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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 40 - September 1989


Erbsünde

von Herbert Erchinger

Die Urgeschichte vom Sündenfall (1. Mose 3) und die oft mißbrauchte Lehre von der Erbsünde erschließen sich in einem neuen Licht bei der theologischen Beurteilung der Kernenergie und ihrer Folgen.

Hier wie dort fängt alles scheinbar ganz harmlos an. Die dem Menschen gesetzten Grenzen werden in Frage gestellt. Attraktive Perspektiven eröffnen sich. Die Versuchung ist groß, aus der Begrenztheit in die Unbegrenztheit vorzustoßen, der Begrenztheit des Lebens dort, der Begrenztheit des Energieangebots hier.

Und die Früchte sind lieblich anzuschauen. Darüber vergißt der Mensch das Gift der Schlange und den Preis dieser Grenzüberschreitung. Er verliert da~ Bewußtsein seiner Bindung an die von Gott geschaffenen Relationen. Er will sein wie Gott. Sünde, Ungehorsam, das meint theologisch immer Grenzüberschreitung.

Nachdem der Mensch einmal vom Baum der Erkenntnis gegessen hat (Uranspaltung durch Hahn 1939), gibt es nun kein Halten mehr, obwohl fast alle Wissenschaftler das Verhängnisvolle dieser Entwicklung vorhergesehen (Niels Bohr, Oppenheimer, Heisenberg). Sie müssen nun den Weg weitergehen, den sie schuldhaft begonnen haben.

Und wie der scheinbar harmlose Sündenfall (1. Mose 3) alsbald im Brudermord von Kain und Abel (1. 1~ose 4) sich steigert in einer mörderischen Eskalation und einer explosionsartigen Entladung der Gewalt, so entpuppt sich auch die liebliche Frucht der Kernspaltung sehr schnell als eine Geißel der Menschheit und mündet sofort in die militärische Anwendung zu beispielloser Massenvernichtung (Hiroshima, Nagasaki 1945).

Alle Versuche der Nachkriegszeit, diese "Erbsünde" abzuschütteln und eine "friedliche Nutzung" der Kernenergie zu betreiben, überwinden nicht die ursächliche und fortdauernde Verzahnung dieser Technik mit den Atomwaffen. Das eine lebt vom anderen. Die Kernenergie, aus militärischer Forschung entwickelt, ist vom Ursprung her vergiftet und kann diesen Makel niemals mehr abschütteln. Hier ist der Begriff Erbsünde sachgemäß. "Das setzt sich von Geschlechte zu Geschlechte als eine ewge Krankheit fort". Der Reaktortyp von Tschernobyl und auch viele westliche Reaktoren dienen erst in zweiter Linie der zivilen Energieerzeugung, in erster Linie haben sie die Aufgabe, waffenfähiges Material zu erzeugen. Nur in einem stimmt die Analogie zur Urgeschichte - noch - nicht. Noch können wir aussteigen. Die Sintflut ist noch nicht gekommen.

Doch wie der Psalmist (Ps 139) vor Gott und seiner Schuld nicht fliehen kann, so kann der Mensch auch nicht fliehen vor den Folgen von Rückständen seiner sündhaften, aus den Fugen geratenen Technologie.
Die Allgegenwart der Radioaktivität bedeutet die Unmöglichkeit, dieser Schuld und dem Urteil Gottes zu entfliehen.
Denn wo soll er hingehen vor Gottes Geist und wo soll er hinfliehen vor seinem Angesicht?
Schießt er den Atommüll in den Himmel, so ist er noch da.
Bettet er ihn in die Tiefe des Schachtes, so ist er noch da.
Nähme er Flügel der Morgenröte und versenkte alle im äußersten Meer, so würde ihn doch Gottes Hand daselbst aufspüren und die Folgen ihm vorhalten. Spätestens seit Tschernobyl sind unsere Augen aufgetan (1. Mose 3,7) über den schrecklichen Irrweg dieser Energiezeugung.

Heute spürt der Mensch seine Nacktheit und die Verlogenheit der Versprechungen der Schlange.
Aber wie in der Urgeschichte versteckt sich der Mensch (1. Mose 3,8) immer noch nach seinem Schuldigwerden, um der Verantwortung zu entrinnen. Auch heute übernimmt niemand wirklich die Verantwortung für die Folgen der radioaktiven Strahlung. Wer kann schon nachweisen, daß die ganz persönliche Krebserkrankung auf atomtechnische Anlagen zurückzuführen ist. So entzieht sich der Mensch bis heute der Verantwortung für sein tun. Er wollte sein wie Gott und Energie erzeugen heller als tausend Sonnen und die Menschheit herrlichen Zeiten entgegenführen. Und nun ist er nackt geworden und wollte, er hätte dies nie begonnen....




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