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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 40 - September 1989


MIT CHORÄLEN IN DEN ZWEITEN WELTKRIEG

von Dietrich Kuessner/a>

Vor 50 Jahren erschien zum Braunschweiger Gesangbuch ein wichtiger Anhang "Herausgegeben vom Landeskirchenamt in Wolfenbüttel in der Kriegszeit 1939". Was im alten Gesangbuch von 1902 unter der Rubrik "Vaterland und Obrigkeit" verzeichnet war, langte offenkundig nicht "für die Kriegszeit". Der Anhang enthält insgesamt 40 Lieder, darunter 13 heute bekannte klassische Choräle, die sich im EKG bewährt haben aber dann unter der Überschrift II. "Auf, bleibe treu" und III. "Herr wir stehen Hand in Hand" vaterländische Lieder, vor allem von Ernst Moritz Arndt und jenes unsägliche bei keiner vaterländischen Feier zwischen 1933 und 1945 fehlende "Wir treten zum Beten vor Gott den Gerechten".

Es ist noch nicht erforscht, ob die Soldaten aus dem Braunschweiger Raum ihre Gesangbücher mit ins Feld genommen haben. Wenn nicht, so sind sie entschädigt worden durch das kleine, in grüne Pappdeckel eingebundene Feldgesangbuch, das jeder Landser leicht in die obere Tasche seines Waffenrockes stecken konnte. Ein Divisionspfarrer schreibt mir, daß dieses mit der Nr. 371 der Heeresdienstvorschrift versehene Feldgesangbuch benutzt worden ist bei Kampfhandlungen und im Feldlazarett. Er schreibt mir: "Es wurde meistens dankbar angenommen; ich hab's auch dann und wann in der Tasche eines Gefallenen gefunden". Das Feldgesangbuch enthält Gebete, Kernsprüche, Choräle und Lieder. Die 56 Choräle stammen aus den gängigen Gesangbüchern und entsprechen durchweg solchen, die sich auch im Stammteil des heutigen EKG befinden. Aus einigen klassischen Chorälen sind die "judaistischen Vokabeln" Zebaoth entfernt worden. Auf die Frage Luthers im Lied von der festen Burg "weißt du, wer der ist?" antwortet der deutsche Soldat von 1939: "Er heißt Jesus Christ / der Retter in Not" , und die dritte Strophe von "Großer Gott wir loben dich" ist so umgedichtet: "Heilig Herr allmächtiger Gott / Heilig Herr der Kriegesheere". Um die aktuelle Situation besonders hervorzukehren, bekommt dieses Lied folgende neugedichtete Abschlußstrophe: "Dort wo unsre Fahnen wehn / Sei's zu Lande, sei's zu Meere / Laß die Treue Schildwach stehn / Sei uns selber Waff'n und Wehre / Losungswort sei allzugleich / Treu zu Führer Volk und Reich".

Außer diesen Veränderungen innerhalb der Liedtexte gibt es in diesem klassischen Choralteil noch drei Ausnahmen. Ein Lied benutzt die alte These vom gerechten Krieg, dem Gott selbst voranzieht: "Allmächtiger Herr der Heere / zieh du mit deiner Schar / und mache deine Ehre / vor allen offenbar" (3,1). Das Lied mit den Worten: "Es gilt ja deine Ehre / es ist gerechter Krieg / Herr zieh mit unsrem Heere / und führe uns zum Sieg" (3,4). - Das andere Lied, das sich aus dem klassischen Choralgut heraushebt, bittet um Segen für die Waffen: "Herr segne unsre Waffen / und laß uns nimmer ruhn / Herr segne unser Schaffen / und unser schweres Tun". (21,1) Dieses von Gott gesegnet schwere Tun ist für den Soldaten erträglich, der den Herrn gefunden hat: "Wer dich nur Herr gefunden / den macht die Not nicht bleich / der wirkt zu allen Stunden / für Führer Volk und Reich". (18,3).

