen Punkten (S.11 des Urteils), sondern es schließt auch noch eigene 'ergänzende Bemerkungen' (S.11) an. Diese nun offenbaren ein gänzlich autoritäres, gleichzeitig realitätsfernes Bild von der Kirche, ihrem Wesen und der Stellung des kirchlichen Mitarbeiters. Trotz aller vorangegangenen schriftlichen Erklärungen kann das Verfassungs- und Verwaltungsgericht z.B. keinen Unterschied darin sehen, ob man sagt: "Der Auftrag der Kirche" oder "Der Auftrag des Herrn": "Es handelt sich also um dieselbe Sache mit anderen Worten" (S.12). So wird denn munter - ist es Naivität oder Arroganz? - der Auftrag des Herrn in die Dienstverträge geschrieben. Nicht nur der Papst sondern offenbar auch der kirchliche Arbeitgeber sind Stellvertreter Christi auf Erden.

Das Gericht sieht weiter auch keinen wesentlichen Unterschied zwischen Pastoren oder anderen kirchlichen Mitarbeitern. Alle haben ihren Arbeitsplatz freiwillig übernommen (S.12), und so ist allen die gleiche Bindung an den Auftrag des Herrn aufzuerlegen. Ist es wirklich nicht wesentlich, ob einer Pastor wird oder auf der Suche nach einem Arbeitsplatz Kindergärtnerin oder Hausmeister bei der Kirche?

Daß von diesem Gericht kein Recht zu erwarten war, wird endgültig klar, wenn es sich schließlich direkt zum Stichwort "Mäßigung und Zurückhaltung ^ bei politischer Betätigung" äußert. Nach Meinung der Richter "ist es der Sinn der Vorschrift (§ 3,2 DVO, d.V.), von der Kirche Gefahren abzuwenden, die ihr durch Unterwanderung von kirchenfeindlichen Organisationen erwachsen können". (Urteil S.14).

Da wird ein Gespenst aus dem Hut gezaubert. Oder weiß der geneigte Leser ein Beispiel für "kirchenfeindliche Organisationen" aus der Realität? Schön war's ja, wenn unsere Kirche so entschieden aufträte, daß ihr Leute feind würden. Oder ist die FDP gemeint mit ihrer Kirchensteuerpolitik?

Aber Spaß beiseite. Führt dieses hohe kirchliche Gericht den sachlich nicht definierbaren und juristisch ganz unmöglichen Begriff ein, so wird dadurch ein bösartiger Hintergrund verraten. Der Ausdruck "kirchenfeindlich" ist eine klare Parallele zu "verfassungsfeindlich". Dieser Begriff wurde erfunden, um, am Grundgesetz vorbei, politische Gegner auszuschalten, denen nicht nachzuweisen war, daß sie "verfassungswidrige" Ziele verfolgen, so das Grundgesetz. Es ging dabei immer nur gegen die Kommunisten; denn Rechtsradikale haben mit Demokratie ohnehin nichts im Sinn.

Nun taucht also der antikommunistische Nebelwerfer-Begriff in kirchlichem Gewand auf. Das kirchliche Gericht sieht den § 3 DVO in dieser Linie. In aller unschuldigen Naivität übrigens; denn es gibt diese Ansichten in den "Bemerkungen" zum Besten, die für die Urteilsbegründung gar nicht nötig sind. Die Richter glauben also, was sie sagen und sind wahrscheinlich erstaunt, daß man in diesem Punkt ernsthaft anderer Meinung sein kann.

Diese Mischung aus penetrantem Antikommunismus und politischer Naivität läßt nun aber einem kirchlichen Mitarbeiter keine Chance, sollte er vom Arbeitgeber "kirchenfeindlicher" Aktivitäten bezichtigt werden und sein Recht vor kirchlichen Gerichten suchen.

Trösten kann uns gegenwärtig freilich, daß dieser "kirchliche Radikalenerlaß" etwas verspätet gekommen ist, sozusagen als komische Nummer von dem, was wir im politischen Raum früher erlebt haben. Zur Zeit gibt es ohnehin wenig "Radikalität". Aber Gesetze gelten ja nicht nur heute.

Was hat die vierjährige Prozessiererei nun gebracht ?

1. Die Urteile - vor allem der 2. Instanz -haben erwiesen, wie schlimm der § 3 DVO tatsächlich ist, da er voll in der Linie der Berufsverbotpraxis im öffentlichen Dienst liegt. Das kann die Entschlossenheit steigern, kirchenpolitisch gegen ihn vorzugehen. Beispielsweise sollte man nicht nachlassen, im Verband kirchlicher Mitarbeiter dafür zu werben, daß er weg verhandelt wird.

2. Kirchenleitungen und Kirchengerichte sind nachdrücklich aufmerksam geworden, daß § 3 DVO nicht selbstverständlich hingenommen sondern in der Sache grundsätzlich bestritten wird. Man wird infolgedessen vorsichtig sein, sollte man in Zukunft mit seiner Hilfe einen Mitarbeiter entlassen wollen.

3. Der Rechtshof hat in seinem Urteil (S. 16) formuliert: "Es gibt Situationen, in denen vom kirchlichen Mitarbeiter und von jedem anderen Kirchenmitglied gerade keine Zurückhaltung und Mäßigung verlangt wird. Politische Zurückhaltung und Mäßigung kann dann im Gegenteil vorwerfbar sein; man denke etwa an das Schweigen gegenüber der Verfolgung von Minderheiten".

Auch die Stuttgarter Erklärung vom Oktober '1945 wird ausdrücklich benannt. Weiter heißt es (S. 16): In derartigen Situationen wird Untätigkeit durch die Rücksicht auf das kirchliche Amt weder geboten, noch gerechtfertigt". Das Verfassungs- und Verwaltungsgericht der VELKD hat in seinem Urteil diese Ausführungen ausdrücklich bestätigt.

In zukünftigen Auseinandersetzungen kann man sich auf diese Urteile berufen.




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