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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 42 - Dezember 1989


MEINE WÜNSCHE FÜR DIE KIRCHEN IN DER DDR

von Gerhard Heintze
(Download als pdf hier)

Als ich im aktiven. Dienst als Landesbischof der evang. lutherischen Landeskirche in Braunschweig stand, lag mir sehr an einem möglichst intensiven Kontakt mit Vertretern der evangelischen Kirchen in der DDR. Das hatte u.a. seinen Grund darin, daß bis 1969 die seit 1945 auf DDR-Gebiet liegenden Gemeinden der Propstei Blankenburg verfassungsmäßig noch zur braunschweigischen Landeskirche gehörten, wie seit ca. 300 Jahren. Auch nach der notwendig gewordenen verfassungsmäßigen Eingliederung in DDR-Kirchen - zuerst Dresden, dann Magdeburg - legten diese Gemeinden großen Wert darauf, daß die persönlichen Verbindungen mit Gliedern der braunschweigischen Kirchenleitung und anderen Mitgliedern der Landeskirche nicht abrissen. Außerdem gehörte ich nach der organisatorischen Trennung der jetzt auf die Kirchen in der Bundesrepublik beschränkten EKD und des Bundes der evangelischen Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik zu der vom Rat der EKD eingesetzten Kommission, die den Auftrag hatte, regelmäßige Kontakte mit Delegierten des DDR-Kirchenbundes zu pflegen. So bin ich während meiner aktiven Dienstzeit oft in Blankenburg, in Ostberlin und auch in anderen Bereichen der DDR gewesen.
Bei diesen Besuchen ist mir in zunehmendem Maß deutlich geworden, daß wir "Westler" im Verhältnis zu den Kirchen in der DDR wesentlich mehr "Nehmende" als "Gebende" waren. Das lag nicht nur daran, daß die DDR-Vertreter die bei der organisatitorischen Trennung von EKD und Bund offiziell vereinbarte "Pflege besonderer Gemeinschaft" oft ernster nahmen als viele Kirchenmitglieder im Westen. Vor allem gewann ich den Eindruck, daß das Nicht-Privilegiertsein und das ständige Infragegestelltwerden und - namentlich in den ersten Jahrzehnten der DDR- auch das offene Benachteiligt- und Bekämpftwerden von Seiten der herrschenden Staatsmacht den Kirchen in der DDR zu einer vertieften Glaubwürdigkeit verholfen hat. Die Kirchen in der DDR haben die organisatorische Trennung von der EKD nicht nur als eine ihnen von außen auferlegte Last empfun. den.

Sie haben gelernt, ihr Zugehörigkeit zur DDR bewußt zu bejahen - trotz aller damit verbundenen Schwierigkeiten. Sie haben - anders als die "Deutschen Christen" in der Zeit des Nationalsozialismus - sich nicht an die in ihrem Staat zur Herrschaft gelangte Ideologie angepaßt, aber sich darum bemüht, "Kirche im Sozialismus" zu sein. Wohl haben sie deshalb immer wieder ihrem Staat und den in ihm Nächtigen auch kritische Fragen gestellt, und zwar nicht erst seit die Fehler und Schwächen des in der DDR herrschenden Systems allgemein offenbar wurden. Aber sie haben auch beharrlich versucht, die positiven Ansätze des sozialistischen Systems zu erkennen und zu unterstreichen, einen "verbesserlichen Sozialismus" zu unterstützen und auch mit denen im Gespräch zu bleiben, die in ihrem Staat das Sagen hatten. Ohne dieses Gewinnen innerer Glaubwürdigkeit wäre es in den letzten Monaten in der DDR wohl kaum zu den vielfältigen und so erstaunlich besuchten Fürbitgottesdiensten gekommen. Und daß die großen Demonstrationen der letzten Zeit bislang gewaltlos verliefen, dürfte in diesen Fürbittgottesdiensten einen wesentlichen Grund haben.
Die innere Glaubwürdigkeit der nichtprivilegierten Kirchen, die bis heute im Ganzen der Gesellschaft der DDR eine zahlenmäßige Minderheit darstellen - ganz besonders in den großen Städten -, hat auch positive Auswirkungen auf die Ökumene gehabt. In ökumenischen Zusammenschlüssen wie im Weltrat der Kirchen oder in der Konferenz Europäischer Kirchen. - ich gehörte viele Jahre zusammen mit dem früheren Bischof der provinzsächsischen Kirche, D. Werner Krusche, Magdeburg, zum Präsidium der KEK - wurde auf die Stimmen aus der DDR in besonderem Maß gehört. Vielleicht haben sie auch besser als wir im Westen verstanden, den enger. Zusammenhang von "Dienst für Gott“ und "Dienst an den Menschen", besonders den Benachteiligten und Leidenden unter ihnen, oder vom Frieden als Gabe Gottes und dem notwendigen anhaltenden und nachdrücklichen Eintreten der heutigen Christen in allen Ländern für die Förderung von Gerechtigkeit und Frieden in der Welt zu verdeutlichen.