Diesen Choralteil folgen 25 andere Lieder, vor allem alte vaterländische Gesänge: "Der Gott, der Eisen wachsen ließ", "Auf bleibet treu und haltet fest", "Ich hab mich ergeben", "Wir treten zum Beten", "Wer ist ein Mann? Wer beten kann". Bereits diese Auswahl zeigt, wie wenig die Frage des Krieges nach dem Ersten Weltkrieg theologisch aufgearbeitet worden ist. Es sind dieselben Lieder, mit denen die Freischärler 1813, die Kürassiere 1870/71, die kaiserliche Armee 1914 und nun die Deutsche Wehrmacht 1939 in den Krieg geschickt worden ist. Aber kann man 1939 denselben vaterländischen Enthusiasmus voraussetzen wie 1813?
Damals wie 1939 ist es nicht nur ein gerechter Krieg, sondern geradezu ein christlicher Streit: "Die Christenbanner wehen / dein ist o Herr der Krieg" (63,2). Von den Berufspflichten des deutschen Soldaten 1939 heißt es daher unter Nr. 7°'selbstbewußt und doch bescheiden, aufrecht und treu, gottesfürchtig und wahrhaft, verschwiegen und unbestechlich soll der Soldat dem ganzen Volk ein Vorbild männlicher Kraft sein."

Diesem Krieg liegt eine Einladung Gottes zugrunde: "Du reicher Gott in Gnaden / schau her vom blauen Zelt / du selbst hast und geladen / in dieses Waffenfeld" (63,2). Diese Einladung Gottes zum Krieg ergeht durch das Wort, auf das der Soldat mit seinem Eid antwortet "Mein Eid und Brief / der mich berief / sei stets in meinem Herzen / laß mich damit nicht scherzen" (67,2).

Weil der Krieg nicht nur ein Geschehen unter den Augen Gottes ist, sondern auch seine Initiative entspringt, das Böse zu besiegen, kann er kaum verloren gehen. Es muß nur kräftig um den Sieg gebetet werden: "Laß uns vor dir bestehen / und gibt uns heute Sieg" (63,2), oder: "Vater, du. führe mich / führ mich zum Siege" (75,2). Die Fahne, die voranweht, ist ein "stolzes Siegspanier" und der Krieg endet mit "Siegsgeschrei" (63,4). Der Sieg scheint gewiß, weil Gott selber im Schlachtendonnerwetter als Urquell der Gnade erkennbar wird: "Gott ich erkenne dich / so im herbstlichen Rauschen der Blätter / als im Schlachtendonnerwetter % Urquell der Gnade erkenn ich dich / Vater du segne mich" (75,3). Dieser Vers von Theodor Körner entspricht der gewiß auch 1813 nicht unproblematischen Frömmigkeit der Befreiungskriege. Aber kann man so ein Lied auch dem Soldaten von 1939 anbieten?

Gott erweist sich als der gehobene Generalstab. Er ist der "Lenker der Schlachten" (75,1). Da nun immer zwei Seiten den Krieg führen, Gott aber beiden Seiten den Sieg nicht schenken kann, gehört der Sieg den Treuen. Offenbar denen, die Gott treu bleiben. Daher die Aufforderung: "Auf bleibet treu und haltet fest / so wird euch mehr gelingen / wer sich von Gott nicht scheiden läßt / der kann die Hölle zwingen" (57,1). Diese Treue ist eine Begabung und ein Wert besonders unter den Deutschen. Deutschland ist ein "Land der Treue" (72,1). Es ist ein naheliegender Gedanke, daß der "Treue Gott" eigentlich nur ein "deutscher Gott sein kann". Das Feldgesangbuch verändert daher folgerichtig die Zeile "der alte Gott, der treue Gott / läßt sich noch immer schauen" (so wie es im Braunschweigischen und anderswo gesungen wurde) in: "Der alte Gott, der deutsche Gott / läßt sich noch immer schauen" (57,1). Damit ist unzweideutig festgelegt, wem der Sieg gehören wird: der deutschen Wehrmacht. Richtiger dem Deutschen Volk. Dieses Volk verlässt Gott nie und ist sich selber treu: "Du bist ein Gott, der nie verläßt / ein Volk, das treu sich selber" (61,4). Dieses Volk, dem Gott die Treue hält ist ein heiliges Volk. Vaterlandstreue, Staatstreue und Gottestreue sind dicht beieinander. Deshalb gelobt der Soldat: "Will halten und glauben / an Gott fromm und frei / will Vaterland dir bleiben / auf ewig fest und treu". Gerade bei diesem schönen und alten Volkslied "Ich hab mich ergeben" wird deutlich, wie problematisch seine Verwendung auch in der Situation von 1939 gewesen ist.

