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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 41 - November 1989


RRIEGSBEGINN 1939

von Kurt Dockhorn

Wo so viele Stimmen sich berufen fühlen, zum 50. Geburtstag des deutschen Überfalls auf Polen Rückschau zu halten und eine Standortbestimmung zu versuchen, möchten die Militaristen unter Christen im Arbeitskreis 10Sicherung des Friedens11 nicht zurückstehen. So lassen sie den im Brief-dienst Nr. 9 vom September dieses Jahres den9 Generalstabsoffizier der Bundeswehr Hartmut Bühl1 unter der Überschrift KRIEGSBEGINN 1939 zu Wortl kommen. Wir erfahren, daß ein Einzelgänger namens Hitler einen Brand gelegt hat, der Verwüstung und Leid über große Teile Europas bringen sollte. Der Rest waren Verführte, die guten Glaubens für ihr Vaterland kämpften, offenbar dem Vaterland dienen wollten, indem sie ein Land nach dem anderen überfielen und sich erst allmählich "mit der Fortdauer des Krieges" - doch nicht etwa weil4.ie Siege ausblieben - "der Tragik bewußt wurden, dem Vaterland dienen zu wollen, dessen Führung Deutschland aber dem politischen und moralischen Niedergang zuführte". Offensichtlich fängt für Bühl dieser Niedergang erst mit der militärischen Niederlage der Wehrmacht an, ja Niedergang ist hier gleich Niederlage, und nicht etwa schon mit der Selbstauslieferung Deutschlands an den Faschismus. Und auch 50 Jahre nach Kriegsbeginn dämmert es dem Autor noch nicht, daß es sich durchaus nicht um eine "Tragik°' zwischen Dienen-wollen und Verführtwerden handelte, sondern um eine Verwicklung in einen Vernichtungskrieg, ein Verbrechen unaussprechlichen Ausmaßes also, was zumindest die 30.000 Deserteure der Wehrmacht schon während des Krieges gemerkt haben oder die Männer des Nationalkomitees nach Stalingrad. Nein, für Bühl gilt es hier, nur eines Mannes zu gedenken: so wie die Verführung durch einen über Deutschland kam, so die moralische Rehabilitierung Deutschlands auch durch einen, den Grafen Stauffenberg. Es scheint, daß sich hier Satan und Christus im metaphysischen Kampf gegenüber stehen, die uns alle stellvertretend ins Verderben reißen und uns anschließend wieder erheben.
~ine Kostprobe der Traditionspflege in der Bundeswehr gibt uns Bühl mit der hanebüchenen Geschichtsverkittung, daß leider, leider, "Teile der Führung der Wehrmacht den Hitlerschen Verbrechen nicht genügend Widerstand entgegengesetzt" hätten und sich mißbrauchen ließen. Mußten wir in den letzten vierzig Jahren mit der unappetitlichen Propagandalüge leben, daß es nicht die Wehr-macht, sondern die SS war, die die Kriegsverbrechen begangen hat, so setzt 50 Jahre nach Kriegs-beginn ein Generalstabsoffizier noch eins drauf, indem er kurzerhand große Teile der faschistischen Wehrmacht zu einer Widerstandstruppe gegen Hitler sich mausern läßt.
Nun denn, zum Glück ist heute alles anders, aber nicht weniger gefährlich: Hatten wir es 1914 1940 mit "ekstatischen Gefühlen" des Sieges zu tun, so handelt es sich heute um "Emotionen der; Friedenssehnsucht", die eine Gefahr für das "Sicherheitssystem von Abschreckung und Entspannung' darstellen können", besonders dann, wenn sie "ausufern und in unvernünftiges Ankämpfen - Anmerkung des Kommentators: Wo bleibt der Deutschunterricht im Generalstab der Bundeswehr? - gegen alles Militärische sich manifestieren." Denn, so Bühl, heutige Waffentechnik und Gefühle vertragen' sich nicht. Wir lernen: 1. Militarismus ist kein Gefühl. Vielleicht eine Technik? 2. Herstellung, Bereithaltung und gegebenenfalls Anwendung - spricht nicht vom Ernstfall, sondern vom "Bedarfsfall" - von Massenvernichtungsmitteln ist Ausdruck der Vernunft. Der Wahnsinn als höchste Stufe der Rationalität. 50 Jahre nach Kriegsbeginn ist das Zeitalter der endgültigen Dialektik angebrochen. Der NATO sei Dank!
A propos Bedarfsfall, wenn also die nukleare Vernichtungsmöglichkeit (Bühl) Vernichtungsrealität wird, dann - wieder ist die virtuose Dialektik zu beachten- werden wir nicht etwa alle mit-einander vernichtet, nein, dann verteidigen wir uns so, "daß die Werte unserer Gesellschaft erhalten werden können". So ist denn angeblich nicht mehr wie früher die "Bewährung im Krieg" Ziel militärischer Ausbildung und Erziehung, sondern Kriegsverhinderung gekoppelt mit der Fähigkeit zur Verteidigung im "Bedarfsfall". Die Bundeswehr im Rahmen der Nato als hohe Schule des Pazifismus also, deren pädagogische Kunst es ist, uns vergessen zu machen, welches Zerstörungs- und Vernichtungspotential in obszöner Weise zum jederzeitigen Einsatz auf deutschem Boden bereitliegt.
Nein, lieb Vaterland, du magst ganz ruhig sein, wir werden nicht noch einmal "Opfer eines kriegs-•geisterten Patriotismus und nationalistischen Militarismus10. Wozu auch diese altbackenen Kategorien im Zeitalter globaler Exterminationsandrohung? Heute machen wir doch so etwas mit "Vernunft und Technik". Die freilich braucht Bühl, um darüber hinwegzutäuschen, daß seit vier-zig Jahren eine weitere, von ihm in seiner Traditionsbewältigung verschwiegene Kategorie, nämlich die des Antikommunismus (ist er Vernunft oder ist er Technik? ausgezeichnete Dienste bei der anhaltenden Verführung der Menschen geleistet hat, damit sie ihren Frieden mit der horrenden Hochrüstung machen.




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