Und nun ist auch für die Kirchen in der DDR vieles anders geworden. Wer sollte sich nicht darüber freuen, daß es auch für ihre Mitglieder leichter geworden ist, die Grenzen zum Westen zu überschreiten! Mit Gemeindebegegnungen und gemeinsamen Gottesdiensten auf dem Gebiet der BRD ist ja schon ein Anfang gemacht. Dennoch wünsche ich den Kirchen in der DDR vor allem, daß sie ihre mühsam erworbene innere Glaubwürdigkeit und Eigenständigkeit behalten. Es wäre schlimm, wenn der ideologische Kommunismus, wie er bislang drüben herrschte, von einer Anpassung an einen oberflächlichen praktischen Materialismus, wie er weithin in den westlichen Gesellschaften herrscht, abgelöst würde, und die Kirchenmitglieder in der DDR sich daran beteiligen würden. Deshalb verspreche ich mir auch nicht viel davon, wenn es zu einer voreiligen organisatorischen Rückkehr der DDR-Kirchen in den Verband der EKD käme. Wohl aber bleiben wir in der EKD darauf angewiesen, die "besondere Gemeinschaft" mit den Kirchen in der DDR jetzt erst recht zu pflegen und namentlich auf das zu hören und es praktisch beherzigen, was "die von drüben" uns kritisch zu sagen und wovor sie uns zu warnen haben.
Die innere Unabhängigkeit, die die Kirchen in der DDR gerade in den Zeiten des Nichtprivilegiertseins und des ständigen Infragegestelltwerdens gewonnen haben, könnte jetzt auch darin bestehen, daß sie versuchen, ihre eigenen Landsleute davor zu bewahren, sich in unkritischer Weise in ihrem Denken und Wünschen an den westlichen praktischen Materialismus anzupassen. Nachdrücklich sind die Vertreter der Kirchen drüben ja schon seit langem dafür eingetreten, vor einer voreiligen Übersiedlung in den Westen zu warnen und stattdessen zu ermuntern, trotz aller sich auch weiterhin vermutlich ergebenden Schwierigkeiten im Lande zu bleiben. Das werden sie gewiß
auch weiterhin tun. Auch werden sie vermutlich ihre Stimme erheben, wo die Kritik am bisherigen System mit fragwürdigen, nicht stichhaltigen Behauptungen unterstützt wird. Anzeichen für solche unsachliche Kritik hat es schon gegeben, und der berechtigten und auch notwendigen Kritik der bisherigen Staatsführung der DDR wird kein

Dienst damit erwiesen. Gerade jetzt kommt es auf eine strikte Einhaltung des 8. Gebotes an ("Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten").
Ebenso haben die Kirchen in der DDR sicher auch die Aufgabe, sich seelsorgerlich auch um diejenigen zu kümmern, die bisher an der Macht waren und nun allgemein verhaßt und in der Versenkung verschwunden sind. Auch diese, die bislang ihre Distanz zum christlichen Glauben betonten, sollten spüren, daß die Vertreter der Kirchen, die bis-lang das Gespräch mit ihnen suchten, nicht wegen der Wende jetzt ihre Feinde geworden sind, sondern sie aufsuchen und nach ihnen fragen, wo sie jetzt so plötzlich aus der Höhe der Macht in tiefe Verlassenheit gestürzt sind.
Vor allem wünsche ich den Mitgliedern der Kirchen in der DDR, daß sie von uns im Westen nicht nur schöne Worte zu hören bekommen, sondern viel praktische Hilfe mit Rat und Tat erfahren.




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