Wie Gottestreue und Vaterlandstreue sich entsprechen, so gilt die Heiligkeit sowohl Gott als dem Vaterland. "0 Deutschland, heilig Vaterland" dichtet H.M. Arndt und R.A. Schröder greift diesen Gedanken auf: "Heilig Vaterland heb zur Stunde / kühn dein Angesicht in die Runde". Es ist dann nur noch ein kurzer Schritt zu der Strophe "Deutschland heiliges Wort / du voll Unendlichkeit / über die Zeiten fort / seist du gebennideiht / heilig sind deine Seen / heilig dein Wald und der Kranz / deiner stillen Höhen / bis an das grüne Meer" (69,1). Dieses heilige Vaterland wird von einem Führer regiert, der bis 1945 eine Kirchenpolitik nicht gegen die Kirchen sondern immer wieder in Rücksicht auf die Kirchen und ihre Macht betreibt. Die NS-Propaganda knüpft an die Idee von Gottes Gnadentum an und wendet sie auf die Kanzlerschaft Hitlers an: "Ein Haupt hast du dem Volk gesandt / und trotz der Feinde Toben / in Gnaden unser Volks geeint ,q d hoch erhoben / mit Frieden hast du uns bedacht / den Führer uns bestellt zur Wacht / zu deines Namens Ehre" (62,1). Dieses Lied von Julius Sturm ist ursprünglich ein vaterländischer Gesang mit Fürbitte für den Kaiser. 1939 ersetzt man die zwei Silben durch die zwei anderen Führer.

Wenn Kaiser und Führer nicht nur vom Volks gewählte, sondern von Gottes Gnade erwählte Staatsmacht sind, können beide einen heiligen Eid für sich in Anspruch nehmen. Ganz vorne im Gesangbuch ist der Fahneneid abgedruckt: "Ich schwöre bei Gott diesen heiligen Eid, daß ich dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, dem obersten Befehlshaber der Wehrmacht unbedingten Gehorsam leisten und als tapferer Soldat bereit sein will, jeder Zeit für diesen Eid mein Leben einzusetzen."

Der Einsatz des Lebens kann den Tod bedeuten. "Man träumt von Siegeskränzen, man denkt auch an den Tod", (63,1), nicht nur damals in den Freiheitskriegen. Aber für das Vaterland zu sterben, ist süß, nicht nur bei den alten Römern, sondern auch für E.M. Arndt: "wir wollen heute Mann für Mann zum Heldentode mahnen / auf, fliege stolzes Siegspanier / voran den kühnen Reihen / wir siegen oder sterben hier / den süßen Tod der Freien".

Süß ist der Tod, weil er Gottes Willen entspricht. "Des Höchsten Wille rief dich ab / leb wohl mein Kamerad ", dichtet E. Hirsch (8,1,) . Es ist wie am Ende eines erfüllten Tages: "Du hast dein Tagwerk ausgericht' / es leuchte dir das ewge Licht / es leucht dir Gottes Gnad" (80,2). In dem Tod für das Vaterland und für Gott erfüllt sich das Mannestum: "Dies ist der Mann / der sterben kann / für Gott und Vaterland / er läßt nicht ab / bis an das Grab / mit Herz und Mund und Hand" (79,6).

Da der Krieg gerecht erscheint, und der Tod als Akt der Treue sittlich hoch gewertet wird, wird der, der treu im Kampf steht und fällt, auch des Lebens Krone sehen: "Und willst du, daß wir fallen / auf weitem Ehrenfeld / so hilf uns gnädig allen / in deine ewge Welt" (81,5). "Komme uns zu erneuern / nimm Ewger ganz uns hin / laß aus den Totenfeuern / des Lebens Flamme glühn" (77,4).

Am Ende steht kein Sieg, sondern 1945 eine Niederlage mit in der deutschen Geschichte beispiellosen Folgen. Man nennt den Krieg nicht gerecht, sondern ein Verbrechen. Mit diesem tiefsitzenden Schock kehren die Frontsoldaten in die zerstörte Heimat zurück. Welche Gedanken und Hilfen werden ihnen die Kirchen nun anbieten, um den Schock zu überwinden ? Was sie 1945 verbindet ist das Lied Nr. 5 des Feldgesangbuches "Aus tiefer Not schrei ich zu dir / Herr Gott erhör mein Rufen!"




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