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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 42 - Dezember 1989


Warum ich die Erklärung zur Grenze nicht unterschrieben habe

von Martin Quandt

Lieber Dietrich!
Du möchtest wissen, warum ich die Erklärung zur Grenze nicht unterschrieben habe:
1. Als ich die Erklärung nach einer Woche erhielt, war sie schon restlos überholt.

2. Ich fand nichts, was andere nicht auch schon gesagt hatten.

3. Ich bin der überzeugung, daß die Erklärung genau das erreicht, was sie dem Wortlaut nach nicht will: "die vielen Menschen und Christen in der DDR" werden nicht als Partner behandelt, sondern durch eine problematische Art der Unterstützung eher vereinnahmt. Die "Erklärung" erklärt, was angeblich wünschenswert, ist noch bevor die Menschen in der DDR darüber richtig nachgedacht und alles mit Bedacht besprochen und vielleicht erstritten haben.

4. "Lösungen" werden vorgeschlagen, gefordert oder unterstützt bevor überhaupt genügend Informationen vorliegen, mir wenigstens, und bevor eine Diskussion mit Bürgern der DDR richtig begonnen hat.

5. Ich soll erklären, Bürgerinitiativen tatkräftig mit den großen Worten dieser ErkIärung zu unterstützen, weiß aber gar nicht, ob diese das wollen oder ob ich ihnen nicht viel mehr durch meine Unterstützung schade. Dem Aufruf "Für unser Land" ist z.B.durch die Unterstützung der SED-Führung weithin seine Wirkung genommen. Unterstützung aus der BRD kann manchmal ähnlich hinderlich sein.


Ich hatte das Glück, zwei Tage bei Bürgern in der DDR zu sein und die Entwicklung einmal im Kleinen aus erster Hand zu erleben. Mir ist deutlich geworden, welch ein Unterschied zum Erleben aus zweiter Hand über die Medien besteht, obwohl mich vieles auch schon auf diesem Weg anrührte. Ich habe erlebt, wie anläßlich unseres Besuches zum ersten Mal kirchliche und staatliche Vertreter einer Berufsgruppe miteinander sprachen und feststellen muBten, wie schwierig das war. Ich habe gehört, wie schwierig es ist, das Machtvakuum sinnvoll zu füllen. Ich habe immer wieder gehört: "Äm wichtigsten brauchen wir Ruhe, um richtig auszuruhen, um alles genau zu bedenken, um die Ereignisse einigermaßen zu verarbeiten. Ich meine nicht, daß ich nun besser informiert bin. Ich bin aber noch vorsichtiger geworden, Erklärungen abzugeben. Ich weiß ja beute, 14 Tage nach meinem Besuch nicht mehr, was sich in den Einstellungen meiner Gesprächspartnerinnen schon wieder verändert hat.

Ich möchte zunächst die Xenschen in der DDR, ihre Probleme, ihre Dünscbe etc. besser kennen lernen. Auf weihe Frage, ob ich sie unterstützen könne, haben wir meine bisherigen Gesprächspartner aus der DDR geantwortet: "Zur Zeit nicht! Vir werden uns melden!' Ich bin sicher, daß sie es tun werden, wenn sie meine Unterstützung wollen. Ich habe manchial den Eindruck, daß es für vieIe in der BRD schwer auszuhalten ist, nicht so wichtig für die Entwicklung in der DDR zu sein.

Als 'Kirche' haben wir meines Erachtens die Aufgabe, gerade jetzt Kontakt zu den Menschen aufzunehmen oder zu halten, die durch die Entwicklung in der DDR und in Osteuropa eher noch mehr Nachteile erleiden müssen: Langzeitarbeitslose, "Nicbtseshafte", Asylanten, Hungernde....

Ich halte es nicht an der Zeit, den vielen Vorten zur DDR noch ein kirchliches hinzuzufügen.
Dennoch freundliche Grüße
Martin Quandt




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