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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 40 - September 1989


DAS NEIN DER CHRISTEN ZUR ENDLAGERUNG - Einige Überlegungen -

von Bernd Hohmann OP

1. Bei der Endlagerung radioaktiven Abfälle wird in Zeiträumen von tausenden, zehntausenden, hunderttausenden Jahren gerechnet; "Langzeitsicherheit" heißt das Stichwort.
Das ist sehr unanschaulich und es ist schwierig, sich die Dimensionen, um die es geht, klar zu machen. Doch schon der Versuch läßt erschrecken: vor 50 Jahren begann der zweite Weltkrieg, vor 200 Jahren fand die französische Revolution statt - zwischen diesen Ereignissen und uns heute liegen Welten... Aber weiter: Vor 2000 Jahren wurde Jesus Christus geboren, vor 3000 Jahren befreite Gott sein Volk aus Ägypten... und für hundert mal diesen Zeitraum - 300 000 Jahre - werden sichere Aussagen über den Schacht gemacht...

Mit dem strahlenden Müll, den er produziert, greift der Mensch in bisher ungekannter Weise in die Zukunft aus: Heute werden Fakten geschaffen für Jahrhunderttausende. Menschen überschreiten ihre eigenen zeitliche Grenzen in völlig neuer Weise: ihr Müll verrottet nach menschlichen Maßstäben auf ewig nicht, über ihn wächst so schnell kein Gras, darf es gar nicht.

2. Diese Überschreitung menschlich vorstellbarer Zeiträume gibt die Stichworte: Entgrenzung und Grenzüberschreitung.

Schon hinter der Erforschung und Nutzbarmachung der Kernenergie ist das Motiv zu entdecken, aus der Begrenztheit in die Unbegrenztheit vorzustoßen: - aus der Begrenztheit der Zerstörungskraft konventionellen Sprengstoffs in die Unbegrenztheit der totalen, untragbaren und unkalkulierbaren Zerstörungskraft atomarer Waffen; - aus der Begrenztheit des Energieangebots (dem Nerv unseres auf dauerndes Wachstum angelegten Industriesystems) in die Unbegrenztheit der aus der Kernspaltung erwarteten Energiemengen, die unbegrenztes Wachstum garantieren sollten. Unbegrenzte Macht, unbegrenzte Herrschaft: das versprach man sich von der Kernenergie.

3. Wenn aber Menschen von der Begrenztheit der Macht und Energie, wenn sie aus der Begrenztheit der Zeit vorstoßen wollen in deren Unbegrenztheit, wenn sie grenzenlos und für immer haben und herrschen wollen, dann handeln sie gottlos. Denn nur Gott ist der Herr, nur er ist unbegrenzt.

Er weist uns ein
- in die Begrenztheit und die Grenzen der Schöpfung;
- in die Beziehungen zu unserer Mitwelt - menschlich und außermenschlich - und zu ihm als Quelle des Lebens;
- in die Grenzen der Zeit.

Die Entgrenzung menschlicher Bedürfnisse hin au unbegrenzte Herrschaft und die Entgrenzung aller zeitlichen Begrenzungen verneinen die Wirklichkeit Gottes und zerstören die grundlegenden - und grundsätzlich begrenzenden - Beziehungen des Menschen (zu Gott, zu sich selbst und zu seiner Mitwelt).

Der sich entgrenzende Mensch ist Gott los geworden. Er ist den lebendigen Gott los geworden und hat andere Götter an seine Stelle gesetzt: sich selbst und das Atom, das ihm versprach, was vom lebendigen Gott nicht zu erwarten war. Das ist gemeint, wenn von Sünde die Rede ist.

4. Inzwischen hat die Zukunft begonnen: der Mensch, der wie Gott sein und Energie erzeugen wollte heller als tausend Sonnen, findet sich nun wieder vor seinem atomaren Gott: ein strahlender Gott, der unbedingte Wachsamkeit und unendlichen Dienst verlangt.
Zwar wurden die unbegrenzten Erwartungen in den neuen Gott, das Atom, enttäuscht, doch der radioaktive Müll wird dennoch sein wie ein Gott: ein Götze, den wir fürchten und heilig halten, dem wir gehorchen, dienen und dem wir opfern müssen - auf ewig.

Wir das Volk Israel, das vom lebendigen und befreienden Gott abfiel, sich in den Königen und Baalen seine Götzen schuf, denen es dann zum Opfer fiel (Ex 32, 28 f,: 2 Kön 21, 16), so zeichnet sich ab, daß auch wir, die wir uns in uns selbst und dem Atom unsere Götzen schufen, unserem Abfall zum Opfer fallen.
Und was für den Propheten Jesaja (46, 1-7) ein zentraler Gedanke war, wird heute von neuem Wirklichkeit: die Götzendiener werden ihre Götzen tragen müssen und unter ihnen zusammenbrechen, während das gläubige Volk von Jahwe mitgenommen und getragen wird.

5. "Niemand kann zwei Herrn dienen..." hat Jesus gesagt (Mt. 6,24).
Aus der Erkenntnis des Götzencharakters der Kernkraft wird uns die Aktualität dieses Wortes deutlich: es ist tatsächlich nicht möglich, Gott und gleichzeitig der Kernkraft zu dienen. Letzteres ist eine Abwehr vom lebendigen Gott der Christen. Umkehr heißt zuerst: Umkehr in die Grenzen des Mensch-Seins, Umkehr zu Gott heißt: Ausstieg sofort.

Doch dem Müll werden wir auch dienen müssen, wenn, wir uns zu Gott bekehrt haben, dann aber in der Hoffnung, daß der lebendige Gott uns trägt. Dieser Dienst muß dann kein Götzendienst mehr sein, sondern kann in gemeinschaftlicher Verantwortung übernommen werden als Buße.




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